Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


Berichte

Überschaubares Angebot

Tanzwerke von Richard Strauss im Jubiläumsjahr
Von Vesna Mlakar

Werfen wir kurz den Blick zurück auf 2013. Da konkurrierte im Spielplanranking Wagner mit seinem Altersgenossen Verdi. Es galt, den 200. Geburtstag der beiden Komponistengiganten zu feiern, natürlich mit Oper pur – bis auf einige Ausreißer: So versuchte Yuki Mori in Regensburg mit „Ich, Wagner. Sehnsucht!“ den Komponisten tänzerisch zu (er)fassen. Und das Berliner Staatsballett zeigte an der Deutschen Oper Béjarts grandioses Vier-Stunden-Ballett „Ring um den Ring“ (UA 1990). Verdi hingegen hat bislang so gut wie kein Choreograf in den Tanzfokus gerückt.

Felipe Soares Cavalcante und Ivana Kocevska. Foto: Sylvain Guillot

Felipe Soares Cavalcante und Ivana Kocevska. Foto: Sylvain Guillot

Ganz anders sieht es da beim Jubiläumsnachfolger Richard Strauss aus, dessen 150. Geburtstag und 65. Todestag in die Saisonplanungen 2013/14 und 2014/15 zahlreicher Häuser eingeflossen sind. Auch seine Opern spielt(e) man jubiläumsbetonend allerorts. Was oft übergangen wird: Strauss hatte auch eine besondere Beziehung zum Tanz. Zwar wurde Strauss’ Konzertmusik, seine symphonischen Dichtungen und Orchestersuiten noch zu seinen Lebzeiten als enorm tanzaffines Potenzial entdeckt, gerade diese jedoch schlummern 2014 weiter im Dornröschenschlaf der letzten zwei Jahrzehnte dahin. Strauss‘ Auseinandersetzung mit Bühnentanz manifestierte sich in drei genuinen Balletten, die ihm erstens („Josephs Legende“, Paris 1914) eine Kooperation mit den Ballets Russes einbrachte, ihm zweitens („Schlagobers“, Wien 1924) ein selbst geschriebenes Libretto entlockte und drittens („Verklungene Feste“, München 1941) in einem „Ballett über Ballett“ gipfelte.

Angesichts dieser Palette an Möglichkeiten blieb die Auswahl an Strauss-Tanz-Angeboten in diesem Jahr überschaubar. John Neumeier hatte eine Wiederaufnahme der Neuinszenierung seiner 1977 in Wien uraufgeführten „Josephs Legende“ von 2008 nicht in Erwägung gezogen. Und das, obwohl er das biblische Sujet um den Träumer Joseph, der nach Verführung durch Potiphars frustrierte Gemahlin und darauffolgende Misshandlungen von einem Engel (seinem Traumbild und Alter Ego) fortgetragen wird, damals mit einer Neuaufführung der „Verklungenen Feste“ kombinierte.

Mit dem Untertitel „Tanzvisionen aus zwei Jahrhunderten“ waren eben diese 1941, mitten im Zweiten Weltkrieg, von Strauss sowie dem Tänzerpaar Pia und Pino Mlakar an der Bayerischen Staatsoper aus der Taufe gehoben worden. Der Schwerpunkt seinerzeit lag auf der Entwicklung der Tanzkunst vom Barock über die Romantik bis hin zum Spitzentanz. Eine Klammer zu jeglicher politischen Situation war nicht beabsichtigt. Im Gegensatz zu diesem Konzept wählte Neumeier 2008 (?) die freie Form getanzter Bilder, um innerhalb eines eindrucksvollen Strauss-Ballett-Abends „dem Geheimnis einer Musik“ nachzuspüren, „die sich zwischen den Zeiten bewegt“.

„Legenden – Hommage an Richard Strauss“: Ballettabend in Dresden. Foto: Ian Whalen

„Legenden – Hommage an Richard Strauss“: Ballettabend in Dresden. Foto: Ian Whalen

Bekanntermaßen hatte Strauss ein enges Verhältnis zu Dresden. Dieses währte über 60 Jahre. Ein Glücksfalls, dass sich Tanzchef Aaron S. Watkin auf die als „Musikdrama ohne Worte“ für die legendären Ballets Russes kreierte „Josephs Legende“ sowie die erstmals 1923 in Wien von Heinrich Kröller choreografisch umgesetzte „Tanzsuite“ mit dem Beititel „Gesellschafts- und Theatertänze im Stile Ludwig XV“ (eine Folge von Klavierstücken des französischen Hofkomponisten François Couperin, die Strauss für kleines Orchester bearbeitet hat) besann. Als erste Compagnie in Deutschland konnte das Semperoper Ballett den derzeit wohl gefragtesten Mann auf dem Markt für diese Neukreation gewinnen: Alexei Ratmansky. Am Premierenabend (28. Juni 2014) entlud sich die fruchtbare Zusammenarbeit in einem Feuerwerk der Leichtigkeit, heiterer Tanzfreude und brillanter Virtuosität. Weder ein Inhalt noch unnötiges Überladen der Kostüme lenkte vom Bühnengeschehen ab, das einzig Anlass und stilistische Spielereien vorantrieben. Den richtigen Glanz zur dynamischen Eleganz der 18 sich immer wieder neu formierenden Tänzer zauberte ein Fächer aus Scheinwerferschienen, deren Lichter wie Sterne am Himmel aufgingen.

