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Querelen und Konkurrenzen

Die Geschichte der Berliner Opernhäuser (Teil 2) · Von Susanne Geißler

Als der Alte Fritz 1786 im Alter von 74 Jahren verstarb, harrten die Kunstfreunde seines Neffen und Nachfolgers. Man hoffte auf neue Impulse, den unabdinglichen künstlerischen Aufschwung. Grundsätzlich hatte sich an den Aufgaben der Hofoper jedoch mit dem Regierungswechsel nichts geändert. Auch der neue König, Friedrich Wilhelm II., wollte einen Kulturpalast, der sich zur monarchischen Repräsentation eignete und durch prunkvolle Hoffeste glänzte. Auch er bevorzugte für das Haus Unter den Linden die klassische opera seria, obwohl er sich Neuerungen gegenüber offen zeigte. Das populäre Singspiel oder die zeitgenössische deutsche Oper wollte der Regent dennoch nicht an der ersten künstlerischen Adresse Berlins vertreten wissen. Dafür stiftete er lieber ein eigenes Haus. Als eine seiner ersten Regierungshandlungen übergab er am 10. September 1786 das seit Jahren leer stehende französische Komödienhaus am Berliner Gendarmenmarkt an den Theaterprinzipal Carl Theophil Doebbelin als ,,Nationaltheater“ mit einem jährlichen Zuschuss von 12.000 Thalern, der aber bald auf 6.000 Thaler gesenkt wurde.

Neubau der Hofoper

Weil sich die Hofoper nicht nur künstlerisch, sondern auch baulich als verschlissen erwies, ließ der zweite Friedrich Wilhelm das Haus durch Carl Gotthard Langhans d.Ä., den späteren Schöpfer des Brandenburger Tores, gründlich umbauen und erneuern. Die Bühne wurde vergrößert, das Parkett abgeschrägt und erstmals mit Sesseln versehen. Die Logentrennwände wurden zurückversetzt, so dass sich die Sicht auf die Bühne wesentlich verbesserte. Rechts und links der Szene entstanden Bühnenlogen, die Mittelloge fürs Königshaus erhob sich nun über zwei Ränge. Ein gewölbter Kanal unter dem Orchestergraben diente als Resonanzboden und verbesserte den Orchesterklang. „Übrigens besitzt das Theater eine verborgene Wasserkunst, durch welche jeder unglückliche Zufall sogleich abgewendet werden kann“, so umschrieben 1788 die „Berlinischen Jahrbücher“ den Einbau einer Feuerlöschanlage.

Nach einjähriger Bauzeit öffnete die Königliche Hofoper 1788 mit einem Maskenball wieder ihre Pforten. „2.000 Masken sind am 8. Januar anwesend“, heißt es in einem Bericht, „welche 1.800 Butterbrot, 300 Ochsenzungen, 200 Kalbs- und Wildbraten, 200 Torten, 200 Baumkuchen, 6 Scheffel Bonbons, 6 Scheffel gebrannte Mandeln, 100 Hasen, 200 Flaschen Champagner und 1 Zentner Schokolade vertilgten.“

Mit der baulichen Erneuerung wurde auch der seit Jahren verwaiste Intendantensessel durch den Freiherrn von der Reck neu besetzt. Hofkomponist und -kapellmeister blieb Johann Friedrich Reichardt, mit dessen italienischer „Andromeda“ das Haus 1788 wieder eröffnet wurde. Erst mit dem an Gluck orientierten Werk war die Vorherrschaft von Graun und Hasse im Berliner Hofopernspielplan gebrochen, nicht aber die der italienischen Sprache. Reichardt überraschte das Publikum jedoch mit einem neuen dramaturgischen Prinzip: Er wandte sich von der reinen Nummernfolge mit Ballettverbindung ab und präsentierte eine durchgehende Handlung, in der Spiel und Tanz untereinander in Zusammenhang standen.

Ein Jahr später erhielt der in Berlin zu Besuch weilende Carl Ditters von Dittersdorf die Erlaubnis, sein Oratorium „Hiob“ in der Hofoper aufzuführen. Bei dieser Gelegenheit wurden zum ersten Mal Eintrittskarten verkauft, öffnete sich der Bau dem Berliner Bürgertum. Doch was eine neue Epoche der Operngeschichte hätte begründen können, blieb für das Haus ohne Folgen. Die höfischen Schranken hielten. Den sich verändernden politischen Gegebenheiten wurde nicht Rechnung getragen. Hof und Adel blieben unter sich und nahmen an der Weiterentwicklung der Kunstform Oper kaum teil.

