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Berichte

Viel Jubel in Bregenz

Die Festspiele bieten ein vielseitiges und beeindruckendes Programm

Die „Bregenzer Dramaturgie“ konnte auch diesen Sommer begeistern. Nicht nur die in Details verbesserte Seebühnen-„Carmen“ beeindruckte mit hörbar ausdifferenziertem Sound-System, mit sicht- und hörbar souveräner die vielfältige Kartenwelt bespielenden Solisten um die hinreißende Carmen von Gaëlle Arquez, gipfelnd im neuen, Testosteron-geladenen Escamillo von Kostas Smoriginas: für rund 200.000 Besucher ein überzeugendes bitter-blutiges Drama zwischen „Sevilla und Schmugglerküste am Bodensee-Mittelmeer“. Nur eine Regenabsage gab es bei 29 ausverkauften Vorstellungen, in denen der Bregenzer Festspielchor sein 70-jähriges Bestehen, bunt bewegt zwischen Sevillanern und Schmugglern wechselnd, klangwuchtig feierte.

„Der Barbier von Sevilla“ im Opernstudio mit Svetlina Stoyanova als Rosina, Chen Wang als Berta, Stanislav Vorobyov als Basilio, Misha Kiria als Bartolo und Linard Vrielink als Graf Almaviva. Foto: Bregenzer Festspiele / Karl Forster

„Der Barbier von Sevilla“ im Opernstudio mit Svetlina Stoyanova als Rosina, Chen Wang als Berta, Stanislav Vorobyov als Basilio, Misha Kiria als Bartolo und Linard Vrielink als Graf Almaviva. Foto: Bregenzer Festspiele / Karl Forster

Darüber hinaus entriss die jedes Jahr wechselnde „Opern-Orchidee“ im Festspielhaus Berthold Goldschmidts Musikdrama „Beatrice Cenci“ der Vergessenheit. Noch während des Zweiten Weltkriegs verfasste der nach England geflohene Goldschmidt die Partitur um den fatalen historischen Vater-Mordfall von 1599: Nach Jahren der Unterdrückung und des Missbrauchs lassen Beatrice und ihre Stiefmutter den hemmungslos wüsten Renaissance-Lebemenschen Graf Francesco Cenci töten und werden beide in Rom öffentlich hingerichtet. Goldschmidts gezielt „un-veristische“, bis auf kleine Ausbrüche tonale Musik spricht überwiegend vom hilflosen Leid inmitten von Unrecht und Gewalt – „mein Geschick war dunkel“, singt Beatrice. Da grüßen der große Mahlersche Schmerzenston und die Klage über das vom Menschen verursachte Elend. Dann nimmt sich das Orchester eher ins Leise zurück, denn auch in den sich arios erhebenden Soloszenen Beatrices gibt es nicht den furiosen Ausbruch, zu hören ist eher quälerisch bemühtes Aufbäumen inmitten von Hoffnungslosigkeit. Dramaturgisch folgerichtig verweigert Goldschmidt auch eine finale Hinrichtungsszene, nur ein Schrei des zwischen Mitleid und schaulustiger Rachsucht geteilten Chors und ferne Requiem-Klänge beenden den düsteren Blick auf eine zwiespältige Epoche. Diesen leisen Pessimismus traf Dirigent Johannes Debus mit dem Philharmonischen Chor Prag und den Wiener Symphonikern genau. Dabei beeindruckten die weiblichen Protagonisten Gal James (Beatrice) und Dshamilja Kaiser (Stiefmutter) mehr als alle Männer. Regisseur Johannes Erath und seine Ausstatterinnen Katrin Connan (Bühne) und Katharina Tasch (Kostüme) waren sich einig darin, keinen historisierenden Renaissance-Thriller zu inszenieren. Sie griffen „Tondo“, das renaissance-typische Rundbild, auf und reihten drei oder vier Tondi perspektivisch hintereinander – für einen aus dem klassisch absurden Theater herauswachsenden surrealen Alptraum, dessen stilistische Überfülle nicht durchweg überzeugen konnte. Dennoch eine lohnende Ausgrabung!

Astor Piazzollas Tango-Operita „Maria de Buenos Aires“ als halbszenische Produktion in der Werkstattbühne brachte ein ähnliches zeitgenössisches Frauenschicksal zum Klingen. Dabei überzeugte weniger die zwischen blondmähnigem Milva-Verschnitt und Belcanto-Diva changierende Sopranistin Christiane Boesiger als vielmehr die „Nueva-Tango“-Besetzung des „Trios Folksmilch“: E-Violine, Kontrabass und Bandoneon ließen erst die Beine im Publikum zucken, faszinierten mit reizvollen Arrangements – und wurden mit Jubel zu Zugaben gezwungen – höchst wiederhörenswert.

