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Berichte

Schlichtes Ende ohne Verklärung

Neu-Inszenierung des »Tristan« in Bayreuth

Kein inszeniertes Vorspiel – und prompt wurde Ernst Blochs schöner „Tristan“-Satz vom beginnenden „leise und tief in uns selbst Schreiten“ erlebbar: keinerlei visuelle Ablenkung, der Tristan-Akkord, die berühmten scheinbar endlosen Steigerungen hin zur Klimax. Das von Anfang bis Ende blendend disponierte Festspielorchester breitete unter Christian Thielemann diese zeitlos phänomenale Musik mit all ihren Nuancen aus. Nebenstimmen waren herrlich artikuliert und dennoch in den musikalischen Fluss eingebettet. Die Streicher verströmten Samt und Seide.

Christa Mayer als Brangäne, Evelyn Herlitzius als Isolde, Stephen Gould (oben) als Tristan. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Christa Mayer als Brangäne, Evelyn Herlitzius als Isolde, Stephen Gould (oben) als Tristan. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Doch schon bei den letzten Tönen und dem aufgehenden Vorhang war auch klar: Der Höhepunkt hatte nicht „Ich-auslöschend“ gelodert, da war keine rasende Leidenschaft hochgeschossen und abgeklungen. Alles war klug und überlegt disponiert, aber eben zu wunderschön sämig – bis hin zum Eindruck: „Es soßt.“ Später kamen zu den zunehmend breiten Tempi auch noch die von Thielemann gepflegten Generalpausen, und es stellte sich der Eindruck ein, es gehe in Richtung „deutsche Tiefe – irgendwie bedeutungsschwanger – aber eben nur irgendwie…“. Am Ende des 3. Aufzugs war Tristans wahnhafte Raserei ebenfalls klug gestaltet, ohne jene zerstörerische Selbstentäußerung bis zum orchestralen und vokalen Schrei, mit der auch diese Musik in die Moderne weist. Thielemann dirigierte einen „Tristan“, der nicht verstört oder wehtut. Es war ein durchweg herrlich klingendes, aber rückwärts gewandtes Dirigat, das an „die große deutsche Tradition“ anknüpft. Angesichts Thielemanns neuer Bayreuther Machtposition wird also sehr kritisch zu beobachten sein, welche divergierenden musikdramatischen Stile er in Person anderer Dirigenten auf dem „Grünen Hügel“ dulden wird.

Acht Jahre nach ihrem Bayreuther Regie-Debüt mit herausfordernden „Meistersingern“ wurde Katharina Wagners Sicht auf „Tristan und Isolde“ mit Spannung erwartet. Es wurde eine Aufführung ohne Postdramatik, Dekonstruktion oder Live-Kamera und fast ohne Video. Wagner und die Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann sowie Matthias Lippert siedelten die extreme Verwicklung (Tristan führt seine lebensbestimmende Liebe Isolde seinem Onkel Marke als Braut zu) zunächst in einem Schiffsbug-artigen, labyrinthischen Treppenraum an. Kunst- und Literaturfreunde durften Piranesis „Carceri“, Eshers Horrortreppen, Ecos Abtei-Bibliothek oder Potters Schloss Hogwart assoziieren. Auch eine Ahnung von grauen Gehirnkammern, die in ständig wechselnden Positionen vom jeweils anderen Geliebten „besetzt“ wurden, stellte sich ein. Eine auf- und abfahrbare mittlere Treppenbrücke konnte auch für Bodenhaftung und Abheben ins „irreal Freie“ stehen. Insgesamt eine zunächst gelungene Abstraktion, in der der Konflikt und die Figuren ins Exemplarische gehoben werden konnten. Doch dann mussten zwei Bühnenarbeiter immer wieder die vielerlei Geländer störend öffnen und schließen und hinten herumgehen und sitzen. Tristans Waffenmeister Kurwenal entriegelte, um die Liebesbegegnung zu verhindern, knallend zwei Verbindungstreppen, die er am Ende hanebüchen wieder verbinden wollte. Isoldes Vertraute Brangäne rang nur verzweifelt die Hände, vom Hin und Her mit dem Brautschleier bis Kurwenals Hose-Sauber-Klopfen kam alles im Normalen an. Da retteten zwei schöne Spielzüge zu wenig: Katharina Wagner zeigte, dass die liebende Frau längst „zu allem entschlossen“ ist – ihre Isolde griff sich Tristan und küsste ihn lange hingebungsvoll und hemmungslos; dementsprechend war kein „Liebestrank“ nötig, den beide auch in einem sehr fein und sensibel gestalteten Händespiel parallel zur anschwellenden Musik ausschütteten.

Georg Zeppenfeld als König Marke, Stephen Gould. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Georg Zeppenfeld als König Marke, Stephen Gould. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Doch der zweite Aufzug führte ins dramaturgische Abseits: ein schwarzer Guantanamo-Winkel; durchgängig Wachmannschaften mit Suchscheinwerfern auf der Mauer; Fahrradständer-Bügel am Boden, die knackend zu einem Rundkäfig hochfuhren; Tristan, der von Wachen zum großen Liebesduett hereingeschoben wurde; eine kurzzeitig hochgespannte Decke als Liebeszelt mit Teelichtlein; Tristan und Isolde öffneten sich die Pulsadern, überlebten aber; eine Licht-Tunnel-Projektion im zentralen Duett blieb stilistisch einmalige Zutat; Marke im neidgelben Pelzmantel, der als in seiner Ehre beleidigter Mafia-Pate seine Trauerklage zur verlogen öffentlichen Abrechnung mit dem „Verräter“ umzudeuten hatte – ein Interpretationsgewinn war nicht erkennbar, die werkimmanenten Verluste waren deutlich.

Im letzten Aufzug saß eine vierköpfige Männerrunde mit Grablichtern trauernd um den am Boden liegenden, ja tödlich verwundeten Tristan. Der erhob sich zu seinen drei extremen Ausbrüchen und ging wie gesund durch den grau vernebelten leeren Bühnenraum. Parallel zu seinen Beschwörungen tauchten im Raum traumblaue Dreiecke mit je einer Isolde auf: winkend, unnahbar, wie eine Puppe zerbrechend, als luftiges Gespinst aus Stoff. Isoldes Auftritt und das kurze Gemetzel um Marke blieben banales Arrangement. Der tote Tristan wurde dann wie zum Staatsbegräbnis auf einem Katafalk aufgebahrt. Zu ihrem Weltabschiedsgesang setzte sich Isolde zu ihm, zog ihn nochmals hoch – und wurde dann von Marke davongezerrt… Ende ohne Verklärung – aber auch sehr, sehr schlicht. Dramaturg Robert Sollich, der zu Katharina Wagners früheren Regie-Leistungen Zentrales beitrug, fehlte schmerzlich.

Am Ende einhelliger Jubel für die Sänger. Doch der vokal ständig eher nach Wolframs „Abendstern“ klingende Iain Paterson reichte nicht an Kurwenal-Vorgänger heran. Der Tenor von Tansel Akzeybek klang als Seemann und Hirt jugendlich frisch. Aus Christa Mayers traumschönen Nachtgesängen hätte die Regie mehr als die durchweg händeringende Bedenkenträgerin machen müssen. Der kurzfristig einspringenden Isolde von Evelyn Herlitzius waren zwei Aufzüge lang die Strapazen ihrer in der Probenzeit liegenden Elektra-Auftritte anzuhören, was sie mit ihrer fesselnden Bühnenpräsenz hochdramatisch ausglich, bis dann ihr Schlussgesang erfreulich rund strahlte. Mit Stephen Gould hat Bayreuth einen bühnenwirksamen Heldentenor, der die Tristan-Partie beeindruckend sang. Sie alle überragte Georg Zeppenfeld, der als Marke eine phänomenale Lehrstunde in Textdeutlichkeit, vokal expressiver Artikulation und Legato-Kultur bot. Gesamteindruck: In der „Werkstatt Bayreuth“, in der ja jedes Jahr nachgearbeitet und verbessert werden kann und soll, muss(!) diesmal sehr, sehr viel passieren, um Festspielniveau zu erreichen.

Wolf-Dieter Peter

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