Rezensionen

Zeitgenössischer Tanz
Lois Greenfield. DANCE, Kalender 2015, Weingarten, 46 x 55 cm, 36 Euro

Auch in diesem Jahr gibt der Weingarten-Verlag neue und bemerkenswerte Tanzkalender für das Jahr 2015 heraus und auch in diesem Jahr widmet sich einer dieser Kalender der Fotografin Lois Greenfield und ihren Bildern. Die Künstlerin bleibt ihrem Stil konsequent treu, und so dürfen wir uns erneut an zwölf sowohl künstlerisch als auch fotografisch herausragenden Bildern aus der Welt des zeitgenössischen Tanzes erfreuen. Lois Greenfield arbeitet mit einer Technik, die jeden professionellen Sportfotografen vor Neid erblassen lassen dürfte. Auf den großformatigen Hochglanzfotografien sind die Bewegungen jedes einzelnen Muskels und jeder Faser der abgelichteten Körper gestochen scharf festgehalten und die Tänzerinnen und Tänzer scheinen förmlich erstarrt zu sein, jedoch ohne dass die tänzerisch-athletischen Szenen auch nur im Mindesten an Dynamik verlören. Der Kaufpreis von 36 Euro scheint nicht übertrieben und ist sicher auch für ein Geschenk durchaus sinnvoll angelegt.
Stefan Moser

Spitzentanz
En Pointe SPITZENTANZ. Marc Olich, Kalender 2015, Weingarten, 46 x 55 cm, 36 Euro

Wie der Titel dieses Kalenders uns gleich doppelt sagen möchte, sollen wir hier in die Welt des klassischen Spitzentanzes entführt werden. Allerdings fällt bei näherer Betrachtung der Bilder von Marc Olich sehr schnell auf, dass die abgedruckten Fotografien der Aussage des Kalendertitels nicht wirklich gerecht werden. Tatsächlich hat der Fotograf – zumeist aus der Vogelperspektive – eher Stimmungsbilder abseits des Bühnengeschehens bei einer klassischen Ballettcompagnie eingefangen. Die Bilder sollen uns wohl daran teilhaben lassen, dass beispielsweise Korrekturen auf der Bühne auch unmittelbar nach Vorstellungen genauso zum Alltag von Tänzerinnen gehören wie das Schnüren und Bearbeiten von Spitzenschuhen! Fast fühlt man sich ein wenig an die weichgezeichneten Bilder eines David Hamilton erinnert und zumindest Verehrer von Ballerinen und vornehmlich deren Rückenansichten dürften mit diesem Kalender für 36 Euro voll und ganz auf ihre Kosten kommen.
Stefan Moser

Sasha-Waltz-Portrait
Brigitte Kramer: Sasha Waltz – A Portrait, Arthaus Musik

Brigitte Kramers Sasha-Waltz-Porträt führt mit Interviews eindringlich nah heran an die zwischen Zielstrebigkeit und Selbstüberforderung erfolgreiche, aber auch gefährdete 51-jährige Choreografin. Ihre Entwicklung verfolgt man über Ausschnitte aus 18 Werken: von den ersten kurzen dynamisch-slapstickhaften Stücken für ihre 1993 mit Dramaturg und Ehemann Jochen Sandig gegründete Compagnie Sasha Waltz & Guests und den plastisch-körperbetonten Abendfüllern an der Berliner Schaubühne, die sie von 2000 bis 2005 mit Regisseur Thomas Ostermeier leitet, bis zu ihren Opern-Choreo-Inszenierungen für Elitehäuser wie die Pariser Oper und ihren Tanz-Bespielungen von Museen, wie nur zum Beispiel von Daniel Libeskinds Jüdischem Museum in Berlin – womit sie einen in den USA schon in den 60er-Jahren eingesetzten Trend auch hierzulande hoffähig macht. Das 72-Minuten-Porträt wird ergänzt durch weiteres biographisches Material zu Waltz plus 22 Minuten Probenausschnitte.
Malve Gradinger

Life in Movement
Sophie Hyde, Bryan Mason: Tanja – Life in Movement, antidote films and Closer Productions

