Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


Aktuelle Ausgabe

Weisse und andere Elefanten
Editorial 2016/04 von Gerrit Wedel

Kulturpolitik

Brennpunkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester

Wohin kommt der Notenschrank?
Neue Heimat für die Staatsoperette Dresden

Phänomen Zeitgenossenschaft
Der Tanzkongress in Hannover

Berichte

Musikalisch fesselnd – plump inszeniert
»Parsifal«-Neuinszenierung in Bayreuth

Traumgestalten einer Schubladenwelt
»Juliette« an der Berliner Staatsoper

Verführung durch Werke und Orte
Die 70. Bregenzer Festspiele: Ein Rück- und Überblick

Ein schaler Nachgeschmack
Die Salzburger Festspiele 2016

Schwerpunkt

Zeitgenössisches Musiktheater
Details

VdO-Nachrichten

VdO-Nachrichten
+++ Wir gratulieren +++

Service

Schlagzeilen

Namen und Fakten

Stellenmarkt

Spielpläne 2016/2015

Schwerpunkt

Die Gattung braucht beide Seiten

Zeitgenössisches Musiktheater zwischen freier Szene und institutioneller Rahmung

Bei der Frage nach dem zeitgenössischen Musiktheater steht man vor einem grammatikalischen Problem: Das Nomen „Theater“ existiert nicht als Plural; wie die Musik beharrt es als Singularetantum störrisch auf seiner Einzahl. Die deutsche Sprachlehre ist im Verzug gegenüber der vielgestaltigen Gegenwart, die es fast unmöglich macht, von DEM zeitgenössischen Musiktheater zu sprechen. Allerdings manifestieren sich zwei Stränge im Wurzelgeäst des musikdramatischen Schaffens: Die Freie Szene und der Staatstheater-Apparat. Wo liegen die Unterschiede, die Vor- und Nachteile freier respektive institutioneller Produktionen? Was passiert vom Auftrag bis zur Uraufführung? Und gibt es überhaupt DAS Musiktheater?

Gattungsvielfalt

Zur sommerlichen Festspielzeit hat man in München reichlich Gelegenheit, das zeitgenössische Musiktheater unter die Lupe zu nehmen. 2016 etwa standen zwei Produktionen auf dem Spielplan, die den Anordnungen des Gedankenexperimentes entsprechen: Hauke Berheides „Mauerschau“ entstand im Rahmen der Festspiel-Werkstatt der Bayerischen Staatsoper, während Helga Pogatschars „Schachabend“ eine Produktion des Freien Kulturzentrums „Schwere Reiter“ ist. Obwohl und weil sich beide Produktionen als zeitgenössisches Musiktheater verstehen, symbolisieren sie die Vielfalt der Gattung, die sich hinter ungleichen Synonymen versteckt.

„Mauerschau“: Leela Subramaniam, Adriana Bastidas-Gamboa und Hanna Herfurtner. Foto: Wilfried Hösl

„Mauerschau“: Leela Subramaniam, Adriana Bastidas-Gamboa und Hanna Herfurtner. Foto: Wilfried Hösl

Die Bayerische Staatsoper will „im weitesten Sinne Oper betreiben und diese als Form bewahren“. Malte Krasting, der für die „Mauerschau“ zuständige Dramaturg, beschreibt diesen Anspruch als „positiv aufgefassten Eklektizismus“. Dagegen konstatiert Helga Pogatschar, die Komponistin von „Schachabend“, den allgemeinen Trend zum Performativen: „Klassische Rollen, Story und Musik lösen sich auf im Installativen.“ Ihr Librettist Christoph Buggert interessiert sich dafür, den „Alltag zu veropern: Musiktheater und bürgerliches Leben stehen sich seit jeher sehr nahe“. Mit „Schachabend“ – einer Fabel über fünf wohlsituierte Bürger, die einen Einbrecher ertappen und in Selbstjustiz nach dem kaiserlich-österreichischen Kriegsstrafrecht richten – lieferte er ursprünglich lediglich den Text für ein Hörspiel, das Helga Pogatschar für den Bayerischen Rundfunk vertonte: „Der Weg auf die Bühne war ein Zusatz.“

Nach der Produktion reifte der Gedanke, das Stück als „Kriminaloper“ auf die Bühne zu bringen. An dieser Stelle kam Karl Wallowsky ins Spiel, der qua Werdegang den Idealismus der Freien Szene verkörpert. Seit 2008 präsentiert der gelernte Ingenieur im Kunstquartier „Schwere Reiter“ vorrangig zeitgenössische Musik-, Tanz- und Theaterproduktionen mit notorisch schmalem Budget: „Wir sind kein großes Haus und schlank besetzt mit zwei Technikern, Einlass- und Thekendame.“ Allerdings versucht er, aus der finanziellen Not eine kreative Tugend zu machen, indem er ein ganzheitliches Kultur- und freies Betriebskonzept verfolgt, wie es in städtischen Theatern undenkbar ist.

