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Runterzufallen wäre nicht lustig

„Four Quartets“ von Goyo Montero mit dem Apollon Musagète Quartett in Nürnberg

Die Stimme des Dichters T.S. Eliot kommt aus dem Off. Sie formt Gedanken und emotionale Bilder. Noch bevor ein Takt Musik erklingt, transformiert Solistin Sayaka Kado (ausgezeichnet mit dem Bayerischen Kunstförderpreis 2016) das Gehörte mittels impulsiv-fließender Bewegungen in Tanz – verblüffend menschfremdartig, abstrakt und beredt zugleich. Worte bekommen körperlich Gestalt. Genau wie die Musik auch: Brahms Streichsextett B-Dur op. 18 (2. Satz) und Schuberts Streichquintett in C-Dur. Mit Einsatz der Streicher strömen fünf weitere Tänzer in den Raum und verdichten das ausdrucksvolle Geflecht der akustischen und visuellen Elemente noch weiter.

Augenscheinlich einfach und doch aufsehenerregend spektakulär: Gemeinsam mit William Forsythes „Approximate Sonata“ – Kernstück des Dreiteilers „Kammertanz“ – und Christian Spucks „das siebte blau“ kehrten Goyo Monteros „Four Quartets“ am 8. Oktober auf die Bühne des Nürnberger Opernhauses zurück. Gesprochene Poesie, tanzende Körper und ein in die Choreografie eingebundenes Streicherensemble verschmelzen zu einer künstlerischen Einheit.

„Four Quartets“ – Sayaka Kado und Ensemble. Foto: Jesús Vallinas

„Four Quartets“ – Sayaka Kado und Ensemble. Foto: Jesús Vallinas

Musiker, die live auf Podesten spielen und dabei von Tänzern in die Aktion einbezogen beziehungsweise über die Bühne verschoben werden. Das hat man in dieser Form noch nicht erlebt. Um in einer kammermusikalisch von Brahms und Schubert getragenen Ballettkreation herkömmliche Wahrnehmungsgewohnheiten wie klassische Aufführungstraditionen aufzubrechen, müssen die richtigen Partner zusammenfinden. Dann können die Maßstäbe des Machbaren in eine neue Dimension verschoben werden. Und dafür hat Nürnbergs wagnisbereiter, stets die Tiefen menschlicher Empfindsamkeit neu auslotender Tanzchef ein gutes Gespür. Goyo Montero rannte offene Türen ein, als er – inspiriert von T.S. Eliots Gedicht „Burnt Norton“ – mit seiner Idee durchweg fließender Spannungs- und Personenkonstellationen beim Apollon Musagète Quartett anfragte.

Vesna Mlakar sprach für „Oper & Tanz“ mit Pawel Zalejski, dem ersten Geiger des Apollon Musagète Quartetts, über die besonderen Erfahrungen bei diesem Projekt.

Pawel Zalejski: 2010 zogen wir hierher. Dadurch habe ich immer wieder Stücke von Montero gesehen, ihn sozusagen aus der Ferne beobachtet – und vom Zustandekommen eines gemeinsamen Projekts geträumt. Mir gefällt die Art und Weise, wie er nicht nur mit Tanz, sondern mit Musik und Tanz umgeht – also diese Intelligenz im Ballett.

Vesna Mlakar: Was begeistert Sie an Goyo Monteros Arbeit besonders?

Zalejski: Die Fülle an Informationen in seinen Bewegungen, die ich – bewusst und unbewusst – bekomme, wenn ich eines seiner Stücke sehe, finde ich bewundernswert. Da gibt es viel mehr als nur Tanz oder Musik. Es entsteht eine weitere Ebene. Das hat mich schon bei „Latent“ sehr beeindruckt. Natürlich kenne ich Berlioz’ „Symphonie Fantastique“, aber Goyo vermag mit seiner Choreografie zusätzlich etwas auszudrücken, Inhalte, die irgendwo im Unterbewusstsein schlummern. Er hat ein großes Verständnis für klassische Musik und kennt ihre Hintergründe. Es gibt jedes Mal eine Unmenge zu entdecken. Das ist das Spannende an seiner Bewegungssprache. Sie steckt voller Hinweise, die teilweise direkt zu verstehen sind, oft aber auch – wie in der Poesie – nur etwas andeuten.

Mlakar: Genau das macht die Faszination der „Four Quartets“ aus. Wann wurde Ihnen das Ausmaß dessen, was tatsächlich auf Sie zukam, klar?

