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Portrait

Auf und Ab in Chemnitz

Musiktheater in der Ex-Industriemetropole
Von Gottfried Blumenstein

Die Musik, die sehr gut nach Chemnitz passen würde, hätte von einem „Maschinenmusiker“ wie Alexander Mossolow sein müssen, der genau jenen Sound erzeugte, der exquisit mit den Hammerklängen aus den unzähligen Fabrikhallen korrespondiert hätte. Aber Mossolow kam in der Stadt, wo 1826 eine erste Maschinenbauanstalt gegründet und ein Jahr darauf der berühmte Jacquard-Webstuhl eingeführt wurde, nicht so recht zum Zuge. Auch nicht zu Zeiten des Sozialismus, was weniger an Chemnitz respektive Karl-Marx-Stadt lag, sondern an Mossolow, der bei Stalin in Ungnade gefallen war und deshalb zu DDR-Zeiten kaum eine Chance hatte, gespielt zu werden. Aber das ist eine andere Geschichte.

„Maschinen-Opern“, die fleißig gespielt werden, gibt es freilich in der vormaligen Industriestadt Chemnitz, etwa Mozarts „Zauberflöte“. Nach wie vor ist die 1992er Inszenierung von Steffen Piontek im Einsatz, die zur Premiere den Clou hatte, dass Tausendsassa Justus Frantz am Dirigentenpult dilettierte. Mittlerweile hat es etliche Höhepunkte gegeben, die zumindest teilweise die großen Hoffnungen, die mit einem solch modern ausgestatteten Haus verbunden waren, erfüllt haben.

   

Hochgelobt: Die „Götterdämmerung“. J. Treleaven, D. Greve und Y. Liu. Foto: Wuschanski

 

Es wurden, wenn man das so sagen darf, einige spektakuläre Aktionen gestartet, die sogar einen gewissen Kulturtourismus heraufbeschworen. An sich liegt Chemnitz kaum auf der Reiseroute kulturbeflissener Touristen, die starten eher gleich durch bis Dresden, wo ihnen natürlich ungleich mehr geboten wird. Nichtsdestotrotz machte der internationale Wagner-Jet-Set Halt in Chemnitz, um die mit guten Kritiken bedachte Produktion des „Ring des Nibelungen“ zu bestaunen. Ganz besonders wurde der scheidende GMD Oleg Caetani (und mit ihm auch die furios aufspielenden Musiker der Robert-Schumann-Philharmonie) gefeiert. Aber auch das Inszenierungsteam um Michael Heinicke, Wolfgang Bellach und Ralf Winkler erntete so manches Lob, ebenso die exzellenten Solisten, die teils aus dem eigenen Ensemble kamen, teils als Gäste verpflichtet wurden. Allen voran die großartige Janice Baird als Brünhilde. Tatsächlich gab es damit in Sachsen seit knapp 25 Jahren wieder einen „Ring“, der sich sehen und hören lassen konnte.

Oleg Caetani spornte die Robert-Schumann-Philharmonie nicht nur zu mitreißenden Klangwogen an, sondern er leistete auch im Detail eine Wunderarbeit an klanglicher Finesse, an Abstufungen, an aufblühender Lyrik, an prickelnder Eloquenz. Bereits der eröffnende Es-Moll-Akkord der „Götterdämmerung“ hatte seltsam zerstreute Qualitäten, irgendwie diffus stimmte das Orchester damit auf den sich eher gemach vollziehenden Untergang ein. Mit der Nornen-Szene, bei Siegfrieds Rheinfahrt, dem farbmalerischen Vorspiel zum zweiten Aufzug oder dem Trauermarsch erlebten die Wagner-Aficionados ein aufblühendes, schwelgerisches Musizieren, das einen durchaus eigenen Klang – wenn man so will, gar einen Chemnitzer-Wagner-Stil, propagierte.

