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Portrait

Private Musiktheater

Die Geschichte der Berliner Opernhäuser (Teil 6) · Von Susanne Geißler

Das Bedürfnis nach musikalischer Unterhaltung bestand nicht nur bei Adel und Großbürgertum. Auch das „gemeine Volk“ wollte amüsiert, animiert und begeistert werden. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erwies sich die Eröffnung weiterer Bühnen für eine Stadt von nunmehr 200.000 Einwohnern als dringend notwendig. Doch das war leichter gesagt als getan. Bis in das dritte Jahrzehnt hatte der König seine Zustimmung zu solchen Vorhaben verweigert. Keine Regel ohne Ausnahmen. Nicht mehr zu klären ist, wie es dem einstigen Pferdehändler und nachmaligen Rentier Friedrich Cerf am 13. Mai 1822 gelang, die Konzession zur Errichtung eines Volkstheaters jenseits der Spree in der Königsstadt (heute östlich vom Alexanderplatz) zu erhalten, das den Namen „Königstädtisches Theater“ zu führen hatte. In Berlin kursierten Gerüchte, dass Cerf dem König die Konzession abgetrotzt habe, weil dieser in seiner Schuld stand, und gipfelte in der Behauptung, Cerf sei der illegitime Sohn eines königlichen Familienmitgliedes. Nichts davon ist belegbar. Erstaunlich ist allerdings die Finanzierung des Unternehmens. Sie lag in den Händen einer Mini-Aktiengesellschaft von sechs Berliner Bankiers, unter ihnen Giacomo Meyerbeers Vater, C.H. Beer.

Eigene Werke

Am 21. August 1823 wurde der Grundstein gelegt und nicht einmal zwölf Monate darauf erlebten die Berliner die erste Premiere mit dem Lustspiel „Der Freund in Not“ und der Operette „Die Ochsenmenuette“. Welchen mörderischen Restriktionen ein privater Theaterbetreiber damals ausgesetzt war, ist an den Bedingungen abzulesen, unter denen die Konzession überhaupt erteilt worden war. Nicht gespielt werden durften Große Oper und Ballett, Ernste Oper, Tragödie und Großes Schauspiel.
Blieben also Possen und Schwänke, Lustspiele, das Melodram und die Komische Oper. Doch sogar hier wurden noch Beschränkungen erteilt: Diese Stücke durften niemals aus dem Repertoire des Hoftheaters gewählt werden, bevor nicht zwei volle Jahre seit der letzten Aufführung verflossen und sie „verfallen“ waren. Und das Hoftheater hütete sich, etwas verfallen zu lassen. Unter diesen Bedingungen ins Theatergeschäft einzusteigen, grenzte an finanziellen Selbstmord. So schritt man bei Cerf denn zur Selbsthilfe. Spielleiter Karl von Holtei und der Schauspieler Louis Angely schrieben sich fast die Finger wund an Singspielen, Berlinischen Possen und Schwänken und trafen damit punktgenau den Geschmack ihres Publikums. Mit der Figur des Eckenstehers ,,Nante“ erfand Holtei das Abbild des Urberliners, dessen schnodderiger Mutterwitz sich in dreisten Couplets Bahn brach und der bis heute jedem Berliner bekannt geblieben ist. Fiel den beiden Autoren einmal gar nichts mehr ein, bearbeiteten sie französische Vaudevilles und berlinisierten sie bis zur Unkenntlichkeit.

