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Da steht man ja immer vorne

Der Chor des Landestheaters Coburg

Da erreicht uns die Anfrage von „Oper & Tanz“, ob wir Lust hätten ein Porträt des Coburger Opernchores zu schreiben. Ja schon, aber... Was ist denn das Besondere an unserem Chor? Vor allem: Was will man den Kollegen, die „Oper & Tanz“ lesen, von uns erzählen? Die kennen die Arbeit eines Opernchores selber am besten.
Vielleicht erst einmal: Coburg?!

Coburg kennen die meisten ja nur im Zusammenhang mit einer großen deutschen Versicherung. Aber dahinter gibt es tatsächlich noch eine kleine Stadt. 41.000 Einwohner. Genau in der Mitte Deutschlands, im nördlichsten Zipfel Bayerns und ziemlich weit ab vom Schuss. Da sind es gute 100 Kilometer bis Nürnberg im Süden. 100 Kilometer nach Würzburg im Westen und wiederum 100 Kilometer nach Erfurt im Norden über den Thüringer Wald. Im Osten der Frankenwald. Manch einer sagt, Coburg liege im Nichts, tiefste Provinz, der andere sagt, Coburg liege da, wo Deutschland am schönsten ist: in Franken! Und dann dieses beschauliche Städtchen mit dem Landestheater, welches ganz prominent am Schlossplatz gelegen ist. 1840 als Herzogliches Hoftheater eingeweiht, heute 480 Plätze, drei Sparten mit Musiktheater, Schauspiel und Ballett, einem 60-köpfigen B-Orchester und eben einem Chor.

Unterm Dach in der „Chorkammer“. Foto: Martin Trepl

Unterm Dach in der „Chorkammer“. Foto: Martin Trepl

Elf ganze und zwei halbe Damen, zwölf Herren. Ein Chordirektor. Diese 25 Personen drängeln sich täglich in einem Raum unter dem Dach des Theaters, der eher Chorkammer als Chorsaal zu nennen ist (alles Kammersänger). Akustisch eine Katastrophe, im Sommer heiß, im Winter stickig. Ein Klavier, das diesen Namen schon lange nicht mehr verdient. Aber Erlösung naht! Stadt und Freistaat haben sich nach jahrelangem Ringen endlich auf eine Finanzierung geeinigt, deren Ziel eine grundlegende Sanierung des Theaters und Erweiterung mit Probengebäuden ist. Dann bekommen wir endlich einen Chorsaal, der diesen Namen verdient! Dabei muss man den weitsichtigen Coburger Bürgern nach Ende des 1. Weltkrieges danken (da hatten sie noch eine gewisse Weitsicht, kurze Zeit später verloren sie sie komplett, aber das ist eine andere Geschichte). Damals musste sich das ehemalige Herzogtum entscheiden, ob man lieber zu Thüringen oder zu Bayern gehören wollte. Und die Bayern boten den Coburgern einen bis heute gültigen Staatsvertrag an. Der sieht unter anderem vier Gymnasien, ein Gericht und eben das Landestheater vor. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass sich eine Stadt dieser Größe ein personell so gut aufgestelltes Haus leisten könnte, wenn nicht der Freistaat Bayern jedes Jahr einen beträchtlichen Teil der Kosten übernähme. Und auch die der Sanierung. Hinter vorgehaltener Hand spricht man sogar manchmal vom „heimlichen vierten Staatstheater“. Leider muss die Stadt Coburg, wie alle anderen auch, sparen, das spüren wir auch am Theater, trotz des Staatsvertrags. Aber er bewahrt uns vor Schlimmerem. So steht unser Chor, auch im Vergleich mit wesentlich größeren Städten und ihren Theatern, mit seinen 24 Stellen sehr gut da.

Der heimliche Hauptdarsteller ist der Chor.

24! Da wundern sich Kollegen größerer Häuser, wie man mit so wenigen Sängern arbeiten kann. „24! Da steht man ja immer vorne! Oh Gott!“, sagte mal eine Kollegin aus einem 80-Personen-Chor. Das ist wahrscheinlich auch einer der großen Unterschiede, die die Arbeit eines kleinen Chores kennzeichnen: Man kann sich nicht verstecken. Szenisch sind wir immer präsent und gefordert – wenn denn ein Regisseur fordert; das ist ja auch nicht immer der Fall. Ein Regisseur kennt schnell die Namen aller Chorsänger (na ja, Herrn Bae und Herrn Chu verwechselt er länger…), was eine szenische Arbeit auch persönlicher und individueller macht. Wir führen seit Jahren ein „Chorbuch“, in dem sich jeder Regisseur verewigen kann. Ein wenig Eigenlob muss erlaubt sein: Sie sind immer voll des Lobes über unsere Spielfreude und szenische Darstellungskraft. Jochen Berger im Coburger Tageblatt zu „Der Liebestrank“: „Der heimliche Hauptdarsteller ist der von Lorenzo Da Rio sorgfältig einstudierte Chor des Landestheaters, der nicht nur homogen und präzise singt, sondern auch ungemein spielfreudig agiert. Der Regie (...) gelingt es tatsächlich, den Chor in Individuen zu verwandeln. Jede Choristin, jeder Chorist spielt eine eigene kleine Rolle, ohne sich freilich in den Vordergrund zu drängen – vom verwirrten alternden Maestro bis zum Monsignore.“ Durch diese größere Präsenz auf der Bühne gibt es eine ganz andere Beziehung zum Publikum. In so einer kleinen Stadt wird auch der Chorsänger auf dem Wochenmarkt auf die vergangene Vorstellung angesprochen.

