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Kulturpolitik

Auf ein Wort mit ...

Peter Theiler, Intendant und Operndirektor des Staatstheaters Nürnberg und designierter Intendant der Sächsischen Staatsoper Dresden

Im Gespräch mit Margot Ehrlich und Barbara Haack

Im Jahr 2018 wird Peter Theiler, seit 2008 Staatsintendant am Staatstheater Nürnberg, Intendant der Semperoper Dresden. Zuvor war der gebürtige Schweizer unter anderem Direktor des Theaters Biel-Solothurn (ab 1996) und Generalintendant des Musiktheaters im Revier in Gelsenkirchen (ab 2001). Über seine Zeit in Nürnberg und über die Zukunft in Dresden sprachen Margot Ehrlich, Mitglied des Chors der Semperoper und bis 2015 Bundesvorsitzende der VdO, und Barbara Haack mit dem Theatermann.

Oper&Tanz: Vom Staatstheater Nürnberg zur Semperoper Dresden: Spielen Sie in Dresden noch einmal in einer anderen Liga?

Peter Theiler (li.) und Wolfgang Rothe, Kaufmännischer Geschäftsführer und kommissarischer Intendant der Semperoper. Foto: Creutziger

Peter Theiler (li.) und Wolfgang Rothe, Kaufmännischer Geschäftsführer und kommissarischer Intendant der Semperoper. Foto: Creutziger

Peter Theiler: Wir arbeiten auch hier in Nürnberg auf einem hohen Niveau. Wir sind sicher, gemessen an dem, was wir an Mitteln und Möglichkeiten zur Verfügung haben, auf Augenhöhe mit großen Theatern. Sie sehen ja, wer hier inszeniert: Konwitschny, Bieito… Vieles hängt am Geld, vieles hängt aber auch daran, was Sie erzählen wollen. Sie können durchaus einen spannenden und international beachteten Regisseur auch hierher locken mit den entsprechenden interessanten Projekten.

O&T: Wie sind denn Ihre künstlerischen Ideen für Dresden?

Theiler: Wir werden sicher das Repertoire bespielen. Ich bekenne mich ganz klar zum Ensembletheater. Ich halte überhaupt nichts von der Stagione-Kultur in unseren Breiten, sie eignet sich nicht für Ensembletheater.

Mich interessiert auch das, was in Dresden geprägt wurde, zum Beispiel durch die Präsenz von Carl Maria von Weber, der ja den Chor gegründet hat. Auch Wagner war Musikdirektor dort und hat das Haus ebenfalls geprägt, zum Beispiel durch die Uraufführung seines „Rienzi“ oder des „Tannhäuser“. Insofern ist es ein Haus, das dieser Tradition verpflichtet ist. Wir werden sicher Wagner spielen. Wagner hatte große Zeitgenossen, die er selbst auch geliebt und später verachtet hat. Ein Komponist, den ich sehr mag, ist Meyerbeer. Den hat Wagner ja dirigiert, bis er ihn dann in seinem antisemitischen Furor eliminiert und letzten Endes wesentlich dazu beigetragen hat, dass ein Meyerbeer oder auch ein Halévy oder andere Komponisten seinerzeit oder später aus den Spielplänen verschwunden sind. Ich meine, dass man dieses Umfeld braucht.

Die Semperoper. Foto: Creutziger

Die Semperoper. Foto: Creutziger

Ich finde außerdem, dass Verdi ein „must“ ist. Dann gibt es die Spätromantik, die definiert ist über Richard Strauss. Drei Viertel seiner Opern wurden ja in Dresden uraufgeführt. Ich bekenne mich aber auch zur Rezeption von Strauss‘ Zeitgenossen, die nicht wie er das Glück hatten, sich mit dem Regime arrangieren zu können, sondern die aufgrund ihrer jüdischen oder weltanschaulichen Herkunft aus den Spielplänen eliminiert wurden, wie zum Beispiel Schreker oder Korngold. Ich sehe da einen großen Nachholbedarf. Ich fühle mich als Intendant nicht nur meiner Zeit verpflichtet, sondern ich fühle mich auch der kritischen Beurteilung einer Rezeptionslinie verpflichtet. Das Weitertragen von Tradition bedeutet auch das Weitertragen von kritischer Hinterfragung, von Bewusstseinsschärfung. Mich interessieren auch die zweifelhaften Seiten von Richard Strauss.