Erste Berliner Diva

Die Herren Bankiers begnügten sich als Aktionäre nicht lange damit, eine stets gut besuchte Volksbühne in der Vorstadt ihr Eigen zu nennen. Sie wollten den Etablierten eine Konkurrenz sein und schmuggelten immer wieder und immer häufiger Opern in die sonst leichte und oft auch derbe Kost ein. Vorwiegend Spielopern von Rossini und Bellini, die frühen Opern Verdis und Boieldieus „Die weiße Dame“ fanden ihren Weg ins Programm. Absolute Trumpfkarte wurde jedoch Henriette Sontag, eine erst 19-jährige Sängerin mit „der höchsten Leistung des Kehlchens glücklichster Intonation, Überlegung der Effekte, tadelloser Ausübung und künstlerischer Ruhe“, wie Rahel Varnhagen feststellte. In Koblenz geboren war Fräulein Sontag als 15-Jährige nach einer sorgfältigen Ausbildung am Prager Konservatorium in einer Wiener Opernaufführung für die erkrankte Hauptdarstellerin eingesprungen und wurde über Nacht zur „jüngsten Primadonna Europas“. In Berlin debütierte sie am 3. August 1825 in Rossinis „Italienerin in Algier“ und versetzte das Publikum mit dem ersten Ton in anhaltende Verzückung. Mit ihr stieg ein neuer Stern am märkischen Himmel über der Stadt auf, der an Leuchtkraft seinesgleichen suchte. Gebührt Elisabeth Schmeling der Ruhm, erste deutsche Sängerin an einer Berliner Bühne gewesen zu sein, darf Henriette Sontag für sich den Platz der ersten Diva in Berlin beanspruchen.

Sontags-Fieber

Mit einer für damalige Zeiten sagenhaften Gage von 7.000 Thalern pro Saison, mehr als das doppelte Jahresgehalt, das einst die Schmeling erhalten hatte, schlug die Sontag alle Rekorde. Doch die gewieften Aktionäre hatten sich mit ihrem Engagement nicht verkalkuliert. Henriette sang und brachte üppige Gewinne. Plötzlich pilgerte auch der feine Berliner Westen in die Vorstadt, um die „jöttliche Jette“ zu hören – und zu sehen. Es grassierte eine Erregung in der Stadt, die mit „Sontags-Fieber“ eine vergleichsweise harmlose Bezeichnung erhielt.

Üble Folgen

Der Ort der Anbetung hätte nicht Berlin sein dürfen, um nicht auch Spötter auf den Plan zu rufen. Dem Schriftsteller und Theaterkritiker Ludwig Rellstab ging das heftige Sontags-Fieber derart auf die Nerven, dass er unter dem Pseudonym „Freimund Zuschauer“ das Satirchen „Henriette, die schöne Sängerin“ verfasste. Ob man es glaubt oder nicht: Ganz Berlin nahm es ihm übel. Sogar der Herr Innenminister schaltete sich ein. Dank seines straff organisierten und weit verzweigten Polizei- und Schnüffelapparates ward Rellstab bald als Frevler und Urheber des Pamphlets demaskiert und für etliche Monate Haft nach Spandau auf die Festung geschickt. Auch dem Theologen Tholock missfiel, wenn auch aus anderen Gründen, der unsagbare Rummel. Er erhob seine warnende Stimme wider die gefährliche Theaterlust und schloss sein gereimtes Werkchen mit den Zeilen: „Berlin preist sie als seiner Oper Zierde und es vergöttert sie manch guter Christ. O, dass der Sonntag so gefeiert werde, wie es die Sontag ist.“

Aber die Berliner liebten ihre Sontag. Da sie in siebzehn Bühnenrollen Hervorragendes geleistet und vor allem Rossini in Berlin populär gemacht hatte, durfte sie sich alsbald sogar „Königlich Preußische Kammersängerin“ nennen. Darüber hinaus erhob der König sie in den Adelsstand.

Bevor die permanente Huldigung erlahmen konnte, schnürte die kluge Henriette nach neun Monaten ihre Reiseschuhe, um sich zwecks Karriereausbaues nach Paris und London zu begeben. Es muss ein wahrer Volkstrauertag gewesen sein, als sie am 9. Mai 1826 zum vorerst letzten Mal auf der Bühne stand. Als sie nach der Vorstellung an der Tür des Theaters erschien, war der große Alexanderplatz schwarz vor Menschen. Die erregte Menschenmenge wogte noch bis in die Nacht vor Ort. Hin und wieder zeigte sich die Primadonna auf dem Balkon und winkte dankend mit dem Tuch. Sofort erhob sich ein tausendstimmiger Chor: „Wiederkommen! Wiederkommen!“ Nickend versprach sie es und tat es später auch. Sie konnte aber nicht mehr an ihre große Zeit anknüpfen. Der Sontags-Bazillus hatte seine Wirkung eingebüßt.

