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Wilhelm Pitz-Preis

Eine Frau auf dem Chefsessel

Die Nürnberger Ballettdirektorin Daniela Kurz · Von Malve Gradinger

Die Ballettdirektion ist immer noch vorwiegend männliches Terrain. Trotz Quoten-Alibi. Trotz Weltberühmtheit Pina Bausch in Wuppertal. Trotz vielfältigem schlagendem weiblichem Leistungsbeweis. Zu den wenigen Frauen, die es auf den Chefsessel geschafft haben, gehört Daniela Kurz. Seit 1998/99 leitet die 35-jährige Stuttgarterin das Ballett Nürnberg – und setzte mit Abenden wie Schuberts „Eine Winterreise“, „Geflügeltes Gelb“ und jüngst Philip Glass’ vertanzter Kammeroper „The Fall of the House of Usher“ die Lebkuchenstadt auf die Tanzlandkarte.

Ihre Bestimmung erahnt Daniela Kurz bereits als Studentin der Stuttgarter John-Cranko-Schule. „Die größte Leidenschaft habe ich erfahren, wenn ich nach dem Unterricht zu Hause durch die Wohnung gepest bin und mir selber etwas ausgedacht habe“, sagt sie mit ihrer sanften klugen Stimme, Echo ihrer unprätentiösen, aber sicher in sich ruhenden Persönlichkeit. Und sie hat, von Anfang an, eine ganz eigene, leise überlegte Durchsetzungskraft. Die Tochter eines Fernsehregisseurs macht entgegen der damaligen John-Cranko-Ausbildungspraxis Abitur, studiert Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte. Und das neben dem knochenharten täglichen Training, neben den Stücken, die sie schon choreografiert, für die John-Cranko-Schule, bald auch für die Reihe „Junge Choreografen“ der Stuttgarter Noverre-Gesellschaft (Sprungbrett ja auch zuvor schon für John Neumeier, Jiri Kylían, William Forsythe, Uwe Scholz, Renato Zanella) und ab 1988 – sie ist erst 22! – auch für das dortige Ballett: Immerhin eine Compagnie von Weltruhm. Sogar die älteren Cranko-Stars Marcia Haydée, damals Stuttgarts Ballettchefin, Birgit Keil und Richard Cragun stürzen sich vertrauensvoll in die ungewohnt freien Bewegungen und dem Tanztheater nahen Aktionen. „So früh mit so exzellenten Tänzern arbeiten zu können, etwas Besseres kann einem jungen Choreografen fast nicht passieren. Denn er findet seine Sprache gleich sehr ausformuliert wieder und kann sehr schnell erkennen, ob er richtig oder falsch arbeitet“, sagt sie rückblickend, mit der ihr gemäßen sachlichen Einsicht.

   

Daniela Kurz. Foto: Haymann

 

Gründlich überlegt war auch ihre Entscheidung 1998 für die Nürnberger Ballettdirektion. 1993 hatte sie ja ihre eigene Compagnie T®ansform gegründet und insgesamt zwölf Jahre freiberuflich gearbeitet. Eine Periode, in der zu Beginn, wie sie gesteht „eine Existenzangst sehr präsent war. Und ich sehr daran arbeiten musste, dass diese den Schöpfungsprozess nicht beeinträchtigte“. Aber nach kontinuierlichen Aufträgen für Basel, Bern, Essen, Saarbrücken, das Shanghai Ballet und immer wieder Stuttgart war „die beste Nachwuchschoreografin“ (laut Kritikerumfrage 1996 der Fachzeitschrift „ballett international“) zunächst gar nicht mehr sicher, ob sie die einst ersehnte feste Bindung an ein Haus noch wollte. Mit ihrem Amtsantritt macht sie dann auch die hinlänglich bekannten Tanzchef-Erfahrungen. „Man muss im Theater immer noch für den Tanz werben, überzeugen, immer noch auf dem mühsamen Papierweg erklären, was wir überhaupt machen, dass der Tanz eben bestimmte Voraussetzungen braucht, damit er fruchtbar existieren kann. Das braucht enorm viel Energie.“