Eine ganz andere Klientel besuchte die Stadt im Frühjahr 1999, als Kurt Weills „Der Weg der Verheißung“ seine europäische Erstaufführung erlebte. Auch diese Premiere war mit großer Spannung erwartet worden. Die Initiative ging von der New Yorker „Kurt Weill Foundation for Music“ aus, die bekanntermaßen ihre Vorstellung, wie die Werke von Kurt Weill zu interpretieren seien, ziemlich strikt durchzusetzen vermochte und die von der mit der Durchführung beauftragten Chemnitzer Oper nichts geringeres als eine exemplarische Modellaufführung verlangte. Dieses waghalsige Vorhaben, unterstützt von einer auf Hochtouren laufenden PR-Maschinerie, der es gelang, neben Altbundespräsident Richard von Weizsäcker nahezu die gesamte sächsische Landesregierung mit einzuspannen, dürfte vom künstlerischen Standpunkt als gescheitert betrachtet werden. Gar zu zweifelhaft war der Eindruck, den Oper und Inszenierung gleichermaßen hinterließen. Der immerhin vier Stunden währende Opernabend war leider nicht sehr ergiebig. Das lag nicht nur an der einfältigen Regie des Chemnitzer Operndirektors Michael Heinicke, der im engen Verbund mit dem israelischen Bühnenbildner David Sharir eine üppige Ausstattungsorgie abfeierte. So erlebte man eher ein Politikum respektive eine Übung in politischer Korrektheit denn eine formidable Kunstleistung. Und auch die Kritiken und Reaktionen, die man mit dieser sowohl in den USA als auch in Israel gezeigten Inszenierung erhielt, vermochten den zwiespältigen Eindruck nicht zu zerstreuen.

Kürzlich reisten nun auch die Freunde der russischen und sowjetischen Oper nach Chemnitz, um Sergej Prokofjews selten gespielte „Verlobung im Kloster“ zu bestaunen. Den Komponisten reizte der feine Humor, die bezaubernde Lyrik, die scharfe Charakterisierung der handelnden Personen und die Dynamik der Handlung. Das zweite Argument, eine solch eher unverfängliche Buffo-Oper zu komponieren, war pikanterweise ein politisches, denn Prokofjew suchte nach einem Stoff, der ihn aus dem Schussfeld der stalinistischen Kulturwächter brachte. Tatsächlich hat das in den 40er-Jahren gefruchtet (1946 gab es die viel umjubelte Uraufführung in Leningrad), aber während der Formalismusdebatte in den 50er-Jahren fiel selbst ein solch heiteres und aberwitziges Stück in Ungnade und durfte in der Sowjetunion bis auf Widerruf nicht aufgeführt werden. Hier zog das Pauschalargument, dass der Klassenkampf zu kurz gekommen sei und die ruhmreiche Rolle der Arbeiterklasse nicht genügend gewürdigt worden wäre. Die Geschichte, die erzählt wird, ist eine jener typischen Intrigen- und Verwechslungskomödien, in denen am Ende trotz aller Fährnisse die Liebenden doch zueinander finden. Regisseurin Sabine Sterken hat diesen Stoff so inszeniert wie es sein muss: mit leichter Hand, scharfen Charakterisierungen und einem minimalen Hang hin zu Slapstickeinlagen. Das Bühnenbild von Johannes Haufe ist knallig bunt, da wird mit großen, breiten Pinselstrichen gemalt. So schaukelt sich die Geschichte augenzwinkernd hoch. Die Figuren sind konsequent gezeichnet, die versoffene Truppe der Mönche eine Augenweide. Das Unpassende passt hier ziemlich gut zusammen. Wichtigtuerische Bedeutungshuberei wird nicht veranstaltet, es geht um prima Unterhaltung auf hohem Niveau.

