Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

 2000/01
Inhaltsverzeichnis

Kulturpolitik
Editorial
Eklat in Wuppertal
Das Ende der Intendanz Dews
Fundbüro: Ofenrohr im Mozart-Rausch und anderes

Berichte
Konwitschnys „Csárdásfürstin“
Semperoper und Verband deutscher Musikschulen setzen Jugendinitiative fort

Portrait
Das Aalto-Theater Essen
Der Münchner via-nova-chor
Oper in Frankreich

Service
Alles, was Recht ist
VdO: aktuell
VdO: Nachrichten
Buch: Opernroman

 

Portrait

Leistung für die Neue Musik

Der Münchner via-nova-chor · Von Tim Koeritz

„Wie Chor entstehen kann und wie zeitgenössische Musik für Chor ist, da könnte ein Graben zugeschüttet werden, der zwischen Experten und Menschen. Gibt es noch eine heutige Musik, die alle anspricht? Können wir das überhaupt mit der menschlichen Stimme? Solch ein Chor wie der via-nova-chor ist für mich der Beweis, dass es geht.“

   

Der das sagt, ist der in München geborene Komponist Peter Michael Hamel. Vor drei Jahren äußerte er sich in dieser Weise über den Münchner via-nova-chor, der damals sein 25-jähriges Bestehen feierte. Dieser Chor ist einer der wenigen, der die A-capella-Musik des 20. Jahrhunderts nun schon seit 28 Jahren zu seinem Schwerpunkt gemacht hat – und das im konservativen Bayern. 42 Sängerinnen und Sänger gehören zum Stamm des Chores, der zu einem Großteil aus aktuellen oder ehemaligen Musikstudenten des Faches Schulmusik oder Gesang, aber auch aus Laien besteht. Semiprofessionell könnte man seine Zusammensetzung also nennen. In aufbauenden Schritten hat er sich seit seiner Gründung 1972 zu einem ausgesprochenen Leistungschor von Rang entwickelt, der durch sein Engagement für die Neue Musik auffiel und weiterhin auffällt. Peter Michael Hamel hat selbst die Gründung des Chores 1972 miterlebt. Damals hatte er, selbst noch Schüler des musischen Pestalozzi-Gymnasiums München, für die Aufführung einer eigenen Chorkomposition aus dem vorhandenen Schulchor einen Kammerchor gebildet, der dann nach dem Abitur fortbestehen wollte. Bei dem ausgesprochenen Chorpädagogen, dem Schulmusiker und Professor Kurt Suttner, fanden die chorbegeisterten Abiturienten dann eine Heimat.

Begegnung mit dem Komponisten

Hamel macht mit seinen Äußerungen über den via-nova-chor aber auch die Problemlage des zeitgenössischen Komponierens für Chor deutlich: „Was die eigene Chorerfahrung für das Komponieren bedeutet, das weiß der Komponist, der nie mit Chor gearbeitet hat, und denkt: Das ist so wie beim Klavier. Spiel ich einfach ein Cis und ein C und ein H, diese Töne. Und eben das kann ein Chor nicht. Und was ich da gelernt habe mit dem Kurt Suttner, das ist mir natürlich geblieben. Ich kann jetzt sagen, dass ich für Chor schreiben kann und ich kann es auch als Kompositionslehrer beibringen, wie man mit Chor umgehen sollte.“