Spektakel und Prekariat

Die Bayerische Staatsoper verfügt über ein straffes und hochdifferenziertes Organigramm. Während Freie Produktionen oft nur wenige Wochen an Vorbereitungs- und Probenzeit umfassen, startet man hier mindestens eineinhalb Jahre vor der Premiere. Das gilt nicht nur für große Neuinszenierungen im Stammhaus der Oper am Max-Joseph-Platz, sondern auch für Produktionen wie Hauke Berheides „Mauerschau“, die im Rahmen der Festspiel-Werkstatt entstand und von Oksana Lyniv in der Reithalle dirigiert wurde. „Noch bevor die erste Note geschrieben war“, wurde die Assistentin von Kirill Petrenko involviert und das Werk in kontinuierlichem Austausch mit dem Komponisten und der Librettistin entwickelt. Früh machte sich auch Dramaturg Malte Krasting auf die Suche nach einer spektakulären Bühneninstallation und stieß dabei auf „Luftwerk“, die den Penthesilea-Mythos in „Mauerschau“ als Interface für das illusorische Spiel der Medien interpretierten.

Überzeugen institutionelle Produktionen oft auch durch spektakuläre Inszenierungen, kann ein solcher Aufwand im prekären Ambiente der Freien Szene nicht gestemmt werden: Während Oksana Lyniv das Bayerische Staatsorchester und den Extrachor der Bayerischen Staatsoper dirigiert, wird der „Schach-abend“ von einem Bläserquintett und Salome Kammer als einziger Sängerin bespielt. Während sie alle fünf Schachbrüder inklusive des Einbrechers darstellt, ist es bei der „Mauerschau“ gerade anders herum: Zwar sieht die Handlung nur zwei Protagonisten – Penthesilea und Achill – vor; allerdings stehen sechs Sänger und eine Schauspielerin auf der Bühne, da beide Heroen von jeweils zwei Schatten begleitet und von einer Botin kommentiert werden.

„Oksana Lyniv schätzt das Feuer der freien Szene für die künstlerische Sache, allerdings lasse auch die Staatsoper viel Raum für Entdeckergeist.“

Diese Disposition liegt nicht nur an den ungleichen Budgets der Freien und institutionellen Szenen und sagt überdies wenig über die Qualität aus. So betont Oksana Lyniv, dass „auch mit wenigen Mitteln sehr dramatische Effekte möglich sind“. Sie schätzt das Feuer der Freien Szene für die künstlerische Sache, allerdings lasse auch die Staatsoper „viel Raum für Entdeckergeist – bei gleichzeitiger Gewährung bestimmter Mittel, die den Produktionen wiederum Freiheit eröffnen“. Auch Malte Krasting weiß, dass „der weit vorauseilende Probenplan und fixe Strukturen in einem Haus wie der Staatsoper furchteinflößend wirken können – aber es funktioniert“, ohne automatisch einer „Bestätigungs- oder Repräsentationskultur“ zu entsprechen, wie sie Karl Wallowsky ablehnt.

Risikolust und Gefahrenminimierung

Dennoch ist die Freie Szene unabhängiger und kann oft risikofreudiger agieren als ihre institutionelle Schwester. „An der Staatsoper“, so Malte Krasting, „müssen nicht nur 2.000 Plätze ge-, sondern auch bestimmte Erwartungshaltungen erfüllt werden.“ Dies gilt insbesondere für zeitgenössische Produktionen, die nichtsdestotrotz zum Profil der Staatsoper gehören. Besonders bei Werkstatt-Produktionen wie der „Mauerschau“ in der Reithalle habe man aber viele „Möglichkeiten, das Experimentelle zu pflegen“ und doch mit Blick auf das klassische Staatsopernpublikum die „Gefahr gering zu halten“.

Alternative Spielstätten sind also nicht nur ein Merkmal der Freien Szene, wo man Risikominimierung allerdings als Schimpfwort versteht und die Unsicherheit als kreatives Moment schätzt. Zwar weiß die Komponistin Helga Pogatschar, dass „Neue Musik unter Umständen eine anstrengende Gattung ist“; allerdings schätzt sie die „kreative Nervosität“ der eng getakteten Freien Szene im Gegensatz zu der „statischen Sicherheit an großen Häusern“, die auch ihre Mitstreiter beim „Schachabend“ als „tödlich für jede kreative Atmosphäre“ bezeichnen. Allerdings ist das ästhetische Moment des Spontanen kein alleiniges Privileg oder aber Schwäche der Freien Szene. „Auch nach Jahren der Planung “, so betont der Staatsopern-Dramaturg Malte Krasting, „entscheiden die letzten drei Tage über das Gelingen.“

Vielstimmige Zukunftsmusik

Über künstlerische Qualität sagen Mittel und Produktionsbedingungen wenig aus, allerdings zeigt sich auch in der zeitgenössischen Musiktheaterproduktion die bedrohliche Einkommensschere, welche die Freie Szene in einen Existenzkampf verwickelt. Dabei braucht die Gattung beide Seiten – die unsichere Kreativität der Freien sowie den funktionierenden Staatstheaterapparat – um das grammatikalische Singularetantum Musiktheater vielstimmig wie die pluralistische Gegenwart klingen zu lassen.

Anna Schürmer

 

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner