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Kulturpolitik

Wir brauchen 5,8 Millionen mehr

Ein Gespräch mit Joachim Kümmritz

In Mecklenburg-Vorpommern gehen die Diskussionen um Umstrukturierungen (genauer: Kürzungen und Fusionen) der Theater in die Endrunde. Fusion zum Staatstheater Ost? Spartenschließungen in Neubrandenburg-Neustrelitz? Protestaktionen in den Theaterstädten versuchen, Schlimmstes zu verhindern. Mit Joachim Kümmritz, Intendant der Theater in Schwerin und Neubrandenburg-Neustrelitz in Doppelfunktion, sprachen Gerrit Wedel und Barbara Haack in Schwerin über die Situation der Theater im Lande.

Barbara Haack: Sie sind seit 1999 Generalintendant am Schweriner Theater und seit einigen Monaten in gleicher Funktion am Theater Neubrandenburg-Neustrelitz. Zwei Vollzeitjobs in einem aufwändigen Theaterbetrieb: Wie funktioniert das?

Joachim Kümmritz. Foto: Silke Winkler

Joachim Kümmritz. Foto: Silke Winkler

Joachim Kümmritz: Ich bin mehrmals von den Trägern des Theaters gebeten worden. Zweimal habe ich mich geweigert, aber schließlich habe ich gesagt: Wenn der Bildungsminister, der Staatssekretär, die Bürgermeister und der Land-
rat mich fragen, dann mache ich das. Das ist keine Lösung für mehrere Jahre, aber eine für die Zeit, in der die Diskussion hier andauert. Das läuft beinahe wie in einem Konzern. Ich bin montags und dienstags in Neustrelitz, jede halbe Stunde steht dort ein neuer Termin an. Das ist aufreibend, manchmal habe ich eine 60- bis 80-Stunden-Woche. Das kriegt man nur mit einer guten Organisation hin und mit funktionierenden Apparaten vor Ort. In Neustrelitz musste man sich dies erst schaffen. Hier in Schwerin ist es einfacher.

Haack: Gelingt es Ihnen, beiden Häusern eigene künstlerische Profile zu geben, die sich deutlich voneinander unterscheiden?

Kümmritz: Nein, das gelingt mir nicht. Hier in Schwerin ist das Profil ein Warenhaus. Dazu stehe ich, weil ich nicht glaube, dass man einem Theater in einer Stadt mit 93.000 Einwohnern unter dem Druck, der heute herrscht, eine einzige künstlerische Richtung geben kann. Wir leben in einer Stadt mit demografischen Problemen. Deshalb betreiben wir eine intensive pädagogische Arbeit mit der Kapelle, mit dem Chor – auch, indem wir für bestimmte Opernaufführungen Partner suchen. In der letzten Spielzeit haben wir „Dead man walking“ gemacht. Solche Stücke mischen wir mit normaler Spieloper, mit großer Oper, mit Operette und Musical. Im Ballett ist es schwieriger zu mischen.

In Neustrelitz ist es vor allem wichtig – und das ist dort in der Vergangenheit bedingt versäumt worden –, das Theater besser in der Bevölkerung zu verankern. Beispiel: Wenn hier in Schwerin gerufen wird: Dem Theater geht es schlecht, dann stehen auf dem Marktplatz 4.000 bis 5.000 Menschen. Wenn das gleiche in Rostock gerufen wird, stehen in einer Stadt, die doppelt so groß ist, 500 Leute auf dem Platz. In Neustrelitz habe ich versucht, diese Verankerung relativ schnell anzugehen, indem ich Produkte wähle – ich sage bewusst „Produkte“ –, die tiefer in die Bevölkerung hineinwirken. Wenn ich merke, dass es mit der Oper schwieriger wird, versuche ich, andere Angebote zu machen, zum Beispiel spartenübergreifende Produktionen.
Ich kann nicht immer nur tradiert Oper spielen wie früher, ich muss mir etwas dazu ausdenken. Wir haben hier zum Beispiel die „Carmen Lounge“ gemacht. Wir wählen aus der Oper einige Ausschnitte, die Leute sitzen da und essen, und plötzlich kommen Carmen und Escamillo und singen. Wenn man nicht an die gesamte Bevölkerung herangeht, wird es in den kleinen Städten der ehemaligen DDR zu dünn, weil die Städte zu klein sind.