Eines wird aus diesen Aussagen deutlich: Es entstehen keine aktuellen Chorkompositionen, die auch für Laienchöre singbar sind, wenn es keine wirkliche Begegnung zwischen Komponisten und Chören gibt. Wichtig ist, dass ein Komponist unmittelbaren Einblick in die Chorarbeit hat, weiß, wo die Schwierigkeiten bei der Erarbeitung liegen. Wie muss man komponieren, damit es wirklich chorgerecht, sangbar ist, ohne sich dabei gleich populistisch anzubiedern? Einem Komponisten, der für Chor schreiben will, tut es gut, wenn er eine unmittelbare Beziehung zu einem Ensemble hat, das seine Werke aufführt, vor allem, wenn dies, wie im Falle des via-nova-chores, mit Engagement und Qualität geschieht. Ein gegenseitiges Voneinander-Lernen zwischen Komponisten und den Chören scheint ein wesentlicher Schlüssel für das Fortbestehen einer jeweils zeitgenössischen A-capella-Chorliteratur zu sein. Und hier nun besteht die besondere Leistung des Münchner via-nova-chores, der seit seinem Bestehen gut 20 Uraufführungen bestritt. Von Peter Michael Hamel brachte der Chor vor drei Jahren dessen „Passion“ zur Uraufführung, zuvor seine „Missa“ und sein „Dona nobis pacem“. Um genau diese enge Beziehung besonders zu Münchner Komponisten geht es dem Chor und seinem Leiter Kurt Suttner. Genutzt werden dabei die bestehenden Kontakte zu den Komponisten vor Ort in München. Es sind Beziehungen, die über die Münchner Musikhochschule, in der man wöchentlich probt, zu zeitgenössischen Komponisten bestehen, die dort zum Teil auch Dozenten sind. Der Chor will sich ganz bewusst, so Suttner, diesen Künstlern und ihren Werken zur Verfügung stellen. Komponisten wie Robert M. Helmschrott, Präsident der Hochschule, Max Beckschäfer, Moritz Eggert und Kay Westermann, aber auch Münchner Komponisten, die bereits zu Klassikern der Moderne zählen, wie Wilhelm Killmayer, Harald Genzmer und nicht zuletzt der bereits verstorbene Günther Bialas. Dessen „Heine-Lieder“ nach Texten aus der Matratzengruft und sein „Lamento“ brachte der Chor zur Uraufführung. Für die Entwicklung des Chores spielte jedoch die Erarbeitung von Bialas „Im Anfang“, einem Werk, dem die Schöpfungsgeschichte in der Übertragung durch Martin Buber zu Grunde liegt, eine noch größere Rolle. 1984 sang es der Chor zum katholischen Kirchentag in München und nahm es drei Jahre später auch auf Tonträger auf. Ein echter Meilenstein für den via-nova-chor.

Vorbild Eric Ericson

Neben den Münchner Komponisten besteht jedoch eine deutliche Neigung des Chores, sich mit der neueren skandinavischen Chormusik zu beschäftigen, und das hat seine Gründe besonders in der gewachsenen Freundschaft Kurt Suttners zum Grandseigneur der neueren schwedischen Chorkultur, Eric Ericson. Diesen Chorpädagogen par excellence lernte Suttner in den 70er-Jahren auf einem Meisterkurs für zeitgenössische Chormusik kennen. Gemeinsam mit den Mitgliedern des via-nova-chores begegnete er ihm bei einem Workshop „Chormusik des 20. Jahrhunderts“ 1977 in Den Haag während des „International Koor Festivals“, bei dem der Chor zudem den ersten Preis gewann. Ericson hinterließ einen bleibenden Eindruck. Fasziniert war der Chor von der Art, in der er Werke wie „Friede auf Erden“ von Arnold Schönberg und „Lux aeterna“ von György Ligeti mit diesem Workshop-Festival-Chor erarbeitete, und vor allem davon, wie er den Sängern spürbar die Angst vor dieser Musik zu nehmen verstand. Ericson wurde so zum großen Vorbild für den Chor und seinen Chorleiter. Weitere Begegnungen mit Ericson schlossen sich an. 1981 und 1985 kam er mit seinem berühmten Stockholmer Kammerchor nach München, unter anderem für eine gemeinsame Aufführung der „Messe“ von Frank Martin. Dieses Werk stand wiederum auf dem Programm, als Ericson vor zwei Jahren den Chor als Gastdirigent in der Münchner Erlöserkirche leitete.

   

Kurt Suttner

 

Tatsächlich ist es unter anderem wohl gerade die Pflege der zeitgenössischen Chorliteratur, die den via-nova-chor hinsichtlich seiner Intonationssicherheit enorm vorangebracht hat, weil eben in diesem Bereich die moderne Chormusik Enormes fordert. Eric Ericson: „Weil der via-nova-chor so viel Neue Musik singt, sind natürlich die Ohren geschärft. Und durch einen guten Umgang mit Neuer Musik kommt es auch zu einer hochklassigen Intonation. Es geht nicht anders. Die neuen Partituren funktioniern nur, wenn eine Sekunde wirklich eine Sekunde ist und ein Tritonus ein Tritonus. Es zwingt zu einer guten Intonation. Man kann von erzieherischer Musik sprechen.“ Viel neue Musik zu singen, fördert also den Chorklang.

Zwei Werke dieser skandinavischen Chorliteratur führten dann auch zu den bislang wohl experimentellsten Ausflügen in die Moderne. Im Fall von Arne Mellnäs Komposition „Succsim“ erreichte der Chor die Grenze der improvisatorisch-aleatorischen Ausdruckssprache der 60er-Jahre, und im Falle der „Elegie“ von Lars Edlund musste der Chor erstmals unter Anleitung eines Regisseurs szenisch agieren.

Rätselspiel Neue Musik

Da fragt man sich, wie ein solcher Chor diese Aufgaben überhaupt bewältigen kann bei lediglich einer wöchentlichen Probe, ergänzt durch eine ganztägige Probe einmal im Monat und einer Chorwoche einmal im Jahr. Kurt Suttner hat folgende Erklärung parat: „Es ist nicht nur das musikalische Leistungsvermögen. Es ist auch das gemeinsame Wollen. Und das führe ich darauf zurück, dass wir sehr viele Werke angehen, die zuerst wie ein Rätselspiel sind. Zeitgenössische Musik ist häufig zunächst wie ein Rätselspiel. Man versucht das Rätsel zu lösen. Und jeder weiß, mit welch unglaublicher Energie man dranbleibt, wenn man ein Kreuzworträtsel vor sich hat und es sind nur noch drei Worte zu finden.“ Zu einer Verabredung des Chores gehört es übrigens in diesem Zusammenhang, dass Kritik an dem jeweiligen modernen Werk erst geäußert werden darf, wenn es vollständig erarbeitet wurde, das Rätsel also gelöst ist und so einer gänzlich neuen Beurteilung für die Chorsänger zur Verfügung steht. Zur Motivation der Sänger ist es aber genauso wichtig, dass Suttner den Chor bewusst in gezielten Schritten an die zeitgenössische Chorliteratur herangeführt hat und weiter heranführt. Dabei belässt er das Repertoire nicht ausschließlich im Modernen, sondern bindet es ein in die historische Chorliteratur der alten Meister, aber auch der Romantik. Die Erfahrung mit unterschiedlichen Stilen hält Suttner für unabdingbar und es bringt natürlich Abwechslung mit hinein. Doch wenn man im Chor fragt, ist es das zeitgenössische Repertoire, das den Anreiz dafür bietet, gerade in diesem Chor mitzusingen. „Nur hier“, heißt es, „haben wir Gelegenheit, derartige Chorliteratur kennenzulernen.“

Doch noch etwas ist prägend für diesen Chor und wohl der entscheidende Grund für die außergewöhnliche Homogenität seines Klanges. Etwa die Hälfte der Chorsänger nutzt ein Angebot zur Einzelstimmbildung bei einem Team von Stimmbildnern, das wie Suttner die Richtung der funktionalen Stimmbildung vertritt, die auf medizinisch-physiologischen Kenntnissen der Singstimme basiert. Man zieht hier also am gleichen Strang, und außerdem wird dieses Angebot zum Teil auch noch von einer Stiftung finanziell gefördert. Die Voraussetzungen sind also gut. Und man kann dem Chor wohl kaum ein besseres Kompliment machen als dasjenige aus dem berufenen Munde Eric Ericsons: „Besonders in Bayern, in München, haben der via-nova-chor und Kurt Suttner viel getan, um die Neue Musik zu verteidigen. Und dass es ihm gelungen ist, hauptsächlich mit Amateuren und Musikstudenten ein so hohes Niveau zu erreichen, ist bemerkenswert. Man muss nicht nur Mut haben. Man muss auch eigensinnig sein und sehr überzeugt arbeiten. In diesem Sinne ist Kurt Suttner ein wirklich bemerkenswerter Mensch.“

Tim Koeritz

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner