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Editorial von Tobias Könemann
Solidarität – und ihre Grenzen

Kulturpolitik

Brennpunkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester

Ausruhen geht mit mir nicht
Karl M. Sibelius im Oper & Tanz-Gespräch mit Barbara Haack

Ohne erkennbare politische Wirkung
Was will „politisches Musiktheater“ heute? Eine Tagung in Heidelberg

Interdisziplinäres Feuerwerk
Leipziger Symposium zur Kinder- und Jugendstimme

Im Wohnzimmer-Ambiente
„Oper am Klavier“ am Mainfrankentheater Würzburg

Strukturiert unstrukturiert
Der Theater-Website-Check: Mainfrankentheater

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Die „Freunde des Nationaltheaters“ in München

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Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ an der Komischen Oper Berlin

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»La Cage aux Folles« an der Musikalischen Komödie Leipzig

Spannendes Untergangsszenario
Deutsche Tanzkompanie Neustrelitz mit »Die Nibelungen«

Strawinsky heute
Ballett-Triple am Stuttgarter Ballett

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Gerhard Stäblers »The Colour« am Mainfranken Theater Würzburg

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Giuseppe Verdi: Les Vêpres siciliennes. Mit dem Chor u. Orchester der Royal Opera London

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Kulturpolitik

Ausruhen geht mit mir nicht

Karl M. Sibelius im Oper & Tanz-Gespräch mit Barbara Haack

Karl M. Sibelius ist seit 2012 Intendant am Theater an der Rott in Eggenfelden. Er war viele Jahre lang als Schauspieler, Sänger und Regisseur tätig, studierte parallel dazu Kulturmanagement an der Universität Zürich und hat einen PhD in Musiksoziologie. Bereits in seiner ersten Spielzeit als Intendant wurde das Theater an der Rott mit dem Jurypreis der Bayerischen Theatertage für seine Theaterarbeit ausgezeichnet. Zur Spielzeit 2015/2016 wechselt Sibelius ans Theater Trier. Über seine Pläne sprach Barbara Haack für „Oper & Tanz“ mit dem Intendanten. 

Oper & Tanz: Ihren Abschlussabend in Eggenfelden gestalten Sie selbst mit einem Programm unter dem Titel „Ich war dann mal hier“. Im Programmtext finden wir dazu den Satz: „Der ‚gläserne Intendant‘ (…) tut das, was er auf der Bühne am liebsten macht: Er singt.“ Wenn Sie am liebsten singen: Warum sind Sie dann Intendant geworden?
Karl M. Sibelius: Wichtig ist der Zusatz: „… was er am liebsten auf der Bühne macht.“ Ich wollte immer Intendant werden, aber ich habe es mir zunächst nicht zugetraut. Ich dachte, dazu muss man irgendwie auserkoren sein. 

Karl M. Sibelius. Foto: Rupert Rieger

Karl M. Sibelius. Foto: Rupert Rieger

O&T: In Trier werden Sie künstlerischer und kaufmännischer Intendant. Was ist gut an dieser Personalunion?
Sibelius: Das Haus ist ja nicht so groß. Es ist ein ganz normales Stadttheater. Da kann es durchaus von Vorteil sein, wenn nur einer dieses Haus leitet. Der muss natürlich die Kompetenz haben, der muss sich auskennen mit Zahlen und den Willen haben zu managen. An vielen Stadttheatern gibt es Reibungen zwischen dem kaufmännischen und dem künstlerischen Leiter. Dabei geht es gar nicht immer ums Geld, sondern auch um die Frage: Wer ist stärker? Das fällt dann schon mal weg. Natürlich hat mir trotzdem ein wenig das Herz geblutet, weil ich von der künstlerischen Arbeit sehr viel abgeben muss. Aber mein Team und ich haben in Trier die einmalige Chance, ein Theater vollkommen neu zu strukturieren und aufzubauen. Das ist eine Riesenverantwortung, aber es ist auch eine Riesenchance. 

O&T: In Trier wurde ein Intendant mit Managementschwerpunkt gesucht. Macht Ihnen der wirtschaftliche Part auch Spaß?
Sibelius: Total. Ich beschäftige mich jetzt seit 15 Jahren mit Kulturmanagement. Dabei blühe ich richtig auf. Weil ich selbst so viel gespielt habe, so viele tolle Sachen machen konnte auf der Bühne, bin ich jetzt gerne der „Ermöglicher“. Mir macht es großen Spaß, wenn ich Leute auf der Bühne glücklich machen kann und wenn das Publikum zufrieden ist. Mir macht es allerdings auch Spaß, wenn sich das Publikum mal aufregt. Außerdem arbeiten wir sehr viel im Team. Ich habe starke Spartenleiter gesucht, im Tanz zum Beispiel Susanne Linke oder Katharina John in der Oper. Die haben große Lust, sich auszutauschen. Ich bin also immer noch nah dran am Geschehen.