Stijn Celis, der zweite Choreograf des Dresdner Abends, verlegte dagegen Josephs Geschichte in ein dekadenzgeschwängertes Ambiente vor dem 2. Weltkrieg. Mobile Versatzstücke, darunter schwarze Doppelprismen in allen Größen (Hängeobjekt, Thronersatz, Handrequisit), dienten ihm dabei symbolhaft für Prunk und Macht. Im Gegensatz zu Anna Vita, die im März mit ihrem kleinen Ensemble in Würzburg eine in ihrer konzentrierten Aussage auch für das heutige Publikum nachvollziehbare, sehr klare und dramaturgisch wie psychologisch überzeugende (Kammer-)Version der „Josephs Legende“ präsentierte – wobei Strauss’ orchestral opulente Musik für 120 Instrumentalisten nur vom Band erklang –, umgab Celis die eindringlichen Szenen zwischen den Hauptprotagonisten Potiphar (Milán Madar), dessen von Leidenschaft getriebener Frau (Svetlana Gileva) und Jiří Bubeníček in der Rolle des fremden, weniger knabenhaft naiven denn nachdenklich empfindsamen Joseph mit einem nicht ganz verständlichen (Revue-)Chaos aus Hofgesindel, Sklaven, Amüsiergirls und einer halb bekleideten Gruppe Boxer. Die dichte musikalische Interpretation des facettenreichen Tongemäldes durch die Sächsische Staatskapelle musste hier die eine oder andere Handlungsfrage kompensieren. Ratmanskys filigrane Tanzgeometrie hätte Strauss aber gewiss ebenso beeindruckt wie Bubeníčeks „reife“ Interpretation. 1914 nämlich hatte gerade „der keusche Joseph“ den Komponisten regelrecht „gemopst“.

Den Vogel in puncto „Strauss 2014 vertanzt“ könnte aber Karl Alfred Schreiner mit dem Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz abschießen. Der Österreicher wagt sich an eine Neuinterpretation des nach der Uraufführung nur noch in Breslau nachgespielten heiteren Wiener Balletts „Schlagobers“: „Ich habe mir die Musik angehört – und die ist toll. Wir haben ein A-Orchester, das Strauss spielen kann – und die komplette Originalbesetzung“, so Schreiner. Schon das ist ein Grund, die Premiere am 11. Dezember in der Münchner Reithalle nicht zu verpassen. Denn selbst im Konzertrepertoire ist dieses Strauss-Ballett so gut wie nie zu hören. Die Handlung um einen Firmling, der sich in einer Konditorei den Magen verdirbt und auf dem Krankenlager von Alpträumen geplagt wird, ist allerdings kurios.

Schreiner: „Die Frage hat sich mir bei der Arbeit mehrmals gestellt: ‚Wie kamen die auf die Idee, so etwas zu machen? Was haben die sich dabei gedacht?’ – Ich glaube, das war eine verrückte Idee – und die haben sie durchgekriegt.“

Schreiner nennt zwei Gründe, warum er das Libretto nicht über Bord werfen will: „Wenn man wenig Bekanntes spielt, ist es wichtig, dass man am Original dran bleibt, um es dem Publikum näherzubringen. Inhaltlich möchte ich die Rahmenhandlung beibehalten, weil sie die Eigenheit dieses Stücks ausmacht. Ich behalte auch die Figuren, um mich damit auseinanderzusetzen, ob man einen Geschmack vertanzen kann. Was ist Kakao? Wie schaut ‚bitter‘ aus? Was macht das im übertragenen Sinn, wenn etwas in deinem Leben bittersüß ist? Gleichzeitig ist die Musik von Strauss so schön symphonisch. Da stecken viele kompositorische Ideen drin.“

Zuviel über seine Umsetzung des an sich wahnwitzigen, in kulinarischer Opulenz schwelgenden Konsumstücks verraten will Schreiner vorab natürlich nicht, denn „Überraschung muss auch dabei sein“. Fest steht, dass er an dessen Potenzial glaubt, ohne einen historischen Ansatz zu verfolgen. Beste Voraussetzungen, um das Bewusstsein für die Bandbreite der Straussschen Ballettvisionen weiter zu entfachen.

Vesna Mlakar

 

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner