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Kulturpolitik

Auf ein Wort mit...

Kay Kuntze, Intendant von Theater&Philharmonie Thüringen
Im Gespräch mit Gerrit Wedel und Barbara Haack

Seit der Spielzeit 2011/12 ist Kay Kuntze Generalintendant von Theater&Philharmonie Thüringen. 1995 wurden die Theater Altenburg und Gera fusioniert und bilden nun eine Theater-Einheit. Kuntze leitet das Theater und übernimmt auch selbst Regiearbeiten. Unter anderem inszenierte er „Peter Grimes“. Barbara Haack sprach mit ihm und dem stellvertretenden VdO-Geschäftsführer Gerrit Wedel über die Theater-Situation in Gera und Altenburg.

Oper & Tanz: In einer „Jenufa“-Besprechung der Thüringer Landeszeitung wurde kürzlich Erstaunen darüber geäußert, dass ein Theater, das „prekär ausgestattet“ sei, eine solche Aufführung stemmt. Ist das Theater Altenburg-Gera prekär ausgestattet?

Kay Kuntze. Foto: Stefan Walzl

Kay Kuntze. Foto: Stefan Walzl

Kay Kuntze: Allein durch die Tatsache, dass wir Haustarifverträge haben, würde ich sagen: Ja. Ein Haustarifvertrag nimmt erst einmal Arbeitskapazitäten weg und liegt wie Mehltau auf dem Haus. Für die Mitarbeiter eines Hauses ist es auch nicht schön, sich quasi als Künstler zweiter Klasse zu fühlen. Immerhin wird ein paar Kilometer weiter für eine ganz ähnliche Arbeit Flächentarif bezahlt.

Die Situation ist vor allem in Bezug auf die Personalstärke prekär. Zum Beispiel in der Theaterpädagogik, der Dramaturgie oder dem Marketing. Im technischen Bereich sind wir massiv unterbesetzt. Wir können den Bedarf gar nicht mehr befriedigen, weil wir die Kapazitäten zum Auf- und Abbau von Bühnenbildern nicht haben. Darum konzentrieren wir die Aufführungen auf Aufführungsinseln und spielen Stücke schnell ab. Für den Spielplan ist so etwas eigentlich nicht gut, weil er dadurch eindimensionaler wird, aber es gibt uns die Möglichkeit, große und aufwändige Stücke zu realisieren. Das ist ein Kompromiss.

Gerrit Wedel: Der HTV gibt auch Stabilität. Er gibt die Sicherheit, dass nicht noch mehr wegkommt. Wenn wir überlegen, dass dieses Theater einmal das Doppelte an Personalausstattung hatte: von 600 Mitarbeitern sind heute noch 300 übrig. Das ist schon sehr dünn.

Kuntze: Richtig, Altenburg und Gera zusammen waren über 600 Mitarbeiter. Es ist also ein komplettes Ensemble abgebaut worden und trotzdem werden heute beide Theater bespielt, mit weit über 800 Veranstaltungen pro Spielzeit. Durch tarifliche Bestimmungen lief der Abbau unter demographischen und sozialen Aspekten, nicht unter künstlerischen, also nicht „symmetrisch“. Dadurch sind Unwuchten entstanden. Wenn ich heute von Null anfangen könnte und hätte 300 Stellen, dann sähe das Theater anders aus.

O&T: Nämlich wie?

Kuntze: Die einzelnen Sparten sind unterschiedlich aufgestellt. Wir haben ein relativ großes Ballett und ein relativ großes Orchester. Das Puppenensemble ist sehr klein, Musiktheater und Schauspiel sind auch klein aufgestellt. Der Chor besteht aus 21 Sängerinnen und Sängern und ist zum Beispiel im Verhältnis zur Orchestergröße von 73 unterproportioniert, das wiederum in den Instrumentengruppen unausgewogen ist.

O&T: Jetzt ist es doch so, dass Sie für große Choropern immer auch Sänger einkaufen müssen.

