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Musikgenuss mit Regiedefiziten

Ein Rückblick auf das Händel-(Opern-)Jahr 2009 · Von Annette Landgraf

Von 1704 bis 1741 war Händels Hauptbetätigungsfeld die Komposition und Aufführung von Opern, konzipiert für ein Ensemble von fünf bis acht Sängern, vorzugsweise mit hohen Stimmen. Die führenden Männerrollen waren mit Kastraten besetzt, doch Händel ließ sie gelegentlich auch von Frauen singen. Insgesamt entstanden 42 Opern, doch von seinen 4 Hamburger Werken ist nur „Almira“ überliefert. Zur weiteren Ausbildung seines Kompositionsstils reiste er 1706 nach Italien. Dort entstanden seine beiden ersten italienischen Opern „Rodrigo“, aufgeführt im Herbst 1707 im Teatro di Via Cocomero in Florenz, und „Agrippina“, mit der im Teatro San Giovanni Grisostomo am 26. Dezember 1709 der venezianische Karneval eröffnet wurde. Mit dieser Oper feierte Händel seinen ersten großen Erfolg und zeigte, dass er sich in Italien den modernen Opernstil schnell und gründlich angeeignet hatte. Im Februar 1710 verließ er Italien und ging als Hofkapellmeister nach Hannover. Vermutlich in Venedig ermuntert, unternahm er Ende des Jahres seine erste Reise nach England, wo sich das Opernwesen noch im Entwicklungsstadium befand, führte dort 1711 seinen „Rinaldo“ auf und wurde stürmisch gefeiert. Er kehrte zwar für kurze Zeit in seine Dienste nach Hannover zurück, doch schon im Herbst 1712 spielte er im Queen’s Theatre das Schäferidyll „Il pastor fido“, erfüllte aber die Erwartungen des Publikums nicht. Mit den beiden folgenden Zauberopern „Teseo“ und „Amadigi“ gewann er sein Publikum zurück. Durch Händels Wirken bekam das englische Opernwesen einen starken Auftrieb. London hatte ein leistungsfähiges Ensemble und gute Librettisten wie Giacomo Rossi und Nicola Haym vorzuweisen sowie fähige Theatermanager wie Aaron Hill und Johann Jacob Heidegger. Das große Interesse führte 1719 zur Gründung einer Aktiengesellschaft zur Aufführung italienischer Opern, der Royal Academy, und man engagierte die besten italienischen Sänger, wie beispielsweise Senesino, Giuseppe Maria Boschi oder Margherita Durastanti.

Zauber, Helden, Ritter

Bis zum Bankrott der Royal Academy 1728 komponierte Händel 14 neue Opern, darunter „Giulio Cesare“, „Tamerlano“, „Rodelinda“, „Radamisto“, „Ottone“ und „Admeto“. Obwohl auch Werke anderer Komponisten wie Giovanni Bononcini und Giovanni Porta gespielt wurden, dominierten Händels Opern von 1725 an das Repertoire und London wurde zu einer der Opernhauptstädte der Welt, die sich mit Neapel, Venedig oder Wien messen konnte.

 
„Admeto“ in Göttingen mit Tim Mead (Admeto), Marie Arnet (Alceste). Foto: Theodoro da Silva
 

„Admeto“ in Göttingen mit Tim Mead (Admeto), Marie Arnet (Alceste). Foto: Theodoro da Silva

 

In seiner Anfangszeit hatte Händel das Publikum vorwiegend mit Zauberopern beeindruckt, jetzt wurden Heldenopern mit historischen Stoffen nach italienischen Vorlagen gespielt. Die einzige Ausnahme war „Admeto“ von 1727 mit einem mythologischen Hintergrund. 1729 gründeten Händel und Heidegger die so genannte Second Academy und warben neue Sänger an. An den Opernsujets änderte sich zunächst nichts, die bekanntesten Werke aus der ersten Zeit sind „Partenope“ (1730) und „Poro“ (1731); mit ihnen konnte der Komponist noch einmal an die früheren großen Erfolge aus der Zeit der Royal Academy anknüpfen. Doch in der Spielzeit von 1733/34 wechselte Händel mit „Orlando“, „Ariodante“ und „Alcina“, die alle auf Ludovico Ariostos Dichtung „Orlando furioso“ zurückgehen, in den Themenkreis der Ritterromantik, mit „Arianna in Creta“, „Atalanta“ sowie dem Pasticcio „Oreste“ dann in den der antiken Sagenwelt, in den er sich am Ende seines Opernschaffens mit „Giove in Argo“, „Imeneo“ und „Deidamia“ zurückbegab. Zwischendurch experimentierte er wieder mit Libretti zu politischen Themen mit moralisch verdorbenen Herrschern, die die Paare zwingen, um ihre Liebe zu kämpfen. Zu diesem Typ gehörten schon die wenig erfolgreichen Opern „Floridante“, „Flavio“ und „Ezio“, nun folgten „Arminio“, „Berenice“, „Giustino“, „Faramondo“ und „Serse“. In den ersten und letzten Jahren seines Opernschaffens nutzte Händel verstärkt die Möglichkeiten der Bühnenmaschinerie und spektakulärer visueller Effekte (zum Beispiel lebende Vögel und Feuer speiende Drachen in „Rinaldo“ oder Illuminationen am Schluss von „Atalanta“). Besonders in den letzten Jahren griff er wieder darauf zurück und bezog 1734/35 auch das Ballett von Marie Sallé mit ein. Die Opern aus der Zeit der Royal Academy zeichnen sich besonders durch eine hohe musikalische Qualität, eine interessante und abwechslungsreiche Instrumentation und die virtuosen Arien aus.