Das neue Nationaltheater

Das Berliner Bürgertum und mit ihm die aufstrebende Intelligenz fanden ihre musikalische Heimstatt am Gendarmenmarkt. Wer war schon der italienischen oder französischen Sprache mächtig, die da von der Bühne der Hofoper herab klang. Und dem Prunk waren die Berliner als nüchterne und spottlustige Menschen sowieso abhold. Bestätigung und kulturelle Freude fand man – nomen est omen – im Nationaltheater. Diese Bühne darf für sich in Anspruch nehmen, der deutschen Oper den Weg bereitet zu haben, wie steinig, dornig und kurvenreich er auch immer war.

An seinem Anfang standen Wolfgang Amadeus Mozart und Christoph Willibald Gluck. Mozarts programmatische Frage: „Jede Nation hat ihre Oper – warum sollen wir Teutschen sie nicht haben?“ erhielt ihre ersten Antworten abseits des Hofes und auch gegen dessen Willen. Vielleicht gefiel den Berlinern, dass man am Gendarmenmarkt weder mit den Stücken noch mit den Besetzungen zimperlich umsprang. Den Standsängern italienischer Art setzten die Regisseure am Gendarmenmarkt spielende und agierende Sänger entgegen, die ihrem Widerpart auch mal eine kräftige Maulschelle verpassten, mit trunkener Zunge redeten, ihre Perücken schief aufsetzten und Fußtritte verteilten, dass die Kulissen zitterten. Beifall fanden sie auch und gerade für diese Realitätsnähe.

1789 kam Mozart nach Berlin und erlebte am 19. Mai im Nationaltheater eine Aufführung seiner „Entführung aus dem Serail“, die im Vorjahr unter dem Titel „Belmonte und Constanze“ dort erstaufgeführt worden war.

Teutscher Geist

Das Nationaltheater blieb in den folgenden Jahren die Pflegestätte für Mozarts Schaffen. 1790 erlebten „Die Hochzeit des Figaro“ und „Don Giovanni“ ihre Berliner Erstaufführungen. Unter dem Titel „Eine machts wie die andere oder Die Schule der Liebhaber“ folgte 1792 „Cosi fan tutte“ und schließlich 1794 „Die Zauberflöte“. Eifriger Förderer von Mozarts Schaffen am Nationaltheater war der Kapellmeister Bernhard Anselm Weber, der 1795 auch erstmals Glucks „Iphigenie auf Taurus“ in Berlin aufführte. Dies jedoch nicht ohne lange Vorverhandlungen mit dem Regenten. Etliche Briefe wechselten zwischen Theater und Königshaus. In ihnen war im Zusammenhang mit der Gluck-Aufführung die Rede davon, „das deutsche Talent und den deutschen Geist zu heben und zu ermuntern“ und damit verbunden wurden untertänigst vorgebrachte Bitten um Geld. Die gute Folge: Der König öffnete sein Portefeuille, stellte die Balletteleven seines Opernhauses zur Verfügung und führte somit selbst einen kleinen Dolchstoß wider seine Oper, allerdings unwissentlich, denn man nahm die ganze Angelegenheit nicht ernst. Allen, die einen Reinfall erleben wollten, blieb am 24. Februar 1795 jedoch das Lachen im Halse stecken. Jedermann im Parkett und auf den Rängen erkannte: Tragische Oper ist auch mit deutschen Sängern möglich.

Die deutsche Oper fand somit ihre Berliner Heimat am Gendarmenmarkt, derweilen Unter den Linden weiterhin die italienische Oper vorherrschte. Dort Adlige, hie Bürger, die auch im Konzertleben eigene Vorstellungen entwickelten und mit der Singakademie verwirklichten. Einem sich zäh hinschleppenden Streit zwischen den deutschen und den italienischen Künstlern fiel Reichardt zum Opfer. Er wurde erst von Intrigen und Verleumdungen verfolgt und 1794 schließlich als Sympathisant der Französischen Revolution entlassen.

Iffland kommt

Weiteren Aufschwung nahm das Nationaltheater als der Schauspieler und Dramatiker August Wilhelm Iffland aus Mannheim 1796 die Leitung übernahm. Zwar erklang im gleichen Jahr, bei einem Benefizkonzert für Mozarts Witwe mit Ausschnitten aus „Titus“, erstmals in der Hofoper die deutsche Sprache, zwar holte man sich 1795 für den entlassenen Reichardt Friedrich Heinrich Himmel als komponierenden Kapellmeister an die Lindenoper, aber auch so konnte man gegen die deutschsprachige Konkurrenz am Gendarmenmarkt nichts ausrichten.