„Jenufa“ in Gera. Anne Preuß und Béela Müller. Foto: Stefan Walzl

„Jenufa“ in Gera. Anne Preuß und Béela Müller. Foto: Stefan Walzl

Kuntze: Wir haben eine Kooperation mit der Musikhochschule in Weimar: Seit zwei Spielzeiten unterhalten wir mit der Hochschule und den Theatern in Weimar, Erfurt und Nordhausen das Thüringer Opernstudio. Aber auch bei den Chorgästen unterstützen Weimarer Studenten unseren Chor. Die Hälfte der Chorgäste kommt von der Hochschule, die andere Hälfte sind professionelle freie Chorsänger. Für die jungen Leute aus der Hochschule ist es gut, in den Betrieb reinzuschnuppern, zu sehen, wie hart und diszipliniert hier gearbeitet wird. Wir spielen ja auch große Choropern, zum Beispiel „Peter Grimes“ oder „Lady Macbeth von Mzensk“. Das geht natürlich nicht mit nur 21 Chorsängern. Wir arbeiten mitunter mit optischen Tricks. Bei der „Lady Macbeth“ hatten wir zum Beispiel 34 Chorsänger, zusätzlich habe ich 60 Puppen auf die Bühne gestellt. Viele haben bis zuletzt nicht realisiert, dass das Puppen waren.

O&T: Als Sie 2011 angefangen haben, war die Situation sehr schwierig. Es war von Spartenschließungen die Rede, Einsparungen standen im Raum. Wie sind Sie damit umgegangen? Und wie hat es sich bis heute entwickelt?

Wedel: Sie haben sich hier ja zu Anfang ordentlich gegen die Politik gestellt. Es gab große Schwierigkeiten. Herr Kuntze, gerade als neuer Intendant gekommen, war nicht bereit, den gewünschten Sparkurs mitzugehen. Das war ein relativ holpriger Einstieg: hier anzufangen und sich gleich als Querkopf darzustellen.

Kuntze: Es gab, als ich hier ankam, eine Finanzierungsvereinbarung, die schon ausverhandelt, aber noch nicht unterschrieben war. Ich habe erst einmal zwei Monate gebraucht, um zu verstehen, dass diese Finanzierungsvereinbarung so nicht ging und nicht der Voraussetzung entsprach, unter der ich hergekommen war, nämlich ein Fünfspartenhaus weiterzuentwickeln. Es standen verschiedene Szenarien im Raum: das Orchester um 16 Stellen zu reduzieren, das Schauspiel und Puppentheater zu schließen. Später gab es einen weiteren Beschluss, das Ballett ganz abzuwickeln. Immerhin ging es darum, die Finanzierungslücke von über 2,5 Millionen Euro zu schließen.

Anne Preuss als Jenufa, Béela Müller als Küsterin Buryja, Jeff Stewart als Laca Klemen, Judith Christ als alte Buryja, Kai Wefer als Dorfrichter, Eleonora Vacchi als dessen Frau, Akiho Tsujii als Karolka und Damen des Opernchors. Foto: Stefan Walzl

Anne Preuss als Jenufa, Béela Müller als Küsterin Buryja, Jeff Stewart als Laca Klemen, Judith Christ als alte Buryja, Kai Wefer als Dorfrichter, Eleonora Vacchi als dessen Frau, Akiho Tsujii als Karolka und Damen des Opernchors. Foto: Stefan Walzl

Es ist dann tatsächlich gelungen, einen Kompromiss zu finden. Ein Teil der Finanzierungslücke wurde durch Haustarifverträge geschlossen, ein anderer Teil durch eine Nachfinanzierung von 1,15 Millionen Euro – plus Übernahme von Tarifaufwüchsen bis zu einem gewissen Grad. So war es dann möglich, den Bestand des Fünfspartentheaters zu sichern.

Wedel: Die Gewerkschaften hatten im Rahmen der damaligen Verhandlungen eine Perspektive gefordert. Es wurde daher 2012 eine Erklärung vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur abgegeben, wonach nach Auslauf des HTV die Rückkehr zum Flächentarif angestrebt wird. Der HTV läuft Ende nächsten Jahres aus. Sieht es so aus, dass diese Erklärung zur Rückkehr zum Flächentarif nun auch mit Leben gefüllt werden kann?

Kuntze: Dem Juristen muss ich sicher nicht erklären, dass die Formulierung „angestrebt“ eine verhältnismäßig weiche ist. Vor allem im politischen Bereich.

Wedel: Nichtsdestotrotz eine sogar verschriftlichte politische Aussage, oder soll das nur ein Lippenbekenntnis gewesen sein?

Kuntze: Nein, das war damals in der Verhandlungsführung erst einmal ein notwendiger Schritt, der einen Öffnungswillen für diese Entwicklungsperspektive signalisiert hat. Dass dieses Haus für alle Zeit zementiert den HTV beibehält, war und ist weder nach innen noch nach außen vermittelbar. Warum sollte Arbeit an einem Theater hier im Osten Thüringens weniger wert sein?