O&T: Und die Spartenleiter sind alle neu?
Sibelius: Ja. Ich finde, dass es der Kunst nicht gut tut, wenn Leute zu lange dabei sind. Für diese Meinung wurde ich stark kritisiert, aber ich stehe dazu. Ich habe das ganze Team auf sehr unkonventionelle Weise zusammengestellt und fange mit lauter neuen Leuten an. 

O&T: Auch die Ensemble-Mitglieder haben Sie komplett nichtverlängert.
Sibelius: Eigentlich habe ich gesagt: Ich mache diese undankbare Aufgabe. Ich habe mich auch beim Deutschen Bühnenverein beraten lassen: Wie mache ich das so, dass ich die Menschen – auch künstlerisch – nicht verletze? Ich habe den Leuten mitgeteilt, dass aufgrund des Intendantenwechsels ihr Vertrag nicht verlängert wird. Dann habe ich aber den Spartenleitern die Option gegeben, die Verträge ihrerseits zu verlängern. Ich habe mich da nicht eingemischt, sondern ich habe – das klingt jetzt hart – den Weg erst einmal freigeräumt, damit die Spartenleiter, die ja stark sein sollen, ihre eigenen Teams zusammenstellen können.

O&T: Wurden denn einige übernommen?
Sibelius: Der Schauspielleiter hat zwei übernommen, die Operndirektorin auch zwei, Susanne Linke hat niemanden übernommen. 

Karl M. Sibelius als Jekyll in „Jekyll and Hyde“. Foto: Rupert Rieger

Karl M. Sibelius als Jekyll in „Jekyll and Hyde“. Foto: Rupert Rieger

O&T: In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk haben Sie gesagt: „Ich sehe nicht ein, dass (…) Techniker, Leute im Chor und Orchester mehr verdienen als Solisten auf der Bühne. Das ist für mich ein totales Ungleichgewicht. Ich finde, dass da die Wertigkeit nicht mehr stimmt, weil die Kollektive sich im Laufe der Jahrzehnte, Jahrhunderte, so abgesichert haben. Und die einzigen, wo man Handlungsspielraum hat, sind die armen Künstler. Ich kann nur die nicht verlängern, alle anderen sind einzementiert in ihren Verträgen. Und ich möchte das einfach alles mal grundlegend in Frage stellen dieses ganze System.“ Gerade diese „armen Künstler“ haben Sie aber nun nichtverlängert… 
Sibelius: Ich habe ja insgesamt wenig Handlungsspielraum. Ich kann nur sehr wenig verändern an diesem „Tanker Theater“. Dieses Zitat ist natürlich eine heikle Geschichte. Ich finde es wichtig und toll, dass wir das Orchester haben. Aber ich habe wirklich Probleme damit, dass ein Orchestermusiker nach sechs Monaten unkündbar wird. Was hat das noch mit der heutigen Realität zu tun, damit, wie man heute arbeitet oder auch wie man sich mit Kunst auseinandersetzt? Das sind noch Privilegien aus den Fürstentümern. Natürlich sind Kollektive besonders schützenswert, aber ich möchte die ganze Orchesterstruktur wenigstens einmal andiskutieren dürfen…

O&T: Gilt das auch für den Chor?
Sibelius: Nicht als Institution in Trier. Ich will diesen Chor, ich will dieses Orchester, aber ich möchte viel mehr Handlungsspielraum haben dürfen. Ich möchte es den Menschen sagen können, wenn sie ihren Einsatz nicht mehr bringen, wenn sie die Leidenschaft nicht mehr haben oder einfach nicht mehr können – ohne dass ich gleich gekreuzigt werde. Das ist ein Riesenproblem, wenn Menschen in der Kunst arbeiten, denen der Intendant oder die Kunst völlig egal ist. Es ist nicht so, dass ich das den Leuten unterstelle. Aber man muss auch mal Tabus brechen und fragen: Wie können wir so ein Orchester oder so einen Chor in die Zukunft führen? Wie können wir das wieder lebendiger gestalten? Wie können wir die ganze Organisationsstruktur aufbrechen? Das stelle ich ganz bewusst zur Diskussion – Theater ist Veränderung, das sollte uns keine Angst machen. Ich bin sehr oft auf Proben, um zu vermitteln, dass es mir überhaupt nicht darum geht, irgendwelche Menschen nicht zu verlängern, sondern darum, gemeinsam ganz tolle Leistungen zu bringen. Ausruhen – das geht mit mir nicht! 