Die 30 Jahre, in denen Händel in London Opern aufführte, umspannen die Phasen der Etablierung der italienischen Oper in der britischen Hauptstadt, ihre Blüte und den Niedergang. Händel hatte erfolglos versucht, die italienische Oper dem Zeitgeist anzunähern, indem er sie durch bewusste Wahl unkonventioneller Libretti glaubwürdiger machen wollte. Seine Oratorien hingegen trafen den Zeitgeist. Noch vor Händels Tod 1759 verschwanden seine Opern von der englischen Bühne. Die letzte Aufführung war „Admeto“ in einer Produktion von Francesco Vanneschi 1754. In Deutschland gab es nach der letzten Opernvorstellung 1743 erst 1879 in Leipzig eine Aufführung der „Almira“ unter Johann Nepomuk Fuchs (Wiederholungen in Hamburg 1885 und 1905). Die italienische Oper hatte sich überlebt, und selbst in der ursprünglich als Gesamtausgabe konzipierten Händel-Edition von Samuel Arnold am Ende des 18. Jahrhunderts wurden nur fünf Opern gedruckt. Erst von 1920 an mit der Händel-Renaissance in Göttingen (Oskar Hagen/Hanns Niedecken-Gebhard) und danach in Halle wurden sie wiederentdeckt. In Großbritannien begann diese Renaissance im Jahr 1927 und kam von 1955 an mit der Gründung der Handel Opera Society vollends in Schwung. In allen Fällen waren die Werke bearbeitet und in die Landessprache übersetzt worden.

Das Händel-Jahr 2009

Ein Blick auf das vergangene Jubiläumsjahr zum 250. Todestag zeigt, dass Händels Opern heute einen festen Platz im Repertoire der internationalen Opernhäuser haben – ein Resultat der konstanten Bemühungen, sie mit den unterschiedlichsten Konzepten dem Publikum zugänglich zu machen. Viele Orchester pflegen die historisch informierte Aufführungspraxis, die Opern werden meist in der Originalsprache und in den originalen Stimmlagen gesungen, auf Kürzungen und Experimente muss man jedoch gefasst sein, wie nachfolgend an einzelnen Beispielen gezeigt wird.

 
Gelungen: „Der misslungene Brautwechsel“ beim Leipziger Bachfest.
 

Gelungen: „Der misslungene Brautwechsel“ beim Leipziger Bachfest.
Foto: Bach-Archiv Leipzig/Gert Mothes

 

In Ferrara und Modena gab es zu Beginn des Jahres die italienische Erstaufführung von „Partenope“, das Theater an der Wien entschied sich für dieselbe Oper, und am 24. Februar wurde „Alcina“ in Hongkong aufgeführt. Zu den Händel-Festspielen in Karlsruhe wurde „Radamisto“ als „Uraufführung der Erstfassung auf dem Kontinent“ bei Kerzenbeleuchtung mit typisch barocker Gestik und in aufwendigen originalgetreuen barocken Kostümen auf einer Kulissenbühne gespielt, die der von 1720 so nahe wie möglich kommen sollte.

