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Kulturpolitik

Gesangsstudium – und was dann?

Eine Langzeitstudie über Hochschulabsolventen
Von Heiner Gembris und Diana Langner

Die meisten Sängerinnen und Sänger beginnen mit großem Enthusiasmus und ebenso großen Hoffnungen ihr Studium an der Musikhochschule. Viele träumen von einer Karriere als Solistin oder Solist, auch noch während des Studiums. Lässt sich dieser Traum aber auch verwirklichen, wenn das Studium beendet ist und der rauhe Wind des Arbeitsmarktes und der Jobsuche ins Gesicht bläst? Die Erfahrung zeigt, dass viele, auch sehr gute Sängerinnen und Sänger, große Schwierigkeiten haben, ein Engagement oder eine feste Stelle im Chor zu bekommen. Oft gelingt dies auch nach längerer Zeit nicht. Woran liegt das? Natürlich spielt die allgemeine Arbeitsmarktsituation eine Rolle, aber sicher ist das nicht der einzige Faktor.

Um sich ein Bild von der Situation zu machen, ist es zunächst nützlich, einen Blick auf einige Statistiken zu werfen.

Arbeitsmarkt und Absolventenzahlen

Im Musik-Almanach 2003/2004 ist nachzulesen, dass im Wintersemester 2000/2001 insgesamt 992 Studierende das Hauptfach Gesang studiert haben. Zwei Drittel davon (66 Prozent) sind Frauen. Insgesamt hat die Zahl der Studierenden im Fach Gesang in den letzten Jahren abgenommen. So gab es im Studienjahr 1996/97 noch 1.163 Studierende im Hauptfach Gesang (Rohlfs, 2002). Diese Entwicklung zeigt sich auch bei den Absolventen. Während 1997 noch 183 Sängerinnen und Sänger ihre Abschlussprüfungen ablegten, waren es im Jahr 2000 nur noch 148 Absolventen, das heißt 19 Prozent weniger als 1997. Nach den Angaben von Mertens (2002, 53) besteht an den deutschen Musiktheatern ein jährlicher Nachwuchsbedarf von ca. 160 Sängern. Es verlassen aber jährlich rund 300 ausgebildete Sängerinnen und Sänger die Musikhochschulen und Konservatorien (Mertens, ebda.; wenn diese Zahlen korrekt sind, bedeutet das, dass nur etwa die Hälfte der Sängerinnen und Sänger die Hochschule mit einem Examen verlässt). Von diesen 300 finden nach Mertens „nur ca. 10 Prozent, also 30, dauerhaft einen Arbeitsplatz als Berufssänger (Solo-, Konzertgesang, Opern- und Rundfunkchöre).“ Leider ist nicht klar, auf welchen Daten diese Angabe beruht oder ob es sich um eine Schätzung handelt. In jedem Fall stellt sich die Frage, was die übrigen 90 Prozent der Sängerinnen und Sänger beruflich machen. Trotz dieses Überangebots, das sich von Jahr zu Jahr aufsummiert und durch den Zustrom von oft sehr guten Sängerinnen und Sängern aus dem Ausland verschärft wird, können in den Opernchören „jährlich fortlaufend etwa 80 bis 100 Stellen nicht besetzt werden.“ (Mertens 2002, 53). Das hat verschiedene Gründe: Zum einen entspricht das Angebot strukturell nicht der Nachfrage. So gibt es ein sehr großes Überangebot an hohen Frauenstimmen, aber einen Mangel an Männerstimmen, vor allem im Bass. Zum anderen wollen viele Sängerinnen und Sänger nicht in den Chor, weil sie eine solistische Karriere anstreben.
Nicht nur vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Faktoren dazu beitragen, dass eine Sängerin oder ein Sänger auf dem Musikerarbeitsmarkt erfolgreich ist. Dass hohe musikalische Qualifikationen für eine erfolgreiche Karriere die Voraussetzung bilden, ist selbstverständlich. Gleichzeitig wird jedoch von Fachleuten aus dem Bereich der Bühnenpraxis und des Musiktheaters immer wieder die hohe Bedeutung von Faktoren wie Persönlichkeit, Ausstrahlung und Bühnenpräsenz hervorgehoben. Ausstrahlung und Bühnenpräsenz werden gefühlsmäßig wahrgenommen und machen einen erheblichen Teil der musikalischen Wirkung aus. Sie lassen sich kaum verbalisieren und nur schwer in ihre Elemente zerlegen. Dies ist sicher ein Grund, weshalb diese wichtigen Erfolgselemente eines Musikers beziehungsweise einer Musikerin bislang empirisch nicht untersucht worden sind.