Hommagen werden generell nur Künstlern mit nahezu vollendetem Lebenswerk zuteil. Eine Ausnahme ist die gebürtige Stuttgarterin Tanja Liedtke, die nach ihrem Engagement in Lloyd Newsons britischer DV8 eine eigene Company gründet. 2007 kommt sie, erst 29-jährig, bei einem Verkehrsunfall ums Leben – einen Monat bevor sie Australiens renommierte Sydney Dance Company übernehmen sollte. Der Dokumentarfilm über Liedtke von Sophie Hyde und Bryan Mason (Filmstart Oktober 2013) ist jetzt auf DVD erschienen. Mit Proben- und Aufführungs-Videoschnipseln aus Liedtkes Privatarchiv, mit Interviews und neuen Filmaufnahmen von Liedtkes nach ihrem Tod nochmals international tourender Company erinnern die Regisseure an diese charismatische Tänzerin und vielversprechende Choreografin, die in ihrer szenischen Skurrilität, ihrem fantasievoll wendigen Körpervokabular und ihrer Führungsqualität der frühen Sasha Waltz ähnlich war. Vierzig Minuten Extras.
Malve Gradinger

Kinderlieder
Vokalhelden der Berliner Philharmoniker & Peter Schindler: Kinderlieder aus Deutschland und Europa, Carus -Verlag, Liederprojekt

Der Carus-Verlag hat zwei neue CDs in seiner inzwischen umfangreichen Reihe „Lieder-Projekt“ herausgegeben. Die „Kinderlieder aus Deutschland und Europa“ werden – und das ist neu – von Kindern (und nicht von renommierten Gesangssolisten) gesungen. Der Konzeptwechsel tut gut: Diese Aufnahme verlockt zum sofortigen Mitsingen. Alle Lieder gibt es auch im entsprechenden Liederbuch mit Noten und Texten. Die Auswahl der Lieder ist sehr gelungen: Eher fröhliche wechseln sich mit ruhigeren ab – und natürlich gibt es viel Unbekanntes zu entdecken – mit gelungenen Arrangements. Die „Vokalhelden“, Kinderchöre des Education Projekts der Berliner Philharmoniker, präsentieren Lieder unter anderem aus Frankreich, England, Serbien, Griechenland, Spanien, Italien und Deutschland. Unbedingt Weihnachtsgeschenk-tauglich! Die zweite CD, „Weihnachtslieder“ wirkt dagegen fast konventionell. Auch hier singen viele Kinder, und das eine oder andere Weihnachtslied aus anderen Ländern ist auch mit dabei.
Barbara Haack

Birgit Keil
Wiebke Hüster: Birgit Keil – Ballerina. 176 Seiten, 100 Abbildungen, Henschel Verlag, 29,95 Euro

1961 wird die noch nicht 17-jährige Birgit Keil die „Baby Ballerina“ in John Crankos bald weltberühmtem Stuttgarter Ballett, ist mit 19 schon Solistin. In ihren 34 Jahren im Stuttgarter Ensemble tanzt sie alle „Crankos“. Mit ihrem perfekten Körper, ihrer Disziplin und ihrem leidenschaftlichen Tanzwillen ist sie auch Muse für neoklassische Meister wie Kenneth MacMillan, Hans van Manen und Uwe Scholz, gleichermaßen gefragte Interpretin der modern und postmodern ausgerichteten Tanzschöpfer Glen Tetley, Jirˇi Kylián, Maurice Béjart und William Forsythe. Zu Keils 70. Geburtstag im September 2014 erschien Wiebke Hüsters mit Texten und aufschlussreichen Interviews lebendig gestaltetes Buch „Birgit Keil – Ballerina“. Hüster zeichnet Keils in symbiotischer Verbindung mit ihrem Prager Ehemann Vladimir Klos (seit 1968 im Stuttgart Ballett) verlaufene Karriere nach: von den vielen jahrelang gemeinsam getanzten Balletten („Dornröschen“, „Giselle“, „Schwanensee“, „Romeo und Julia“, „Onegin“ und so weiter) bis hin zur gemeinsamen pädagogischen und ballettmeisterlichen Arbeit während Keils erfolgreicher Leitung der Mannheimer Ballett-Akademie ab 1997 und des ab 2003 von ihr zusätzlich übernommenen Badischen Staatsballetts Karlsruhe. An die hundert Fotografien illustrieren Keils Tanz-Karriere, gewähren aber auch einen Blick auf die private Keil, eine stilbewuss-te, stets makellos gekleidete Lady.
Malve Gradinger