Die Händel-Festspiele in Göttingen boten mit Doris Dörries Produktion von „Admeto“, einer Oper, die für die Besetzung mit zwei Primadonnen, ursprünglich Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni, konzipiert ist – eine schöne Inszenierung im Stil des japanischen Hoftheaters an. Die Bühne war in farbiges Licht getaucht; Gardinen, hinter denen Schattenspiele abliefen, bildeten die Kulissen. Das „International Butoh Dance Ensemble“ gestaltete einen Tanz, in dem jede Person einen ihr folgenden Schatten hat. Die Inszenierung bot sehr viel für das Auge. Man kann darüber streiten, ob griechische Helden wie Ercole als Samurai-Ringer auftreten sollten. Antigona erschien als Schäferin, ihr folgte ein als Schafherde verkleidetes Ballett, das die Zuschauer durch witzige Elemente amüsierte. Zum ersten Mal in der Geschichte des Theaters konnte die volle Bühnenlänge von 20 Metern genutzt werden, als Ercole Alceste aus der Unterwelt zurückholte. Es war jedoch nicht zu verstehen, warum im dritten Akt plötzlich die alten Kulissen vom Herrenhäuser Schloss mit Garten heruntergelassen wurden. Mit Kirsten Blaise war die Partie der Antigona hervorragend besetzt, während die technisch perfekte Marie Arnet als Alceste eine gewisse Distanz zum Publikum nicht überbrücken konnte. Bei allen Männerrollen blieben jedoch noch Wünsche offen; deshalb war es besonders schade, dass Antigonas Abgangsarie am Ende des ersten Aktes gestrichen wurde. Trotz alledem war der starke Beifall im ausverkauften Haus verdient.

Die Händel-Festspiele in Halle boten mit „Floridante“ im Opernhaus sowie „Serse“ und „Alcina“ in Bad Lauchstädt gleich drei modern gehaltene unbefriedigende Inszenierungen an. Bei „Floridante“ war zu bedauern, dass man der Internationalität zuliebe auf Mitglieder des hauseigenen Ensembles, wie Ulrike Schneider oder Romelia Lichtenstein, verzichtet hat. Das Goethe-Theater, das sonst eher für Produktionen bekannt ist, die man mit Genuss ansehen kann, erwies sich 2009 als das mit den experimentell anmutenden Regiekonzepten. Dafür entschädigte dann die Aufführung des Bachfestes Leipzig am 17. und 18. Juni mit Telemanns Bearbeitung einer Händel-Oper „Der misslungene Brautwechsel oder Richardus I“. Die halbszenische, gut gelungene Vorstellung fand im aufgepeppten Kuhstall des Kultur-Gutes Ermlitz mit jungen entwicklungsfähigen Künstlern statt, die durch ihr engagiertes gutes Spiel mit einer durchdachten kurzweiligen Aufführung begeisterten. Ein besonderer Höhepunkt war das Jubiläum im Jubiläumsjahr in Venedig: Händels „Agrippina“ wurde im Teatro Malibran, das auf den Grundmauern des einstigen Originalschauplatzes steht, in einer sehr schönen neuen Produktion zum 300. Jahr der Uraufführung geboten.

In Zusammenarbeit mit der Facoltà di Design e Arti der Universität Venedig unter der Direktion von Walter Le Moli entstand eine frische, luftige und moderne Inszenierung, in der originelle Regieeinfälle die Charakterzeichnung von Figuren und Untermalung von Stimmungen unterstützten. Mit Ann Hallenberg als Agrippina und Veronica Cangemi als Poppea standen zwei wunderbare Sängerinnen und Schauspielerinnen auf der Bühne, die diese Produktion zum Erlebnis werden ließen. Die Handlung ist eindeutig, transparent und humorvoll gestaltet. Nur das Orchester mit den modernen Streichern und Ventiltrompeten war ein Kompromiss. Doch auch die Theater in Birmingham, Lissabon, Mailand, Modena, Neubrandenburg, Turin und Zürich haben 2009 die „Agrippina“ für sich entdeckt. Das 32. London Handel Festival hatte „Alessandro“, eine selten gespielte Oper, im Programm. In Denver, Münster und Prag gab man „Rinaldo“, in Beaune und Cambridge „Ariodante“; „Serse“ wurde außerdem in Budapest und Konstanz aufgeführt, „Ezio“ in Bonn und Schwetzingen, „Giulio Cesare“ in Kiel und Lódz, „Teseo“ in Stuttgart, „Alcina“ in Schwerin, „Tamerlano“ in Los Angeles. Das 23. Internationale Izmir Festival in der Türkei spielte „Imeneo“ in Efesus, die English Touring Opera reiste mit „Ariodante“, „Flavio“, „Teseo“ und „Tolomeo“ durch England, in Kassel wurde „Orlando“ inszeniert. Außerdem gab es zahlreiche konzertante Aufführungen, darunter auch selten gespielte Opern wie „Faramondo“ und „Berenice“ in Paris.
Trotz aller Kreativität sind geistvolle und ästhetisch ansprechende Inszenierungen noch rar. Seit dem letzten Jubiläum, Händels 300. Geburtstag 1985, hat sich das Gebiet der Aufführungspraxis stürmisch entwickelt; wir können die vier bis fünf Stunden lange Barockoper wieder musikalisch genießen. Die Zeit bis zum nächsten Jubiläum könnte nun dem Versuch gewidmet werden, die Regie in den Dienst des Kunstwerkes zu stellen.

Annette Landgraf

 

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