Wedel: Das sind immerhin 12 bis 13 Prozent. Wie ist der Stand der Dinge für die Zeit nach 2016? Laufen die Verhandlungen schon?

Kuntze: Wir haben die letzten Jahre genutzt, uns künstlerisch und finanziell gut aufzustellen. Wir sind zum Beispiel 2013 und 2014 in der Kritikerrundschau der Thüringischen Landeszeitung zum Thüringer Theater des Jahres gewählt worden. Es wäre dann auch richtig, dass die gute Arbeit, die hier geleistet wird, entsprechend honoriert wird. Die wird ja nicht nur von der Theaterleitung, sondern vor allem von den vielen Mitarbeitern in den verschiedenen künstlerischen Disziplinen, der Technik und der Verwaltung geleistet.

O&T: Geht es denn in den neuen Verhandlungen „nur“ um die Haustarifverträge, oder sehen Sie insgesamt eine Gefährdung des Theaters?

Große Choroper: „Peter Grimes“. Foto: Stefan Walzl

Große Choroper: „Peter Grimes“. Foto: Stefan Walzl

Kuntze: Ich sehe Konsens, dass die Kultur als feste Säule der urbanen Selbstbespiegelung in Thüringen gesetzt ist. Aber man muss die Details an allen Standorten überprüfen. Es gibt sehr intensive Gespräche mit dem Ministerium. Ich bin fast wöchentlich dort. Ich finde es gut und bemerkenswert, dass man sich in der Staatskanzlei die Zeit nimmt, uns Intendanten zu hören und zu verstehen, wie wir mit unserer Detailkenntnis die Situation einschätzen und sich nicht, wie es ja politisch häufig praktiziert wird, irgendeine Expertenfirma von anderswo holt. Ich kann mit Rücksicht auf den Verhandlungsstand noch nicht sagen, wohin die Reise geht. Soweit sind wir noch nicht. Aber es wird sehr ernsthaft versucht, eine finanzierbare, künstlerisch sinnvolle Gesamtkonzeption für Thüringen zu entwickeln.

Wedel: Der Bestand des Fünfsparten-Theaters wird nicht in Frage gestellt?

Kuntze: Der Aufsichtsrat hat eine Empfehlung ausgesprochen und die Gesellschafterversammlung einen Beschluss gefasst: Eine der Prämissen für die Zukunft ist der Erhalt aller fünf Sparten. Das sieht man im Ministerium genauso.

O&T: Hat sich für die Theater etwas verändert durch die neue Regierung im Land?

Kuntze: Bisher war es ja relativ ruhig, weil die Finanzierungsvereinbarungen standen. Jetzt geht es um die großen strategischen Fragen. Ich bin verhalten optimistisch, dass etwas Vernünftiges am Ende dabei herauskommen wird. Aber es gibt große Finanzierungslücken ab 2017. Einer unserer Gesellschafter ist die Stadt Gera, die finanziell am Rande des Abgrundes steht. Es ist bemerkenswert, dass im Haushaltskonsolidierungskonzept der Stadt die Theaterfinanzierung zumindest gleich bleibt. Damit steckt die Stadt ihre gesamten freiwilligen Leistungen in das Theater. Das ist ein starkes Bekenntnis – und trotzdem bringt es uns natürlich Probleme. Wenn die Zuschüsse gleich bleiben, entstehen durch Tarifsteigerungen von 2 oder 2,5 Prozent neue Finanzierungslücken von zusätzlichen 300.000 Euro jährlich, die schnell zu Millionenbeträgen kumulieren.

Wedel: Das Staatsballett ist ja hier im Haus angesiedelt. Vom Freistaat wurde damals für die Finanzierung des Hauses beziehungsweise für das Ballett nachgeschossen, das dann rechtlich herausgelöst wurde.

Kuntze: Nicht wirklich. Der Freistaat übernimmt zwar 100 Prozent der direkten Kosten. Trotzdem sind sie Bestandteil der Gesamtschlüsselung, die da heißt, dass 59 Prozent der Gesamtzuwendung für unser Theater vom Freistaat Thüringen getragen werden und die restlichen 41 Prozent von den drei Gesellschaftern. Das heißt, dass andere Sparten wie Schauspiel oder Musiktheater entsprechend weniger vom Freistaat finanziert werden. Diese Finanzierungserklärung war ein Bekenntnis des Freistaats zum Ballett, das aber keinen eigenen rechtlichen Status erhalten hat.

