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Weisse und andere Elefanten
Editorial 2016/04 von Gerrit Wedel

Kulturpolitik

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Zur Situation deutscher Theater und Orchester

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Neue Heimat für die Staatsoperette Dresden

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Der Tanzkongress in Hannover

Berichte

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Gemischtes Doppel

Die Münchner Biennale mit neuer Leitung

Die künstlerischen Avantgarden machten aus der Provokation eine Kunstform, die auch das Musiktheater herausforderte. 1967 etwa polemisierte Pierre Boulez „Sprengt die Opernhäuser in die Luft!“, und wetterte gegen traditionsorientiertere Kollegen wie Hans Werner Henze. Allerdings überführte gerade dieser die Gattung in die Moderne und rief mit der Münchner Biennale für neues Musiktheater das weltweit einzige Festival ins Leben, das sich ausschließlich der Pflege zeitgenössischen Opernrepertoires widmet.

Mittlerweile hat eine neue Generation das Ruder übernommen. Nach Peter Ruzicka, der die Biennale seit 1996 um multimediale Konzepte erweiterte, steuern seit diesem Jahr die beiden Komponisten Manos Tsangaris und Daniel Ott das traditionsreiche Festival. Gleich in ihrer ersten Ausgabe haben die neuen Kapitäne mit einer konzeptionellen Wende einen neuerlichen Kurswechsel vorgenommen. Sie steuern die Münchener Biennale in Richtung der performativen Aktionskünste und kunstspartenübergreifender Formate, weil sie betonen: „Vielsprachigkeit und Heterogenität sind paradigmatische Merkmale der Gattung, das nehmen wir ernst und heben es hervor.“

Daniel Ott und Manos Tsangaris. Foto: Manu Theobald

Daniel Ott und Manos Tsangaris. Foto: Manu Theobald

Die neue Doppelspitze weist weit über eine dialektische Konstellation hinaus; vielmehr deutet sich im Gespräch mit den neuen Machern ein diskursiver Freistil an: „Zu zweit können wir zweifeln und Dinge beschließen, zu zweit können wir uns ins Wort fallen, uns widersprechen. Wir können uns streiten und wir können diskutieren.“ Beide interessieren sich für den Diskurs, also die ästhetische Kraft von Widersprüchen und Interferenzen, von Störungen und Dissonanzen.

Die vierte Epoche

1955 formulierte Hans Heinz Stuckenschmidt seine medientechnisch induzierte These von den „Drei Epochen“ der Musikgeschichte: War die Vokale „eng und innig an den Menschen selbst als ausführendes Organ gebunden“ und „eroberte sich“ die Instrumentale „das Tonwerkzeug als Mittel“, stelle die Elektronische „den Menschen nur noch an den Beginn des Kompositionsprozesses, schalte ihn aber als Mittler aus.“ Kann man in Anlehnung und Fortführung dieser Überlegung heute von einer „vierten“, einer „Digitalen Ära“, sprechen? Tatsächlich, so formuliert es Manos Tsangaris, seien unter digitalen Vorzeichen neue Strategien künstlerischen Innovationsstrebens gefragt, die sich „in den medialen Tentakeln der Öffentlichkeit zurechtfinden und den diskursiven Stil beherrschen“. Mit konkretem Blick auf die Biennale will Daniel Ott nicht von einem Bruch sprechen, „sondern lieber von einer Weiterentwicklung und Fortsetzung vorhandener Linien“. Das zeigt sich etwa in der Förderung des Nachwuchses auf der Münchener Biennale, die bereits Hans Werner Henze zu einem Ort machte, „an dem theaterinteressierte Komponisten der jungen Generation ihre Ideen in die Wirklichkeit umsetzen können“. Tsangaris und Ott legen einen Schwerpunkt auf die um 1980 herum geborene Komponistengeneration. Viele dieser „Digital Natives“ zeichnet eine besondere Medienkompetenz aus, die der multimedialen Anlage des Musiktheaters erneuernd beispringt, indem audiovisuelle Kommunikationsprozesse in den Blick und ins Gehör gestellt werden. Aber natürlich geht es – wie stets in der Musikgeschichte – auch bei der Biennale um eine Verortung in der Tradition.

Eine Horde Wale

1988 wurde die Münchener Biennale für neues Musiktheater von Hans Werner Henze begründet, der sein Werk im Anschluss an die Traditionen gestaltete und dafür von seinen experimenteller agierenden Kollegen wie Pierre Boulez, Luigi Nono oder Karlheinz Stockhausen boykottiert wurde. Sie alle aber bereiteten den Humus, auf dem das zeitgenössische Musiktheater gedeiht. Nachdem nun fast alle prägenden Protagonisten der Nachkriegsavantgarde gestorben sind und die Bühnen nachfolgenden Generationen überlassen haben, sollten die Maxime der Vordenker doch einer Prüfung unterzogen und auch die neue Münchener Biennale in ihrem Spannungsverhältnis zu den Traditionen ausgelotet werden. Schließlich hat jede Zeit ihre charakteristische Grammatik und sind „Komponisten wie eine Horde Wale, die das sozioästhetische Plankton nach dem Goldwäscherprinzip ernten“.

Original mit Untertiteln

Manos Tsangaris und Daniel Ott stellten ihrer ersten gemeinsamen Ausgabe der Münchener Biennale einen Begriff aus der Kino-Terminologie voran, den sie plurivokal ausleuchteten: „Was heißt Originalität, was ist Übersetzung innerhalb des Musik-Theaters, seiner Vorlagen, Libretti, Partituren, Aufführungen, Traditionen, Dokumentationen und Rezeptionsgeschichten?“ Das Originalitätsprinzip verweist in Anlehnung an Walter Benjamin nicht nur auf die Authentizität und Übersetzbarkeit des „Kunstwerks in Zeiten seiner technischen Reproduzierbarkeit“, sondern auch seiner digitalen Produktion und Distribution; der Zusatz „mit Untertiteln“ deutet auf den diskursiven Freistil, den das Gemischte Doppel an der Spitze der Münchener Biennale seit 2016 pflegt. Die Annäherungen der Komponisten an das Motto „OmU“ waren freilich so vielgestaltig wie die moderne Lebenswelt: Die Werkansätze reichten von eher textbasierten Bühnenwerken und Opern über Clubkultur und komponierte Installationen bis hin zu Performances im öffentlichen Raum und inszenierten Labyrinthen. Dabei verzichten auffällig viele Produktionen auf die oft als hermetisch empfundenen Grenzziehungen der Neuen Musik zugunsten einer undogmatischen und postmodern anmutenden Vielfalt. Das Programm der neuen Münchener Biennale unter Daniel Ott und Manos Tsangaris wies so auf die „Vielstimmigkeit unserer Lebenswelten, die den einzelnen Menschen als Schnittstelle gesellschaftlicher und medialer Kommunikation wieder in den Mittelpunkt rückt“. Wenn die auf Operntraditionen pfeifende Linie von einigen Beobachtern auch als provozierend empfunden wurde, war das Ergebnis doch eine musiktheatrale Hybridkultur des 21. Jahrhunderts, die mitnichten ernst, sondern oft genug überraschend und höchst unterhaltsam war.

Anna Schürmer

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