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Gehörschutz und Raumakustik im Chorsaal

Jörg Golombek im Gespräch mit Beate Kahnert und Henning Alphei

Auch wenn alle in einem Chorsaal stets an einem Strang ziehen sollten, sind längst nicht immer alle einer Meinung – da macht auch der Opernchor des Theaters Freiburg keine Ausnahme, wo in den letzten Jahren der Gehörschutz am Arbeitsplatz besonders in den Fokus rückte. Während es manchen immer öfter zu laut wurde, hielten andere Opernchormitglieder die in der jeweiligen Partitur vorgeschriebenen dynamischen Anforderungen dagegen, die man ja schließlich (gemeinsam) trainieren müsse…

Eine Änderung der Sitzordnung der Stimmgruppen war zwar mit neuen Hörgewohnheiten verbunden, führte aber letztlich nicht zu der erhofften Entlastung des Gehörs. Das zusätzliche Aufhängen von Vorhängen dämpfte die Raumakustik zwar spürbar ab, führte aber für die einen zu einer unangemessenen Verschlechterung der Hörverhältnisse, für andere zu einer Belastung der Atemwege (weil die Vorhänge zuvor auf der Bühne im Einsatz und daher brandschutztechnisch imprägniert waren?). Spätestens als der Kompromiss geschlossen werden musste, die Vorhänge auf einer Seite des Chorsaales wieder zu entfernen, war klar, dass die akustischen Verhältnisse professionell begutachtet werden mussten. Auf Beschluss der Chorversammlung beantragte der Vorstand des Opernchores im Dezember 2014 bei der Theaterleitung eine professionelle Schallschutzmessung, die auch alsbald zugesichert wurde.

In Zusammenarbeit mit Henning Alphei vom Akustikbüro Göttingen hatte es bereits raumakustische Optimierungsmaßnahmen im Orchesterprobensaal, im Orchestergraben und für die Bühne des Großen Hauses gegeben, die sowohl GMD Fabrice Bollon als auch der Orchestervorstand als gelungen und vorteilhaft einschätzen. Auch vom Publikum gab es positive Reaktionen zur verbesserten Balance zwischen Bühne und Orchester. Ende März 2015 fanden nun auch professionelle Messungen im Chorsaal statt. Das Ziel: Der Opernchor soll einen Probenraum bekommen, in dem die jeweils geforderte Dynamik geprobt werden kann, ohne dass die Sängerinnen und Sänger sich damit der Gefahr einer Gehörschädigung aussetzen müssen.

Beate Kahnert, Technische Direktorin am Theater Freiburg, und Henning Alphei, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Raumakustik beim Akustikbüro Göttingen, wurden von Jörg Golombek, Mitglied des Freiburger Opernchores und VdO-Ortsdelegierter, zum Thema Gehörschutz durch optimierte Raumakustik befragt.

Jörg Golombek: Frau Kahnert, welchen Stellenwert messen Sie dem Gehörschutz am Arbeitsplatz bei?

Beate Kahnert. Foto: Maurice Korbel

Beate Kahnert. Foto: Maurice Korbel

Beate Kahnert: Als Technische Direktorin des Theaters Freiburg gehört es zu meinen Aufgaben, gemeinsam mit dem Arbeitsschutz am betrieblichen Gesundheitsmanagement mitzuarbeiten und für die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben und der Unfallverhütungsvorschriften der Unfallkasse zu sorgen.

Golombek: Spielte bei den bisher umgesetzten Maßnahmen neben einer Entlastung der Orchestermusiker auch die Verbesserung der Akustik für die Zuschauer im Großen Haus eine Rolle?

Kahnert: Gehörschutz im Theaterbetrieb ist eine spannende Aufgabe, da hier verschiedene Komponenten zum Tragen kommen, die einerseits aus Lärmschutz und Vorsorge für das gemeinsame Musizieren bestehen, andererseits das dem Zuschauer und Zuhörer zu präsentierende Ergebnis im Auge haben müssen. Bei den Maßnahmen auf der Bühne im Großen Haus und Orchestergraben ging es nicht nur um die Entlastung der Orchestermusiker, sondern um die Verbesserung der Akustik auf der Bühne und im Orchestergraben, um den Gesamtklang beziehungsweise die Gesamtakustik schließlich auch für den Zuschauer zu optimieren. Verbesserungen entstanden dadurch genauso für die Sänger und für die Schauspieler, die auf der Bühne agieren.

Golombek: Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit dem Akustikbüro Göttingen?

Kahnert: Mit Herrn Dr. Alphei arbeiten wir unglaublich gern zusammen, da er durch seine Erfahrung im Opern-, Konzert- und Theaterbereich nicht nur auf die Voraussetzungen des vorhandenen Raumes eingehen kann, sondern in Gesprächen zunächst einmal viel über die Wünsche und Umsetzungsmöglichkeiten im Theaterbetrieb aufnimmt, um dann sehr sparsam und mit möglichst eigenen Bordmitteln umsetzbar spür- und hörbare Verbesserungen herbeiführen zu können.

Golombek: Wie stark waren bei der Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen theatereigene Ressourcen beziehungsweise Leistungen der Theater-Werkstätten gefragt? Musste (und muss) alles aus dem laufenden Etat bestritten werden oder kann auf unterstützende Fördermittel zurückgegriffen werden?

Kahnert: Um die, wie üblich für akustische Maßnahmen, gering vorhandenen Mittel möglichst effektiv einsetzen zu können, haben wir für alle bisherigen Maßnahmen auf der Bühne, im Orchestergraben und für die Schallsegel überm Orchestergraben lediglich die Materialien gekauft. Gefertigt und montiert wurde in unseren theatereigenen Werkstätten und durch unsere Mitarbeiter der Bühnentechnik.

Für die Arbeiten auf der Bühne und die Schallsegel wurden Mittel verwendet, die für die Sanierung der Bühnentechnik vorgesehen waren. Für den Orchestergraben hat das Theater selbst (aus dem laufenden Etat) nochmal einen kleinen Betrag ermöglicht.
Golombek: Herr Alphei, welche Arbeitsschwerpunkte hat Ihre Tätigkeit und welche Erfahrungen haben Sie bisher speziell mit Theater- beziehungsweise Proberäumen sammeln können?

Henning Alphei. Foto: Akustikbüro Göttingen

Henning Alphei. Foto: Akustikbüro Göttingen

Henning Alphei: Die Arbeitsschwerpunkte meiner Tätigkeit liegen im Bereich der Raumakustik, aber auch der Bauakustik von Veranstaltungsräumen insbesondere von Theatern. Dabei sind wir häufig im Bereich der Sanierung bestehender Häuser engagiert. Wir versuchen immer, die vorhandenen Probleme möglichst ganzheitlich zu behandeln, und die unterschiedlichen Fachdisziplinen, die es auch in der Akustik gibt, möglichst vollständig einzubeziehen.

Im vorliegenden Fall der Sanierung eines Chorprobenraumes sind einerseits der notwendige „Lärmschutz“ der Mitarbeiter im Sinne einer Pegelreduzierung zu berücksichtigen und andererseits die akustisch optimalen Probenbedingungen zu schaffen, also die originär raumakustischen Fragestellungen zu bearbeiten.

Golombek: Sie haben sich am Freiburger Theater bisher mit dem Orchesterprobensaal, dem Orchestergraben und der Bühne im Großen Haus beschäftigt. Wie zufrieden sind Sie mit der bisherigen Umsetzung Ihrer Empfehlungen?

Alphei: Nimmt man als Beispiel die akustische Ausstattung des Orchestergrabens, so ist gerade hier die Umsetzung der Empfehlungen in bauliche Realität gelungen.

Golombek: Wie wägen Sie gerade beim Orchestergraben und bezüglich der Bühnenakustik die verschiedenen Interessen gegeneinander ab: einerseits der Gehörschutz der Orchestermusiker, andererseits die Akustik im Zuschauerraum, auch hinsichtlich der optimalen Balance zwischen Bühne und Orchester?

Alphei: Das Schöne an diesem Problem ist, dass die Interessen nicht gegensätzlich sind: Sobald die Akustik gut im Sinne von gutem Klang im Graben, auf der Bühne und im Zuschauerhaus ist, ist auch die Gehörbelastung der Musiker weniger problematisch. Gegen räumlich enge Sitzverhältnisse im Graben ist natürlich immer nur bedingt etwas auszurichten.

Golombek: Mit Ihrer Berufserfahrung haben Sie sicher einen besonderen Blick für die akustischen Gegebenheiten eines Raumes entwickelt. Nun haben Sie auch unseren Chorsaal kennengelernt, zunächst als leeren Raum, zum Termin Ihrer Messungen dann vollbesetzt während einer Opernchorprobe. Welches waren Ihre ersten Eindrücke beim Betreten unseres Chorsaals?

Alphei: Der erste Eindruck kann natürlich häufig täuschen. Aber klar ist schon, dass der Saal vom Volumen her klein ist. Die Nachhallzeit kam mir etwas unausgeglichen vor. Die Wand- und Deckengestaltung mit hervortretenden beziehungsweise lamellenartigen Teilflächen ist auf den ersten Blick für den Akustiker ein Zeichen dafür, dass sich schon einmal jemand wenigstens Gedanken auch über die Akustik des Raumes gemacht hat.

Golombek: Können Sie Ihre Vorgehensweise bei der akustischen Vermessung eines Raumes am speziellen Beispiel unseres Chorsaales erläutern?

Chorsaal Freiburg. Foto: Pascal Hufschmid

Chorsaal Freiburg. Foto: Pascal Hufschmid

Alphei: Die Nachhallzeit im besetzten und im unbesetzten Raum ist natürlich wichtig. Die Schallpegelbelastung im Bereich der Ohren der Sänger wurde auch bestimmt, um ein Maß für die Arbeitsplatzbelastung zu erhalten. Dabei geht es aber vor allem zunächst um die relativen Unterschiede an unterschiedlichen Orten. Der sogenannte Expositionspegel kann als Absolutwert durch die kurzen Messungen nur geschätzt werden, was aber zunächst vor dem möglichen Umbau auch ausreichend ist. Da wir auch die Impulsantworten an den unterschiedlichen Orten gemessen haben, können wir auch noch feinere Analysen vornehmen, um zum Beispiel einzelne störende Reflexionen zu analysieren. Aber das geht an dieser Stelle dann wohl doch zu weit…

Die Ergebnisse liefern dann aber vor allem quantitative Angaben, mit denen die Akustik im jetzigen Zustand beurteilt werden kann. Daraus werden dann die Vorschläge für Maßnahmen zur Sanierung abgeleitet.

Golombek: Auch vor Beginn der baulichen Maßnahmen gibt es sicher Möglichkeiten, in einem Chorsaal wie dem unsrigen das Gehör im Probenprozess nicht über Gebühr zu strapazieren. Haben Sie allgemein gültige Ratschläge für eine Entlastung des Gehörs?

„Vor allem muss man sich an Gehörschutz gewöhnen und auch damit üben. Ein Einsatz nur bei der Probe macht üblicherweise keinen Sinn.“

Alphei: Ohne die genaue Auswertung und die Beschäftigung mit der speziellen Situation kann ich nur allgemeine Ratschläge geben. Als erstes ist der Abstand zur Schallquelle wichtig. Also ist der Abstand der Sitzreihen wesentlich. Hier stößt die vorhandene Grundfläche im Wortsinn an Grenzen.

Der persönliche Gehörschutz ist daneben zunächst das einzige Mittel, das der Chor zur Verfügung hat. Dabei ist das Wichtigste, dass beim Einsatz zum Beispiel von Otoplastiken auf einen möglichst hohen Tragekomfort geachtet wird. Wenn etwas drückt und unbequem ist, dann ist es auch keine Hilfe. Auch der anders wahrgenommene Klang der eigenen Stimme muss erst akzeptiert und die Wirkung erlernt werden. Vor allem aber muss man sich an Gehörschutz gewöhnen und auch damit üben. Ein Einsatz nur bei der Probe macht jedenfalls üblicherweise keinen Sinn.