Wedel: Es gibt eine Diskussion über die Art der Verträge, die im Ballett abgeschlossen werden. Die Unterteilung zwischen Solo- und Gruppenvertrag wurde aufgehoben, stattdessen wurden nur noch Soloverträge mit Gruppenverpflichtung abgeschlossen. Im Moment gibt es Bestrebungen, wieder in das alte differenzierte System zurückzukehren. Was ist da dran?

Kuntze: Wir haben nur noch Solo-Verträge. Das war schon so, als ich hierher kam. Es wurden damals Sonder vereinbarungen geschlossen bezüglich der Ruhezeiten und der Regelung der freien Tage, die aus den Sonderregelungen für die Gruppe übernommen wurden. Mit dieser Regelung haben wir aber zu wenig Flexibilität. Also haben wir das geändert. Es geht dabei nicht um mehr Proben und schon gar nicht um finanzielle Einbußen.

„Vielleicht ist es im Westen eher so, dass das Theater als Ausdruck des städtischen Selbstbewusstseins gesetzt ist. In der DDR hatte Theater eine ganz andere Funktion, war subversiver Ort der Systemkritik, eine kleine Insel der Freiheit, ein Fenster nach Draussen. Diese Qualität hat das Theater nach der Wende verloren.“

Wedel: Früher gab es nach den Gruppenregelungen 1,5 freie Tage pro Woche. Wenn diese Regelung abgeschafft wird, bleibt ein freier Tag pro Woche.

Kuntze: Es geht um eine Flexibilisierung des Arbeitsprozesses, die wir für die Verbesserung der künstlerischen Qualität benötigen. Ich habe allen Tänzern eine Änderungs-Nichtverlängerung ausgesprochen. Die Tänzer selbst haben das zur Kenntnis genommen, ohne dass ich den Eindruck gewonnen habe, dass das als Verschlechterung gesehen wurde. An diesem halben Tag hat sich allerdings auch der Betriebsrat gestoßen.

Wedel: Dieser halbe Tag ist ein halber Tag weniger – selbst wenn das hier de facto gar nicht genutzt wird. Aber die rechtliche Grundlage hat sich verändert. Die könnte von einem anderen Intendanten anders genutzt werden – und wir hätten keine Möglichkeit mehr, dagegen vorzugehen. Es stellt also eine Verschlechterung für die Tänzer dar.
Kuntze: Das sehe ich anders. Die Lebensarbeitszeit eines Tänzers ist ausgesprochen gering. Schon unser Haustarifvertrag reduziert sie weiter. Eine starre Freie-Tage-Regelung verstärkt das noch. Im Übrigen haben solistische Sänger und Schauspieler das auch nicht, so dass hier auch die Gleichbehandlung beachtet werden sollte.

O&T: Die Fusion der beiden Häuser Altenburg und Gera liegt jetzt 20 Jahre zurück. Wie sehen Sie die Funktionsfähigkeit dieser Fusion? Welche Probleme gibt es, wie hat es sich eingespielt? Wie ist die Akzeptanz der Sparten in den unterschiedlichen Spielorten?

Kuntze: Rückblickend hat diese Fusion beide Theaterstandorte gerettet. Die Fusion wurde damals auf Druck des Freistaats vollzogen, es war keine Liebesheirat. Die Städte waren und sind auch sehr unterschiedlich: demografisch, politisch, historisch. Auch im Zuschauerzuspruch: Ballett und Konzert laufen zum Beispiel besser in Gera; in Altenburg läuft Musical und auch Schauspiel besser.

O&T: Wie sieht es verwaltungstechnisch aus – zwischen zwei Häusern in 35 km Entfernung. Wie hat sich das eingespielt?

Kuntze: Wir haben unseren Verwaltungssitz in Gera, die gesamte Administration und auch die Werkstätten. In Altenburg ist komplett die Sparte Schauspiel ansässig. Alles andere ist in Gera.

Wedel: Gerade bei der umsichgreifenden Fusionitis gibt es ja das Problem, dass sich die Menschen gar nicht mehr mit den Künstlern identifizieren können oder wollen. Das Theater funktioniert ja immer noch dort am besten, wo es auch angesiedelt ist, weil die Leute ihre eigenen Menschen im Theater sehen wollen. Und damit ist auch die Rezeption eine ganz andere.

