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Kontroverse über ein vielschichtiges Thema

Operettensymposium an der Komischen Oper Berlin · Von Albrecht Dümling

Die Wiederbelebung der Berliner Operette gehört zu den erklärten Zielen Barrie Koskys. Der Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin bekennt sich damit zu den Traditionen seines Hauses, dessen Vorgängerbau bis 1944 als Metropol-Theater vor allem der Operette diente. Eingebettet in ein Operettenfestival mit der „Schönen Helena“, mit „Ball im Savoy“, „Eine Frau, die weiß, was sie will“, „Clivia“ und der „Fledermaus“ suchte ein Symposium zusätzlich zur historischen Legitimation des Aufführungsorts nach weiteren Erklärungen für die Renaissance dieser Kunstform.

„Kunst der Oberfläche – Operette zwischen Bravour und Banalität“, so hatten Ulrich Lenz (Komische Oper Berlin), Bettina Brandl-Risi und Clemens Risi (beide Universität Erlangen-Nürnberg) die von ihnen organisierte dreitägige Veranstaltung überschrieben. Dem in der Operette dominierenden Interesse an der spektakulären Ausstattung versuchten sie neue ästhetische Würde zu verleihen, indem sie sich auf Theoretiker wie Siegfried Kracauer und Helmut Lethen beriefen: „Eine Konzentration auf die Vielgestaltigkeit der Oberfläche(n) und ihrer Strukturen vermag die lange Zeit gültige Dichotomie von Oberflächlichkeit (verstanden als Banalität) und Tiefenstruktur aufzulösen, indem die Substanz der Phänomene auf ihren äußeren Erscheinungsformen verortet wird.“

Zwischen Ernst und Unterhaltung

Mit der Gegenüberstellung von Oberfläche und Tiefenstruktur kam wie von selbst die Polarität von E und U, von Unterhaltung und Ernst, ins Spiel. Barrie Kosky erklärte diese Trennung für ein typisch deutsches Phänomen, für das Martin Luther und der Protestantismus mitverantwortlich seien. In der Weimarer Republik hätte dieser Gegensatz an Geltung verloren – schließlich seien Bruno Walter und Otto Klemperer auch Jazzfans gewesen. Mehr Verständnis für die Trennung von E und U äußerte der Philosoph Georg W. Bertram (FU Berlin), der auf den Kunstcharakter hinwies, den ernste Kunst reflektiere. Sie stelle Fragen und verändere den Betrachter, während Unterhaltungskunst vor allem der Bestätigung diene.

Operettenfreund Barrie Kosky. Foto: Gunnar Geller

Operettenfreund Barrie Kosky. Foto: Gunnar Geller

Von solchen Differenzierungen wollte Kosky nichts wissen: „Als Künstler ist mir diese Trennung scheißegal.“ Gegen seine eigene Marketing-Abteilung, die immer noch Oper und Operette unterscheide, habe er sich nicht durchsetzen können. Er fasse beides unter dem Begriff Musiktheater zusammen. Zu einer Trennung anderer Art kam er, als er die Operette zu einer spezifisch jüdischen Kunstform erklärte. Ein „arisierter Kálmán“ wie bei Christian Thielemann („sonst ein wunderbarer Dirigent“) sei für ihn unerträglich. Ist denn nicht die Gegenüberstellung von U und E in Wahrheit unverarbeiteter Antisemitismus?

Von so heiklen Fragen lenkte Ulrich Lenz ab, indem er versuchsweise den zur Diskussion stehenden Gegensatz durch den von Ernst und Komik ersetzte. In der griechischen Antike, in der Satyrspiel und Komödie die Tragödie ergänzten, und in Mozarts „Zauberflöte“ waren beide Bereiche noch vereint. Sie trennten sich, so Kosky, aus Angst vor subversivem Humor. Dieser wolle nicht bloß bestätigen und unterhalten, sondern sein Publikum auch verändern.