Die hat sie offensichtlich. Zumindest hat sie gelernt, Energie einzuteilen und auch, die Vorteile eines festen Hauses, Struktur, Technik, ein beständig eingespieltes Arbeitsteam, für größere, auch gewagte Projekte zu nutzen. Den ersten Teil ihres „Wer möchte wohl Kaspar Hauser sein?“ letzten Sommer ließ sie Openair spielen, an verschiedenen historisch authentischen Plätzen des Nürnberger Findelkindes. Die ganze Stadt schien auf den Beinen, wanderte mit von einer Performance zur anderen.

Zuvor hatte sie sieben zeitgenössische Tanzschöpfer versammelt, „um zu einem gesetzten musikalischen Thema einen vielfältigen Zugang zu ermöglichen.“ Das Ergebnis wurde mit dem bayerischen Theaterpreis ausgezeichnet: Schuberts Liederzyklus „Eine Winterreise“ in verschiedenen Gefühlslagen und Handschriften, verschmolzen dennoch zu einer in sich geschlossenen melancholisch-traumschönen Choreografie.

Ähnlich ihr Co-Projekt „Geflügeltes Gelb“ in diesem Frühjahr. Hier arbeiteten Daniela Kurz, der US-Choreograf Nicolo Fonte und der japanische Theatermann Yoshi Oida jeweils mit Autoren, Malern und Musikern zum titelgebenden Thema. „Schwerpunkt bleibt Tanz, aber es ist Theaterarbeit generell, die mich interessiert“, betont sie. „Diese Projekte sind von mir eigentlich Versuche, die Aufführungsform und auch die Kreationsform im herkömmlichen Sinne noch mal zu überprüfen, um neue Erfahrungen zu gewinnen.“

Erfahrungserweiterung, vor allem in punkto Regie, erhielt sie auch durch ihre jüngste Arbeit „The Fall of the House of Usher“, Philip Glass’ Kammeroper zur berühmten Schauergeschichte von Edgar Allan Poe. In ausgedehnten Passagen, und darin auch gelungen, hat sie die Sänger aktiv tänzerisch einbezogen – was sicherlich für das Musiktheater mit seinen Tendenzen zu mehr szenischer Bewegtheit weiteren Ansporn und Bereicherung bedeuten kann. Weniger für den Tanz an sich.

Dass Daniela Kurzens Stil sich jedoch seit den Stuttgarter Anfängen sehr entwickelt hat, wird in dieser zurückhaltend poetischen Psychostory deutlich. Auffallend ist die Gebundenheit ihrer vollen erdhaften Bewegung, die sich kennzeichnet durch tief zum Boden und wieder hochtauchende Oberkörper, durch weich aus dem Körper gezogene Arabesken und ständig weit mitgeführte Arme. Wie Fluss und Bett vereinigen sich hier Kurzens Tanz mit Philip Glass’ Minimalismus. Wenn die Gruppe tanzt, wirkt der unaufhörlich fortrollende Bewegungsstrom manchmal etwas beliebig, lässt in guten Momenten dennoch etwas erahnen von Roderick Ushers beunruhigtem Unterbewusstsein. „Aber es treibt mich nicht ausschließlich die Motivation zu erzählen. Es gibt die Motive der Bewegungssprache: Welche Impulse aus Improvisation oder aus einem anderen Körperwahrnehmungsbild können in die Tanzarbeit einfließen? Wie kann sich dadurch eine Tänzersprache nochmal weiterentwickeln? Da fühle ich mich noch mitten in einem Prozess...“. Gut, dass Daniela Kurz sich Zeit gönnt. Dann bleibt es spannend in Nürnberg.

Malve Gradinger

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