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Kulturpolitik

Wertvolle Horte der Erinnerung

Das Tanzfilmarchiv Bremen und seine Pendants · Von Malve Gradinger

Tanz blüht auf im Augenblick seiner Performance, und wenn er verloschen ist, bleiben lediglich verwischte Spuren in unserer Erinnerung zurück. Da der Mensch aber seiner Natur nach ein bewahrendes, sich seiner geistig-kulturellen Errungenschaften stets vergewisserndes Wesen ist, versucht er seit jeher, diese fragile Erinnerung festzuhalten: in Bildern, Beschreibungen, Programmheften, in Tanznotationen und schließlich am wirksamsten mit den Mitteln von Film und Video. Die großen Horte dieser Erinnerungen sind die Archive, die jedoch längst nicht ihrer wertvollen Funktion entsprechend wahrgenommen und genutzt werden. Das Deutsche Tanzfilminstitut Bremen, eines der fünf aktiven deutschen Tanzarchive, 1988 gegründet von der Ex-Tänzerin, studierten Kulturwissenschaftlerin und Filmerin Heide-Marie Härtel, kann trotz ständiger harter Überlebenskämpfe immerhin sein 20-jähriges Jubiläum feiern. Mit Heide-Marie Härtel sprach für „Oper&Tanz“ Malve Gradinger.

Oper&Tanz: Frau Härtel, Sie haben schon während Ihrer sieben Jahre als Tänzerin in Hans Kresniks Ensemble Proben und Premieren mit einer kleinen Doppel-8-Kamera gefilmt, damals aus arbeitstechnischen Gründen. Kresnik, der sichtlich mithalten wollte mit Kurt Hübners aufmüpfiger Regie-Garde Peter Stein, Peter Zadek, Klaus Michael Grüber und Fassbinder, war ja dabei, die kodifizierte klassische Basis aufzubrechen, hinter sich zu lassen...
Heide-Marie Härtel: So wie er „Schwanensee“ zertrümmerte, mussten seine Schritte – ohne praktikable Notationsmöglichkeit – praktisch „von Bein zu Bein“ von einer Tänzergeneration an die andere weitergegeben werden. Jeder von uns musste Verantwortung für sein eigenes Bewegungsmaterial übernehmen. In seiner „Kriegsanleitung für jedermann“ standen wir mit Holzgewehren auf der Bühne! Der Tanz damals lernte mitzukämpfen gegen den Kriegswahn in Vietnam, die Zustände in den Gefängnissen oder den allgegenwärtigen Konsumrausch. Kresnik warf uns seine Bewegungen allzu oft in großer Geste hin, ging davon aus, dass wir sie am nächsten Tag parat hätten. Wir Tänzer wurden da unversehens zu Mit-Autoren. Jedenfalls bekam die Probenkamera eine ganz wichtige Bedeutung. Außerdem war das Abfilmen eine Reaktion auf die Angst des Vergessens. Unsere Stücke wurden ja immer nur 10 bis 15 mal gespielt, es gab keine Repertoirebildung wie im klassischen Ballett.

 
Selbst in der Badewanne werden Filme archiviert. Foto: Tanzfilminstitut Bremen
 

Selbst in der Badewanne werden Filme archiviert. Foto: Tanzfilminstitut Bremen

 

O&T: War Ihnen denn damals die wichtige historische Dimension Ihres Dokumentierens bewusst?
Härtel: Die erste Vision eines Tanzfilminstituts entstand schon zu diesem Zeitpunkt. In der Tanzakademie in Köln in den 60er-Jahren waren wir zwar mit den wunderbaren Tanzbüchern von Kurt Peters gefüttert worden, der ja auch das Deutsche Tanzarchiv Köln gründete. Aber bewegte Bilder fehlten und so auch die Möglichkeit, die Geschichte des Tanzes vor unserer Zeit kennen zu lernen.

Umfangreiche Sammlung

O&T: Und dann haben Sie einfach weitergefilmt...
Härtel: … die Arbeiten von meiner Ex-Kollegin Reinhild Hoffmann und die von Gerhard Bohner – die beiden übernahmen im Duo 1979 die Bremer Tanz-Leitung –, die Arbeiten von Susanne Linke fürs Essener Folkwangstudio. Es ging weiter mit Linke und Urs Dietrich, die ein paar Jahre gemeinsam das Bremer Tanztheater leiteten. Kontinuierlich begleitet habe ich auch Henrietta Horn, Joachim Schlömer, Stephan Toss, Anna Huber und das Berliner Duo Rubato, sporadischer aber auch viele andere. Seit zwölf Jahren zeichne ich regelmäßig das große Choreografentreffen „Tanzplattform Deutschland“, auf. Daraus allein ist bis jetzt ein Pool von 120 gefilmten Stücken angewachsen.

O&T: Das heißt, Sie haben so gut wie die gesamte deutsche Tanzszene der letzten zwei Jahrzehnte dokumentiert.
Härtel: Auf über 20.000 Videobändern. Das sind komplett gefilmte Stücke, Tänzer- und Choreografen-Porträts, Tanz- und Tanzspielfilme, Filmaufnahmen von Kongressen, Festivals und Tanzprojekten in Schulen. Jährlich kommen 40 deutsche Tanz-Premieren dazu. Und dieses gesamte Material ist jederzeit für Besucher einsehbar.