Die Frage nach der Trennung von hoher und niederer Kunst war mit dieser Podiumsdiskussion keineswegs abschließend geklärt. Zu Recht wurde aus dem Publikum die Ausblendung sozialer und geschichtlicher Fragen bemängelt. Tatsächlich wurzelt die Hochkultur im Bürgertum, das in der Weimarer Republik in die Krise geriet. Im Unterschied zu den Hoftheatern, so Marion Linhardt (Universität Bayreuth), waren die städtischen Theater auf Subventionen angewiesen; sie mussten sich deshalb von den kommerziellen Bühnen abheben und den ernsthaften Bildungscharakter ihrer Tätigkeit nachweisen. Das Metropol-Theater, auf das sich Kosky beruft, war dagegen ein kommerzielles Haus, das sogar mehrfach in Konkurs ging, zuletzt 1932 unter Führung der Gebrüder Rotter. Von einer öffentlichen Subventionierung, wie sie heute die Komische Oper genießt, war damals nicht die Rede. Barrie Kosky braucht heute die Unterscheidung von E und U deshalb nicht mehr zu interessieren, da er die Privilegien der subventionierten Hochkultur genießt.

Theodor W. Adorno, der als Apologet der Hochkultur einst die Berliner Operette als „abscheuliche Ausgeburt“ charakterisierte, fungierte auf dem Symposium als Negativfigur. Für Katharine Mehrling, die Darstellerin der Daisy Darlington in Paul Abrahams Jazz-Operette „Ball im Savoy“, war es ein Leichtes, Adornos Operetten-Reflexionen als Äußerungen eines verklemmten Schreibtischtäters zu entlarven. Mit strenger Brille auf der Nase trug sie, passend zur „Frankfurter Schule“, einzelne Passagen auf Hessisch vor und geriet beim Begriff „dialektisch“ ins Stottern: „Dialektisch, lek-tisch, leck dich! … I like that!“

Ernsthafter setzten sich Iris Dankemeyer und Rainer Simon mit Adorno auseinander, für den die Operette zur kritisierten Kulturindustrie gehörte, der aber – wie Karl Kraus – Jacques Offenbach bewunderte. Der Theaterwissenschaftler und Buchautor Stefan Frey gestand freimütig, erst über Adorno zu Franz Lehár und Oscar Straus gefunden zu haben. Für jazznahe Operetten, Revuen und Musicals hatte dieser Frankfurter Philosoph allerdings kein Verständnis.

Fortschritte der Operettenforschung

Operetten-Begleitprogramm der Komischen Oper, hier mit „Clivia“. Foto: Iko Freese/drama-berlin

Operetten-Begleitprogramm der Komischen Oper, hier mit „Clivia“. Foto: Iko Freese/drama-berlin

Für Theater- und Musikwissenschaftler war die Operette jahrzehntelang ein abseitiges Terrain gewesen. Der Literaturwissenschaftler Volker Klotz hatte zu den wenigen Akademikern gehört, die überhaupt über diese Kunstform publizierten. Da sich dies inzwischen geändert hat, wurden auf dem Berliner Symposium neuere Forschungsergebnisse vorgetragen. So erinnerte der Musikologe Jens Gerrit Papenburg an frühe afroamerikanische Einflüsse auf Operette und Revue. Die Literaturwissenschaftlerin Ethel Matala de Mazza differenzierte eindrucksvoll zwischen verschiedenen Typen von Operettendiven, während Stefan Frey am Beispiel von Käthe Dorsch und Richard Tauber über genreüberspringende Grenzgänger referierte.

Es bedeutete für den Opernsänger Richard Tauber durchaus ein Wagnis, als er 1926 mit der Titelfigur in Lehárs „Paganini“ erstmals eine Operettenrolle übernahm. Franz Schreker war entsetzt und bewertete Taubers Entscheidung als Verrat. Die von Tauber übernommenen Rollen, so auch die des Goethe in Lehárs „Friederike“, waren allerdings keine typischen Operettenrollen, sondern Verweise auf die Hochkultur. Die Trennung zwischen U und E war also noch vorhanden und wurde reflektiert. Der Übertritt von der Oper zur Operette wurde außerdem durch hohe Gagen wesentlich gefördert. Mit einer Abendgage bis zu 2.500 Reichsmark erzielte Tauber höhere Einkünfte als Furtwängler oder Strauss. Opernstars wie Michael Bohnen oder Gitta Alpár folgten seinem Beispiel deshalb gerne, um sich dann – ebenfalls aus finanziellen Gründen – schließlich dem Tonfilm zuzuwenden.

Weitere Referate und Diskussionen umkreisten Fragen von Gender und Sexualität in der Operette sowie nicht zuletzt das Schicksal dieser Kunstform im NS-Staat. Der Musikwissenschaftler Kevin Clarke, der 2005 die Dresdner Tagung „Operette unterm Hakenkreuz“ organisiert hatte, analysierte Operetten der NS-Zeit als Zeitspiegel, während sein Münchner Kollege Matthias Kauffmann Elemente der Volksgemeinschafts-Ideologie in damaligen Aufführungen nachwies.

