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Berichte

Zwischen Partys, Betten und Autotouren

John Harbisons „The Great Gatsby“ als europäische Erstaufführung an der Semperoper Dresden

An der Metropolitan Opera war die Uraufführung am 20. Dezember 1999 ein Beitrag zum 25-jährigen Jubiläum der Direktion von James Levine, der auch die musikalische Leitung bei „The Great Gatsby“ („Der große Gatsby“) hatte.

Hier darf der Chor tanzen: John Chest als Nick Carraway mit Damen und Herren des Staatsopernchores. Foto: Daniel Koch

Hier darf der Chor tanzen: John Chest als Nick Carraway mit Damen und Herren des Staatsopernchores. Foto: Daniel Koch

Nach zwölf Vorstellungen in prominenter Besetzung nach einer Serie im Jahr 2000 in Chicago und schließlich einer Produktion beim Aspen Festival in Colorado 2012 kam das Werk am 6. Dezember zur europäischen Erstaufführung: Die Semperoper Dresden setzte nach Kurt Weills „Street Scene“ und Jake Heggie’s „Dead Man Walking“ die Auseinandersetzung mit amerikanischer Oper fort.

Überschattet wurde die Dresdner Produktion durch den Tod des Bühnen- und Kostümbildners Johan Engels, dessen Bühnenbild-Modell dann von Matthew Rees realisiert wurde. Die postmoderne Partitur des bei der Premiere anwesenden Komponisten John Harbison fand Entsprechung in einer „hyperrealistischen“ Realisierung, wie sie für neue amerikanische Oper seit John Adams inzwischen ein bevorzugter Inszenierungsstil ist.

Die Begebenheiten zwischen Partys, Betten und Autotouren aus dem Roman von F. Scott Fitzgerald (1925) brachte Harbison für sein Libretto in einen linearen Ablauf. Er motivierte das durch die Figur des Nick Carraway (John Chest), der dokumentiert und Innenschauen der anderen Figuren aufzeichnet. Seinen wuchtig unterm Bühnenportal positionierten Schreibtisch stürzt Nick um, wenn Myrtle (Angel Blue) von plakativ riesigen Autorädern erfasst wird und stirbt.

Peter Lodahl als Jay Gatsby, Maria Bengtsson als Daisy Buchanan. Foto: Daniel Koch

Peter Lodahl als Jay Gatsby, Maria Bengtsson als Daisy Buchanan. Foto: Daniel Koch

Die Seitensprünge von Daisy Buchanan (Maria Bengtsson) mit dem sich wirtschaftlich total vergaloppierenden Jay Gatsby (Peter Lodahl) und die ihres Gatten Tom (Raymond Very) mit der gesellschaftlich weit unter ihm stehenden Myrtle Wilson haben Geschmeidigkeit in den Konversationsszenen, gewiss. Doch gegen Ende, wenn die Psychodynamik Fahrt aufnehmen sollte, wird es etwas monoton. Nicks Geliebte Jordan Baker (Christina Bock) und Myrtles verständnisvoller Ehemann, der Tankwart George Wilson (Lester Lynch), haben nicht das angemessene Rollengewicht. Nach Gatsbys Tod – er verblutet an der Schusswunde aus George‘s Revolver in einem riesigen Cocktail-Glas – zehrt das tonale Material aus und zerfleddert in Fragmenten.

Regisseur Keith Warner legitimiert durch Paralleleinsichten in Erlebtes und Erinnertes auch seine Inszenierung mit naiv-übergroßen Möbeln und Accessoires als Lifestyle-Überzeichnung von 1920. Soli und Chor (pointiert einstudiert von Jörn Hinnerk Andresen) agieren darin in stellenweise mit Zeitlupe gedehnten Gesten und in fashionablen Kostümen von Emma Ryott. Michael Barry brachte den Chor und das 13-köpfige Tanzensemble auf eine tänzerisch gekonnte Linie. Bei den Party-Szenen hat das Licht von John Bishop entscheidenden Anteil an der Wirkung. Durch Spots und Seitenscheinwerfer suggeriert es mehr Bewegungsdynamik als tatsächlich inszeniert.

Lester Lynch als George Wilson. Foto: Daniel Koch

Lester Lynch als George Wilson. Foto: Daniel Koch

Am stärksten ist Harbison da, wo er die Schatztruhe der 1920er-Jahre aufreißt und bei Chor- und Einlage-Szenen hemmungslos ins Charleston-, Blues- und Jazz-Kolorit hineinfährt. Da komponierte er eine Surround-Zivilisationssinfonie – den Verkehr, das Läuten des Telefons und Staffelungen von Partylärm. Der Bruch zwischen Werkaufbau und tatsächlich erreichter Wirkung entsteht durch hochgeputschte Erwartungen der Hörer, die in den Eskalationspunkten keine Erfüllung finden.

Harbison kann für Stimmen schreiben. So zeigen sich alle Solisten von der besten Seite in den melodischen Flächen mit meist in die musikalische Faktur gepressten und dann in diesen wenig variablen Klanggesten. Wayne Marshall am Pult hat mit der Staatskapelle Dresden ein Luxus-Orchester, das die koloristischen Reizungen und mit Wohlklang gelifteten Schärfen der Partitur professionell unter eine glasklare Folie setzt.

Maria Bengtsson. Alle Foto: Daniel Koch

Maria Bengtsson. Alle Foto: Daniel Koch

Wie im Falle von „Dead Man Walking“, der in Schwerin trotz einfacherer Bühnenwirkungen musikalisch und szenisch von stärkerer Wirkung war als in Dresden, ist es gut möglich, dass kleinere Theaterdimensionen für „The Great Gatsby“ sich als vorteilhaft erweisen. Die Sprödigkeit dieser Oper über einen Totalkollaps des amerikanischen Traums liegt nicht allein an der Musik.

Roland H. Dippel

 

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