Gerrit Wedel: Zurück zur Doppelfunktion. Die Mitarbeiter sind sehr enttäuscht darüber, dass Sie es bisher nicht geschafft haben, in einer Generalversammlung mit allen Beschäftigten zu reden.

Neue Ideen: Carmen-Lounge in Schwerin. Foto: Silke Winkler

Neue Ideen: Carmen-Lounge in Schwerin. Foto: Silke Winkler

Kümmritz: Das entspricht nicht der Wahrheit. Ich habe die Spielzeit im September eröffnet, in einer Vollversammlung mit allen Beschäftigten. Und habe mich im Chor allen Fragen gestellt. Ich habe dort die Situation erklärt, auch die Schwierigkeiten erläutert, habe die Fragen beantwortet und bin nach eineinhalb Stunden ohne große Blessuren rausgegangen – und ohne gelogen zu haben. Es ist doch klar, dass alle denken: Der wickelt jetzt das Theater in Neustrelitz ab. Aber das ist nicht mein Auftrag! Ich habe von niemandem einen Auftrag, das Neustrelitzer Theater abzuwickeln. Wahrscheinlich sind viele auch ein wenig blind. Die Theaterreform-Diskussion läuft jetzt seit 20 Jahren, die aktuelle auch schon seit 2½ Jahren. Wenn alle weghören und denken, in ihren Schutzräumen würde nichts passieren, dann kann ich nichts dafür. Da haben wohl alle geträumt.

Haack: Was wünschen Sie sich: Wie soll die Theaterdiskussion ausgehen?

Kümmritz: Das ist doch ganz einfach. Ich möchte, dass die Theater in der jetzigen Form überall erhalten werden. Ich weiß aber, dass ein Land mit 1,6 Millionen Einwohnern auf Dauer Schwierigkeiten kriegt, die Struktur an allen Standorten zu erhalten.

Haack: Sie sagen also, man muss Zugeständnisse machen?

Kümmritz: Es wird nicht überall so bleiben, wie es ist. Ich war gerade auf der Regionalkonferenz in Greifswald und erlebe dort Kommunalpolitiker, die nicht einmal verstehen, was ich sage.

Haack: Müssen die Kulturschaffenden nicht gerade dagegen ins Feld ziehen und klarmachen: Wir brauchen die Kultur in unserem Land?

Kümmritz: Dafür müssen wir aber gemeinsame Wege finden. Wir müssen in die Parlamente hineinwirken. Das erreicht man nicht, indem man nur laut wird. Man muss konkret zu den Entscheidungsträgern gehen. Wir müssen diejenigen erreichen, die uns nicht wollen, nicht nur die Leute, die ohnehin schon auf unserer Seite sind. Wir wissen ja nicht mal im Kulturausschuss, ob dort wirklich alle auf unserer Seite sind. Selbst dort hört man ja: Theater kostet zu viel Geld, selbst dort erreicht man keinen Konsens. Mit denen müssen wir reden.

Wedel: Allerdings haben wir hier im Land sehr viel gerade mit denen geredet, die „dagegen sind“, sei es mit dem Kulturminister selbst, sei es auch mit den in den Stadt- und Kommunalverwaltungen Verantwortlichen. Man hat nur oft das Gefühl, man läuft gegen Wände. Immerhin gab es in einer Volksbefragung über 50.000 Unterschriften für den Erhalt der Theaterstrukturen, die ja auch den Willen in der Bevölkerung manifestiert haben. Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Menschen, die „dagegen“ sind, sich gar nicht darum kümmern, welche Stimmungsbilder hier wiedergegeben werden und davon auch nichts umsetzen.

Kümmritz: Im Augenblick ist die Haltung landesweit: Wir können die Theaterdiskussion bald nicht mehr hören.

Wedel: Aktuell reden wir im Chor in Schwerin über einen Stellenabbau von 28 auf 24 – bei einem Durchschnittsalter von über 50 Jahren. Welche Perspektive hat so ein Chor?

Kümmritz: Ich halte das für unverantwortlich. Der Chor, runtergebaut auf 24 und mit der Überalterung, ist eine Katastrophe für dieses Theater. Das ist einfach falsch.

Haack: Würden Sie sagen, dass die unmittelbar Betroffenen genügend einbezogen wurden in die Konzepte der Agentur und in die politische Diskussion?

Auch wirtschaftlich erfolgreich: Die Schweriner Schlossfestspiele. Foto: Silke Winkler

Auch wirtschaftlich erfolgreich: Die Schweriner Schlossfestspiele. Foto: Silke Winkler

Kümmritz: Ich bin durchaus gefragt worden, ich habe meine Fachmeinung geäußert und dazu stehe ich auch. Die lautete: Unter den derzeitigen Prämissen, wenn es nicht mehr Geld gibt, geht alles den Bach runter. Diese Meinung ist eingeflossen, ebenso wie die Meinung der anderen Intendanten. Es stimmt einfach nicht, dass wir nicht einbezogen wurden. Das ist ein ungerechtfertigter Vorwurf, der von außen kommt. Ich bin befragt worden, und ich stehe auch dazu, was ich gesagt habe.

Haack: Ganz konkret zu Neubrandenburg-Neustrelitz und Greifswald-Stralsund. Da gibt es die Idee einer Fusion und Erhaltung der Standorte mit jeweils sehr eingeschränkten künstlerischen Schwerpunkten. Wie sehen Sie die Zukunft dieser Häuser?

Kümmritz: Unter Maßgaben, die politisch und finanziell scheinbar nicht änderbar sind, muss man eine neue Struktur schaffen. Dazu gehört für mich auch ein Staatstheater Ost als Möglichkeit.

Haack: Also Fusion?

Kümmritz: Ja.

Haack: Und das bedeutet?

Kümmritz: Das bedeutet, mit einem Opernensemble, besser als bisher, in Stralsund zu arbeiten und damit etwa 35 mal im Jahr nach Neustrelitz zu fahren. Für Neustrelitz bedeutet das, kein Opernensemble mehr zu haben.

Wedel: Die Gewerkschaften haben einen eigenen Vorschlag eingebracht, der unter Einbeziehung der kommunalen Träger die Möglichkeit vorsieht, erweiterte künstlerische Kooperationen einzugehen und die Eigenständigkeit der produzierenden Standorte zu erhalten. In Neubrandenburg-Neustrelitz, wo es ja meiner Erfahrung nach – im Gegensatz zu Ihrer Wahrnehmung – eine große Identifikation mit dem Theater gibt, kann ich mir nicht vorstellen, dass es mit den Schwerpunktorten möglich ist, das gleiche Angebot zu bringen, mit der gleichen – auch wirtschaftlichen – Attraktivität.

Kümmritz: Nochmal: Wenn die finanziellen Prämissen nicht geändert werden, stehe ich zu dem, was ich gesagt habe. Wenn mehr Geld ins System kommt, ist mir jede andere Lösung, die mehr Theater liefert, sehr lieb. Wir brauchen 5,8 Millionen Euro mehr im System.

Wedel: Stehen Sie hinter dem von VdO, DOV und GDBA vorgeschlagenen Konzept?

Kümmritz: Ja, und ich habe dafür gesorgt, dass dieser Vorschlag auch Thema sein sollte im Gespräch beim Ministerpräsidenten.

Haack: Und wie beurteilen Sie die Ergebnisse, die die Unternehmensberatung Metrum abgeliefert hat?

