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Berichte

Klangtosende Kulisse

Gelungene „Götterdämmerung“ in Frankfurt · Von Wolf-Dieter Peter

Schwächelnde Regie“, gar „Desinteresse der Regisseurin“ und ähnlich lauteten Gerüchte nach Vera Nemirovas gradliniger „Siegfried“-Erzählung. Falsche Kriteleien: Mit starken Bildern, neuen Akzenten und einer dezidierten Schlussaussage rundete sich Frankfurts „Ring des Nibelungen“ – ohne ein einziges Buh. Das war zunächst ein Kompliment an die Sänger. Von Jochen Schmeckenbechers Alberich im Gold-Lamé-Anzug, der sinnlich-üppigen Gutrune Anja Ulrichs, dem düster berechnenden, aber nie übermenschlich dämonischen Hagen Gregory Franks bis zur wissend leidenden Waltraute Claudia Mahnkes, einschließlich des zu Umweltschützerinnen mutierten Rheintöchter-Trios der Damen Stallmeister-Carlstedt-Magiera: eine sehr gute Sängerriege. Der 66-kehlige Gesamtchor war nicht nur eine männerdominierte Kampftruppe in Schusswesten, sondern auch eine klangtosende Kulisse fürs Feiern – und dann von Matthias Köhler zu gekonnt erschrockenem Piano beim Einzug der Brünnhilde geformt. Dazu dann Glanzlichter: Lance Ryans Siegfried bestach mit naiver Torheit, heldischer Kraft und schließlich einem schmerzlich zerquälten Todesgesang; Johannes Martin Kränzle lieferte das baritonal fabelhaft nuancierte Kabinettstück eines neurotisch schwächelnden, zwischen Eitelkeit und Ängstlichkeit zerrissenen Firmen-Urenkels im Weltkonzern „Gibich“; bei Susan Bullocks Brünnhilde dominierten zunächst harte und scharfe Töne, doch in ihrer Schlussszene fand sie zu einer humanen Wärme, die anrührte. Sie alle führte GMD Sebastian Weigle mit klarer Zeichengebung. Er ließ das Museumsorchester Wagners nun oft abschattierte bis gebrochene Motivzitate fein gezeichnet musizieren und setzte in Siegfrieds Aufbruch und Rheinfahrt, in Hagens Mannenbeschwörung, dem Trauermarsch und dem Finale wuchtige Höhepunkte. In den nun folgenden Zyklen wird vielleicht eine „Weigle-Handschrift“ stärker hörbar.

Die Nornen spannen ihr Schicksalsseil: Claudia Mahnke, Meredith Arwady und Angel Blue gemeinsam mit der

Die Nornen spannen ihr Schicksalsseil: Claudia Mahnke, Meredith Arwady und Angel Blue gemeinsam mit der Statisterie der Oper Frankfurt. Foto: Monika Rittershaus.

Deutlicher war Nemirovas Regie-Handschrift. Schon die oft dröge einleitende Nornen-Szene bestach dramaturgisch: Die drei schamanenhaft kostümierten, weisen Frauen Mahnke-Arwady-Blue spannten ein rotes Schicksalsseil zwischen den stumm auf Jens Kilians nie einengender Weltenscheibe versammelten übrigen Figuren – deren bald sichtbar ausweglose „Verstrickung“ dann Alberich durchtrennte und sie ihrem Ende entgegentaumeln ließ. Siegfried trieb zur ironisierten „Rheinfahrt“ in einem Schlauchboot auf den nun wellenförmig kreisenden Scheibenringen. Brünnhilde brach bei Waltrautes Bericht vom trauernden Vater Wotan zur melancholisch-sehnsüchtigen Musik anrührend in Tränen aus. Alberich hüllte den zum Weltenerbe getriebenen Sohn Hagen in sein Gold-Jackett – und Hagen legte es der zu Siegfrieds Tötung instrumentalisierten Brünnhilde um. Dabei kontrastierte die Scheibenschräge das Hochzeitspaar Siegfried-Gutrune an der Oberkante mit dem Rache-Trio Brünnhilde-Gunther-Hagen in der finsteren Schräge darunter. In dieser Stimmung zeichnete Brünnhilde mit Lippenstift ein Zielkreuz auf Siegfrieds Hemd – und dieses Hemd wurde zunächst auf Hagens Speer als „Kampfsignal“ aufgezogen. Viele weitere dramaturgisch überzeugende Szenenakzente ließen sich aufzählen. Alles gipfelte jedoch in der hochexpressiven Schlussszene: Nachdem Brünnhilde den Ring von Siegfrieds Hand an sich genommen hatte, trat sie aus der Bühnen-Weltenscheibe ganz nach vorne an die Rampe. In nun unforciert schönem, auch besser denn je verständlichem Gesang zog sie die bittere Lehre – und schleuderte mit einem fulminant grellen, erschreckenden, Olaf Winters gesamte Scheinwerferbatterie fordernden Lichtblitz den Ring „in Walhalls prangende Burg“: in den nun hellen Zuschauerraum mit uns kapitalismusverstrickten „Walhallianern“. Dazu traten alle „Ring“-Figuren nochmals auf die Weltenscheibe, was der gescheiterte Alberich in der rechten Proszeniumsloge, die gescheiterten Götter in der linken beobachteten.

Zum utopisch hoffnungsvoll aufleuch-tenden Erlösungs- oder Liebesmotiv – erinnert sei an die Arbeiterschaft in Chéreaus Bayreuther „Jahrhundert-Ring“ von 1976 – traten bei Nemirova nun alle Bühnenfiguren der Tetralogie an den Scheibenrand mit der un-überhörbar sichtbaren Frage an uns: Und was macht ihr aus eurer Welt? – Wagners „Ring“-Parabel war im Jahr 2012 angekommen.

Wolf-Dieter Peter


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