Operetteninszenierung heute

Ergänzend zu den vor und nach dem Symposium gezeigten Operettenaufführungen, die schon reichlich Anschauungsmaterial boten, wurde gefragt und diskutiert, was einen Operettenstar ausmacht und wie heute Operette auf die Bühne gestellt werden kann. Ryan Minor (New York), Mitherausgeber des „Opera Quarterly“, überraschte mit der Feststellung, dass die Komische Oper entgegen dem Bekenntnis ihres Intendanten deutlich zwischen Oper und Operette unterscheide. Denn anders als bei seinen Operninszenierungen verzichte Kosky bei den Operetten auf eine konzeptionelle Rahmung. Diese werde ins Programmheft oder in Diskussionen nach der Aufführung verlagert. Als Beispiel nannte Minor die konventionelle Inszenierung des „Ball im Savoy“, aus welcher nur die Zugabe ausbreche – das gemeinsam gesungene „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“ als sentimentale Geste für Paul Abraham, den von den Nazis verfolgten Komponisten.

„Eine Frau, die weiß, was sie will“ mit Dagmar Manzel und Max Hopp. Foto: Iko Freese/drama-berlin

„Eine Frau, die weiß, was sie will“ mit Dagmar Manzel und Max Hopp. Foto: Iko Freese/drama-berlin

Tobias Bonn, Gründungsmitglied der „Geschwister Pfister“, murrte angesichts dieser Diagnose, gab dann aber zu, dass ihn Kosky bei Dostals „Clivia“ aufgefordert hatte: „Hör‘ auf zu reflektieren!“ Eine zweite Ebene sei ausdrücklich nicht gewünscht worden, wohl aber die Einfühlung ins Berlin der Entstehungszeit. Zu diesem Zweck hatte Bonn sich in seinen Gesten an damaligen Filmen orientiert. Der Schauspieler-Sänger-Tänzer Helmut Baumann, einst Intendant am Theater des Westens, bestätigte, dass man sich durch historische Zitate am besten an die Operette annähere. „Das war in den 80er-Jahren noch ganz anders.“

Kosky habe bei seinen Operetten-Inszenierungen durchaus ein Bühnenkonzept, hieß es. Es bestehe in seiner Energie, die er auf die Darsteller übertrage und die sich dem Publikum mitteile. Tatsächlich lebt seine jüngste Inszenierung, „Eine Frau, die weiß, was sie will“ von Oscar Straus und Alfred Grünwald, vor allem vom Tempo, vom verblüffend schnellen Rollenwechsel der beiden Darsteller Dagmar Manzel und Max Hopp. Gerade hier zeigt sich, dass ungewöhnliche Besetzungen – in diesem Fall die Beschränkung auf nur zwei Darsteller – den Kern von Koskys Inszenierungskonzept ausmachen. Beim „Ball im Savoy“ war es sein Coup, die Rolle der Tangolita der als Opernsängerin bekannten Mezzosopranistin Agnes Zwierko anzuvertrauen. In „Clivia“ übergab er die beiden Hauptrollen zwei Mitgliedern der „Geschwister Pfister“, wobei Christoph Marti die weibliche Hauptfigur spielte.

Solche ausgefallenen Besetzungen sind allerdings nicht neu. Kosky folgt damit dem Vorbild der Gebrüder Rotter, die für Lehárs „Friederike“ zwei operettenferne Stars engagierten: die Schauspielerin Käthe Dorsch und den Opernsänger Fritz Tauber. Dass Frauenrollen von Männern gespielt werden (und umgekehrt) – das gab es jedoch damals noch kaum. Im Ausleben der Sinnlichkeit, der Befreiung von Geschlechterrollen und der Übertreibung des Verrückten geht Kosky weit über die von ihm verehrten 20er-Jahre hinaus. Er durchbricht damit die züchtige Bravheit, die als Erbe des Dritten Reiches noch allzu lange die deutsche Operettenlandschaft geprägt hatte. Seinem Beispiel folgen inzwischen auch andere Bühnen. Wie schon zu den Zeiten Walter Felsensteins übernimmt die Komische Oper Berlin damit wieder eine Vorbildfunktion.

Albrecht Dümling

 

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