Das Absolventen-Projekt – Ziele und Vorgehen

Die oben skizzierte Situation auf dem Musikerarbeitsmarkt bildet einen der Ausgangspunkte des Absolventen-Projekts. Im Vordergrund des Absolventen-Projektes steht die Frage, in welchen beruflichen Bereichen die Absolventen der künstlerischen Fächer (Orchesterinstrumente, Klavier und Gesang) tätig sind und wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Gleichermaßen wichtig für die Untersuchung ist auch die Frage, wie gut sich die Absolventen durch die Ausbildung an den Musikhochschulen auf das Berufsleben vorbereitet sehen, welche Defizite die Ausbildung aufweist und welche Verbesserungsmöglichkeiten es gibt. Die Studie versucht den Zusammenhang Ausbildung – veränderte Arbeitsmarktsituation – Berufsintegration ganzheitlich in den Blick zu nehmen. Deshalb wurden Informationen auf drei verschiedenen Ebenen gesammelt: a) auf der Ebene der Hochschulabsolventen, b) der Ebene der Hochschuldozenten sowie c) der Ebene des Arbeitsmarktes.

An insgesamt 2.080 Absolventen von sieben Musikhochschulen verschiedener Größe aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands wurden Fragebögen verschickt, die Fragen zur Berufstätigkeit, Bewertung der Ausbildung et cetera enthielten. Von den angeschriebenen Absolventen haben 659 den Fragebogen ausgefüllt und zurückgeschickt. Das entspricht einer Rücklaufquote von rund 32 Prozent, die in etwa derjenigen von Absolventen-Studien aus anderen Studienbereichen entspricht. Parallel dazu fanden Interviews mit Arbeitsmarktexperten und Musikhochschuldozenten statt. Die Arbeitsmarktexperten waren Vorstände, Orchesterdirektoren beziehungsweise Orchestergeschäftsführer und Dirigenten von mittelgroßen und großen Orchestern/Theatern sowie Agenten von staatlichen und privaten Künstleragenturen. Im Folgenden stellen wir einige Ergebnisse zur Gruppe der Sängerinnen und Sänger dar.

Perspektive der Gesangsabsolventen

Es wurden insgesamt 100 Sängerinnen und Sänger befragt, die an einer deutschen Musikhochschule eine künstlerische Ausbildung absolviert haben. Zum Befragungszeitpunkt waren sie im Durchschnitt 31 Jahre alt, etwas mehr als die Hälfte waren Frauen (56 Prozent). Das Berufsziel zu Beginn des Studiums war überwiegend Solist(in), Chorsänger(in) oder zum geringeren Teil eine Mischung aus Solo- und Chorgesang und Unterrichten. Die Hälfte aller Sängerinnen und Sänger wollte zu Beginn des Studiums Solist werden. Ihr Musikstudium haben sie im Durchschnitt mit 28 Jahren beendet, fast alle mit guten und sehr guten Leistungen (Durchschnitts-Note war „1,8“). Außerdem erreichte fast ein Drittel aller befragten Sängerinnen und Sänger (31 Prozent) neben dem Diplom auch ein Konzertexamen. Die Note „befriedigend“ wurde von neun Befragten genannt und nur eine Sängerin hat die Musikhochschule mit der Note „ausreichend“ verlassen.

Von den befragten 100 Sängerinnen und Sängern berichteten 38 Prozent, dass sie eine feste Anstellung am Theater haben, das heißt einen fortlaufenden Vollzeitvertrag im Chor (26 Prozent) oder ein Engagement als Solist (12 Prozent). Das Anstellungsverhältnis der Solisten bestand bis auf eine Ausnahme aus befristeten Soloverträgen. Nur ein Solist hatte eine unbefristete Anstellung. Sein Vertrag wurde noch vor der Wende in der DDR geschlossen. Dort wurden damals noch unbefristete Soloverträge vergeben. Etwas weniger als die Hälfte aller befragten Sänger(-innen) (42 Prozent) arbeitet freiberuflich beziehungsweise kombiniert eine freiberufliche Tätigkeit mit Zeitverträgen im Chor (Vertretung/Praktikum/Aushilfe). Bei den freiberuflichen Tätigkeiten handelt es sich um das Singen in freien Projekten, um Projektverträge am Theater, Honorarverträge an Musikschulen oder um Privatunterricht. Eine Sängerin hat eine unbefristete Teilzeitstelle an einer Musikschule und drei Prozent der Sänger arbeiten zwar musikalisch, beziehen ihren Lebensunterhalt jedoch aus anderen Quellen (Eltern, Ehepartner und anderes).
Ein relativ großer Teil von 16 Prozent der befragten Sängerinnen und Sänger kombiniert musikalische mit nicht-musikalischen Tätigkeiten (13 Prozent) oder ist ausschließlich nicht-musikalisch tätig (drei Prozent). Die nicht-musikalischen Tätigkeiten sind in der Dienstleistungsbranche, eine Absolventin ist Logopädin. Wir befragten diese Sängerinnen und Sänger auch nach den Gründen für die nicht-musikalische Tätigkeit. Der am häufigsten genannte Grund war, dass sie keine Stelle finden konnten beziehungsweise die schlechte Arbeitsmarktsituation. Weitere Gründe waren zu geringes Einkommen und die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie (s. Tabelle 1).

