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Die Freiheit im Repertoire

Die Young Opera Company Freiburg
Von Georg Rudiger

Jäger und Sammler, sei er, sagt Klaus Simon über sich selbst. Dabei stehen aber weder Rehe noch Pilze im Mittelpunkt seiner Leidenschaft. Es geht hier vielmehr um Lieder, Orchestermusik und Opern, die von dem rührigen Musiker ausgegraben, gehegt und gepflegt werden. Der 46-jährige Überlinger prägt schon über zwei Jahrzehnte als Dirigent, Pianist und Arrangeur das Freiburger Musikleben. Die von ihm gegründete Young Opera Company Freiburg feiert nun ihr 20-jähriges Jubiläum mit einer aufwändigen Produktion von Detlev Glanerts Oper „Die drei Rätsel“. Georg Rudiger sprach mit ihm über seine Jungferntaufe, die Vor- und Nachteile eines freien Opernensembles und das Spannungsfeld zwischen Kunst und Kommerz.

Georg Rudiger: Im Oktober feiert die Young Opera Company ihr 20-jähriges Bestehen. Warum haben Sie sie gegründet?

Michael MacKinnon (Avernus), Florian Rosskopp (Tartarus), Ljiljana Winkler (Frau Knochen). Foto: Sebastian Düsenberg

Michael MacKinnon (Avernus), Florian Rosskopp (Tartarus), Ljiljana Winkler (Frau Knochen). Foto: Sebastian Düsenberg

Klaus Simon: Das war aus einer Rotweinlaune heraus – gemeinsam mit meinem Schulmusik-Studienkollegen Rolf Herter. Der Stimulus war, die Oper „Savitri“ zu machen. Ich hatte damals eine Gustav-Holst-Entdeckungsphase. Wir haben das Stück mit Kolleginnen und Kollegen von der Freiburger Musikhochschule auf die Bühne gebracht. Die eigentliche Oper dauert ja nur eine halbe Stunde; für die Inszenierung konnten wir Benito Gutmacher gewinnen. „Savitri“ haben wir dann kombiniert mit Frauenchören von Gustav Holst. Diese Produktion war sozusagen meine Jungferntaufe. In jenem Semester habe ich mehr gelernt als in meinem ganzen Studium.
Rudiger: Wenn Sie zwanzig Jahre zurückblicken – was hat sich verändert bei der Young Opera Company? Und was ist gleich geblieben?

Simon: Gleich geblieben ist sicherlich ein gewisser Geist, nach Stücken zu suchen, die abseits des Opernrepertoires liegen. Selbst „Jakob Lenz“ von Wolfgang Rihm, den wir im Jahr 2000 gemacht haben, gehört nicht zum Kernrepertoire eines Opernhauses. „Rape of Lucretia“ von Benjamin Britten 1995 war vielleicht noch das Stück, das am ehesten in einem normalen Opernhaus zu hören ist. Es macht nach wie vor großen Spaß, Stücke auszugraben, hinter denen man steht, die man aber kaum kennt. Das Risiko ist dabei aber immer, dass es das Publikum nicht oder zu wenig annimmt.
Geblieben ist auch die Entscheidung, für jedes Stück ein spezielles Team zusammenzustellen. Es gibt bei jeder Produktion ein neues Casting, wobei ich durchaus auch auf bewährte Kräfte zurückgreife. Nur wen ich drei Jahre nicht mehr gehört habe, muss nochmals vorsingen. Eine wichtige Änderung ist, dass wir seit dem letzten Jahr einen Manager haben, der in Berlin lebt und von dort aus für uns Koproduktionen und Gastspiele in Gang bringen soll. Wenn wir in der Zukunft überregional noch mehr Präsenz bekommen, dann wäre das ein ganz wichtiger Schritt für uns. In diesem Zusammenhang möchten wir auch unseren Namen ändern, weil Young Opera Company für einen Veranstalter, der uns nicht kennt, doch zu sehr nach Studentenensemble klingt. In Zukunft heißen wir deshalb Opera Factory Freiburg – oder kurz OFF.

Rudiger: Die ersten drei Projekte der YOC waren Opernwerke englischer Komponisten – Gustav Holst, Benjamin Britten und William Walton. Hatten Sie diesen Schwerpunkt bewusst gewählt?

Simon: Es war nicht geplant, es ist eher so passiert. Ich habe schon immer eine starke Affinität zur englischen Musik verspürt. Nach drei Produktionen wurde mir aber klar, dass wir nun etwas anderes machen müssen. „Die Welt auf dem Mond“ von Joseph Haydn/Günter Steinke war dann das erste nichtenglische Stück.

Rudiger: Was fasziniert Sie an englischer Musik?

Simon: Die meisten kennen diese Musik gar nicht. Wer kennt schon Symphonien von Vaughan Williams oder Walton und von Holst etwas anderes außer „Die Planeten“? Das sind alles Meisterwerke, die in Deutschland allerdings gering geschätzt werden. Das hat auch viel mit Ignoranz zu tun. Britten halte ich für den besten Opernkomponisten des 20. Jahrhunderts.

Rudiger: Welche Vorteile hat die YOC gegenüber einem Stadttheater? Und welche Nachteile?

Simon: Der wichtigste Vorteil ist sicherlich die absolute Freiheit im Repertoire. Nachteil ist, dass wir immer wieder neu anfangen müssen. Und dass wir keine Werkstätten haben. Wir müssen uns alles aus den Fingern saugen und immer wieder improvisieren. Wenn wir im E-Werk spielen, haben wir keinen Schnürboden und keine Drehbühne. Das ist schon ein sehr begrenzter theatralischer Raum. Unsere Ausstatter müssen sich mit einfachen Lösungen arrangieren. Wir verhandeln gerade mit dem Theater Freiburg über eine Koproduktion für die übernächste Spielzeit. Das wäre für uns sehr spannend, einmal die Infrastruktur eines echten Theaters für unsere Arbeit nutzen zu können.

Rudiger: Das Neu-Anfangen-Müssen betrifft bestimmt auch immer die finanzielle Ausstattung.

Simon: Ja, das ist insgesamt schon sehr mühsam. Im Augenblick erhalten wir neben der institutionellen Förderung von jährlich 15.000 Euro durch die Stadt Freiburg auch noch eine auf drei Jahre begrenzte Förderung von jährlich 30.000 Euro durch den Landesverband Freier Theater Baden-Württemberg. Das Problem ist, dass Ende 2015 diese Förderung wieder ausläuft. Und ein Nachfolgemodell ist zumindest im Augenblick nicht in Sicht. Wir sind nach wie vor ein Low-Budget-Verein. Ich verdiene nur, wenn ich gerade ein Projekt erarbeite. Bis 1999 habe ich gar kein Geld mit der Holst-Sinfonietta und der Young Opera Company verdient. Auch die Solisten und Musiker werden nicht gut bezahlt. Wegen des Geldes machen sie nicht bei uns mit. Da muss schon immer viel Leidenschaft für die Sache dabei sein.

Rudiger: Was waren für Sie im Rückblick die wichtigsten Projekte der Young Opera Company?

Simon: John Adams‘ Songplay „I Was Looking at the Ceiling and Then I Saw the Sky“ war in jeder Hinsicht eine bemerkenswerte Produktion. Das Stück war nach der Uraufführung in der Peter-Sellars-Inszenierung ziemlich durchgefallen. Unser Regisseur Joachim Rathke und sein damaliger Bühnenbildner Philipp Kiefer haben die Bühne des E-Werks in eine große Diskothek verwandelt. Das hat die vielen jungen Leute, die das Stück gesehen haben, sehr angesprochen. Die Musik ist ja eine Mischung aus Musical, Pop und Minimal Music. Wir haben Musicalsänger und eine Band engagiert. Erstmals hat ein Mitarbeiter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorbeigeschaut und eine hymnische Kritik geschrieben. Das war ein großer Erfolg und ein echter Motivationsschub für die nächsten Jahre. Im gleichen Atemzug würde ich „Kopernikus“ von Vivier nennen. Hier hatten wir großartige Ensemblesänger. Das Stück ist einzigartig in seiner Nichthandlung. Diese beiden Produktionen waren unsere Leitsterne.

Rudiger: Sie feiern Ihr Jubiläum mit der Kinderoper „Die drei Rätsel“ von Detlev Glanert. Warum eine Kinderoper?

Simon: Das muss ich gleich korrigieren. Es ist eine Oper für Kinder und Erwachsene – sozusagen ein Hybrid von großer Oper und Kinderoper. Das ist ein lang gehegter Traum. Ich wollte die Oper schon 2007 in Zusammenarbeit mit dem Freiburger Theater auf die Bühne bringen, aber das hat sich dann zerschlagen. Man muss zum Jubiläum auch mal etwas machen, was man sonst nicht so macht. Wir haben immerhin siebzig Mitwirkende. Wir haben Kinderstimmen für die Soli gecastet und arbeiten mit der Jugendkantorei der Christuskirche zusammen. Mit Lukas Grimm vom Freiburger Kammerchor haben wir einen ausgezeichneten Chorleiter dafür gefunden. Er macht die Einstudierung und singt im Chor Tenor: ein echter Glücksfall. Hier betreiben wir schon einen enormen Aufwand.

Rudiger: Wie klingt die Musik?

Simon: Die Oper klingt gar nicht explizit modern. Achtzig Prozent der Musik ist tonal, würde ich sagen. Die Oper wurde 2003 geschrieben und in Halle uraufgeführt. Wir sind nun schon die zehnte Produktion. Das ist für ein zeitgenössisches Stück sehr gut. Glanert hat wirklich großartig für die Stimmen und Instrumente komponiert. Mit solch einer Oper spricht man auch ein ganz breites Publikum an. Mit Kindern zu arbeiten, ist eine sehr wertvolle Erfahrung. Die Musik von Detlev Glanert hat Atmosphäre – und einen großen Bogen. Alles ist drin. Ein Wechselbad der Gefühle. Unterhaltsam, und doch nicht banal. In Freiburg haben wir seine Musik nie erlebt. Es ist also höchste Zeit für eine seiner Opern.

Rudiger: Was wünschen Sie sich für die nächsten zwanzig Jahre?

Simon: Dass wir überregional Veranstalter finden und an schönen Orten unter guten Rahmenbedingungen wirken können. Und dass uns diese Neugierde nach abseitigem Repertoire erhalten bleibt und wir niemals den Mainstream bedienen müssen. Dann würde ich sofort meinen Stab abgeben. Mainstream ist der Anfang von Erstarrung. Und Erstarrung ist der Anfang vom Ende jeglichen kulturellen Denkens.

 

 

 

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