Oper für die Kleinen
Große Oper für kleine Hörer. Die ZEIT-Edition. Amor Verlag. 12 Einzel-CDs. Eine Gesamtbox ist ab 1. Januar 2015 im Handel

„Die Opernstoffe sind kindgerecht aufbereitet und getextet, die Musik ist behutsam ausgewählt.“ Wer sich von derlei pädagogisch angehauchtem Marketingsprech nicht abschrecken lässt, dessen Interesse ist vielleicht doch geweckt für diese CD-Edition. „Große Oper für kleine Hörer“ heißt sie und der herausgebende Amor Verlag hat mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ einen namhaften Partner für die Reihe gefunden, in der „zwölf bekannte Opernstoffe erstmals für kleine Kinder ab vier Jahre als Hörspiele erzählt werden“ – so das Konzept.
„Aida“ mit zwei lebendig Begrabenen am Ende oder eine dem dahinsiechenden Holden in den Liebestod folgende Isolde für Kinder ab Vier? Keine Frage, das muss die kindgerechte Aufbereitung richten. Aida ist hier also ein Mädchen, das seine Cousine Amneris besucht. Nach einem Ouvertürenausschnitt legt sie in einem zähen zweieinhalbminütigen Monolog dar, warum es zwischen beiden kriselt. In der Folge geht es um ein einigermaßen undurchschaubares Spiel zwischen zwei Gruppen, vage Eifersüchteleien und den Siegerpreis: Weil Radamès den Aufenthaltsort des Granatapfelkuchens mit Honigschaum verraten hat, bekommt er Spielverbot…
Zwischen den ohne jeden Esprit heruntergespulten Dialogszenen ertönt plötzlich heldisch-dramatischer oder innig empfindsamer Gesang, martialische Chöre tauchen aus dem Nichts auf. Was Vierjährige damit anfangen sollen, bleibt rätselhaft, Älteren wiederum dürfte der Kontrast zwischen banaler Geschichte und aufwühlender Musik umso stärker auffallen. Ähnliches gilt für „Fidelio“, „Carmen“ und den „Tristan“ mit einer wirren Schlusswendung rund um den „Zaubertrank“.
Etwas passabler fallen diejenigen Opern aus, deren Originalhandlung halbwegs gewahrt bleibt. Auch hier machen die leblosen Hörspielszenen allerdings nicht wirklich Laune. Die musikalische Qualität der verwendeten, teils alten, teils neuen Naxos-Aufnahmen geht in Ordnung, wobei die Diskrepanz zwischen den Sprechern und den historischen Einspielungen im Fall von „Freischütz“ und „Hänsel und Gretel“ entsprechend groß ist. Wenig Freude kommt außerdem bei den Booklets auf, in denen ohne jede Information zur jeweiligen Oper immer die beiden selben Texte zur Serie abgedruckt sind.
Juan Martin Koch

Verkündigung
Walter Braunfels: Verkündigung. Juliane Banse, Janina Baechle, Matthias Klink u.a.; Chor des BR, Münchner Rundfunkorchester, Ulf Schirmer. BR Klassik 900311 (Naxos, 2 CDs)

Auch wenn die „Verkündigung“ gegenüber den ebenfalls vom Bayerischen Rundfunk der Vergessenheit entrissenen Johanna-Szenen das weniger spektakuläre, eher inwendig leuchtende Werk ist, verdient dieser Live-Mitschnitt größte Beachtung. Dank der kompetenten Ensembleleistung unter der Leitung Ulf Schirmers nimmt das Bild des lange vernachlässigten Komponisten Walter Braunfels immer genauere Konturen an.
Juan-Martin Koch