O&T: Sie kommen in Dresden in eine Situation, die in der Vergangenheit nicht unproblematisch war. Wie sehen Sie Ihre zukünftige Zusammenarbeit mit Christian Thielemann?

Theiler: Die sehe ich ganz positiv. Wir tauschen uns sehr oft aus. Wichtig ist das Verständnis für die Notwendigkeiten, die so ein Apparat hat. Die muss man sich auch gegenseitig vermitteln, man hat ja immer persönliche Standpunkte, die man zusammenfügen muss. Das ist auch die Aufgabe des Intendanten. Kommunikation ist da alles, denn wir wollen ja spannendes, tolles und qualitativ hochwertiges Theater machen.

O&T: Kommunikation ist das eine, das andere ist die Kompetenzverteilung, die ja in der Vergangenheit nicht ganz einfach war in Dresden. Daran ist der letzte Intendantenversuch teilweise wohl auch gescheitert.

Theiler: Das mag auch noch andere Ursachen gehabt haben. Da ist sehr viel drüber gerätselt und geschrieben worden. Sie müssen, wenn Sie ein so großes Haus wie Dresden verstehen wollen, schon eine Ahnung haben, wie das deutsche Repertoiresystem funktioniert. Letzten Endes ist das eine gewachsene Theaterform und -struktur, für die es ja auch schon Bestrebungen gab, sie unter UNESCO-Protektion zu stellen. In England, in Italien und auch in Frankreich funktioniert das Musiktheater ganz anders. Ich glaube, es hat auch damit etwas zu tun, ohne jetzt dem Kollegen etwas Schlechtes nachsagen zu wollen. Das ist ein Kollege, den ich sehr schätze und der in Lyon eine ganz tolle Arbeit macht.

Die Qualität des Chores wird schon abgefordert. Ich habe den Chor wiederholt gehört. Sie leisten Ausserordentliches.

O&T: Welche Erfahrungen haben Sie in Ihren bisherigen Intendanten-Verpflichtungen in Biel/Solothurn, Gelsenkirchen und auch hier in Nürnberg mit den Chören gemacht?

Theiler: Ich hatte am Städtebundtheater Biel/Solothurn nicht einmal einen Profi-Chor. Ich hatte einen Chordirektor und für jede Stimmgruppe einen Sänger. Der Rest war ein Laienchor, und wir haben dort die großen Opern gemacht, Mozart, Verdi, Fidelio bis hin zu Puccini. Das war für mich eine sehr eindrückliche Erfahrung, dass man Chorarbeit auch mit semiprofessionellen Sängern aufbauen kann. In meinem zweiten Haus in Gelsenkirchen hatte ich natürlich einen Profichor, aber das waren gerade mal etwa 25 Sängerinnen und Sänger. Auch da haben wir große Oper gemacht bis hin zu den „Trojanern“. Auf der Bühne waren dann immer mehr Extrachor-Sänger als Opernchor-Sänger. Das war immer ein prekäres Verhältnis, weil auf der einen Seite das Qualitätsbewusstsein über allem steht und auf der anderen Seite der Ehrgeiz da ist, ein tolles Repertoire zu spielen. Deshalb muss ich sagen: Mit meinen 44 Sängerinnen und Sängern in Nürnberg bin ich glücklich. Das ist ein hervorragender Chor, der hat sich auch in den letzten Jahren stark verjüngt. Aber auch hier brauchen wir Verstärkung, wenn wir „Turandot“ oder andere große Werke spielen. Da kann man in Dresden trotz der Konsolidierung immer noch auf einen großen Apparat zugreifen, um gutes, qualitativ hochstehendes Musiktheater zu machen. Wir werden darauf aufpassen müssen, dass bei der Spielplandichte auch dem Rechnung getragen wird, was die Kolleginnen und Kollegen verkraften können. Da gibt es ja ein Riesen-Repertoire, was diesen großen Opernbetrieb von einem mittleren oder einem kleineren massiv unterscheidet. Ich habe in Dresden bei Wiederaufnahmen und Premieren einen sehr spielfreudigen Chor erlebt. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.