Erfolgreiche Nachfolge

Friedrich Cerfs Sohn Rudolf trat übrigens in die Fußstapfen des Vaters und stieg ebenfalls ins Musikgeschäft ein. Nach zwei Total-Pleiten gelang ihm im dritten Anlauf der Erfolg mit seinem Victoria-Theater, ebenfalls am Alexanderplatz gelegen. Nach Entwürfen von Carl Ferdinand Langhans realisierte Eduard Titz den Bau, der 1859/60 eröffnet wurde, in vereinfachter Form mit zwei Zuschauerräumen und einer gemeinsamen Bühne als Winter- und Sommertheater. Unter Cerfs Direktion gaben reisende italienische Operntruppen Gastspiele mit Berliner Erstaufführungen von Gaetano Donizettis „Lucrezia Borgia“ und „Lucia di Lammermoor“ sowie Giuseppe Verdis „Rigoletto“ und ,,Ernani“. Um die rechte, das heißt gewinnbringende Mischung zu erzielen, lockten daneben prächtige Ausstattungsstücke und die beliebten „Feerien“ (lebende Bilder) das zahlende Publikum in Scharen an. 1871 verpachtete Cerf das Theater und setzte sich zur Ruhe. Ausgerechnet hier wurde 1881 Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ erstmalig in Berlin zyklisch aufgeführt. Das Gastspiel unter der Leitung von Angelo Neumann brachte das Kunststück fertig, vom 5. bis 29. Mai den Ring viermal (!) als Zyklus aufzuführen. Das geschah nicht etwa im Opernhaus Unter den Linden, sondern im Victoria-Theater in der Münzstraße, im Arme-Leute-Viertel. Zum ersten Zyklus erschienen Richard und Cosima Wagner, Franz Liszt und Hans von Bülow, der Dirigent und Kritiker der „Vossischen Zeitung“ als Nachfolger von Ludwig Rellstab. Hinzugefügt sei, dass sich die Berliner Likörfabrik Kahlbaum um die Aufführung des Ringes verdient gemacht hat. Sie ließ eine Dampfleitung von ihrem Betriebsgelände zur Bühne verlegen, damit etwa in der „Walküre“ zur rechten Zeit Dämpfe das Szenenbild bereicherten.

Erleichterungen

Zwei Drittel des 19. Jahrhunderts waren alle privaten Theatermacher als potentielle Bankrotteure und Masochisten anzusehen. Eingeschnürt von restriktiven Konzessionsbestimmungen, täglich von der Zensur belauert und belehrt, schrumpften die Chancen, ein erfolgreiches und profitables Unternehmen auf die Beine zu stellen, nahezu auf Null. Erst ab 1869 mit einer neuen Gewerbeordnung wurden die behördlichen Fesseln weitgehend gesprengt. Nun war es jedermann gestattet, ein Theater zu eröffnen – wenn er unter anderem über das notwendige Kapital verfügte, pünktlich seine Steuern zahlte und das Risiko zu tragen bereit war. Zeitgleich fiel ein weiteres Privileg, das der Königlichen Schauspiele auf alleiniges Aufführungsrecht von Großen Opern und Klassikerinszenierungen. Jede Bühne durfte, wenn sie wollte, alles spielen, was nicht den Tatbestand der Majestätsbeleidigung oder Unsittlichkeit erfüllte.

Keine Oper

Die etablierten Bühnen sahen sich plötzlich ungewohnten Zwängen ausgesetzt. Kein Theater blieb von Rivalen verschont. Dutzende Neugründungen standen alsbald allerorten an. Manche der so genannten Theater existierten nur einige Tage. Die Direktoren schmiedeten ihre Programme wohldosiert aus Possen, Lustspielen und Operetten zusammen. Das entsprach dem breiten Publikumsgeschmack und brachte schnell Geld in die Kassen. Von der Oper ließ man die Finger: „Zu aufwendig, zu zeitraubend; zu teuer für zu wenig Publikum“ lautete das Urteil der meisten Privatunternehmer. Das Zeitalter der Volkserziehung hin zu den bisher privilegierten Kreisen vorbehaltenen Kulturgütern war noch nicht angebrochen. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm sich unter anderem der Volksbühnenverein dieser kulturpolitischen Aufgabe an.

Susanne Geißler

 

 

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