Die Institution der Hofoper hatte sich durch ihre Veränderungsunwilligkeit überlebt. Seit 1801 wurden am Ende der Saison alle während des Karnevals gespielten Werke auf Anweisung Friedrich Wilhelms III., der seit 1797 in Preußen herrschte, gegen Eintrittsgeld gezeigt. Der Erlös der Aufführungen sollte den Armen in Preußen zugute kommen. Damit zog endlich regelmäßig bürgerliches Publikum in die feudale Hofoper ein. Was ein hoffnungsvoller Anfang wichtiger Modernisierung hätte werden können, fand ein rasches von außen aufgezwungenes Ende mit Napoleon und der Niederlage Preußens bei Jena und Auerstädt 1806. Berlin wurde von den Franzosen besetzt. Iffland hatte Befehl, am Gendarmenmarkt vor allem französische Singspiele und Ballette und alle deutschen Stücke ebenfalls in französischer Sprache aufzuführen. Noch ärger erging es der Hofoper: Das Personal wurde entlassen. Das Haus selbst fungierte in der französischen Besatzungszeit als Brotmagazin.

Königliche Schauspiele

Nachdem die Königliche italienische Hofoper nach der Niederlage Preußens gegen Napoleon unsanft entschlafen war, dauerte das Tauziehen um die Zukunft der Berliner Lindenoper und des Nationaltheaters bis 1811. Erst dann entschied Friedrich Wilhelm III., beide Häuser klar zu profilieren und einheitlich zu leiten. Ganz nebenbei ging es dem Regenten natürlich auch um eine Kostenreduzierung, denn das Sängerensemble und das Ballett hatten nun an beiden Häusern zu wirken. August Wilhelm Iffland erhielt die ehrenvolle Berufung als Generaldirektor der „Königlichen Schauspiele“. Unter diesem Namen vereinten sich das Haus am Gendarmenmarkt und die Bühne Unter den Linden bis zur Flucht des Kaisers im Jahre 1918 zu einem niemals einheitlichen Ganzen. Der neuen Benennung Rechnung tragend setzte sich nach und nach für das Nationaltheater der Name „Schauspielhaus“ durch. Erst nach der Wende 1989 kam es zu einer erneuten Umbenennung. Nunmehr heißt es „Konzerthaus“.

Mit Iffland war erstmalig und für hundert Jahre auch letztmalig ein bürgerlicher Künstler Leiter der beiden Häuser. Mit der Spielplangestaltung hatte er eine glückliche Hand. „Die Vestalin“ und „Fernand Cortez“ von Gasparo Spontini bestachen durch große dekorative Effekte und wurden Sensationserfolge. Auch zwei Erstaufführungen eines noch weithin unbekannten deutschen Komponisten, der zehn Jahre später an der Spree den größten Triumph seines Lebens feiern sollte, entzückten die Berliner: Carl Maria von Webers heroische Oper „Silvana“ und die komische Oper „Abu Hassan“ erschienen 1811 und 1813 auf dem Spielplan.

Nach Ifflands Tod leitete ab 1815 Karl Reichsgraf von Brühl beide Häuser. Wiewohl Hofbeamter, er hatte als junger Mann beim Prinzen Heinrich als Kammerherr gedient, hatte sich Brühl sorgfältig auf das lange erstrebte Amt vorbereitet. Von Staatskanzler Hardenberg erhielt er den Auftrag: „Machen Sie das beste Theater in Deutschland und sagen Sie mir, was es kostet.“ Und mit diesem Vorsatz ging Brühl ans Werk. Programmatisch begann er mit der Berliner Erstaufführung von Beethovens „Fidelio“ am 11. Oktober 1815. Ein Jahr später brachte Brühl die romantische Oper „Undine“ von E.T.A. Hoffmann im Nationaltheater heraus. Fünf Jahre vor Webers „Freischütz“ erlebte mit ihr die deutsche romantische Oper am 6. August 1816 in Schinkels Ausstattung ihre eigentliche Geburtsstunde. Da Hoffmann direkt hinter dem Nationaltheater, wohnte, erklärte er während der Proben das Opernhaus zu seinem täglichen Wohnzimmer. Sein nächtliches Zuhause war die im Erdgeschoss seines Wohnhauses befindliche Weinstube „Lutter und Wegner“. Hier zechte er anhaltend mit dem Schauspieler Ludwig Devrient. Der 1835 eingerichtete Weinkeller des Restaurants ging in die Musikliteratur ein. Er wurde der Schauplatz der Rahmenhandlung von Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“.

Für eine Reform der Bühne, vorrangig der Ausstattungen, verpflichtete Brühl Karl Friedrich Schinkel als Mitarbeiter, der 1816 mit seinen zwölf Dekorationen zu Mozarts „Zauberflöte“ die wohl bekanntesten Bühnenbilder des 19. Jahrhunderts entwarf.

Weber contra Spontini

Trotz aller Erfolge musste Brühl in seinem Bemühen, die Oper voll der deutschen Kunst zu erschließen, einen herben Rückschlag hinnehmen, als er den Posten des Kapellmeisters neu besetzen wollte. Er dachte an jenen jungen Mann, dem er bereits 1814 Hoffnungen gemacht hatte, an Carl Maria von Weber. Doch er hatte die Rechnung ohne seinen König gemacht. Der nämlich votierte für Gasparo Spontini. Dies sollte zu einem nicht nur musikalischen Drama führen, an dessen Verlauf ganz Berlin regen Anteil nahm.

Traditionsgemäß sah der dritte Friedrich Wilhelm die Aufgabe der Königlichen Oper und der Musik so: Sie hatten der Prachtentfaltung zu dienen und dem Königshaus zu schmeicheln. Diese seine Auffassung vertieften mehrmalige Reisen nach Paris. Bei einem dortigen Opernbesuch empfand er Freude an dem Pomp der Werke Spontinis und am Komponisten selbst. In ihm meinte er den richtigen Mann für seine Berliner Oper gefunden zu haben. Entgegengesetzt dachte Brühl. Spontini war für ihn ein überheblicher Kapellmeister und Komponist mittelmäßiger Qualität. Brühl führte sachliche Argumente ins Feld, als er über eine Berufung Spontinis zu Rate gezogen wurde. Er verwies auf Mängel im Komponieren und Dirigieren und benannte fehlende deutsche Sprachkenntnisse. „Meine Erren“ und „Ick danke“ waren die einzigen Sprachbrocken, derer der Italiener mächtig war. Kurzum: Er lehnte eine Berufung Spontinis zum Kapellmeister rundheraus ab. Allein der König entschied herrisch für seinen Favoriten. Weber, der Sänger von „Leyer und Schwert“, der populären Gesänge der Befreiungskriege, war dem Preußenkönig suspekt.

Als die Geschichte ruchbar wurde, spaltete sich Berlin im Nu in zwei nahezu feindliche Lager: die Spontinisten und die Weberaner. Fanden sich im ersten vor allem Königstreue, setzte sich das zweite vornehmlich aus progressiven Bürgerlichen zusammen. Eine Entscheidungsschlacht wie sie sich im Vormärz auch in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens anbahnte, dräute nun auf der Bühne.

Am 27. Mai 1820 traf Spontini mit dem König in Potsdam zusammen und einen Tag später in Berlin ein, begeistert gefeiert von den Zeitungen. Wobei gesagt werden muss, dass die Zensur jegliche anderen Äußerungen unterdrückte. „Willkommen unter uns, du hoher, herrlicher Meister“, stand beispielsweise in der „Vossischen Zeitung“ zu lesen. „Längst tönte dein Gesang recht in unser Innerstes hinein. Dein Genius rührte seine kräftigen Schwingen und mit ihm erhoben wir uns begeistert und fühlten alle Wonne, alles Entzücken des wunderbaren Tonreiches, in dem du herrschest, mächtiger Fürst! Und darum kannten und liebten wir dich schon längst.“ Es sträubt sich die Feder, den Autor dieser Zeilen zu nennen. Doch ist es kein anderer als der „Undine“-Komponist und Beethoven-Förderer E.T.A. Hoffmann.