O&T: Das ist ein Wunsch des Chores, dass seine Spielfreude auch eingesetzt wird.
Margot Ehrlich: Ja, das stimmt. Wir haben uns deshalb bei „Gatsby“ sehr gefreut, dass Keith Warner mit uns sehr intensiv gearbeitet hat…

Theiler: … das hat man auch gesehen.

Motiv einer Plakatkampagne des Staatstheaters Nürnberg. Foto: Ludwig Olah

Motiv einer Plakatkampagne des Staatstheaters Nürnberg. Foto: Ludwig Olah

Ehrlich: Aber wenn das nicht regelmäßig von den Regisseuren abgefordert wird, verkümmert es. Dann kann man es auch nicht mehr weitergeben. Gerade in so einem großen Chor ist es ja wichtig, dass die älteren Kollegen den jungen Sängerinnen und Sängern etwas weitergeben. Ich habe die ganze Schule, Herz, Kupfer, Mielitz durchgemacht, und es ist für mich sehr traurig, dass uns immer weniger an szenischer Arbeit abverlangt wird.

Theiler: Das kann ich noch nicht ganz nachvollziehen. Es gibt allerdings ästhetische und dramaturgische Entwicklungen, die man berücksichtigen muss. Heute arbeitet man beispielsweise sehr stark mit Projektionen, was die Bühnenkunst auch beeinflusst und redefiniert. Da kommt man möglicherweise auch zu Aufführungsvarianten, die eine Rücknahme von menschlicher Bewegung mit sich bringen. Das hängt natürlich immer auch von den einzelnen Regisseuren ab. Ich begrüße es jedenfalls, in Dresden mit einem kompetenten Chor arbeiten zu können. Sie haben ja auch eine große Tradition. Musiktheater wurde ja vor der Wende wesentlich in der DDR definiert, durch Felsenstein, durch Kupfer, durch Herz, durch Ruth Berghaus, deren Assistent ich auch war. Dieser Tradition fühle ich mich verpflichtet, weil ich ein großes Verständnis dafür habe, dass Oper eben nicht einfach nur Oper ist, sondern Musiktheater. Dass szenische Vorgänge umgesetzt werden, nicht nur musikalische.

O&T: Was bedeutet die Konsolidierung für Dresden denn konkret – für das Haus und für den Chor?

Theiler: Das kann ich Ihnen im Detail nicht sagen. Da muss ich mich jetzt einarbeiten, ich bin ja erst ab 2018 im Amt.

Ehrlich: Es ist für uns sehr schwer, diese Konsolidierung im Herzen mitzutragen, weil wir wissen, wie anspruchsvoll unser Repertoire ist und wir ja nicht nur die Oper bedienen, sondern auch eine sehr große Leidenschaft für das Konzert haben und dieses gerne genauso weiter bedienen möchten. Innerhalb der Konsolidierung ist die Fluktuation aus den Stimmgruppen außerdem nicht paritätisch.

O&T: Leidet der Chor darunter, dass die Staatskapelle so einen herausragenden internationalen Ruf hat? Fühlt er sich da zurückgestellt?

Theiler: Ich nehme das als ein Ganzes wahr. Die Staatskapelle hat natürlich eine große Tradition, auch als Konzertorchester. Der Chor war aber immer mit dabei. Man kann das nicht abkoppeln.