Kuntze: Ganz richtig. Man will sehen, wie sich die Künstler entwickeln. Das Stadttheater lebt vom Ensemble, von der Identifikation. Das hat eine völlig andere Qualität als die Anonymität reisender Gruppen. Wir hatten vor einiger Zeit eine Kooperation mit Plauen-Zwickau. Wir sind mit „Anatevka“ nach Plauen-Zwickau gefahren und haben den „Ball im Savoy“ nach Altenburg-Gera geholt. Das wurde nicht angenommen.

O&T: Das ist ein starkes Plädoyer für das Stadttheater.

Kuntze: Genau. Außerdem kann auch nur ein produzierendes Stadttheater ganz konkrete regionale Bezüge herstellen. Wir haben zum Beispiel für Altenburg gerade eine Rockerette mit dem Titel „Barbarossa-ausgeKYFFt“ uraufgeführt, da der Stauferkaiser in der Altenburger Stadthistorie sehr präsent ist. Zu Beginn der neuen Spielzeit zeigen wir in Gera eine Dramatisierung von „Kruso“ des in Gera geborenen Autors Lutz Seiler, der 2014 für diesen Wiedervereinigungs-Roman mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde.

O&T: 25 Jahre nach der Wiedervereinigung: Wie erleben Sie das Theater in den neuen Bundesländern?

Kuntze: Ich habe den Eindruck, wir stehen hier generell unter einem stärkeren Legitimationsdruck.

Wedel: Gerade in der DDR wurde etwas erhalten, das in der Tradition oftmals weit zurückreicht und worauf wir heute sehr stolz sind. Immerhin wurde ja gerade die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft auf die Liste des immateriellen Kulturerbes gesetzt. Aber trotzdem werden hintenrum die Fundamente weggesägt.

Kuntze: Pauschalisierungen sind immer gefährlich. Aber vielleicht ist es im Westen doch eher so, dass das Theater als Ausdruck des städtischen Selbstbewusst-
seins gesetzt ist. Im Osten ist das nicht mehr so selbstverständlich. In der DDR hatte Theater eine ganz andere Funktion, war subversiver Ort der Systemkritik, eine kleine Insel der Freiheit, ein Fenster nach Draußen. Diese Qualität hat das Theater nach der Wende verloren. In der DDR gab es außerdem die Betriebsabos. Man hatte nie Publikumsprobleme. Nach der Wende kam es zu einer Neuorientierung. Durch den Ökonomisierungsdruck mutierten die Theater zu Vergnügungsparks. Es musste Spaß machen, unterhalten und lustig sein. Als ich hierher kam, habe ich als erstes „Carmen“ inszeniert, und da hat ein Landrat zu mir gesagt, er würde schon mal kommen und sich anschauen, was ich hier mache. „Aber Herr Kuntze, machen Sie bloß nichts mit Bildung und erklären Sie mir nichts. Ich will einfach einen schönen und unterhaltsamen Theaterabend haben. So inszenieren Sie das bitte.“

O&T: Wie ist es ausgegangen?

Kuntze: Ich habe es so inszeniert, wie ich es für richtig hielt…

O&T: Wie sind Ihre künstlerischen Pläne für das Haus?

Kuntze: Wir entwickeln Spielplanlinien. Eine heißt zum Beispiel „Der Weg der Heldin“, mit griechischen Mythen in allen Sparten. Eine andere Reihe heißt „Wegmarken der europäischen Geschichte“. Da suchen wir uns Schlüsseldaten heraus, wie zum Beispiel das Attentat von Sarajevo oder die Wiedervereinigung, und setzen an diesen Tagen Premieren an, mit Stücken, die sich auf die Daten beziehen. Eine neue Reihe heißt „Vom Himmel hoch“. Da geht es in Vorbereitung des Reformationsjahres 2017 um die monotheistischen Welt-Religonen: jüdisch-christliche Inhalte, aber es wird auch ein Islam-Projekt geben. Das Thema ist ja für uns fast nur noch mit Angst und Panik besetzt. Dieses Projekt versucht, sich auf eine lyrisch-poetische Weise dem Islam zu nähern. Ein andere Reihe heißt „Die Goldenen 20er“, der Zeit, in der vielleicht die Globalisierung begann, mit Kästners „Fabian“ im Schauspiel, Paul Abrahams „Viktoria und ihr Husar“ im Musiktheater und „Anita Berber“ im Ballett und so weiter.