Spontini dirigierte wie er komponierte: pompös. Er beherrschte seine Musiker wie ein General die Truppe. Den dicken Dirigierstab aus Ebenholz packte er in der Mitte an, um ihn wie einen Marschallstab zu führen: eckig doch präzise. Richard Wagner verdanken wir den Hinweis, dass Spontini wegen starker Kurzsichtigkeit seine weiter entfernt sitzenden Musiker überhaupt nicht sehen konnte. Aus Eitelkeit verzichtete er auf ein Augenglas. Was Spontini an Finessen im Dirigieren nicht beherrschte, wie von Brühl richtig vorausgesagt hatte, machte er durch härteste Proben wett. Sie währten nicht selten von 8 Uhr früh bis 16 Uhr oder von 17 bis 23 Uhr.

Spontinis Eitelkeit erstreckte sich auch auf seine kompositorischen Fähigkeiten. Er war der festen Überzeugung, einer der bedeutendsten Meister seiner Zeit zu sein, lediglich Mozart und Gluck sah er als ebenbürtig an. Dass er aus diesem Grund und Kraft einzigartiger Machtbefugnis fast ausschließlich eigene Werke aufführte und diese taktisch klug jeweils königlichen Geburtstagen oder ähnlichen Schmeichelanlässen widmete, liegt auf der Hand.

Im Mai 1821 setzte Spontini eine Neuaufführung seiner (zwei Jahre zuvor in Paris durchgefallenen) Oper „Olympia“ auf den Spielplan und beabsichtigte hiermit seinen persönlichen Ruhmes-Olymp zu besteigen. 42 seiner berüchtigten Proben setzte er der Berliner Erstaufführung am 14. Mai 1821 voraus. 20.000 Thaler kostete die großartige Ausstattung, die kein geringerer als Friedrich Schinkel besorgte. Der größenwahnsinnige Regisseur in eigener Sache scheute sich nicht, lebende Elefanten auf die Bühne zu bringen. Der Hof und die ihn vertretende Presse feierten die blechschmetternde (44 Trompeten) barockisierende Huldigungsoper als Sensation. Spontini wurde daraufhin zum Generalmusikdirektor ernannt. Somit war ein Italiener der erste GMD in deutschen Landen.

Aus unerklärlichen Gründen gelang es einem scharfen Kritiker Spontinis, Professor Gubitz, dem Herausgeber des „Gesellschafters“ an der Zensur vorbei einen geharnischten Verriss zu veröffentlichen. Von Effekthascherei bei musikalischer Armut war die Rede, die trotz des entfachten Höllenspektakels Langeweile aufkommen lasse, sobald die erste Schaulust befriedigt sei und das Ohr die Betäubung überwunden habe. Der mutige Professor hatte, vielleicht ohne dies zu wissen, die Endrunde für Spontinis Beliebtheit, nicht aber für seine Karriere, denn die währte noch lange, eingeläutet.

Spontinis Sturz

Trotz aller Machtbeschneidung war es dem Generalintendanten von Brühl gelungen, Carl Maria von Webers neueste Oper, den „Freischütz“(dessen Titel auf einen Brühl’schen Vorschlag zurückging), auf den Spielplan zu setzen. Im Mai 1821 kam Weber nach Berlin, um die Proben für die Uraufführung zu leiten. Am 18. Juni strömten Scharen begeisterter Berliner zur Premiere zum Gendarmenmarkt. Unter den Gästen befanden sich Heinrich Heine und E.T.A. Hoffmann, der auch eine Rezension schrieb. Der königliche Hof glänzte durch Abwesenheit. Der Schriftsteller Julius Kapp berichtete, dass der dirigierende Weber sich gezwungen sah, die Ouvertüre zu wiederholen. Stürmisch verlangte das leidenschaftlich mitgehende Publikum ein da capo des „Jungfernkranzes“. „Die beim Fallen des Vorhanges einsetzenden Ovationen und das tausendstimmige Rufen der begeistert ausharrenden Menge waren in Berlin beispiellos“, notierte Julius Kapp. „Kränze, Gedichte, ein wahrer Blumenregen ergoss sich auf die Bühne. Erregt brauste das Auditorium dieses denkwürdigen Abends auseinander, laut das neue Wunder verkündend.“

Mit dem Freischütztaumel war der musikalische Machtkampf eigentlich entschieden. Auf der Beliebtheitsskala des Volkes stand Weber ganz weit oben. Doch so schnell wurden und werden Hüte nicht genommen, Sessel nicht neu besetzt. Spontini blieb noch lange im Amt, wenn auch die Kritiker-Attacken immer kecker wurden. Sie verballhornten dessen Oper „Nurmahal – das Rosenfest von Kaschemir“ (Uraufführung 1822) in „Nur nicht noch mal der Hosenrest von Kasimir“, sowie die 1825 uraufgeführte Oper „Alcidor“ in „Allzudoll“.