Das Landestheater Coburg. Foto: Martin Trepl

Das Landestheater Coburg. Foto: Martin Trepl

Wie viele Häuser unserer Größe müssen wir nicht nur das Genre Oper bedienen, sondern den ganzen Bereich des Musiktheaters, auch Musical und Operette. Vielen Hochschulabsolventen ist dies nicht klar. Sie wundern sich, wenn sie merken, dass ein guter Teil der Arbeit im Tanzsaal stattfindet. Es gab auch einige Jahre, in denen als Sparmaßnahme das Ballett gestrichen wurde. In dieser Zeit waren wir fit – bei zwei Musicals und zwei Operetten pro Saison! Ende der 90er-Jahre, als es mit den Musicals richtig losging – man sprach hier auch vom „Franken Broadway“ –, gab es vier pro Saison. Damals waren es allerdings noch bis zu zwölf Neuproduktionen in der Spielzeit, heute sind wir bei sieben und ein bis zwei Übernahmen aus der Vorsaison. Kein Repertoire! Glücklicherweise gibt es das Ballett inzwischen wieder.

Aber nicht nur tänzerisch ist das Genre Musical eine Herausforderung. Jeder Bass weiß das. Es dauert Jahre, bis man diese stimmliche Aufgabe, auf die einen keine Opernschule vorbereitet, halbwegs meistert. Gerade, was diesen tänzerischen und stimmlichen Aspekt angeht, ist an den Hochschulen wohl niemandem klar, was das Berufsbild eines Opernchorsängers an kleineren Häusern wirklich bedeutet.

Coburger Opernchor im „Liebestrank“. Foto: Martin Trepl

Coburger Opernchor im „Liebestrank“. Foto: Martin Trepl

Da das Solistenensemble an solch kleinen Häusern nie sehr groß ist, gibt es für die Choristen bei uns immer die Möglichkeit, sich in solistischen Partien zu probieren. Es vergeht keine Produktion, in der nicht irgendein Chormitglied solistisch besetzt ist. Ein extremes Beispiel war eine Produktion der Zauberflöte, bei der in manchen Vorstellungen die Königin, Papageno, Papagena, Geharnischte, Sprecher und Monostatos aus dem Chor besetzt wurden. Sicher, das war ein Einzelfall, aber es ist auch ein Beleg für die Stärke und Qualität unserer Chorsänger.

Bis in die 90er-Jahre wurde in der sogenannten Provinz das Meiste in deutsch gesungen. Diese Zeiten sind auch hier schon lange vorbei. Auch wir müssen uns mit russisch, tschechisch, französisch und anderen Sprachen beschäftigen. Bei vierzehn Nationen, die hier zusammenkommen, ist immer ein Muttersprachler dabei; aber auch das Problem, so viele verschiedene Vokalfärbungen auf einen Nenner zu bekommen, ist groß. Ein Vorteil der Nationenvielfalt ist ganz eindeutig die Vielfalt des Buffets! Zu Weihnachtsfeiern oder sommerlichen Grillfesten steht die karibische Paella neben dem japanischen Sushi oder dem schwäbischen Kartoffelsalat. Und gegessen wird viel in diesem Chor.

Bei 24 Chorsängern ist das Repertoire natürlich etwas eingeschränkt und der klangliche Genuss bleibt bei größeren Chorwerken manchmal auf der Strecke. Nichtsdestotrotz will die Theaterleitung ab und an die Leistungsfähigkeit des Hauses beweisen und setzt dann Tannhäuser, Turandot oder sogar Lohengrin auf den Spielplan. Da kam es auch mal vor, dass ein Chorbass ganz alleine „Die Brabanter“ darstellen musste. Aber auch das geht. Und wenn man sich die Einträge im Gästebuch des Theaters anschaut und Stimmen liest wie: „Viel schöner als in München oder Bayreuth! Man ist einfach näher dran und mittendrin!“, dann kann über die musikalischen Abstriche schon einmal hinweg gesehen werden. Und nächstes Jahr Parsifal!

„Norma“ in Coburg mit dem Chor des Landestheaters. Foto: Andrea Kremper

„Norma“ in Coburg mit dem Chor des Landestheaters. Foto: Andrea Kremper

In der vergangenen Spielzeit waren wir in drei von sieben Produktionen nicht vertreten („Hair“, „Salome“, „Hänsel und Gretel“). Daneben gab es „Chorkracher“ wie die „Entführung“ und „La Bohème“. Wir hatten also Zeit. Das nahm unser motiviert-übermotivierter junger Chordirektor zum Anlass, mit uns ein reines Konzertprogramm einzustudieren. Nun lässt unser Spielplan das im Allgemeinen nicht zu. Gut, mal Beethovens Neunte oder etwas anderes im Sinfoniekonzert. Aber ein anderthalbstündiges Konzert? Für uns war das Neuland. Die meisten hatten, wenn überhaupt, mit solchem Repertoire (Brahms, Schubert, Reger, Schumann...) zuletzt im Hochschulchor Berührung. Aber es war interessant, einmal in die Rolle eines Kammerchores zu schlüpfen – und unglaublich anstrengend. Das Ergebnis konnte sich durchaus hören lassen. Auch wenn viele von uns sagen: So schnell nicht wieder, wir sind doch eher auf der Bühne zuhause.

In einem ist dieser Chor ein absolutes Vorbild. 24 von 25 Mitglieder sind in der VdO organisiert! Ein Organisationsgrad von 96 Prozent. Nicht schlecht, oder?

Martin Trepl

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