   

„Der Weg der Verheißung“ im Theater Chemnitz (Premiere am 13. Juni 1999). Foto: Wuschanski

 

Dass man sich im Chemnitzer Opernhaus gelegentlich auch gut amüsieren kann, hat sich leider in der Stadt noch nicht so recht herumgesprochen. Man spürt eher ein hehre Ehrfurcht vor dem Haus, die für so manche Chemnitzer nur schwer zu überwinden ist. Sicherlich gibt es auch eine gewisse Stagnation, was die Inszenierungskunst betrifft, denn Michael Heinicke dominiert nun schon seit über zehn Jahren das Chemnitzer Operngeschehen. Er scheint kaum noch in der Lage, das Publikum (und auch die Kritik) zu überraschen, irgendwie glaubt man alle seine teilweise arg hausbackenen Inszenierungsideen schon zu kennen. Da täte mal ein bisschen frischer Wind gut. Zumindest würden sich Gastregisseure mit einer gänzlich anderen Handschrift, etwa der Cottbusser Martin Schüler, empfehlen. Aber in der kommenden Spielzeit ist leider wieder nichts in Sicht, im Großen und Ganzen bestreitet Heinicke das Programm selbst. Er wird zweimal Wagner („Der fliegende Holländer“, „Das Liebesverbot“) und das Musical „Les Misérables“ inszenieren. Sabine Sterken übernimmt Janáceks „Schlaues Füchslein“ und die Choreografin Arila Siegert inszeniert Gabriel Faurés Poème lyrique „Pénélope“.

Es ist natürlich zu erwarten, dass Arila Siegert die Chemnitzer Ballettkompanie, die ohnehin in den meisten Opern-Inszenierungen mit im Einsatz ist, in dem sehr selten gespielten Fauré-Stück besonders raffiniert und gekonnt einsetzen wird. Sicherlich spielt das Ballett, mit 22 Tänzerinnen und Tänzern ohnehin nicht üppig besetzt, nur die zweite Hauptrolle im Opernhaus. Aber das avisierte Programm in der kommenden Saison wirkt spannender und vor allem musikalisch zukunftsorientierter als der Opernspielplan. So wird es unter anderem eine Uraufführung von Thorsten Händler, dem neuen Ballettdirektor und Chefchoreografen, geben, dessen Titel „esc impossible – zum Fortschritt verdammt“ aufregend klingt, und wo musikalisch offenbar eine Geräuschcollage anvisiert wird, die mit Musik von John Adams, Balanescu, Martin Slechta und anderen verwoben wird.

Das sind Klänge, die junge Leute (Chemnitz ist immerhin auch Universitätsstadt) interessieren könnten, und die muss man in Zukunft ins Opernhaus locken. Wenn dies nicht gelingt, und das betrifft mehr oder minder alle deutschen Opernhäuser, dann wird es schwer, bei den immer erbitterter geführten Verteilungskämpfen in den Rathäusern eine vielleicht nicht üppige aber immerhin ordentlich geförderte Daseinsberechtigung zu begründen und durchzusetzen. Und Chemnitz sollte mit dem Pfund, das die Stadt hat – und dies ist eben nicht eine lange Kunst- und Musiktradition, sondern eher die Technik in ihren mannigfaltigen Spielformen – wuchern und daraus etwas Eigenes entwickeln, das nicht nur in Sachsen sondern sogar deutschlandweit für Furore sorgen könnte. Da könnte man von zugegebenermaßen kleinen und abseits vom Mainstream agierenden Neue-Musik-Projekten lernen, so von Karsten Zinsiks winzigem Plattenlabel „Noiseworks Records“, das einem alles bietet, was sich althergebrachten Hörgewohnheiten konsequent entgegenstellt. Noiseworks-Produkte sind selbst in London und New York eine feste Größe, zumindest unter Kennern und Spezialisten. Bereits zu Beginn der 90er-Jahre bemerkte ein Berliner Radiosender, dass solcherart „wunderbare Musik bezeichnenderweise aus Chemnitz“ komme. Wenn die sogenannte Hochkultur auch die Kurve hinbekäme, authentisch nach Chemnitz zu klingen und auszuschauen, dann wäre alles gewonnen.

Gottfried Blumenstein

 

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