Die Ausbildung im Rückblick

Wie sehen die Sängerinnen und Sänger aus heutiger Sicht ihre Betreuung durch die Hauptfachdozenten?


Abbildung 1

Rückblickend sind sie mit ihrer Betreuung durch die Hauptfachdozenten recht zufrieden (Abb. 1). Etwas über zwei Drittel von ihnen (68 Prozent) bescheinigen ihren Dozenten eine gute bis sehr gute fachliche Ausbildung. Auf der anderen Seite finden immerhin 16 Prozent die fachliche Betreuung aus heutiger Sicht schlecht oder sehr schlecht. Insgesamt noch etwas positiver wird die menschliche Betreuung durch die Hauptfachdozenten bewertet. Dreiviertel aller befragten Sängerinnen und Sänger (75 Prozent) beurteilen die menschliche Beziehung zu ihren Hauptfachdozenten als gut oder sehr gut. Im Vergleich zur Bewertung der fachlichen Betreuung finden sich auf Seiten der menschlichen Betreuung etwas weniger negative Urteile. Nur zehn Prozent der befragten Sängerinnen und Sänger bewerten die menschliche Betreuung schlecht oder sehr schlecht (Abb.2).


Abbildung 2

Ganz anders sieht es mit der Bewertung der Karriereberatung und der Herstellung von Kontakten zum Arbeitsmarkt aus. Hier bekommen die Hochschulen sehr schlechte Noten. Was in anderen Ländern längst Standard der Betreuung durch die Hochschulen ist, funktioniert in Deutschland kaum oder nur schlecht. Lediglich zwischen fünf und sieben Prozent der befragten Sängerinnen und Sänger fühlen sich bezüglich ihrer Karriereplanung und hinsichtlich der Kontakte zum Arbeitsmarkt gut betreut, aber 70 und 80 Prozent bewerten diese Bereiche als schlecht oder sehr schlecht (s. Abb. 3 und 4).


Abbildung 3


Abbildung 4

Wir stellten den Absolventen auch die Frage: „Welche Fertigkeiten benötigen Sie heute im Beruf, die Sie gern schon im Studium erlernt hätten?“ Die frei formulierten Antworten lassen sich vier großen Kategorien zuordnen:

  • fachliche Fertigkeiten,
  • persönliche Fertigkeiten,
  • pädagogische Fertigkeiten und
  • unternehmerische Fertigkeiten.

Am häufigsten wurden fachliche Fertigkeiten angesprochen, sowohl gesangspezifische Fertigkeiten als auch Bühnenfertigkeiten, die sie gern schon früher erlernt hätten. Eine Übersicht gibt Tabelle 2.

Genannt wurden auch persönliche Fertigkeiten, die schon im Studium hätten (besser) erlernt werden müssen, wie zum Beispiel Selbstsicherheit, soziale Kompetenz, Durchsetzungsvermögen und die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung. Weiterhin wurde auch der Umgang mit dem Probenrhythmus, der Umgang mit Lampenfieber und Kondition auf der Bühne genannt.

Als unternehmerische Fertigkeiten nannten die Absolventen vor allem: Karriereplanung, Kontaktpflege zu Agenturen und Opernhäusern, Verhandlungsführung um Gagen und Grundwissen und Grundfertigkeiten im Zusammenhang mit der selbständigen Tätigkeit. Das betrifft vor allem die Selbstvermarktung, steuer-, versicherungs- und vertragsrechtliche Grundkenntnisse, nicht zuletzt auch Computerkenntnisse.

Insgesamt zeigt die Beurteilung der Ausbildung im Rückblick ein differenziertes Bild: Während die fachliche und persönliche Betreuung durch die Hauptfachlehrer überwiegend als gut und sehr gut bewertet wird, lassen die Angebote der Hochschulen hinsichtlich der fachlich-praktischen Vorbereitung auf den Sängerberuf und in puncto Karriereberatung und Berufsinformation sehr zu wünschen übrig.

Perspektive der Arbeitsmarktexperten

Welche Fähigkeiten müssen Sängerinnen und Sänger mitbringen, um auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein? Natürlich spielen die stimmlichen Qualitäten eine ganz wesentliche Rolle, zum Beispiel eine gute stimmliche Veranlagung, eine ausdrucksvolle Stimme, schönes Timbre, gute Gesangstechnik und Atemführung. Hervorragende sängerische Qualifikationen sind die Grundvoraussetzung. Das allein aber reicht für eine sängerische Karriere meist nicht aus. In einer Pilotstudie zur Sängerausbildung (Gembris 2000) wurden auf der Basis von Interviews mit Agenturen und Sängern bereits eine ganze Reihe von Einflussfaktoren für den beruflichen Erfolg von Sängerinnen und Sängern beschrieben, die in der folgenden Tabelle (Tab. 3) zusammengefasst sind:

In den Interviews der Absolventen-Studie mit Arbeitsmarktexperten wurden verschiedene Probleme angesprochen, die sich bei den Vorsingen um eine Solisten- oder Ensembleposition im Chor offenbar immer wieder zeigen. So erscheinen die Bewerberinnen und Bewerber oft schlecht vorbereitet zum Vorsingen. Sie sind sich oft nicht darüber im Klaren, dass auf folgende Punkte maßgeblich geachtet wird:

  • Termingerechtes Erscheinen zum Vorsingen
  • Vorbereitung der Korrepetitions-Noten in der Weise, dass der Korrepetitor sie benutzen kann (keine unleserlichen Kopien, fliegende Blätter et cetera)
  • Notierung der Koloraturen in der Begleitstimme
  • Fachgerechte, das heißt dem Gesangsfach entsprechende, äußere Erscheinung
  • Rollengerechtes Auftreten und Singen
  • Kenntnis der Oper und des konkreten Kontextes der vorgetragenen Arien
  • Beherrschung nicht nur einzelner Arien, sondern kompletter Opernpartien
  • Realistische Einschätzung des eigenen Leistungsstandes
  • Fähigkeit, auf die Klavier-Begleitung zu hören
  • Professionelle Auswahl der Arien

Weiterhin wurden folgende Punkte bemängelt:

  • Unkenntnis und mangelnde Information bei Absolventen bezüglich Karriereplanung und Berufsverlauf bei Gesangssolisten,
  • mangelnde Motivation, entsprechende Informationsveranstaltungen der staatlichen Künstleragenturen an Musikhochschulen zu besuchen,
  • das späte Berufseinstiegsalter von Sängern: Sänger-Solisten sind, wenn sie ihr erstes Engagement antreten, 28–32 Jahre alt und können dann nur noch 10–15 Jahre am Theater singen. Nach dieser Zeit bestehen kaum Chancen auf ein Folge-Engagement.

Perspektive der Dozenten

Die Einschätzungen von Dozenten, die selbst am Theater gesungen haben oder noch singen, unterscheiden sich oft grundsätzlich von den Einschätzungen von Dozenten, die in sogenannten „Alternativbereichen“ tätig sind. Mit „Alternativbereichen“ werden von den Dozenten Tätigkeiten beschrieben, die nicht Opern- und Operettengesang beinhalten. Das sind zum Beispiel Kirchenmusik, Liedgesang, Musical, Jazz/Rock/Pop, die Spezialisierung auf Neue Musik oder Alte Musik und anderes.

Ein grundsätzliches Problem ist eine Schieflage bei den Absolventenzahlen: Es gibt generell zu viele Studentinnen/Absolventinnen mit leichten hohen Stimmen. Diese haben auf dem Arbeitsmarkt (Oper, Operette) wenig Chancen, weil das Angebot hoch und der Bedarf gering ist. Gleichzeitig fehlen dramatische Stimmen, sowohl Frauen- als auch Männerstimmen.