O&T: Kommt Ihnen die konkrete Tanzerfahrung zugute?
Härtel: So schnell läuft mir kein Tänzer aus dem Bild. Ich schneide auch bei der Hebung im Pas de deux keiner Tänzerin die erhobenen Arme ab. Und schnell zu erkennen, welche „Redewendungen“ welcher Choreograf bevorzugt, eine Wiederholung vorauszuahnen das hilft schon sehr.

O&T: Und Sie haben sich das Metier ganz selbst beigebracht?
Härtel: Das hat sich ganz organisch entwickelt. Als ich 1979 Gerhard Bohners Rekonstruktion von Oskar Schlemmers „Triadischem Ballett“ aufzeichnete, haben die kleinen Kameras wegen der zu großen Distanzen in der Frankfurter „Alten Oper“ nicht gereicht. Also habe ich mit den fernbedienbaren Überwachungskameras des Theaters von der Tonregie aus gefilmt. Dann kam auch die neue Technik dazu.

O&T: Ihr Institut ist seit der Gründung immer wieder und gerade im Augenblick existenzgefährdet. Dabei war doch der Umzug des TaFI 2004 ins völlig renovierte ehemalige alte Bremer Polizeihaus so hoffnungsvoll.
Härtel: Das war wie ein Traum, 300 Quadratmeter auf zwei Etagen, was ein ganz anderes Arbeiten ermöglicht. Aber um die gesteigerten Unkosten zu zahlen, brauchen wir monatlich eine Förderung von 18.000 Euro. Die Stadt Bremen schießt jetzt etwas zu. Gerettet wären wir, wenn der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien die noch monatlich fehlenden 4.000 Euro beisteuern würde.

O&T: Zur Verbesserung ihrer Situation haben sich im Frühjahr 2007 nun fünf aktive Sammlungseinrichtungen zum „Verbund Deutsche Tanzarchive“ zusammengeschlossen. In Ihrem gemeinsamen „Aufruf“ heißt es unter anderem: „Mit Ausdruckstanz, Kinetographie und Tanztheater hat Deutschland der modernen Lebenswelt bis heute wirksame Impulse gegeben... Es gilt, die Vielfalt der Bestände, Sammlungsformen und -geschichten, wie sie die bestehenden Institutionen bieten, zu bewahren. Und es gilt auch, eine gemeinsame Plattform zur Forschung, Ausbildung, Kunst- und Wissenschaftsproduktion aufzubauen.“ Wie?

Zukünftige Aufgaben

Härtel: Mit einem gemeinsamen Internetportal. Ein solcher zentraler Bestandsnachweis würde endlich den Zugang zu Quellenmaterial erleichtern. Dann sollten wir eine fundierte Aufarbeitung der deutschen Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts bieten können. Weitere gemeinsame Aufgaben wären Restaurierung und Digitalisierung gefährdeter wichtiger Sammlungsteile. Die Klärung von Urheberrechten. Das Auffinden und Einbinden von Archivbeständen, die passiv in Kellern lagern, von privaten Sammlern, Theatern und Fernsehanstalten. Besonders wichtig wäre jetzt die Unterstützung der Bundeskulturstiftung und des Ministeriums für Kultur und Medien für unser Intranet-Projekt „Dance on Demand“, das wir gemeinsam mit dem Goethe-Institut Singapur und der National Library of Singapure machen können. Das ist eine digitale audiovisuelle Datenbank mit rund 100 Stunden Filmmaterial, 4.000 Fotos und 400 Texten zu Tanz und seiner Geschichte in Deutschland. Bis jetzt kann man darauf nur direkt beim TaFI zugreifen oder bei unserem Co-Produzenten, der International Library of Singapure.

O&T: Sie nehmen gerade die Mammutarbeit auf sich, einen Film über die fünf Archive zu machen. Was ist spezifisch für welches Archiv?
Härtel: Der Film wird im Januar 2009 beim „Tag der Tanzarchive“ gezeigt, im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Der politische Körper“ in der Berliner Akademie der Künste, möglicherweise später einmal auf arte. Der Schwerpunkt des Tanzarchivs Köln ist die Bewahrung von Nachlässen, Programmheften, also jeglicher Form von Tanzzeugnissen, vor allem auch ein riesiges Fotoarchiv und eines für das spezielle Genre „Videotanz“. Das Tanzarchiv Leipzig e.V. steht in enger Verbindung mit dem tanzwissenschaftlichen Institut der Universität Leipzig. Von dort kommen wesentliche Impulse zur Analyse von Tanz und zur Weiterentwicklung der Tanzwissenschaften. Ein Schwerpunkt ist die DDR-Bühnentanzgeschichte. Das Archiv Darstellende Kunst der Akademie der Künste in Berlin ist eine mitgliederzentrierte Sammlung, erfasst also die Materialien von Intendanten, Choreografen, Tänzern und so weiter. Man kann dort nicht nach einer Stilrichtung suchen, sondern unter dem Vertreter einer Kunstform, einer Stilrichtung. Gerade jetzt hat man mir zum Bearbeiten 355 Bänder mit Materialien zu Hans Kresnik übergeben. Kresnik ist zwar noch nicht Mitglied, aber diese von uns gesichteten und auf dem neusten Stand der Technik überspielten Bänder gehen dann an die Akademie. Das MimeCentrum Berlin dokumentiert hauptsächlich das Tanzleben Berlins. Die Filme sind professionell gemacht, aber nicht für eine Veröffentlichung im Fernsehen gedacht. Es ist eher eine Videothek, die sich als Serviceleistung für die Berliner Tanzschaffenden versteht.

Malve Gradinger

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