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Berichte

Räuber aus der Rechten Szene

„I Masnadieri“ am Nationaltheater Weimar · Von Tatjana Böhme-Mehner

Es ist schon starker Tobak, was da passiert. Aber was sollte man auch anderes erwarten, wenn man Volker Lösch für die Inszenierung von Giuseppe Verdis „I Masnadieri“ nach Friedrich Schillers „Die Räuber“ verpflichtet. Im allerdrastischsten Sinne politisches Theater präsentiert der preisgekrönte Schauspielregisseur zu Jahresbeginn im Deutschen Nationaltheater Weimar, wo die Spannung fühlbar ist, nicht nur durch das übergroße Medieninteresse.

Heike Porstein als Amalia. Foto: Matthias Horn

Heike Porstein als Amalia. Foto: Matthias Horn

Es ist eine jener Inszenierungen, denen man anmerkt, dass sie in ihrer Entwicklung immer wieder den Wettlauf mit der Realität aufnehmen mussten. Es ist Kunst, die Angst macht, weil sie sich aus einer beängstigenden Konkretheit und Aktualität speist. Die Antwort, die Lösch, seine Ausstatter Carola Reuther und Cary Gayler sowie die Fotografin Annette Hauschild auf die Frage geben, wer diese Räuber heute sind und wer die anderen Machtgierigen und Machtlosen in einer wankenden Gesellschaft, schmerzt. Kennt man doch Schiller und auch Verdi. In intensiver Recherchearbeit führten sie Interviews mit Aussteigern aus der Rechten Szene, Politikern aller Spektren, mit Linksautonomen und anderen in Thüringen. Die Ergebnisse fließen ein in eine Libretto-Collage, die den Zuschauer entlang der Opernhandlung begleitet. Beängstigende Aussagen, die der linksautonomen Amalie, dem rechtsextremen Karl, dem rechtspopulistischen Franz und dem demokratisch etablierten und machtlosen alten Moor zugeschrieben werden.

Durch eine weitere Brechung bringen Lösch und sein Inszenierungsteam diese erschreckende Aktualität auf eine faszinierende Ebene künstlerischer Abstraktion. Die Oper wird zum Comic. Geht man davon aus, dass Oper in der Gegenwart ohnehin nicht ohne Übertitelung auskommt, so ist es nur konsequent, dass da dieses andere Libretto als Metatext projiziert wird. Mit bemerkenswerter ästhetischer Geschlossenheit und dadurch oft mit einer tragikomischen Fallhöhe, die gekonnt und geschickt gesetzt jenes Lachen provoziert, das einem im Halse steckenbleibt. Sprechblasen und Videoprojektionen tragen die Inszenierung, die Plakativität zum ästhetischen Prinzip erhebt.

Nichts bleibt beim Alten, weder bei Schiller noch bei Verdi – und auch bei Lösch bleibt nichts in seinen Fugen. Wer es nicht mit der Angst zu tun bekommt bei dem Bericht eines misshandelten Ausländers, der ganz am Ende steht, der nimmt die Wirklichkeit nicht wahr. Auch wenn künstlerisch dieser Bericht gestrafft vielleicht noch stärker gewirkt hätte.

Und fast wie nebenbei – dabei macht das einen nicht unwesentlichen Teil der ästhetischen Brechung aus – wird da grandios musiziert. Eine bestens disponierte Staatskapelle spielt unter Martin Hoff einen fantastisch differenzierten Verdi. Und Heike Porstein als Amalia, Jaesig Lee als Karl, Alik Abdukayumov als Franz und Daeyoung Kim als alter Moor lassen auch musikalisch keine Wünsche offen, was die Standards zeitgemäßen Verdi-Gesangs betrifft. Einzig von Markus Oppeneigers Opernchor hätte man sich mehr Präzision, Strahlkraft und Differenziertheit gewünscht. Dabei kommen in Löschs Inszenierung den wenigen Chorszenen Schlüsselfunktionen zu – kein Wunder, wenn es um Bewegungen geht, die die Massen mitreißen wollen.

Dass der Jubel riesig ist und dass jene wenigen, denen es offensichtlich nicht gefallen hat, mit verstörten Gesichtern still bleiben, liegt in der Natur der Sache beziehungsweise der Inszenierung. Denn eine so konkrete politische Aussage, lässt sich schwer rein auf ästhetischer Ebene rezipieren. Es geht um die Demokratie an sich – und wer will in diesen Kreisen da schon offen als Gegner dastehen.

Ein ästhetisch grandioser Schritt ist diese doppelte Brechung trotzdem und die Inszenierung ohne Zweifel maßstabsetzend fürs Musiktheater der Gegenwart. Dass sie Gefahr läuft, eine ungewöhnlich geringe Halbwertzeit zu haben, liegt in der Natur der Sache.

Tatjana Böhme-Mehner

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