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Editorial 2016/04 von Gerrit Wedel

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Spielpläne 2016/2015

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Radikaler Neustart

Die Münchner Biennale 2016

„Seit Ewigkeiten hatte ich den Plan, ein Buch zu schreiben, das mit diesem Satz anfangen sollte. Das einzige Problem war nur: Wie sollte es danach weitergehen?“ Es dauert einige Zeit, bis dieser erste Satz als Einblendung über der Bühne steht. Immer wieder ruckelt der Computercursor löschend zurück, setzt der unsichtbare Autor neu an.

Simon Steen-Andersens „If this than that and now what“ war eines von zwei Eröffnungswerken der diesjährigen Münchner Biennale für neues Musiktheater. Die Frage, wie es denn nun weitergehe, stand also auch programmatisch am Beginn der ersten Festivalausgabe unter Leitung der neuen Doppelspitze mit Manos Tsangaris und Daniel Ott.

„Für immer ganz oben“. Foto: Andrea Huber

„Für immer ganz oben“. Foto: Andrea Huber

Am deutlichsten sichtbar wurde der neue, von den vorherigen Festivalkonzeptionen eines Hans Werner Henze und Peter Ruzicka sich abgrenzende Ansatz bei der Installation „The Navidson Records“. Ein Kollektiv um Tassilo Tesche und Till Wyler von Ballmoos hatte die Kunsthalle Lothringer 13 in ein verschachteltes Labyrinth verwandelt. Gruppenweise wurde das Publikum eingelassen, um das Areal selbstständig zu erkunden. Die aus Lautsprechern tönenden Musikfetzen, das Knarzen von Treppenstufen, die Blickwechsel mit den Anwesenden, das wie beiläufig herumliegende Buch „The House of Leaves“ von Mark Danielewski als Inspirationsquelle für die Installation – all das lud die Atmosphäre geheimnisvoll auf. Je nach Zeitfenster blieb es dann aber auch dabei, und es konnte einem passieren, dass Musik nur in Form bedeutungsvoll herumgeschobener Instrumente und aufgeschlagener Notenblätter präsent war. Die empfohlene Verweildauer von einer Stunde war hier offenbar viel zu kurz angesetzt.

Genauer getaktet war da „Mnemo/scene: Echos“, ein „Resonanzraum der Erinnerung“ nach einem Text von Ariel Farace, den die Regisseurin Pauline Beaulieu und die Komponistin Stephanie Haensler für das Einstein Kulturzentrum entwickelt hatten. Der zunächst freie einstündige Rundgang kulminierte in der konzertanten Aufführung einer Paraphrase auf Schumanns Klavierromanze op. 28, Nr. 2. Haenslers durchlöcherte Nostalgie wirkte einigermaßen stark. Andere Projekte und Installationen versuchten die Grenzen des Musiktheaterbegriffs noch weiter auszuloten. Hintersinnig unterhaltsam war der intime, den Begriff Musiktheater auf seine Essenz kondensierende Doppelabend mit Werken von Arno Camenisch und Georges Aperghis. Wenn Camenisch seine deftigen Kurzerzählungen aus den Graubündener Alpen zunächst auf Deutsch und dann auf Rätoromanisch mit genauestens rhythmisierter Sprachmelodie vorträgt, meint man einer Vertonung zu lauschen. Altmeister Aperghis wiederum hat Donatienne Michel-Dansac mit „Pub-Reklamen“ sieben herrliche Solos in die Stimme geschrieben, die das Gehabe aktueller Werbetexte grandios ad absurdum führen.

„Nach wie vor geht es darum, einen werkhaltigen Korpus zu schaffen“: Es blieben schließlich fünf Produktionen, die Manos Tsangaris’ Vorab-Bekenntnis mit Leben hätten füllen können. Dabei erwies sich dann ausgerechnet jenes Stück als am wenigsten überzeugend, in dem zumindest der Versuch unternommen worden war, es ganz aus der Musik heraus zu gestalten. „Sweat of the Sun“ von David Fennessy (Koproduktion mit dem Theater Osnabrück) basiert auf Werner Herzogs Tagebuch „Die Eroberung des Nutzlosen“, das seinerseits die abenteuerlichen Dreharbeiten zu „Fitzcarraldo“ reflektiert. Diese Stapelung von Metaebenen befördert die dramaturgische Stringenz nicht gerade: Die vom Münchner Kammerorchester unter Alexander Liebreich und Sebastian Schwab kompetent realisierte Kammerpartitur kommt über einige atmosphärisch gelungene Passagen mit Posaunenchorälen, Tischgitarren und Caruso-Einspielungen nicht hinaus.

„Underline“. Foto: Franz Kimmel

„Underline“. Foto: Franz Kimmel

Zwei weitere Biennale-Arbeiten waren hingegen vollständig vom Sprechtheater her gedacht. In Genoël von Liliensterns „Speere Stein Klavier“ wird in einem Hobbykeller der 1950er-Jahre nach Relikten und Kontinuitäten aus der NS-Zeit gefahndet. Anlass für musikalische Einlagen geben dann Fundstücke wie Werner Egks „Marsch der deutschen Jugend“ aus dem HJ-Film „Jungens“ oder Carl Orffs Ersatzmusiken zu Mendelssohns „Sommernachtstraum“. Als hinterfotzige Anspielung auf den „genius loci“ (Aufführungsort war der Carl-Orff-Saal im Gasteig) entbehrte das viel zu lange Stück nicht eines gewissen Charmes.

Den Zeitpunkt Schluss zu machen hatte leider auch Simon Steen-Andersen verpasst. Sein textlastiges „If this than that and now what“ beginnt brillant, indem die präzise getaktete, licht- und bühnentechnisch herrlich unterstützte Dauerschleife von Bühnenauf- und -abgängen von mechanistischen Musikaktionen begleitet wird. Ein Dirigent in zwei Gestalten hebt daraufhin zu einem ausladenden, von gelegentlichen Musikhäppchen kommentierten Vortrag zum Thema Selbstreferenz an. Das zunächst intelligent-unterhaltsame, die Aufführungssituation permanent kommentierende Spiel läuft sich jedoch mit zunehmender Dauer tot.

Mit „Für immer ganz oben“ hatten Komponistin Brigitta Muntendorf und Regisseur Abdullah Kenan Karaca sich darum bemüht, Musik- und Sprechtheater in eine Balance zu bringen. Die kleine Schwimmhalle des Müllerschen Volksbades wurde zur Jugendstil-Kulisse einer Coming-of-Age-Geschichte, die David Foster Wallace in der zugrunde liegenden Erzählung brennglasartig in dem Moment bündelt, da ein Junge an seinem dreizehnten Geburtstag den Sprungturm eines Freibads betritt. Die verwirrenden, plötzlich auf ihn hereinprasselnden Gedanken hat die Komponistin in einen Eröffnungsstrudel aus Knabenstimmen (ausgezeichnet der Münchner Knabenchor unter der Leitung Ralf Ludewigs) und Bandsounds verwandelt, den die Hallenakustik eindrucksvoll verstärkt. Die Anklänge an Musical oder Rockoper wirken dabei einerseits sympathisch unprätentiös in ihrer Nähe zum Sujet, andererseits aber auch fehl am Platz im Rahmen eines nach neuen musiktheatralen Ausdrucksformen suchenden Festivals.

Am Ende zeigte mit „Underline“ (Koproduktion mit der Deutschen Oper Berlin) eine gänzlich unopernhafte Performance zumindest einen Schleichweg aus den diversen Sackgassen dieses Biennale-Jahrgangs. Deville Cohen hat mit Hilfe der selbstgebauten Klangerzeuger von Hugo Morales Murguia eine kinetische Choreografie optischer Formen ersonnen, die einen für eine Stunde locker in den Bann zieht.

Keine Frage, Daniel Ott und Manos Tsangaris haben mit ihrer ersten Biennale-Ausgabe einen radikalen Neustart gewagt und damit auch Erfrischendes zutage gefördert. Leider sind sie bei ihrer Auswahl aber auch zielsicher auf Künstlerinnen und Künstler gestoßen, die sich für Musiktheater oder gar Oper offenbar nur sehr am Rande interessieren. Insgesamt war innerhalb des geballten Programms jedenfalls so wenig Musik, geschweige denn Gesungenes zu hören, dass sich das Festival selbst in Frage zu stellen schien.

Juan Martin Koch

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