Golombek: Welche Auswirkung kann beispielsweise die Sitzordnung der Stimmgruppen haben?

Alphei: Die Auswirkungen können erheblich sein, hängen aber auch sehr mit der Akustik des Raumes zusammen. Die Frage wird sein, ob nach einer Sanierung des Raumes die Stimmgruppen eher nebeneinander oder eventuell hintereinander angeordnet werden. Ob es zum Beispiel eine Höhenstaffelung geben kann oder soll. Da erwarte ich noch spannende Diskussionen, da ich das nur in Zusammenarbeit mit dem Chor planen kann.

Golombek: Je weniger man sich selbst hört, desto lauter wird nicht selten gesungen („Kopfhörereffekt“). Tut sich da nicht ein gewisser Teufelskreis für die zu optimierende Raumakustik eines Chorprobenraumes auf?

Alphei: Ja, der Zusammenhang ist richtig. Aber spannend wird es, wenn man ihn umgekehrt ausnutzt. Schaffen wir es, zum Beispiel durch die raumakustische Ausstattung des Raumes, die eigene Hörbarkeit zu verbessern und den Pegel etwas zu senken (sagen wir um 3 dB), dann bekommen wir durch den sogenannten umgekehrten Lombard-Effekt noch 3 dB geschenkt, da die Lautstärke der eigenen Stimme überproportional gesenkt wird.

Golombek: Unser Tarifvertrag regelt die Probenlängen, die Notwendigkeit einer Pause innerhalb der Proben und die Ruhezeiten zwischen den Proben und Aufführungen. Möglicherweise wurde bei der Festlegung dieser Regelungen vor allem an die stimmliche und weniger an die akustische Beanspruchung der Sängerinnen und Sänger gedacht. Fließen die tariflichen Regelungen in Ihre Untersuchungen und Empfehlungen ein?

Alphei: Die Arbeitszeiten an sich fließen in die Beurteilung der Gehörbelastung mit ein. Der Expositionspegel wird immer auf acht Stunden bezogen. Werden nur vier Stunden tatsächlich gearbeitet, so ergibt sich nur die halbe Belastung, also 3 dB weniger. Also Ja. Allerdings muss hier darauf hingewiesen werden, dass auch Geräusche außerhalb der Arbeitszeit das Ohr erreichen. Daher ist es wichtig, auch außerhalb der Arbeitszeit auf eine Entlastung des Gehörs zu achten.

Golombek: Wie wichtig sind aus Ihrer Sicht zeitlich begrenzte Proben und einzuhaltende Probenpausen für das Gehör? Kann bei schlechterer Raumakustik und entsprechend starker Beanspruchung des Gehörs vielleicht eine zusätzliche Pause Abhilfe schaffen und für Erholung des Ohres sorgen?

Alphei: Die Probenpausen sind für das Gehör weniger wichtig als für die Stimme. Die zeitliche Begrenzung der täglichen Exposition in einer lauten Umgebung ist erfahrungsgemäß wichtiger als die Lage der Pausen. Für den nach den einschlägigen Regelwerken zu bildenden Expositionspegel spielt die Häufigkeit der Pausen keine Rolle. Aber auch für das Gehör sind Pausen wohl nicht ganz unwirksam, da das Gehör physiologisch auch überlastet werden kann, also Ermüdungserscheinungen auftreten können. Mir ist aber zurzeit nicht bekannt, wie sich Pausen innerhalb der lauten Arbeitszeit auf die Gefährdung des Gehörs auswirken. Dies ist ein spannender Punkt, über den ich mich noch weiter informieren werde, um auch hier beraten zu können.
Über die konkrete Umsetzungen der Veränderungen des Freiburger Chorsaales werden wir weiter berichten.

 

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