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Hintergrund

Muss das sein?

Martin Schläpfer im Gespräch und mit seiner neuen Uraufführung

Zwei neue Stücke kreiert Martin Schläpfer, Chefchoreograf und Künstlerischer Direktor des „Ballett am Rhein“, in dieser Spielzeit für seine Compagnie: „Ulenspiegeltänze“ und „44 Duos“. Die „Ulenspiegeltänze“ kamen im dreiteiligen Programm b.38 in Duisburg zur Uraufführung. In Düsseldorf kommt Schläpfers zweite Neuschöpfung „44 Duos“ am 12. April im Programm b.39 auf die Bühne. Vorab gab es ein „Choreografengespräch“: Martin Schläpfer sprach mit seiner leitenden Dramaturgin, Anne do Paço, über Inhalte und Hintergründe seiner beiden Uraufführungen, aber auch über seinen Blick auf die derzeitige Tanzlandschaft und Zukunftspläne. Georg Beck berichtet über das Gespräch und die Uraufführung in Duisburg.

Am Ende glaubten wir immerhin den Anfang zu verstehen, teilweise zumindest. Nach Premierenschluss ein bewegter Martin Schläpfer. Ein Chefchoreograf, der seinem gewohnt ergebenen Publikum, handküssend, die Choreografenlegende William Forsythe präsentierte, seine Compagnie immer wieder an die Rampe führte – federnden Schrittes. Ein Tänzer – immer noch. Es war zu sehen und zu spüren.

Martin Schläpfer in der Probe. Foto: Gert Weigelt

Martin Schläpfer in der Probe. Foto: Gert Weigelt

Der Ballettboden – sein Element. Da darf nichts im Weg stehen. Jedenfalls nichts, das die Bewegung ausbremst, weswegen man im Nachhinein die Unlust ahnte, die vom künstlerischen Direktor des „Ballett am Rhein“ Besitz ergriffen hatte, als er vor Monatsfrist zum „Choreografengespräch“ gebeten wurde. Für Martin Schläpfer ein Setting wie beim Zahnarzt – mit Zuschauern. Auch in seiner zehnten und letzten Spielzeit gehen die heimischen Ballettfreunde bereitwillig mit, zeigen Interesse, zeigen Anhänglichkeit, selbst wenn man dem Düsseldorfer Publikumsliebling im Probensaal nur einen Stuhl hingestellt hatte. Nicht zum tänzerisch-verspielten Ausprobieren, vielmehr, um darauf Platz zu nehmen und sich – befragen zu lassen. „Muss das sein?“ – Eine Frage, die zwar nicht gestellt wurde, aber doch klar herauskam. Der Körper verheimlicht so etwas nämlich nicht. Schon gar nicht der eines Tänzers.

Was war da los?

Yuko Kato und Pedro Maricato. Foto: Gert Weigelt

Yuko Kato und Pedro Maricato. Foto: Gert Weigelt

Auf der Premierenbühne im Duisburger Opernhaus wurde die Sache schon plastischer, zumindest tendenziell. Man spürte, dass dieser jüngsten Kreation eine gute Portion dessen fehlte, was Schläpfer an der choreografischen Handschrift Hans van Manens so bewundert: die „kristallklare“ Dramaturgie. Davon waren diese „Ulenspiegeltänze“ ein gutes Stück entfernt, irgendetwas stand im Weg. Was schon beim Titel anfing. Ein wirklicher Ulen/Eulenspiegel, jene mittelalterliche Narrengestalt, die die Menschheit mit bösen Späßen terrorisiert, ein solcher Erzschelm trat hier gar nicht in Erscheinung. Das war schon einmal die erste Hürde. Statt des bitterbösen Narren hatte Schläpfer Ersatz geschickt in Gestalt jenes Wesens, das sich im „Ulenspiegel“ versteckt hält – die Ule. Gleich am Anfang sahen wir sie hocken als hübsche Videoprojektion von Keso Dekker. Im bis auf die Schnüre skelletierten Bühnenhintergrund schaute sie uns an aus großen Ulen-Augen, durchschaute unsere ganze Ratlosigkeit binnen eines Ulen-Wimpernschlags, hatte aber bald genug und machte sich lautlos vom Acker.