Ansonsten ist es mir immer wichtig, im Theater verführt, überwältigt zu werden von den Geschehnissen auf der Bühne, von großen Bühnenbildern, von Chören, Kostümen. Ich glaube nach wie vor an die emotionale Kraft, die von einer Theateraufführung ausgehen kann und dem Zuschauer, der sich öffnet, ein gewaltiges Erlebnis sein kann, im guten, alten kathartischen Sinn. Und mit Erlebnissen wollen wir verschwenderisch umgehen.
Außerdem geht es natürlich um eine gute Mischung. Das Schöne ist, dass man sich da immer wieder irrt. Dass das Stück, das eigentlich das Risiko-Stück ist, auf einmal besser läuft als die vermeintlich „sichere Bank“.

O&T: Zum Beispiel „Peter Grimes“?

Kuntze: Von der Zuschauerzahl war das gar nicht so toll, die Auslastung lag bei schlappen 50 Prozent. Aber: Es gibt hier jedes Jahr einen Theater-Oskar. Den verleihen zwar die Theatervereine in Altenburg und Gera, es ist aber ein reiner Publikumspreis. Dieses Jahr ging der Oskar für die beliebteste Inszenierung an „Peter Grimes“. Das fand ich toll, nicht nur weil ich der Regisseur der Produktion war, sondern vor allem weil es zeigt, dass Theater eben nicht immer nur in die Breite gehen muss. Der starre Blick auf die Auslastungszahlen ist falsch!

O&T: Was inszenieren Sie in der nächsten Spielzeit?

Kuntze: Für unsere Reihe „Vergessene Opern des 20. Jahrhunderts“ haben wir ein Stück von einem völlig in Vergessenheit geratenen Komponisten gefunden: Hans Sommer. Seine Oper „Rübezahl“ hat zuletzt Richard Strauss in Berlin und Weimar vor über einhundert Jahren dirigiert. Strauss empfiehlt sie in seinem musikalischen Testament explizit für zukünftige Spielpläne. Außerdem inszeniere ich den „Rigoletto“.
O&T: Schaffen Sie das neben Ihrer Aufgabe als Intendant?

Kuntze: Im Moment ist es sehr sportlich, weil es hier im Verwaltungsbereich Veränderungen gibt. Die Verwaltungsdirektorin geht, der Leiter Finanzen auch. Ich habe also sehr viel Verwaltungsarbeit zu bewältigen. Ich hoffe, dass wir bald einen neuen kaufmännischen Geschäftsführer bekommen.

Wedel: Ihr Vertrag wurde gerade bis 2018 verlängert. Was ist Ihr Ziel für das Jahr 2018?

Kuntze: Ich möchte einem Haus vorstehen, das im Flächentarif in einer Üppigkeit vielfältige Theaterangebote machen kann. Es soll energiegeladen sein, emotional mitnehmen, unterhalten, soll der Allgemeinbildung dienen, gesellschaftlich und politisch relevant sein. Ein Theater, das noch mehr als sozialer und kultureller Motor der Stadt wahrgenommen wird, für alle Generationen, für alle sozialen Schichten.

O&T: Heißt das, das Abo wird an Bedeutung verlieren?

Kuntze: Nein, im Gegenteil: Ohne unser Anrechtssystem wären wir gar nicht in der Lage, Stücke wie die eingangs angesprochene „Jenufa“ zu spielen. Das Wichtige am Abonnement ist ja nicht der Preisnachlass, auch nicht die feste Sitzplatzgarantie. Die Qualität eines Abonnements liegt darin, dass der Abonnent mit der Zeit zu einer Art Theater-Experte wird. Man sieht so viele unterschiedliche Stücke und Regiehandschriften. Beim Abo wird ein Strauß von Fachleuten gebunden. Das ist so ähnlich wie im Blumenladen: Wenn man selbst anfängt, die Blumen zusammenzustecken, sieht es immer blöd aus. Die gleichen Blumen nimmt der Florist und steckt sie anders zusammen – und auf einmal ist es ein schöner Strauß.

O&T: Vier Jahre nach Ihrem Start: Sind Sie jetzt angekommen – und angenommen?

Kuntze: Es gab ja Wahlen zwischendurch, da hat sich auch politisch noch einmal einiges verschoben. Oft wird es dann für einen Intendanten schwieriger. Aber in meinem Fall, nach wie Sie es vorhin ausdrückten, „holprigem Start“, haben sich sogar Kreistagsmitglieder und Bürgermeister entschuldigt für den Umgangston, den wir am Anfang miteinander hatten. Ich habe jetzt das Gefühl, dass wir gut angenommen sind in den Städten, und dass die Haltung zum Theater eine durchweg positive ist. Wie sehr das auf die künftige Finanzierung durchschlägt, wird sich zeigen...


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