Die Querelen um Spontini setzten sich in den folgenden Jahren fort. Sicher nicht zu dessen Freude erlebte die Volksoper seines Rivalen noch in seiner Ära ihre 200. Aufführung. Erst zwei Jahre nach der Wiener Uraufführung gelang es Brühl, 1825 Webers „Euryanthe“ nach Berlin zu holen, deren Einstudierung Spontini zuvor systematisch zu verzögern wusste. Lediglich die monatelange Abwesenheit des allmächtigen GMD ermöglichte die Aufführung, die sich abermals zu einem Triumph gestaltete. Als letzte Freundschaftstat an dem inzwischen in London verstorbenen Freund brachte Brühl 1828 dessen „Oberon“ auf die Hofopernbühne. Doch die ständigen Kompetenzstreitigkeiten mit Spontini, die oft nur vom König selbst und dann natürlich stets zu Spontinis Gunsten entschieden wurden, ließen Brühl im gleichen Jahr zurücktreten. Einer der kompetentesten Theaterleiter des 19. Jahrhunderts scheiterte an der künstlerischen Ignoranz und Günstlingswirtschaft des Hofes. Seine Nachfolge trat Graf Wilhelm von Redern an.

Der eine Rivale gestorben, der andere demissioniert, Spontinis Alleinherrschaft schien nunmehr endgültig festgeschrieben. Doch vox populi war ihm schon lange nicht mehr gewogen, und die Entscheidung, die gelegentlich mit den Füßen getroffen wird, fiel kaum noch zu Gunsten seiner Werke aus. Nur der Adel, bekanntlich verpflichtet, bildete eine zwar nicht begeisterte, aber jedenfalls treue Stammhörerschaft. Mit Missbehagen verfolgte Spontini die Aufmerksamkeit der Berliner an den Werken eines Jacob Beer – mit Künstlernamen Giacomo Meyerbeer – und gar den Enthusiasmus für Albert Lortzings „Zar und Zimmermann“. Nicht zuletzt solidarisierte die Berliner in ihrer Begeisterung die Tatsache, dass Lortzing in Berlin geboren war.

Spontini wachte eifersüchtig darüber, bedeutende Musikwerke begabterer Kollegen von seinem Haus fernzuhalten. Als Meyerbeer in Paris mit seiner Oper „Die Hugenotten“ größtes Aufsehen erregte und der gute Ruf nach Berlin drang, nutzte Spontini seine Vertrauensstellung beim König, um von einer Übernahme in Berlin dringend abzuraten. So spricht sicher aus der königlichen Operneinschätzung nicht nur bornierter Rassismus, sondern auch Spontinis Geist: „Katholiken und Protestanten schneiden sich die Hälse ab und der Jude macht Musik dazu.“

Erst mit dem Tod des Königs im Jahr 1840 verlor Spontini seine bevorzugte Stellung, denn der königliche Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. hatte schon als Kronprinz keinen Hehl daraus gemacht, eine Abneigung gegen den Maestro zu hegen. Das hätte den Generalmusikdirektor warnen müssen. Doch als er sich durch ein königliches Dekret einiger Rechte beraubt sah, erhob er im Januar 1841 in der „Leipziger Allgemeinen Zeitung“ dagegen Einspruch. Ein Prozess wegen Majestätsbeleidigung war die unausbleibliche Folge. Prozess, Verurteilung zu neun Monaten Gefängnis, schließlich Begnadigung. Als er am 2. April 1841 Mozarts „Don Giovanni“ dirigieren wollte, hatten die deutsch-nationalen Kreise einen handfesten Theaterskandal vorbereitet. Der Tag der Rache für Jahrzehnte währende Überheblichkeit war gekommen. Das Publikum empfing den Dirigenten mit Pfiffen und Schreien. Nach der Ouvertüre musste er das Dirigat an den Kapellmeister Schneider abgeben. Steinwürfe zwangen Spontini in Deckung zu gehen. Schließlich verließ er als gebrochener Mann das Haus durch den Hintereingang. 1842 veranstaltete die Singakademie – trotz allem wollte man die Form wahren – dem ungeliebten Italiener noch ein Abschiedskonzert, was diesen zu Tränen rührte. Die lange Ära des ersten deutschen Generalmusikdirektors war endlich und unrühmlich zu Ende gegangen.

Susanne Geißler

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