Ehrlich: Es geht um die Wahrnehmung. Wir leiden ja nicht unter der Staatskapelle, wir leiden unter der Wahrnehmung des Chores innerhalb des Opernhauses. Der Opernchor beansprucht ein Quentchen Alleinstellungsmerkmal für sich: dass wir uns auch präsentieren dürfen, dass wir eigene Projekte machen dürfen. Das wird uns nicht zugestanden.

Theiler: Das klingt nach Wertschätzungsgeschichte innerhalb eines Gesamtgefüges, das kann man steuern und den Chor im Selbstbewusstsein stärken. Wenn ich hier in Nürnberg beispielsweise Schautafeln aussuche, lege ich Wert darauf, dass der Chor auch auf einigen abgebildet ist.

Ehrlich: Das ist sehr schön. Wenn ich zum Beispiel die Rezensionen für „Gatsby“ sehe, wo der Chor meistens gar nicht erwähnt wird, oder wenn man liest, wer alles am Missa-Solemnis-Konzert mitwirkt und kein Chor vorkommt…

Theiler: Wir haben natürlich keinen Einfluss darauf, ob die Presse etwas unterlässt oder schreibt.

Ehrlich: Darf ich denn an die Kollegen weitergeben, dass auch Sie unseren Wunsch unterstützen, weiterhin Konzerte zu singen als wesentlichen Bestandteil unserer Arbeit?

Theiler: Die ganzheitliche Betrachtung ist für mich eine wichtige. Dass ein Chor auch diese Möglichkeit haben muss: Ja! Aber Sie kennen den Leistungsauftrag eines Opernhauses. Da muss man immer sehen, wie sich das in ein Gesamtgefüge einbauen lässt.

Ehrlich: Für uns ist es wichtig, dass Sie doch sehr ausgleichend das Haus führen wollen, das Vermittelnde, das Sie gerade in den Mittelpunkt gestellt haben. Für den Chor ist wichtig, dass er überhaupt als Ensemble wahrgenommen wird, als eine Gemeinschaft, die eine tragende Säule in der Oper ist. Unsere 200-jährige Tradition kommt ja nicht von ungefähr. Sie hängt auch mit dem Qualitätsanspruch zusammen. Wenn man die Qualität nicht immer permanent abfordert, geht sie ein.

Theiler: Aber sie wird schon abgefordert. Ich habe den Chor wiederholt gehört. Sie leisten Außerordentliches.

O&T: Wenn wir auf Ihre Zeit in Nürnberg blicken: Sie sind jetzt sieben Jahre hier. Welches waren wichtige Meilensteine?

„La Bohème“ in Nürnberg, mit dem jungenChor nürnberg, Klaus Brummer als Parpignol und dem Chor des Staatstheaters Nürnberg. Foto: Jutta Missbach

„La Bohème“ in Nürnberg, mit dem jungenChor nürnberg, Klaus Brummer als Parpignol und dem Chor des Staatstheaters Nürnberg. Foto: Jutta Missbach

Theiler: Sicher, dass wir das Bewusstsein für einen Mehrspartenbetrieb gestärkt haben. Das ist das einzige Staatstheater im Freistaat außerhalb von München und einer der ganz großen Mehrspartenbetriebe in Deutschland. Wir haben das Glück, dass wir über ein perfekt renoviertes und technisch hochwertiges Schauspielhaus verfügen, und das Pech, dass wir auf einer technisch veralteten Opernbühne spielen, an der seit 1905 nichts mehr groß gemacht wurde. Da werden die Stadt und der Freistaat sehr viele Mittel in die Hand nehmen müssen. Es gilt jetzt erst einmal eine Ausweichspielstätte zu planen. Die wird am jetzigen Kongress- und Konzertsaal an der Meistersingerhalle gebaut.

