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Editorial

Muss Theater sein?

Schon wieder steht ein Jahreswechsel an – typischerweise Zeit für eine Bilanz. Aber welche Erkenntnis könnte die bringen? Gesellschaftliche Entwicklungen lassen sich nicht in Jahresraster fassen, und wenn man speziell unseren Bereich, das Theater, betrachtet, lässt sich schnell konstatieren: Es gab in diesem Jahr nichts wirklich Neues, wohl aber eine Fortsetzung der schleichenden Erosion, gegen die wir uns seit einigen Jahrzehnten stemmen. Das wirft allenfalls die Frage auf: Wo soll das noch hinführen?

  Tobias Könemann  

Tobias Könemann

 

Theater war in verschiedenster Form seit Menschengedenken – auch bei globaler Betrachtung – ein wesentlicher Bestandteil aller Kulturen. Dass es von immer größeren Teilen der Gesellschaft zunehmend in Frage gestellt wird, ist ein Novum unserer Kultur. Ist dies ein Zeichen ihres Untergangs? Gesellschaften und Kulturen sind in der Weltgeschichte schon immer erblüht und untergegangen. Viele Zeichen deuten darauf hin, dass die unsere in den letzten Jahrzehnten ihren Zenit überschritten hat. Dazu gehören unter anderem die jüngsten weltweiten Funktionsstörungen demokratischer Systeme, verursacht nicht zuletzt durch nationalistisch-populistische und neoliberal-individualistische Strömungen. Letztere wurden gerade in Deutschland dadurch ins Leben gerufen, dass die Politik Anfang der 1980er Jahre eine „geistig-moralische Erneuerung“ ausgerufen hat, die das bis dahin sich entwickelnde Wertesystem nicht korrigierte, sondern verdrängte, ohne ihm etwas entgegenzusetzen. In diesem Zusammenhang ist wohl auch der zunehmende Verdruss an bzw. die Entfremdung von den hergebrachten Kulturinstitutionen zu sehen. Das Theater aber kann die kathartische Funktion, die ihm in dieser Gesellschaft einmal zugewiesen war, nur wahrnehmen, wenn es in einer gewissen Breite in die Gesellschaft eingebettet ist, von ihr getragen wird und mit ihr lebendig interagiert. Dies kann man nicht erzwingen – schon gar nicht dadurch, dass wir uns selbst ständig unsere Notwendigkeit bestätigen.

Die gesellschaftliche Funktion lässt sich auch nicht dadurch ersetzen, dass man sie – etwa durch das im Kern zutreffende Argument der „Umwegrentabilität“ – in eine volkswirtschaftliche umdeutet. Theater kostet Geld – im Vergleich zu sonstigen Aktivitäten gar nicht einmal viel. Als Teil der Unterhaltungsindustrie könnte man es dem Markt überlassen; in der genannten gesellschaftlichen Funktion ist es eine Aufgabe, die, wenn man sie denn bejaht, öffentlich zu finanzieren ist. Wenn eine Gesellschaft das nicht will, ist dies legitim. Sie soll sich dann aber dazu bekennen und die Konsequenzen tragen.

Fazit: Es gibt – trotz jahrtausendealter Tradition – kein Naturgesetz, dass der Mensch Theater braucht. Die Menschheit befindet sich derzeit gerade in Sachen Kommunikation (und Theater ist nichts anderes als sehr komplexe Kommunikation) im vielleicht größten Umbruch ihrer Geschichte. Es kann sein, dass die Tradition Theater dabei auf der Strecke bleibt. Jede einzelne Kultur muss für sich entscheiden, wo sie hinsteuert. Unerträglich ist allerdings das unehrliche Herumeiern besonders derjenigen, die unsere Gesellschaft zu ihren Repräsentanten (gemeinhin „Politiker“ genannt) erkoren hat. Wir als Träger dieser Tradition haben keinen Anspruch auf deren Fortbestand, wohl aber als Menschen und Mitglieder dieser Gesellschaft Anspruch auf Klarheit. Diese sollten wir lautstark einfordern – auch mit den uns eigenen Mitteln!

Tobias Könemann

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