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Stars sind die Huren

„Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ in Rostock · Von Frank Schlösser

Brechts Ganoven-Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ entwickelt immer Bezüge zu der Stadt, in der sie gerade aufgeführt wird. Aber am Volkstheater Rostock passte die Botschaft „Ohne Geld musst du sterben“ besonders gut: Drei Tage vor der Premiere am 28. Februar hatte das Stadtparlament die Schließung der Sparten Oper und Tanz beschlossen.

Spätestens am Ende des zweiten Aktes ist die Bühne immer voller Menschen. Foto: Dorit Gätjen

Spätestens am Ende des zweiten Aktes ist die Bühne immer voller Menschen. Foto: Dorit Gätjen

Für die Inszenierung hatte Intendant Sewan Latchinian die Brecht-Enkelin Johanna Schall nach Rostock geholt. Sie war von 2002 bis 2007 Schauspieldirektorin am Volkstheater und kennt nicht nur das Haus, sondern auch dessen Situation: Spätestens seit 1989 ist das Vierspartentheater auf dem absteigenden Ast, seine letzte große Zeit erlebte es unter dem Intendanten Hanns Anselm Perten, der 1985 starb. Im Februar 1942 war das alte, große, zentral gelegene Stadttheater zerbombt worden. Damals zog das Theater provisorisch in einen versteckten Konzertsaal – und in diesem Haus ist es bis heute geblieben.

Ein Drittel der Rostocker verließ zum Kriegsende die Stadt, danach kamen Flüchtlinge und später die Arbeiter für die Werften und den Hafen. Bis 1989 wuchs die Stadt um das Doppelte auf über 200.000 Einwohner an. Nur wenige Rostocker erinnern sich noch an die Ruinen des alten Theaters, dessen Bau doch bis zur Eröffnung 1895 aus Spenden Rostocker Bürger bezahlt worden war.

Die Forderung nach dem Neubau des Rostocker Theaters ist über vierzig Jahre alt, der immer noch geltende politische Beschluss stammt aus dem Jahre 1992, der derzeitig verhandelte Eröffnungstermin eines neuen Hauses im Jahre 2018 – dann wahrscheinlich mit nur einem Orchester und einem Schauspiel-Ensemble – dürfte nicht zu halten sein. Finanzielle Argumente hat das Theater nach dieser historischen Entwicklung nicht wirklich zu bieten: Der relativ kleine Jahresetat von derzeit 16,6 Millionen Euro wird jeweils zur Hälfte vom Land und von der Stadt bereitgestellt. Die Zuschauerzahlen waren mindestens bis 2013 rückläufig, der Eigenfinanzierungsgrad betrug gerade 8 Prozent, das Staatstheater Schwerin kommt auf sehr gute 21 Prozent. Das actori-Gutachten, veröffentlicht im Januar 2014, arbeitet in diesem Vergleich allerdings mit Zahlen von 2012. Daher ist es auch problematisch, dass die Mehrheiten für den Sparvorschlag im Hinterzimmer vom Kulturminister und dem Oberbürgermeister unter Ausschluss von 34 Prozent der Bürgerschaft zusammengesucht wurden. Nicht zuletzt ist es diese Verfahrensweise, die die Theaterfreunde weiter gegen die Politik aufbringt.

Tim Stolte als Dreieinigkeitsmoses, Jasmin Etezadzadeh als Leokadja Begbick und Garrie Davislim als Willy, der Prokurist. Foto: Dorit Gätjen

Tim Stolte als Dreieinigkeitsmoses, Jasmin Etezadzadeh als Leokadja Begbick und Garrie Davislim als Willy, der Prokurist. Foto: Dorit Gätjen

Trotz der Modernisierungen ist der 600-Plätze-Saal des Volkstheaters problematisch: Die Musiker sitzen bei Musiktheateraufführungen beengt in der „Orchesterwanne“ unter der Bühne, der Klang dringt durch eine relativ kleine Öffnung und hat nicht die Möglichkeit, sich akustisch im Raum zu entfalten. Solisten müssen sich hier mit Kraft durchsetzen, Differenzierungen und Textverständlichkeit bleiben nicht selten auf der Strecke.

Johanna Schall setzt auf die Geschichte und arbeitet erfolgreich gegen die Tücken des Saales an. Sie holt das Orchester auf die Bühne – ob nun als Duo mit Zither und Akkordeon oder als Ballhaus-Kapelle, die das frivole Treiben in Mahagonny begleitet. Die Stadt, gegründet aus der Not einiger Ganoven auf der Flucht vor der Polizei mitten in der Wüste, entwickelt sich nach dem ersten Boom zu einem Nest aus Verboten und Langeweile. Der ehemalige Holzfäller Paule Ackermann (Daniel Ohlmann) überlegt schon, aus Mahagonny wegzugehen mit seiner Lieblingshure Jenny (Elise Caluwaerts), als ein Hurrikan sich auf die Stadt zubewegt und alle in eine fatalistische Endzeitstimmung versetzt: Wenn alles morgen zugrunde geht, dann sollte doch heute alles erlaubt sein. Der Hurrikan verschont die Stadt – die Endzeitstimmung bleibt. Alle dürfen alles – nur eins nicht: kein Geld mehr haben. Als Paule seine Zeche nicht mehr zahlen und auch die Richter nicht bestechen kann, wartet der elektrische Stuhl auf ihn.

Die Stars dieser Inszenierung sind die Huren von Mahagonny – mit all ihrer Schminke, den Push-ups, Hotpants, Netzklamotten, High Heels und den kunstvoll aufgebrezelten Extensions. Hier stehen die Damen des Opernchores auf der Bühne – unterstützt vom Ballett, mal singend, mal tanzend. Ihre Freier – der männliche Teil des Opernchores – sind als uniformierte Geschäftsmänner unterwegs. Spätestens am Ende des zweiten Aktes ist die Bühne immer voller Menschen, das bisher zurückhaltende Bühnenbild wird opulent, die Lichtinszenierung schafft raffinierte Räume. Schließlich stirbt der kriminelle Paule Ackermann den Tod eines Heiligen und wird aufgebahrt wie Jesus nach der Kreuzabnahme.

Seit im September 2014 Sewan Latchinian das Steuer des Volkstheaters in die Hand genommen hat, produziert das Volkstheater auf Hochtouren, bespielt ungewöhnliche Orte in der Stadt wie die Brauerei oder den Hochbunker auf der Werft. „Mahagonny“ ist nur eine von 52 Premieren, die Sewan Latchinian für seine erste Spielzeit versprochen hat. Zugegeben: Viele dieser Inszenierungen hat er von der Bühne Senftenberg nach Rostock mitgebracht. Langsam beginnen auch die Rostocker zu glauben, dass der Neuanfang am Rostocker Volkstheater wirklich begonnen hat. Der Trotz, mit dem die Theatergänger ihrem Volkstheater in den vergangenen Jahren die Treue gehalten haben, weicht langsam einem begründeten Enthusiasmus. Für diese Inszenierung von „Mahagonny“ bietet das Viersparten-Volkstheater alles auf – von der Ankleiderin bis zum Solisten in der Hauptrolle. Stehende Ovationen, eine volle Hütte für eine prächtige, heitere, in mehrfacher Hinsicht nachdenklich machende Inszenierung. Sie war auch eine treffende künstlerische Antwort auf die Sparpläne der Stadt und des Landes. Ob sie gehört wird, bleibt fraglich.

Frank Schlösser

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