Das zweite ist: Wir haben sicher versucht, die Publikumsbindung weiter voranzutreiben. Das ist zwar ein Staatstheater, aber jedes Haus ist ja auch immer ein Theater für die Region. Wir haben Abo-Steigerungen von 53 Prozent in den letzten Jahren. Wir haben ganz neue Besucherschichten erobern können. Es gibt einen Trend zu gemischten Abonnements für Oper, Schauspiel und Ballett. Das ist die Bestätigung dessen, dass wir diesen Mehrspartenkurs gut vermittelt haben.

Dann ist uns die Bindung von Förderern und Sponsoren an dieses Haus gelungen. Wir aktivieren hier sehr stark die Identifikation mit dem Theater und stärken dadurch auch ein bürgerschaftliches Engagement.

O&T: Das Motto der laufenden Spielzeit lautet: „Für jeden eine Bühne“. Auch ein Hinweis auf die Öffnung des Hauses…

Theiler: Als ich hier anfing, gab es eine Theaterpädagogin. Ich habe sofort eine zweite Stelle geschaffen, und jetzt sind wir dabei, eine dritte Stelle mit migrantischem Hintergrund einzurichten. Wir wollen schnell reagieren und einen Beitrag nicht nur zur ästhetischen Bildung, sondern auch zur Integration leisten. Wir haben von Anfang an mit bildungsfernen Schichten zusammengearbeitet, mit Kindern und Jugendlichen, die benachteiligt sind. Wir wollen die Generation von übermorgen an die Hochkultur heranführen. Und wir müssen uns nicht nur um jüngere Menschen, wir müssen uns zunehmend auch um ältere Menschen kümmern.

Ein weiterer Punkt ist, dass wir auch ästhetisch spannendes Theater machen. Die Mischung ist wichtig, auch in der Regiehandschrift. Manches wäre vielleicht vor ein paar Jahren noch nicht möglich gewesen. Sie müssen die Menschen auch mitnehmen.

O&T: Was kann Theater leisten angesichts der vielen Menschen aus anderen Kulturen, die zu uns kommen?

Theiler: Die Ängste kommen doch von dem, was unbekannt oder fremd ist. Wir können Integration nur schaffen, wenn wir versuchen, das Unbekannte aufzubrechen und bekannt zu machen, auf Menschen zuzugehen, die aus anderen Kulturkreisen kommen, und sie einladen. Wir haben hier mehr und mehr türkisches Publikum. Nürnberg ist eine Stadt mit sehr vielen, bestens integrierten Migranten. Das ist eine Szene, die man in Dresden gar nicht kennt. Hier gibt es kaum Verirrte, die irgendwo schreiend herumstehen, schon gar nicht vor dem Opernhaus. Warum? Weil das hier eine über Jahre gewachsene Verständniskultur ist.

O&T: Was hat die Aufwertung zum Staatstheater in Nürnberg verändert?

Theiler: Das ist eine große Leistung gewesen, an der viele Kulturpolitiker, aber auch Unternehmer hier in der Region Anteil hatten. Die Wahrnehmung in der Bevölkerung hat sich positiv verändert.

O&T: Sind es auch finanzielle Aspekte, die für das Haus interessant sind?

Theiler: Für die Kommune hat das natürlich finanzielle Aspekte. Die Lastenverteilung liegt jetzt bei 50:50. Früher hatte die Stadt einen Großteil zu tragen.

O&T: Und für das Haus?

Theiler: Wir hatten jetzt eine kontinuierliche Steigerung der Finanzierung. Aber es gab natürlich auch Personalkostensteigerungen, und wir konnten diese, weil wir den Rückhalt der Politik genießen, immer wieder auffangen. Wir haben keine Bedrohungslage in der Diskussionskultur mit unseren Trägern.

O&T: Sie sind gerade dabei, einen neuen Gesangswettbewerb zu etablieren: „Die Meistersinger von Nürnberg“.

