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Zu wenig Utopie
„Siegfried“ und „Götterdämmerung“ am Staatstheater Nürnberg

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Zu wenig Utopie

„Siegfried“ und „Götterdämmerung“ am Staatstheater Nürnberg

Wer gehofft hatte, Georg Schmiedleitner würde mit der „Götterdämmerung“ sein im Winter 2013 begonnenes Nürnberger „Ring“-Vorhaben zusammenfassend abrunden können, wurde enttäuscht. Der Erkennungsbuchstabe der Suchmaschinenkrake Google, die hier für den Gibichungen-Konzern steht, prangt als Symbol eines Missverständnisses über dem ersten Aufzug. Es besteht in dem Glauben, eine Inszenierung gewänne allein schon dadurch aktuelle Relevanz, dass Choristen Selfies machen, in den Pausen CNN läuft und ein paar Flüchtlinge mit Schlauchboot über die Bühne gehen. Regietheater für Dummies.

Chor und Statisten des Staatstheaters Nürnberg. Alle Fotos: Ludwig Olah

Chor und Statisten des Staatstheaters Nürnberg. Alle Fotos: Ludwig Olah

An diesem Eindruck ändern für sich genommen reizvolle Bild- und Interpretationsideen leider auch nichts: mit Tonbändern im Zuschauerraum hantierende Nornen, ein Internetkonzern, der im Keller offenbar illegal Beschäftigte ausbeutet oder ein Geschwisterpaar Gutrune – Gunther, das per Computerspiel Guerilla-Straßenkampf simuliert.

Format gewinnt Schmiedleitners Zugriff – wie schon in einigen Passagen aus „Rheingold“, „Walküre“ und „Siegfried“ – immer dort, wo er eine Personenkonstellation präzise umreißt und die Sängerdarsteller ihr Potenzial ausspielen lässt. Die Waltrautenszene mit einer fabelhaft textintensiven Roswitha Christina Müller (als fulminante Fricka in bester Erinnerung) ist ein solcher Moment, Siegfrieds Tod ein weiterer.

Bis dahin war man der Zeichnung des hehren Helden als tumben Volltrottel schon einigermaßen überdrüssig geworden. Denn schon im „Siegfried“ hatte Schmiedleitner die Titelfigur nicht nur punktuell, sondern konsequent der Lächerlichkeit preisgegeben und so eine derbe, punktgenaue und äußerst kurzweilige Farce hingelegt. Im Moment seines Sterbens aber gelingt es ihm, Siegfried in einen Menschen aus Fleisch und Blut zu verwandeln.

Rachael Tovey als Brünnhilde, Vincent Wolfsteiner als Siegfried. Fotos: Ludwig Olah

Rachael Tovey als Brünnhilde, Vincent Wolfsteiner als Siegfried. Fotos: Ludwig Olah

Als alle Getreuen sich abwenden (grandios: die Männer des Staatstheaterchors) und Gunther mit dem Leichnam alleine zurücklassen, stellt dieser ihn noch ein letztes Mal aufrecht hin: als einen Mann im Niemandsland zwischen Leben und Tod. Vincent Wolfsteiner bietet am Ende zusätzlich zur soliden Tenorpower nun auch leidenschaftliche Zwischentöne auf und krönt damit seine schon im „Siegfried“ beeindruckende Leistung. Jochen Kupfer – bis dahin ein eher blasser Gunther – lässt sich in der Folge davon anstecken.

Die Trauermusik verfehlt einmal mehr ihre Wirkung nicht: Mit unnachgiebiger Wucht lässt Marcus Bosch sie aus dem Graben herauspeitschen. Bei aller Lautstärke ist hier auch eine Klangkontrolle spürbar, die an anderen Stellen fehlt. Neben fein durchgearbeiteten Details, die an die schlanken Lesarten der vorherigen Teile anknüpfen – im „Siegfried“ überzeugten vor allem die prägnanten Dialogpassagen –, hört man von der Staatsphilharmonie auch einiges in der Farbbalance Zufällige und Pauschale, in der dynamischen Dosierung wenig Sängerfreundliche.

Entsprechend schwer haben es anfangs Woong-Jo Choi als Hagen und Ekaterina Godovanets als Gutrune, die sich aber im weiteren Verlauf zu steigern wissen, während Rachael Tovey mit beeindruckender Durchschlagskraft nahtlos an ihre vorherigen Brünnhilden-Auftritte anknüpft. In der Erweckungsszene am Ende des „Siegfried“ hatte sie viel Mut zur Selbstpersiflage bewiesen, was sie nicht daran hinderte, vom wunderbar lyrischen „Ewig war ich“ bis zu emphatischen Ausbrüchen die ganze Bandbreite ihrer vokalen Gestaltungsfähigkeit auszuspielen.

Woong-Jo Choi als Hagen. Foto: Ludwig Olah

Woong-Jo Choi als Hagen. Foto: Ludwig Olah

Weitere Pluspunkte der zweiten Nürnberger Ring-Halbzeit waren im „Siegfried“ Martin Winklers Alberich und Antonio Yangs Wanderer. Was die beiden an charakterisierenden Nuancen in ihr Gespräch legten, war fabelhaft. Auch die meist nur als retardierendes Moment wahrgenommene Begegnung mit Erda (warm und volltönend: Leila Pfister) wies meilenweit über die öffentliche Bedürfnisanstalt hinaus, in der die Regie sie angesiedelt hatte. Nach dem feinen Slapstick, mit dem Georg Schmiedleitner das Aufwachen Brünnhildes und die erste Begegnung mit Siegfried in ein gar nicht so weit hergeholtes absurdes Theater verwandelt hatte, wirkte das prollige Finale mit Sofa, Flachbildschirm, Chips und Bier eher plump als provokativ. Auch das Ende der „Götterdämmerung“ war als krasse Antiklimax angelegt: Zur Orchesterapotheose gründet Brünnhilde mit den Rheintöchtern offenbar ein vorbildliches Startup-Unternehmen oder eine Nichtregierungsorganisation mit dem Potenzial zur Gesellschaftsveränderung. Ein Fernsehteam ist live dabei, die ersten Twitter-Nachrichten flimmern im Hintergrund. 140 Zeichen Utopie – zu wenig für eine musikalisch immer wieder hochwertige, in der szenischen Summe aber allzu beliebige Deutung von Wagners Tetralogie.

Komplette Aufführungen des Nürnberger Ring-Zyklus wird es gegen Ende der nächsten Spielzeit im Mai und Juni 2017 geben.

Juan Martin Koch

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