Nach so viel bitterer Liebe servierte die zur Regie-Größe avancierende Brigitte Fassbaender mit dem Opernstudio der Festspiele einen pfiffig-heiteren „Barbier von Sevilla“ im Bregenzer Kornmarkttheater. Eine riesige Kommode in Dietrich von Grebmers Einheitsbühnenbild entpuppte sich als verwinkeltes Wohnhaus, Apothekerschrank und vergrößerter Schreibtisch mit vielen Schubladen – amüsanter Spielplatz für turbulente Verwicklungen. Im rundum sehr gut singenden, weil von Fassbaender kenntnisreich einstudierten und so auch locker agierenden Ensemble schoss Bassbuffo Misha Kiria als Bartolo den Komödienvogel ab: nicht nur äußerlich korpulent voluminös, sondern auch vokal. Mit seiner Fernbedienung öffnete, erst recht verschloss er nicht nur Schubladen und Türen, sondern am Ende auch alle sprudelnde Musik von Dirigent Daniel Squeo und dem Symphonieorchester Vorarlberg, ließ langen Publikumsjubel zu und machte dann ostentativ auch dem ein Ende: mit einem augenzwinkernd zu Rossini passenden Elektro-„Bip-Bip“.

„Beatrice Cenci“ im Festspielhaus. Foto: Bregenzer Festspiele / Karl Forster

„Beatrice Cenci“ im Festspielhaus. Foto: Bregenzer Festspiele / Karl Forster

Neben den jeweils inhaltlich zugeordneten Orchester- und Kammerkonzerten, dem See-Foyer voller „Musik und Poesie“ und den Festspielfrühstücken mit Künstlergesprächen rundet Intendantin Elisabeth Sobotka Bregenz zum „Komplett-Festival“ auch durch eine Uraufführung. Schon 2013 fragte sie den Österreicher Thomas Larcher, ob er nicht seine erste Oper für Bregenz schreiben wolle. Nun kam seine Vertonung der „Jagdgewehr“-Novelle von Yasushi Inoue in der Werkstattbühne zur Uraufführung. Das erneut eingeladene Ensemble Modern unter Michael Boders beeindruckend klarer Zeichengebung bot neben klassischen Klängen auch geriebenes Sandpapier auf Trommelfell, geschlagene Holzstäbchen, klackende Billardkugeln, Celesta, betrommeltes Blech, Holzpeitsche und vieles mehr auf – mit musikdramatisch wenig überzeugendem Gewinn aus Larchers 100-Minuten-Partitur. Er will auch noch die Stimmen der fünf Solisten und sechs Chorsolisten der Schola Heidelberg mit dem Orchesterklang von einem „Klangregisseur“ elektronisch gemischt haben – insgesamt repertoire-untauglich. Denn die in der Novelle eine „Menage à trois“ erzählenden drei Frauenbriefe an den Jagdgewehr-Besitzer ergeben auch ineinander verschränkt zu wenig überzeugende Bühnenhandlung, so klar und fein – ein großes Laken wandelt sich vom Liebesbett auch zur Leichenhülle der toten Geliebten – Karl Markovics in seiner ersten Opernregie dies auch versuchte.

Ein künstlerisch großer Lorbeerkranz muss 2018 an einen „Mehrfach-Solisten“ der besonderen Art gehen: Drei lebensgroße Halbkörperpuppen für den jungen, mittleren und alten Dirigenten Karl Böhm beschwören den Menschen herauf – mit Klappmaul in der hölzernen Physiognomie, wenigen Bewegungen, vor allem aber mit Sprechkunst des jungen Nikolaus Habjan, Puppenbauer und Regisseur des Stücks „Böhm“. Perfekt ausgesteuert über das kleine Mikroport-Mikrofon lässt er den alten Puppendoppelgänger im Rollstuhl im frappierend imitierten „Böhm-Tonfall“ mal granteln, mal schlechte Einsätze auf zugespielten Plattenaufnahmen monieren, kurz mal auf die Künstlerpuppen der Stars Schwarzkopf/Ludwig/Berry belfernd antworten und dann in stupend wechselnder Artikulation den leicht balkanisch radebrechenden Pfleger etwas beruhigen, nachfragen oder ergänzen. Dabei fällt „Böhm“ dann aber Habjan als Pfleger öfter auch ins Wort und biestert ihn an – ein frappierend lebendiger Dialog entsteht, mit vielen kritischen Aspekten der problematischen Böhm-Biografie. Jubelstürme für Brechtsche Verfremdungskunst, Puppenspielzauber und den Sprechkünstler Habjan – glänzendes Bregenzer Festspielformat 2018.

Wolf-Dieter Peter

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