Für den Dirigenten Wen-Pin Chien war es das Zeichen, seine im Graben versenkten Duisburger Philharmoniker ins Spiel zu bringen. Verhängt, erdenschwer wie Regenwolken, die ihre Last loswerden wollen, choreografierten die Ersten Violinen das Eröffnungsthema der 7. Sinfonie von Sergej Prokofjew. In der Wahl dieser Musik hatte diese Choreografie eine zweite Hürde und Bürde, an der sie letztlich zu Fall kam. Und das, obwohl es eine Musik war, die in jedem Takt versicherte: „Was ich sage, ist verbindlich, ist gültig, ist sachlich, ist objektiv!“ Für Prokofjew war sie die Rettung, glaubte er zumindest. Rettung vor einem paranoiden System der Verfolgung, Rettung vor Stalin, den uns Schläpfer, auf einmal ganz Oberlehrer, kurz in den Bühnenhimmel projizierte. Da prangte der Schnauzbart wie ein pervertiertes Zwiebackgesicht; für Prokofjew tatsächlich der ganz reale Beelzebub-Ulenspiegel und der Grund für seinen Rückzug hinter den lyrischen Limes seiner melodienseligen Neosachlichkeit. Meisterhaft gemacht, muss man sagen, noch in der Verstellung.

Yuko Kato. Foto: Gert Weigelt

Yuko Kato. Foto: Gert Weigelt

Was Schläpfer angeht, so glaubte er, sich daraus das Scheinheilige, das Sarkastische ausleihen zu können, um etwas in der Hand zu haben gegen die, wie er im Gespräch mit seiner Dramaturgin Anne do Paço gestand, von ihm nachgerade an jedem Tag, auf allen Sendern, an allen Ecken und Enden beobachteten Narreteien unserer schönen neuen Internet-Lebenswelt. Letztere sehe er etwa, wenn er den religiösen Fundamentalismus sehe, wie er sich gen Mekka beugt und das Smartphone in der Tasche hat. Man versteht das sofort. Andererseits, gerade weil „Farce und Fake“ allgegenwärtig sind, braucht es den Kunstausdruck von heute, nicht einen von vorgestern.

So blieben die Aktionen maskenhaft erstarrt, die Bewegungen der Paartänze, der Soli, der Ensembles wie aus dem Elementarkasten herausgeholt. Das Bündnis, das Schläpfer mit dieser Siebten schließen wollte, um auf ihr sein „abstraktes“ Ballett entwickeln zu können – diese vornehme Absicht wurde von demselben Prokofjew schlicht unterlaufen. Die Ulenaugen vermehrten sich, ein Kronleuchter senkte sich, das Wiener Opernhaus erschien (Schläpfers künftige Wirkungsstätte), kurz: Die Choreografie geriet ins Rutschen, Mäandern. Am Ende hat es Schläpfer wohl selbst gespürt. Woher sonst die Entscheidung, seiner Schleiereule im Schlussbild die rote Pappnase aufzusetzen? Sicher, ein Gag, ein folkloristisches Zugeständnis an den Karneval. Oder doch ein auschoreografiertes Achselzucken?

Die ehrlichsten Momente hatten diese „Ulenspiegeltänze“ in den Pausen der Satzübergänge. Lücken, in die Schläpfer kleine Pantomimen eingebaut hatte. Kommentare zum Vorhergehenden, Kommenden. Für einen Moment blitzte sein Choreografeninstinkt auf. Im Parkett, auf den Rängen des Duisburger Opernhauses fast so etwas wie Durchatmen, als dieser hochneurotischen Abspielmusik der Saft abgedreht wurde. – Was jetzt? Wie weiter? Fragen, die sich auch die Tänzer zu stellen schienen. Sie wussten es nicht, stellten vielmehr ihre ganze Ratlosigkeit aus. Soll ich gehen? Soll ich bleiben? Soll ich kommen? – „Muss das sein?“ An dieser Frage wäre anzuknüpfen, im Prinzip zumindest.

Georg Beck

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