Zalejski: Montero hat nach einer sehr flexiblen Gruppe gesucht, die seine Anforderungen, unter anderem auf mobilen Podesten zu musizieren, umsetzen kann. Im Computer sah das nicht weiter schlimm aus. Als dann ein Podest (nicht mal das höchste!) fertig in einer Halle stand, waren wir überrascht. Ich weiß nicht, ob man das als Zuschauer mitbekommt, aber die sind riesig – gute vier bis fünf Meter hoch! Entscheidend in den Probenphasen war, dass wir jede Etappe schrittweise angegangen sind: wie man auf den Rollkästen steht, die Beschleunigung, während man spielt – das müssen die Beine lernen, damit man stabil bleibt –, die sich ständig ändernden Distanzen. Jeder Zentimeter macht normalerweise für uns einen Unterschied – in der breitesten Stellung sind wir hier gut 20 Meter auseinander! Dann gibt es Positionen, in denen einer den Einsatz geben muss, die anderen drehen sich jedoch gerade oder wir stehen mit dem Rücken zueinander. Da kann man nicht auf Sicht oder Gehör spielen, sondern nur mit Gefühl.

Die zu bewältigenden Herausforderungen waren anders als sonst. Was für ein personenstarker Grossbetrieb so eine Theaterproduktion ist, haben wir zum ersten Mal hautnah miterlebt.

Das Bewegen durch den Raum mit einem Superteam aus Technikern und Tänzern, die uns herumschieben, haben wir ausgiebig geprobt. Erst langsam, dann immer schneller. Wir haben uns sogar in die Noten hineingeschrieben, wo rapide Stellungswechsel passieren. Die Abläufe wurden flüssiger, und wir gaben Feedback, was noch geht. Zum Schluss kamen auf der Bühne die unterschiedlichen Lichtverhältnisse – beziehungsweise die Dunkelheit – hinzu.

Mlakar: Die Musiker mussten sich also einen eigenen motorischen Ablauf erarbeiten?

Zalejski: Die zu bewältigenden Herausforderungen waren anders als sonst. Was für ein personenstarker Großbetrieb so eine Theaterproduktion ist, haben wir zum ersten Mal hautnah miterlebt. Wir sind gewohnt, mit unseren Instrumenten und Pulten am Konzertort anzukommen, und die Sache läuft. Hier war Sicherheit ein wichtiges Thema. Im Probenverlauf hat die technische Abteilung die Bedingungen dank spezieller Räder und ausgeklügelter Montage immer weiter verbessert. Wir stehen mit teuren Instrumenten auf diesen Podesten, und runterzufallen wäre gar nicht lustig. Die Fahrten durften deshalb nicht zu ruckelig sein. Am Ende fühlten wir uns ziemlich sicher, weil wir genau gelernt haben, auf was es zu achten gilt. Man muss sich körperlich vorbereiten und quasi mittanzen. In so einer Produktion muss das gesamte Team über die Zeit zusammenwachsen.

Mlakar: Ein anderes entscheidendes Thema waren die Tempi …

Zalejski: Erst bei der Ballettprobe im Studio mit eingespielter Musik habe ich begriffen, dass für jede noch so kleine Note eine Bewegung existiert. Das heißt, wir haben weniger Interpretationsfreiheit, weil jede Tempoänderung eine Auswirkung nach sich zieht. Die Verbindung zwischen Komposition und Tanz ist extrem eng. Wir reagieren oft auf die Tänzer, wissen, wie ein Schritt und welcher Ausdruck gewollt ist. Nach jedem Durchlauf kam Goyo und wollte diese Sektion etwas langsamer, jene ein bisschen schneller – zu unserer Verwunderung nur um Haaresbreite. Wohl niemand sonst im Publikum würde das bemerken. Für ihn aber hat jede körperliche Artikulation ihr eigenes Tempo, folglich eine eigene Dynamik. Oder es ging darum, ob eine Passage nach vorne strebt beziehungsweise sich beruhigt, Bewegungen sich verdichten, die Schläge rhythmisch nacheinander erfolgen oder dazwischen etwas Luft bleibt.

Dass Tanz, Musik, Licht und sogar das gesprochene Wort – eben alle Faktoren – untrennbar in einem Gesamtbild zusammenwirken, liebe ich. Genau das, was wir in „Four Quartets“ machen – Kunst als eine Einheit zu sehen –, ist das Motto unseres Quartetts Apollon Musagète.

Mlakar: Welchen Aspekt der intensiven Zusammenarbeit mit der Kompanie werden Sie so schnell nicht vergessen?

Zalejski: Für mich war es immer ein Rätsel, wie eine Choreografie, die einzelnen Figuren überhaupt entstehen. Deswegen hat mich Monteros Umgang mit seinen Tänzern sehr beeindruckt. So kollegial und freundlich. Natürlich gibt er die Impulse vor, lässt ihnen dann aber viele Freiheiten. Kommt es zu einem Problem, kritisiert er nicht einfach, sondern sucht nach Lösungen. Die Ensemblemitglieder sind in die Entstehung des Stücks involviert und darin geschult, Schwierigkeiten im Kern zu erkennen und sofort kreativ anzugehen. Jeder fühlt sich als Teil eines Ganzen, und wenn etwas falsch läuft, haben sie eine Stütze – einen Visionär, der ihnen hilft. Sie reißen den Beobachter mit, weil sie ganz genau verstehen, was sie tanzen.

Vesna Mlakar

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