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Klaustrophobische Enge

Reimanns „Bernarda Albas Haus“ in München · Von Reinhard Schulz

Es ist fraglos eines der bittersten Stücke des spanischen Dramatikers Federico Garcia Lorca. So bitter deshalb, weil es illusionslos die Gesellschaft auf den Seziertisch legt und gleichsam in isolierter Versuchsanordnung betrachtet, wie sie sich unter gegebenen Voraussetzungen entwickelt.

Dass es sich bei den Protagonisten ausschließlich um Frauen handelt – Mutter, fünf Töchter, irrsinnige Großmutter und zwei Bedienstete –, verstärkt im Grunde nur die analytische Schärfe. Eingeschlossen in einem Haus zu achtjähriger Trauer um den eben verstorbenen zweiten Mann der Hausherrin Bernarda, kulminieren schon von Anbeginn an die Widersprüche aus sozialen Schieflagen, Hierarchien und einlösbaren und uneinlösbaren sexuellen Sehnsüchten. Nur die infantil wahnsinnige Großmutter weiß von Beginn an, dass alles ins unerfüllt Desaströse laufen wird. Denn ihr ins Schmale fokussierter Verstand sieht klarer die Verhältnisse, die Versuchsanordnung ist ihr obendrein wohl aus eigener Erinnerung nicht fremd. Und Garcia Lorca analysiert, dass eine Gesellschaft in eng gemachten Verhältnissen, in festgeschriebenen Machtstrukturen unweigerlich Formen der Erniedrigung, des Hasses, der Ellbogenmentalität, schlicht also faschistoide Formen produziert.

   

Bernarda Albas Haus. Foto: Rabanus

 

Aribert Reimann hat diesen Stoff finden müssen. Alles, was ihn immer schon in Beschlag nahm, ist hier brennpunktartig versammelt: psychische Ausnahmesituationen, klaustrophobische Engen, verdrängte und zum Ausbruch losgelassene Triebe, Herrschaftsstrukturen, die wie ein Damoklesschwert über den Köpfen hängen, Abgründe. Noch eines muss auf ihn ein besonderes Faszinosum ausgeübt haben: die Fülle unterschiedlich zu differenzierender weiblicher Stimmen. Schon seine „Troades“ waren eine Oper fast einzig aus der Perspektive der unterjochten Frau. Jetzt gab ihm Lorca ein Stück an die Hand, bei dem alles auf die Frau in der Spannweite zwischen 20 und 80 Jahren hinausläuft.

Denn Reimann bleibt sich treu, vielleicht kann man auch sagen, er bleibt konventionell. Musiktheater ist ihm immer schon das vertiefende Ausbreiten psychischer Spannungskonflikte auf der Bühne, wobei der Musik die maßgebliche Rolle eben dieses Vertiefens zukommt. Sie schärft die Charaktere, sie legt untergründige Seelenstrukturen offen, sie übernimmt die Aufgabe, das nicht Auszusprechende, gleichwohl hintergründig Spürbare klanglich zu illuminieren und abzuschmecken. Und hierfür hat sich Reimann ein technisches Reservoir der Ausdrucksmittel angelegt oder erarbeitet wie kaum ein zweiter Komponist heute. Und es ist ihm hoch anzurechnen, dass er diese Mittel nie mechanisch abruft, sondern sie stets am neuen Sujet wetzt, sie ganz frisch und neu erobert. Jedes Mal liegen die Dinge anders, und Reimann ist demgegenüber wach geblieben.

Bernarda Albas Haus“ ist eine karge Oper. Schon der Klangapparat zeichnet sich durch Verzicht aus. Harte Klavierklänge herrschen vor, unterminiert und ausgeweitet hauptsächlich von klanglich vielschichtig strukturierten Holzbläsern. Das Blech setzt allein schroffe Akzente, die Streicher sind auf zwölf Celli zusammengestrichen, das Schlagwerk als zeitgemäßer Kitt des Klangs ist eliminiert. Die Anforderungen an die Solisten sind extrem. Der Sprung weit über die Oktave hinaus wird zur Regel fast jeder melodischen Führung, die körperliche Anspannung dabei korrespondiert zur seelischen. Merkwürdigerweise nähern sich solch angespannte Gesangslinien auch wieder einem exaltierten, gleichsam verzerrten Sprachgestus an. So trägt Reimanns Musik durch die zwei Stunden (ohne Pause), hält die Spannung und wagt damit einen Rettungsversuch der Handlungsoper, die gleichwohl ihr Zentrum in der Zeichnung extremer Spannungszustände und weniger in der Ausbreitung des dramatischen Fortgangs hat. Freilich wirft Reimann ein anderes Licht auf Lorcas Intentionen, weg von der seziermesserartigen Gesellschaftsanalyse, hin zu den fraglos damit verknüpften psychologischen Binnenereignissen.

Zur Regie Harry Kupfers ist nur wenig anzumerken. Das Bühnenbild (Franz Schlößmann) mit seinen grellen Weißtönen und mit Stühlen an allen fünf Bühnenwänden zeichnet Enge und „verstuhlte“ Verstellung; die Idee ist hübsch ohne größere Tiefendimensionen zu entwerfen. In der Personenführung der dunkel gekleideten Frauen beschränkt sich Kupfer auf wenige markante Zeichen, er weiß, dass eine Uraufführung von der Inszenierung her noch offen zu halten ist. Hervorzuheben ist freilich die exorbitante sängerische Leistung (insbesondere eine herbe, etwas angestrengt wirkende Helga Dernesch als Bernarda, Claudia Barainsky als aufbegehrende Martirio, Anna Korondi als sinnlich ausbrechende Adela und die Sprechrolle Inge Kellers als fahl irrlichternde Mutter Bernardas) vor allem aber die orchestrale Präsenz des Staatsorchesters unter seinem Chef Zubin Metha. Reimanns Partitur klingt.

Reinhard Schulz

 

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