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Berichte

Oper als Manifest

Salzburger Festspiele mit Unerwartetem und Tradition

Unter der Interims-Intendanz von Sven-Eric Bechtolf eröffneten die Salzburger Festspiele in diesem Jahr mit einem Werk, das alles andere als gängige Erwartungen bedient: mit Wolfgang Rihms „Die Eroberung von Mexico“ aus dem Jahre 1992 –
Regisseur Peter Konwitschny und der Bühnen- und Kostümbildner Johannes Leiacker umschiffen dabei jegliche Folklore weiträumig.

Bo Skovhus als Cortez, Angela Denoke als Montezuma. Foto: Monika Rittershaus

Bo Skovhus als Cortez, Angela Denoke als Montezuma. Foto: Monika Rittershaus

So bleibt die Inszenierung weitgehend mexikofrei. Ein Wohnzimmer wie aus dem Möbelhauskatalog schwebt vor den Arkaden der Salzburger Felsenreitschule, inmitten eines Haufens von Schrottautos. Nur der sprichwörtliche Hirsch überm bürgerlichen Sofa ist von Frida Kahlo und von Pfeilen durchbohrt. Die Malerin verarbeitete damit seinerzeit ihre Beziehungsqualen. In Salzburg nun führt das Bild mitten in ein Sujet, für das Mexikos Geschichte eben nur eine Chiffre ist. Rihm schildert – und Konwitschny mit ihm – (das Libretto hat der Komponist selbst zusammengestellt) die Begegnung zwischen dem Aztekenherrscher Montezuma und dem spanischen Eroberer Hernán Cortez (Bo Skovhus) als missglückte Annäherung nicht nur der beiden, sondern zwischen den Geschlechtern schlechthin.

Montezuma ist eine Frau, dargestellt von der Sopranistin Angela Denoke im Sommerkleidchen, die eingangs zu elektronischen Pfeiftönen nervös auf ihr Rendezvous wartet. Sie wird flankiert von einem stratosphärisch hohen Sopran (Susanna Andersson) und einem Alt (Marie-Ange Todorovitch); mit und für Cortez atmen, hecheln, flüstern und brüllen zwei Sprecher.

Ingo Metzmacher, der schon die Uraufführung in Hamburg leitete, lotst die Musiker des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien leichthändig durch die komplexe Partitur. Sie sind in vier Gruppen über den Raum verteilt, die Chorpartie wird vom Band von allen Seiten in den Saal gespielt und das Publikum vielfach einbezogen. Denoke stürmt durch die Sitzreihen und singt die Leute direkt an: „Ihr seht nur Gold... eure Augen funkeln vor Vergnügen... wie Affen greift ihr nach dem Gold...“. Das passt nicht schlecht nach Salzburg.

Plastisch auch die musikalischen Charaktere: Immer wieder bleiben nach dem Schlachtengebrüll des Tutti die silbrigen Liegetöne der beiden Violinen seitlich der Bühne übrig, die Klänge Montezumas, der weiblichen Welt, und verschmelzen mit den Stimmen der Sängerinnen. Denoke und Bo Skovhus als Cortez singen ihre Intervallsprünge und Melismen voller Dringlichkeit. Das ist zeitgenössische Musik, die ohne Umweg zu Herzen geht – auch dank Konwitschnys Regie, die genau aus der Musik entwickelt ist, übrigens mit viel Sinn für Komik. Wenn Cortez Montezuma auf ihrem Sofa den Arm um die Schulter legt, bleibt sie in ihrer Befangenheit auf der Silbe „Erd“ hängen und kann erst wieder sprechen, als er abrückt – um dann mit den Worten „Ich möchte ein furchtbares Weibliches versuchen“ doch noch über sie herzufallen.

Im dritten Teil des Stücks gebiert Montezuma dann einen ganzen Schwung von Smartphones, Tablets und Laptops. Und Cortez kommt der Welt zugunsten von Apps und Killerspielen abhanden. So konsequent haben Konwitschny und Leiacker Rihms Parabel auf die Unmöglichkeit der menschlichen Verständigung und ihre blutigen Folgen, entstanden am Vorabend der digitalen Revolution, ins Heute fortgedacht. Diese Produktion wird im Gedächtnis bleiben. Sie geht uns alle an.

Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor im beeindruckenden „Fidelio“ «. Foto: Monika Rittershaus

Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor im beeindruckenden „Fidelio“ «. Foto: Monika Rittershaus

Natürlich sieht das Festspielprogramm auch leichter Verdauliches vor – darunter Teil drei der aktuellen Serie von Mozarts Da-Ponte-Opern, „Le nozze di Figaro“, inszeniert von Bechtolf selbst. Wie partiturgenau er arbeitet, stellt er hier erneut unter Beweis. Nur dass das Stück einfach nicht abheben will.

Alex Eales hat die Bühne des Hauses für Mozart mit dem Querschnitt durch ein englisches Landhaus möbliert, ausgestattet ungefähr im Stile der 1930er-Jahre, es gibt schon Strom und längst keine gepuderten Perücken mehr. Ansonsten aber sieht es genau so aus, wie man sich den „Figaro“ seit jeher vorgestellt hat. Jeder Gag sitzt, alle Sänger wissen, auf welcher harmonischen Wendung sie innehalten sollen, selbst Nebenfiguren wie Marcellina (wahrhaft komödiantisch: Ann Murray) oder Don Basilio (der stimmlich fabelhaft variable Tenor Paul Schweinester) führt Bechtolf präzise. Aber Überraschungen? Fehlanzeige, auch musikalisch.

Dan Ettinger hält die Wiener Philharmoniker jederzeit im Zaum. Schon die Ouvertüre klingt behäbig, und die vielen Slapstick-Situationen, etwa die Verkleidungsszene mit Susanna und Cherubino, buchstabiert er redlich aus. Adam Plachetka orgelt sich durch Figaros „Cinque..., dieci..., venti“, erst im Lauf der Oper gewinnt er an Fahrt. Martina Janková ist eine kecke Susanna, Luca Pisaroni ein Lackaffe von Graf, Anett Fritschs Gräfin verarbeitet die Untreue des Gatten depressiv nach innen, Margarita Gritskova gibt einen pausbäckig-pubertären Cherubino. Also alles auf hohem Niveau, wie immer. Aber dass das Liebes-Tohuwabohu eine existentielle Dimension hat, davon ist in dieser seltsam gebremsten Lesart wenig zu spüren.

Wie radikal hat Claus Guth dagegen Beethovens „Fidelio“ im Großen Festspielhaus aufs Wesentliche zugespitzt! Bühnenbildner Christian Schmidt hat nur ein paar weiße Kassettenwände hingestellt, vor denen sich ein riesiger schwarzer Quader dreht. Statt der Dialoge erklingen zwischen den Nummern Soundinstallationen von Torsten Ottersberg: Die Tiefe gähnt, jemand atmet schwer – und die Verbindung mit der Musik wirkt so organisch, als wäre es nie anders gewesen. Das eigentliche Drama findet ohnehin im Kopf statt. Im Vorfeld hatten Guth und der Dirigent Franz Welser-Möst betont, die Handlung des „Fidelio“ diene Beethoven lediglich als Folie für seine politischen Utopien von Freiheit und Brüderlichkeit.

Dass daraus kein Proseminar wird, verhindern schon allein die Darsteller. Jonas Kaufmann als Florestan geht in seiner kurzen, fordernden Partie jedes Risiko ein. Seinem dunklen Timbre färbt er die Erschöpfung noch zusätzlich ein; das Wort „Leid“ knebelt er wie unter äußersten Qualen durch die wechselnden Harmonien. Dieser Traumatisierte zuckt selbst vor den Berührungen seiner eigenen Frau zurück. Adrianne Pieczonka spielt die Leonore nicht in Hosenrollen-Hauruckmanier, sondern bezieht die Intensität ihrer Darstellung gerade aus einer inneren Sammlung. Stimmlich ist sie bis in die strapaziösen Höhen präsent und mitunter auch schrill, wie es die Beethovensche Entäußerung nahelegte. Und der Wiener Staatsopernchor singt auch hinter der Bühne noch klar und textverständlich. Nur die beiden stummen Doppelgänger für Leonore und Pizarro hätte es bei Guths sparsamer Bewegungsregie nicht gebraucht.

Die Wiener Philharmoniker sind wieder einmal ein Erlebnis für sich. Unter Welser-Möst meißeln sie die Züge dieser expressionistisch berstenden Musik mit aller rhetorischen Genauigkeit und allem Furor heraus und verleihen diesem „Fidelio“ die gleißende Schärfe, die zu Guths Lesart passt. Das ist keine Oper, jedenfalls nicht an diesem Abend. Das ist ein Manifest.

Verena Fischer-Zernin

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