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Editorial 2016/04 von Gerrit Wedel

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Musikalisch fesselnd – plump inszeniert
»Parsifal«-Neuinszenierung in Bayreuth

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Berichte

Musikalisch fesselnd – plump inszeniert

»Parsifal«-Neuinszenierung in Bayreuth

Kein Sommer ohne Bayreuth-Eklat. Der diesjährige bestand darin, dass Dirigent Andris Nelsons dreieinhalb Wochen vor der Premiere das Handtuch geworfen hatte. Ob wegen atmosphärischer Störungen aufgrund der verschärften Sicherheitsmaßnahmen oder wegen Einmischung des Musikdirektors Christian Thielemann, blieb auf bayreuth-typische Art nebulös. Dass mit Hartmut Haenchen ein akribischer Partiturkenner als Einspringer gewonnen werden konnte, erwies sich dann aber als Glücksfall.

Von Anfang an war zu erleben, welch klare Vorstellung Haenchen von den zeitlichen Proportionen des Werkes hat. Der Fluss der Sprache bestimme das Tempo, hatte Haenchen im Vorfeld betont, und im langen Monolog des Gurnemanz im ersten Akt wurde deutlich, was er damit meint. Der überragende Georg Zeppenfeld kam in einen Erzählfluss, aus dem heraus sein profunder, aber stets trennscharf und nuancenreich artikulierender Bass fesselndes Hörtheater gestaltete.

Klaus Florian Vogt als Parsifal, Anna Siminska, Katharina Persicke, Mareike Morr, Alexandra Steiner, Bele Kumberger, Ingeborg GIIIebo als Klingsors Zaubermädchen. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Klaus Florian Vogt als Parsifal, Anna Siminska, Katharina Persicke, Mareike Morr, Alexandra Steiner, Bele Kumberger, Ingeborg GIIIebo als Klingsors Zaubermädchen. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Auch wenn man die Premiere nach den wenigen Proben wohl nur als Zwischenergebnis seiner Arbeit werten kann, so war doch erkennbar, dass Haenchen auf einen die Blechbläser klar konturierenden Klang und eine gute Durchhörbarkeit von Mittelstimmen setzte, ohne die warmen Mischungen zu vernachlässigen. Manche Feinheit in den Farbvaleurs und eine genauere Koordination mag sich im Lauf der weiteren Vorstellungen noch eingestellt haben.

Entscheidend ist, dass das Orchester in zentralen Passagen echten dramatischen Zug entwickelte. Die rasche Gangart ging also nicht wie in Pierre Boulez’ Dirigat zur Schlingensief-Inszenierung 2004 mit einer gewissen Nüchternheit einher, sondern schlug in sprechende Theatralik um.

Davon profitierte auch Klaus Florian Vogt in der Titelpartie. Er bestach einmal mehr mit seiner überragenden Textbehandlung und der anstrengungslosen Tragfähigkeit seines extrem klaren, hell timbrierten Tenors. Bis auf einzelne, allzu farblos herausstechende Töne war er aber auch in der Lage, seine im Kern nach wie vor lyrische Stimme den inhaltlichen Erfordernissen gemäß mal wärmer, mal heldisch-dramatischer zu timbrieren. In Reaktion auf Elena Pankratovas Kundry ergaben sich daraus packende, ganz aus dem Vokalen heraus gestaltete Erregungskurven. Die russische Sopranistin verfügt über eine herrlich abgerundete, dabei extrem klar konturierte tiefe und mittlere Lage. In der Höhe kommt – ohne Tremoloexzesse – kontrollierte Explosivität hinzu.
Mit Ryan McKinnys Amfortas, Gerd Grochowskis Klingsor und Karl-Heinz Lehners Titurel waren weitere wichtige Rollen ordentlich, die Blumenmädchen außerordentlich besetzt, und weil der Festspielchor unter Eberhard Friedrich sein schwindelerregendes Niveau auch in diesem Jahr hielt, war die musikalische Seite dieser Parsifal-Premiere hocherfreulich.

Doch dieses komplizierte, Mythos, Philosophie und Religion zum „Bühnenweihfestspiel“ amalgamierende Werk muss ja auch noch mindestens bebildert, besser: szenisch gedeutet werden. Was der ursprünglich verpflichtete Künstler und Provokateur Jonathan Meese daraus gemacht hätte, ist anhand der wütenden Pamphlete und Interviews nach seinem Rauswurf Ende 2014 nur zu erahnen. Eines ist sicher: Schlechter als das, was Uwe Eric Laufenberg daraufhin als Resteverwertung seiner Kölner Intendanz aus der Schublade zog, hätte es nicht werden können. Der Opernroutinier siedelt den Stoff in einem aktuellen Krisengebiet im Mittleren Osten an. In einer zerbombten christlichen Kirche bietet eine sektenartige Bruderschaft Flüchtlingen Zuflucht, zieht seine spirituelle Kraft aber aus einem grausamen Ritual: Dem von Narben entstellten und mit Dornen gekrönten Amfortas wird die Wunde in der Seite aufgestochen; an dem im Gralskelch aufgefangenen Blut stärken sich die Mönche.

Der ahnungslose Soldat Parsifal widersteht in der Folge den Verlockungen muslimischer Blumenmädchen, die sich nach Ablegen des Tschador als fesche Bauchtänzerinnen entpuppen, und kapiert durch Kundrys Kuss endlich, was mit Amfortas los ist. Der geistert praktischerweise auch im Hamam-Etablissement Klingsors herum, jenes äußerlich zum Islam konvertierten Schurken, der mit einem phallisch verlängerten Kreuz herumwedelt und sich heimlich vor seiner Kruzifix-Sammlung selbst geißelt.

Nach langen Irrfahrten bringt Parsifal den von Klingsor erbeuteten und zum Kreuz umgebauten Speer in die Kirchenruine des ersten Aktes zurück. Dort ist mit Parsifals Rückkehr alles wieder gut, weil die Weltreligionen nun friedlich zusammenleben, besser noch: alle äußerlichen Zeichen ihres Glaubens in Titurels Sarg entsorgen.

Die plump gedachte und kaum weniger plump umgesetzte Grundidee erreichte ihren Tiefpunkt in dem aus der Kirche ins Weltall heraus- und in diese wieder zurückzoomenden Filmchen, das Laufenberg sich für die Verwandlungsmusik im ersten Akt hatte zusammenbasteln lassen. Kläglicher dürfte das berühmte „Zum Raum wird hier die Zeit“ kaum je dargestellt worden sein. Und dass die Realität komplexer ist, als Laufenbergs oberflächliche Religionskritik uns glauben machen will, zeigen aktuelle Ereignisse aufs Schmerzlichste. Vereinzelte Buhrufe für das Regieteam gingen im Jubel für die musikalischen Leistungen unter.

Juan Martin Koch

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