Dozenten, die aus dem Bereich des Theaters kommen, sind der Meinung, dass mehr dramatische und weniger leichte Stimmen zum Studium aufgenommen werden sollten. Die Dozenten aus Alternativbereichen haben gegenteilige Ansichten: Die Hochschulen hätten kaum Spielraum bei der Aufnahme der Studierenden, weil sich zunehmend Frauenstimmen bewerben, die für eine Opernkarriere nicht geeignet sind. Deshalb sollten die Hochschulen auf diese veränderte Bewerberlage mit einer Veränderung der Ausbildung reagieren. Studierende mit ungeeigneten Stimmen für die Oper sollten eine gezielte Ausbildung für Gesangs-Alternativbereiche erhalten. Das würde ihre Arbeitsmarkt-Chancen verbessern, weil sie sich nach dem Studium nicht erst ergebnislos auf dem traditionellen Arbeitsmarkt Oper und Operette bewerben würden, sondern von vornherein für Alternativ-Bereiche ausgebildet wären. So hat die Position der Dozenten aus dem Musiktheater-Bereich vor allem Implikationen für die Gestaltung der Aufnahmeprüfungen, die Sichtweise der Dozenten aus den Alternativbereichen hat vor allem Implikationen für die Inhalte der Gesangsausbildung, die verbreitert werden sollte. Gleichzeitig wird jedoch auch die Schwierigkeit gesehen, neben der traditionellen Ausbildung auch die Alternativbereiche zu pflegen.

Vorläufiges Fazit

Die Ergebnisse der Absolventen-Studie zeigen, dass mehr als die Hälfte der Sängerinnen und Sänger nicht die klassische feste Anstellung am Theater haben, sondern andere Wege gehen.

Im Vergleich zu den Angaben von Mertens (2002), nach denen lediglich zehn Prozent der ausgebildeten Sängerinnen und Sänger eine feste Anstellung finden, haben von den von uns befragten Sängerinnen und Sängern zum Befragungszeitpunkt immerhin 26 Prozent eine feste Chorstelle und 12 Prozent eine (befristete) Solostelle. Man muss dabei aber berücksichtigen, dass unsere Studie sicher nicht repräsentativ ist. So wissen wir nicht, was der große Teil derjenigen macht, die uns nicht geantwortet haben. Wir vermuten aus verschiedenen Gründen, dass es vor allem die „erfolgreicheren“ Absolventen sind, die uns geantwortet haben. Das bedeutet, dass der Anteil der Absolventen, die tatsächlich den Weg zu den Theatern finden, vermutlich deutlich kleiner ist und andererseits mehr Musiker, als in unserer Studie berichtet, Teilzeittätigkeiten nachgehen oder überhaupt in andere Erwerbszweige übergewechselt sind.

Neben der Beseitigung der Ausbildungsdefizite müsste die Ausbildung auch auf den strukturellen Wandel im Musikerberuf reagieren. Beispiele für die gezielte Vorbereitung auf den ganzen Komplex rund um die freiberufliche Tätigkeit finden sich in England. Die Studierenden werden dort umfassend informiert über die Aufgaben und Anforderungen, die mit der freiberuflichen Tätigkeit verbunden sind. Zum Beispiel lernen sie, was man tun muss, um an Engagements, Konzerte und Muggen zu kommen, wie man Bewerbungsbriefe schreibt, Präsentationen vorbereitet, Telefongespräche mit Veranstaltern führt, Kontakte knüpft und langfristig hält, aber auch über Möglichkeiten, wie der freiberufliche Lebensstil mit dem sonstigen (Privat)-Leben in Einklang gebracht werden kann. Davon könnten die Musikhochschulen in Deutschland sehr viel darüber lernen, wie sie ihre Ausbildung verbessern und ihre Absolventen besser auf den Arbeitsmarkt vorbereiten können.

Literatur

Gembris, H. (2000). Was wird aus ihnen? Sängerinnen und Sänger zwischen Ausbildung und Berufspraxis. In: Dokumentation XII. Jahreskongreß des Bundesverbandes Deutscher Gesangspädagogen, Nürnberg 28.–30. April 2000, hg. vom Bundesverband Deutscher Gesangspädagogen, 51–80.

Mertens, G. (2002). Orchester, Musiktheater, Festivals. In: A. Eckhardt, R. Jacoby & E. Rohlfs (Eds.), Musik Almanach 2003/2004. Daten und Fakten zum Musikleben in Deutschland (S. 45–54). Kassel: Bärenreiter.

Rohlfs, E. (2002). Musikalische Bildung und Ausbildung. In: A. Eckhardt, R. Jacoby & E. Rohlfs (Eds.), Musik-Almanach 2003/ 2004. Daten und Fakten zum Musikleben in Deutschland (S. 3–30). Kassel: Bärenreiter.

Kontaktadresse:

Institut für Begabungsforschung in der Musik (IBFM)
Universität Paderborn
Pohlweg 85
33098 Paderborn
www.uni-paderborn.de/ibfm

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