Kümmritz: Es war falsch von Metrum zu erklären, dass man die Qualität und Quantität bei reduziertem Personal im Staatstheater Ost erhöhen kann. Man hat nicht an Tarifverträge, Fahrzeiten, Probenzeiten, Umbesetzungsproben et cetera gedacht.

Wedel: In einem Interview mit Herrn Brodkorb im Nordkurier geht es mehrfach auch um Ihre Person. Da hört es sich so an: Herr Kümmritz befürwortet Fusionen.

Kümmritz: Ich befürworte sicher keine Fusion. Aber wenn es bestimmte finanzielle Rahmenbedingungen gibt, muss ich doch sehen, was ich daraus mache. Ein Beispiel: Ich habe dieses Haus 25 Jahre hochgehalten, indem ich 1999 gesagt habe: Wir gehen jetzt auf den Alten Garten und machen „Aida“. Mit dem Geld, das ich bei diesen Schlossfestspielen verdient habe, habe ich zehn Jahre lang Tarifsteigerungen ausgeglichen und die ganze Politik fern gehalten. Ich bin Theaterdirektor und Manager und liebe die Kunst. Aber ich habe immer auch ans Geldverdienen gedacht. Und woanders geben sie immer nur Geld aus. Ich verstehe das nicht. Meine erste Maßnahme war, die Preise hochzusetzen. Andere geben die Karten für drei Euro weg. Aber das Theater ist kein Sozialverein. Ich fühle mich auch dafür verantwortlich, meinen Mitarbeitern den Lohn zu zahlen.

Haack: Das würde bedeuten: Wenn man vernünftig Theaterarbeit macht und dabei auch wirtschaftlich vernünftig agiert, könnte alles so bleiben, wie es ist?

Kümmritz: Da kann man sicher eine Menge machen. Bloß braucht man dafür zehn Jahre…

Haack: Sie sind seit vielen, vielen Jahren Theatermacher und haben auch schon viele Klippen überwunden. Jetzt sagen Sie: Wenn es nicht anders geht, und wenn wir diese Rahmenbedingungen haben, dann müssen wir sehen, was wir daraus machen. Müsste von den Kulturschaffenden nicht mehr Kreativität und mehr Power eingebracht werden, um zu zeigen: Wir akzeptieren diese Rahmenbedingungen nicht. Die sind ja nicht von Gott gesetzt, sondern von Politikern. Sie sind nicht unveränderbar.

Kümmritz: Das hat etwas mit dem Prozess zu tun. Wir haben mehr als 50.000 Unterschriften gesammelt. Aber es hat sich niemand weiter damit befasst. Irgendwann gibt es einen Ermüdungsprozess. Wir müssen auch die objektiven Verhältnisse betrachten: Wir haben ungefähr fünf bis sieben Prozent der Bevölkerung, die sehr häufig ins Theater gehen. Und wir haben 93 bis 95 Prozent, die das Theater nicht sehr interessiert. Da muss man einfach überlegen: Wie dick trägt das Eis, auf dem man sich bewegt? Das hat auch etwas mit Kalkül zu tun. Wenn es über einen langen Zeitraum keine anderen Ergebnisse gibt, dann laufe ich nicht ins offene Messer. Dann nehme ich einfach bestimmte Bedingungen entgegen. Ich werde aber so lange dagegen kämpfen wie möglich. Das ist unser Job.

Haack: In Schwerin läuft Ihr Vertrag 2016 aus, und Sie haben erklärt, dass Sie nicht weitermachen wollen…

Kümmritz: … Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, dass ich mich nicht bewerbe.

Haack: Also haben Sie noch keine Lust, sich zur Ruhe zu setzen.

Kümmritz: Kohl hat mal gesagt, er sei Parteisoldat. Ich bin Theatersoldat. Immer dort, wo ich gebeten wurde, etwas zu tun, habe ich es gemacht. Habe kurz überlegt: Kann das Spaß machen? Und dann war es gut.

Barbara Haack und Gerrit Wedel

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