O&T: Da gibt es allerdings einen starken Tarifvertrag, den NV Bühne.
Sibelius: Den will ich gar nicht ändern. Mir geht es nicht ums Geld. In dem Punkt geht es mir nur um Motivation, um Leidenschaft. Man hat aber viel mehr Freiheiten innerhalb dieser Kollektivverträge, als man eigentlich glaubt. Mir geht es nicht um Stellenabbau, sondern nur um Qualität. Wenn wir weg von dieser Finanzdebatte hin zu einer künstlerischen Debatte kommen und tolles Theater machen, dann wird sich die andere Frage so schnell nicht mehr stellen. Wir müssen einfach von dieser Elendsdiskussion weg in Trier. 

„Was ich nicht mag, ist das Gemütliche“

O&T: Zurück zu Ihrem Zitat: Sind die Chorsänger „Leute“ und keine „Künstler“?
Sibelius: Nein, so ist es nicht. Das habe ich auch bei meiner Antrittsrede gesagt. Wir alle hier am Theater arbeiten am selben Ziel. Für mich sind von der Reinigungsdame bis hin zur großen Opernsängerin alle Teile eines Zahnrads. Was ich aber zum Beispiel nicht einsehe, ist, dass Schauspieler oder Tänzer so viel weniger verdienen. Mein Ziel ist es aber, das Rad umzudrehen. Ich will niemandem etwas wegnehmen, aber Ungerechtigkeiten beseitigen. Im Ballett fangen wir schon einmal an: Ich bezahle die Männer und Frauen gleich. Das macht sonst niemand. Die bekommen alle gleich viel – oder gleich wenig. Das heißt ja nicht, dass ich den einen etwas wegnehmen möchte, sondern ich möchte der Politik bewusst machen: Wenn sie dieses Haus wollen, dann möchte ich, dass sie die Künstler fair bezahlen. Das wird mehr kosten. Ich komme nicht nach Trier, um einzusparen, ein Dumping-Theater zu führen.

Neue Wirkungsstätte: Theater Trier. Foto: Marco Piecuch

Neue Wirkungsstätte: Theater Trier. Foto: Marco Piecuch

O&T: Heißt das, Sie brauchen mehr Geld?
Sibelius: Ich denke, man muss die Leute so bezahlen, dass sie gut davon leben können. Dass sie ihre Miete bezahlen können, und das ist derzeit nicht der Fall. Das geht nicht. Die Menschen arbeiten sehr hart am Theater. Zugegeben: Sie tun das oft mit sehr viel mehr Freude als in anderen Berufen. Aber sollen sie deshalb von ihrer Arbeit nicht auch leben dürfen? Wenn wir das Theater wollen, dann müssen wir es uns auch leisten wollen.

O&T: Das Theater Trier ist in der letzten Zeit durch viele Tiefen gegangen. Es gab ein Gutachten, es ging um Spartenschließungen, Stellenabbau… Wie schätzen Sie die Situation im Moment ein?
Sibelius: Im Moment haben wir eine tolle Ausgangssituation. Wir haben einen Beschluss des Stadtrats, dass das Mehrspartentheater erhalten bleiben muss. Ich habe einen wunderbaren Kulturdezernenten, mit dem ich mich sehr viel reibe, aber der auch einsieht, dass es uns um die Sache geht, und einen neuen Oberbürgermeister. Und alle wollen das Eine: den Erhalt des Theaters. Da kann ich ein bisschen das ernten, worum die anderen jahrelang gekämpft haben. Jetzt muss ich schauen, dass ich diesen Weg gut weitergehe. Mein Ziel ist es, dass das Theater Trier auf jeden Fall ein Ensembletheater und ein Mehrspartentheater bleibt. Gerade Trier braucht das. Wir können mithalten, indem wir für die Region, für die Menschen vor Ort Theater machen, Ensembles aufbauen und junge Menschen und Talente fördern. Was ich nicht mag, ist das Gemütliche. Da sehe ich die Gefahr bei den Kollektiven. Dass man dort sagt: Wir sind abgesichert – und wir sind eine starke Gruppe. Ich möchte auch diese Gruppendynamik neu dynamisieren. Ich glaube, ich schaffe das. Die sind alle wahnsinnig motiviert, auch der Chor: Die Chorsänger sind sofort gekommen und wollten reden – über die Zukunft, über neue Projekte. Es gibt da eine gute Energie. 

O&T: Das Theater soll in eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) umgewandelt werden. Was versprechen Sie sich davon? 
Sibelius: Bei mir haben die Alarmglocken gleich geläutet, als es in der Ausschreibung hieß: Umwandlung in eine GmbH. Das ist ja gerade bei Kulturbetrieben nicht ungefährlich. Natürlich kann man da leichter Sponsoring-Gelder akquirieren und Spenden absetzen. Aber warum will eine Stadt einem Theater eine eigene Rechtsform geben? Der Kulturdezernent wollte die GmbH unbedingt, auch die Beraterfirma wollte sie. Im Prinzip ist es egal, ob es eine GmbH ist oder eine AöR. Aber nach außen, also für die Bürger, ist eine GmbH immer ein Unternehmen, das Gewinn schreiben muss. Eine AöR ist der GmbH sehr ähnlich, allerdings kann sich eine Stadt der Verantwortung nicht entziehen. Deshalb habe ich stark für die AöR plädiert, mit mir der ganze Personalrat, und wir werden demnächst in diese Rechtsform überführt.

O&T: In Eggenfelden hatten Sie sehr viele Freiheiten, Sie hatten weniger mit festen Ensembles zu tun. Sie selbst haben gerade vom „Tanker“ gesprochen. Glauben Sie, dass Sie mit diesem Tanker gut zurechtkommen werden, mit dieser anderen Form des Arbeitens? Sie werden ja sicher in vielen Fragen weniger flexibel sein können als bisher. 
Sibelius: Ich kenne diese Form des Theaters eigentlich viel besser. Ich war ja 25 Jahre lang in Linz und an vielen Stadttheatern engagiert. Was mich an Trier reizt, ist, an einem Modelltheater der Zukunft zu bauen. Zu fragen: Wie gehe ich mit den Problemen um, die ja nicht nur Trier hat, sondern mittlerweile fast jedes Stadttheater? Natürlich könnte ich es mir ganz bequem machen und alles so belassen, wie es ist. Dann hätte ich drei oder vier Jahre ein nettes Gehalt, und dann sinkt der Tanker wahrscheinlich. Also will ich es wenigstens probieren.

O&T: In Eggenfelden haben Sie einen Teil des Publikums verschreckt, einen anderen Teil aber neu angelockt, vor allem jüngere Zuschauer. Sie haben dort nicht nur strukturell, sondern auch inhaltlich Theatererneuerung angestrebt. Haben Sie das in Trier auch vor?
Sibelius: Ja, aber mir ist natürlich bewusst, dass ich in einem Haus, in dem die Abonnenten so eine Säule sind wie in Trier, diese pflegen muss. Wir brauchen die Abonnenten. Es ist viel schwerer, neues Publikum zu gewinnen, als die, die schon kommen, zu halten. Also haben wir natürlich auch eine „Tosca“. Aber auf die Frage, wie diese wird, modern oder klassisch, kann ich keine Antwort geben. Wir haben aber auch einige Uraufführungen, Auftragswerke zum Beispiel von Anja Thorvaldsdóttir, einer isländischen Komponistin. Wir planen einige internationale Koproduktionen und Uraufführungen; auch, damit dieses Theater über die Region hinaus bekannt wird. Es ist wichtig, dass Trier wieder ein Leuchtturm wird, ein „provinzieller Leuchtturm“, damit man weiß: Dieses Theater lebt, und da ist was los.  

O&T: Wie haben Sie denn vor, neues Publikum zu generieren oder auch – ähnlich wie in Eggenfelden – eine Verjüngung der Besucher zu erreichen?
Sibelius: Zunächst einmal haben wir auch Mut zum Entertainment und machen zum Beispiel sehr viele Musicals, allerdings nicht so, wie sie an jedem Stadttheater laufen. Ich möchte, dass man in Trier ganz besondere Lesarten von diesen Stücken sehen kann. Als Beispiel: Wir spielen „Jesus Christ Superstar“ in Trier. Dafür werden wir einen Wettbewerb für junge Regisseure ausschreiben. Die drei Konzepte, die am meisten ansprechen, werden dem Publikum vorgestellt, und das stimmt darüber ab, welche Version sie sehen wollen. An die ganze Sparte gehen wir neu ran, um auch dem Genre mehr Würde zu geben. Würde ist überhaupt ein Thema für Trier. Wir müssen dem Haus mehr Würde geben. Wer geht schon gerne in ein Theater, das totgesagt ist? 