Theiler: Wir haben doch die Meistersinger-Tradition. Und wir haben im Sommer hier ein Bardentreffen. Ich dachte, man könnte das wunderbar kombinieren. Daraus ist dann dieser Wettbewerb geworden. Es gibt einen Teil mit dem allgemeinen und einen Teil mit deutschem Repertoire. Insgesamt können wir Preisgelder im Wert von 40.000 Euro vergeben. Für das dramatische Fach kann man sich bis Mitte 40 bewerben. Sie finden ja nicht unbedingt einen Sigmund oder Tristan, der 28 Jahre alt ist. Wir treffen eine Vorauswahl mit Vorsingen in Hamburg, Paris, Stockholm, Moskau, Toronto, Shen-Zhen, unserer Partnerstadt in China, und in Sao Paulo. Wir laden dann etwa 80 Sänger nach Nürnberg ein, von denen 10 bis 12 im Finale mit Orchester auftreten. Die Preisträger singen dann am Vorabend des Bardentreffens vor 4.000 oder 5.000 Zuschauern in einem öffentlichen Konzert mit unserer Staatsphilharmonie.

O&T: Sie haben mit Goyo Montero als Ballettdirektor auch im Ballett neue Wege eingeschlagen.

Theiler: Wir haben die Compagnie von 16 auf 22 vergrößert. Ich bin dann auf Goyo Montero gestoßen, einen ganz spannenden Choreografen mit einer ganz eigenen Handschrift. Wir konnten dafür auch ein neues junges Publikum finden. Er bringt auch andere Choreografen hierher. Es ist ein richtiges Repertoire entstanden. Und wir haben das Orchesterballett wieder eingeführt.

O&T: Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit den Künstlergewerkschaften?

Theiler: Ich begrüße diese Zusammenarbeit sehr. Ich bin selbst engagiert im Deutschen Bühnenverein. Ich habe es immer begrüßt, dass Rolf Bolwin ein sehr konstruktives Verhältnis mit der GDBA und der VdO hat. Was mir eher ein bisschen Angst macht, ist der Dialog mit den Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes, also mit ver.di. Ich beobachte die Tendenz, dass die sich zu sehr in die Kunst einmischen wollen. Wir arbeiten hier sehr gut mit unserem Personalrat zusammen, obwohl dieser stark ver.di-gesteuert ist. Aber man muss aufpassen, dass da nicht künstlerische Richtlinien und Freiheiten geopfert werden.

Ehrlich: Ich kenne das noch von früher, ich weiß, wie es ist, wenn eine Großgewerkschaft das Sagen hat. Da bleibt keinerlei Flexibilität für künstlerische Arbeit.

Theiler: Und ver.di probiert es ja permanent, gerade im künstlerisch-technischen Zwischenbereich. Man muss aber seine künstlerische Freiheit verfolgen können, da bin ich immer für den Tendenzschutz.

O&T: Wie sehen Sie persönlich Ihrem Umzug nach Dresden entgegen?
Theiler: Meine Frau und ich haben eine große Neugier auf Dresden. Und wir sind sehr flexibel und lassen uns gerne auf die Gegebenheiten eines Ortes ein. Ich finde es wichtig, jetzt schon die Weichen zu stellen, dass man sich bekannt macht mit Menschen und Gegebenheiten vor Ort.

Ehrlich: Schön, dass Sie die Stadt auch kräftig einbeziehen.

Theiler: Ich denke, man muss mit dem Theater auch mal raus in die Stadt. Dresden hat ja leider im Moment ein großes Image-Problem. Das ist eine ganz blöde Situation, wenn sich Pegida und Ausländerfeindlichkeit mit dem Label Dresden verbinden. Dass das auch noch jeden Montagabend vor dem Opernhaus stattfinden muss, ist nicht gut.
Ehrlich: Wir fahren montags immer schon zwei Stunden vor den Vorstellungen los, damit wir sicher sind, dass wir ins Haus kommen. Es ist unsäglich, was wir da schon erleben mussten. Da fühlt man sich manchmal auch von der Politik allein gelassen. Als Chor empfinden wir diese Situation sehr belastend – und wir bangen auch um unser Publikum.

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