O&T: Wie sieht es mit dem Theater-Neubau aus? 
Sibelius: Als ich das erste Mal in das Theater kam, haben alle gesagt: Das gehört abgerissen. Das Foyer, den Zuschauerraum und die Bühne fand ich toll. Aber hinter der Bühne war ich entsetzt. Es ist wirklich eine Katastrophe, unter welchen Bedingungen die Menschen dort arbeiten müssen. Also war ich erst einmal total begeistert, als alle vom Neubau gesprochen haben. Die Rede war zuerst von 70 Millionen Euro – in einer völlig überschuldeten Stadt! Über Nacht wurde diese Summe runtergebrochen auf 50 Millionen Euro. Da bin ich skeptisch geworden. Schon wieder ein Kompromiss!
Irgendwann hat das zu einer Kehrtwende bei mir geführt. Ich habe eine Architektin, die schon ein Theater gebaut hat, gebeten, sich das Haus einmal anzuschauen. Sie fand, das Haus sei marode, aber man könne daran sehr viel machen. Ein schöner Bau; man muss nur vieles auslagern und separat Werkstätten und eine Kammerspielbühne bauen. Jetzt verfolgen wir also diese Strategie: Sanierung des Hauses mit Auslagerung der Werkstätten und alternative Bühne an einem anderen Ort.

O&T: Gibt es dafür schon einen konkreten Plan?
Sibelius: Ja, es gibt in Trier viele leere Fabrikgelände. Ich persönlich favorisiere das Walzwerk in Trier. Das sind zwei große Hallen, die frei werden. Wenn alles klappt, dann haben wir – und jetzt komme ich wieder zurück auf das Publikum der Zukunft – eine tolle Location, wo wir alle Werkstätten unterbringen und einen offenen, variablen Bühnenraum. Dann können die Abonnenten in ihr Theater gehen. Und die anderen haben Alternativen. 

O&T: Wie sieht es dann mit den Kosten aus?
Sibelius: Man kann das Haus, wenn man nichts zubaut und nichts abreißt, sanieren. Und die Hallen stehen ja schon. Da müsste man neue Werkstätten einbauen, dafür würden wir einen Wettbewerb ausschreiben. Auf die 50 Millionen kommen wir auf keinen Fall.

O&T: Werden Sie auch singen in Trier?
Sibelius: Ja, aber nur sehr wenig. Ich werde die Spielzeit mit einem Kreisler-Abend eröffnen. Den nennen wir „Alles bleibt anders“. Da sitzt ein alter Schauspieler in seiner Garderobe und schimpft über den neuen Intendanten...
Wir haben auch die Preisstrategie verändert. Unter der Woche zahlt man weniger, am Samstag ein bisschen mehr, bei Premieren noch mehr. Und je früher man bucht, desto günstiger ist es. Die Abonnenten erhalten eine sehr große Ermäßigung, weil wir die Leute binden wollen. Und bei manchen Stücken, wie zum Beispiel bei meinem Eröffnungsabend, können die Leute zahlen, was sie wollen. Susanne Linke macht das auch. Mal schauen, wie es funktioniert. 

O&T: In einem anderen Interview haben Sie über Eggenfelden gesagt: „Ich glaube, dass ich für diese Stadt eigentlich nicht der Richtige bin.“ Sind Sie für Trier der Richtige?
Sibelius: Ich glaube ja. Es fängt dort ganz anders an, es fühlt sich auch anders an. In Eggenfelden war ich eine Überforderung für die Menschen. Vielleicht bin ich zu früh gekommen. Ich bin auch als Privatperson angeeckt. Ich habe nun einmal zwei Kinder, und ich habe einen Lebenspartner, aber wir gehen nicht schmusend durch die Stadt.
Ich habe dort einmal an einer Versammlung teilgenommen, in der es um die Stadt ging. Man hatte für viel Geld einen Berater engagiert für die Frage: Wie kann man Eggenfelden beleben? Der hat dafür plädiert, mit dem Tretroller zu fahren und neue Wege zu beschreiten, um sich unverwechselbar zu machen. Die Versammlung fand in unserem Theater statt. Da sitzen also alle im einzigen Landkreistheater Deutschlands und überlegen sich ernsthaft, wie man diese Stadt einzigartig machen kann! Diese Stadt ist doch durch ihr besonderes Theater schon einzigartig, sie weiß es nur nicht. Ich habe sehr viel gekämpft in Eggenfelden, aber ich möchte die Zeit nicht missen.

O&T: Glauben Sie, dass das in Trier anders ist?
Sibelius: Ja, das spürt man sofort. Wenn die Menschen, die Politik machen, keine Haltung zur Kultur haben, können wir noch so rudern und kämpfen... Das ist in Trier anders.

Barbara Haack


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