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Nahaufnahme und Totale

Filmregisseure inszenieren Oper

Es ist eine gewisse Gewöhnung eingetreten. Dass Männer, die durch Film und Fernsehen mehr oder weniger bekannt und prominent wurden, auch in Stadttheater oder Staatsoper zweitvermarktet werden, hat den Reiz des Besonderen längst verloren. Ende Juli ereilte das Glück den Romancier, Regisseur und Medienpädagogen Axel Ranisch („Nackt über Berlin“, „Ich fühl mich Disco“, „Dicke Mädchen“). Intendant Nikolaus Bachler ließ Ranisch, Jahrgang 1983, im Münchener Prinzregententheater Joseph Haydns „Orlando Paladino“ bespaßen.

In der heroisch-komischen Ritteroper von 1782 rast, rüpelt und rangelt Ariosts Ritter Roland wie schon so oft zuvor. Bäume auf einer Insel im Indischen Ozean verwandeln sich in Ungeheuer. Aber am Ende können sich die Liebenden in einem von Alcina herbeigezauberten Liebestempel auf die von ihnen gewünschte Weise friedlich paaren. Wenig davon wurde von Ranisch belichtet. Er erzählt ersatzweise mit stummen Rollen die Geschichte des Filmvorführers Heiko Herz und seiner Frau Gabi, die nur obergärig ein glückliches Paar sind und am Ende anderweitig liiert: Gabi bekommt ihren Hausmeister – und Heiko mit seinem Coming-out den gut gebauten Bassisten Rodomonte, den König der geographisch nicht verorteten Berberei. Der Zuspruch der Community ist gewiss.

Das von Handlungslogik nicht getrübte Sommermärchen mag als eine auf Konsens zielende stubenreine Soap medienpädagogisch gut gemeint gewesen sein. Die konsequente Verkleinbürgerlichung mied soziale Brennpunkte ebenso wie Auseinandersetzung mit der dem Werk inhärenten problematischen Kreuzritter-Erbschaft. Ranischs „Orlando“ ist die Arbeit eines vielbeschäftigten Schauspielers, Autors und Regisseurs, der eben neben Kino und TV auch das Theater mit gängigen Mitteln bedient und einen Liebreiz eigener Art schafft.

„Der feurige Engel“ in Aix-en-Provence. Foto: Pascal Victor

„Der feurige Engel“ in Aix-en-Provence. Foto: Pascal Victor

Die Inszenierung von Prokofjews „Feurigem Engel“, die Mariusz Treliński heuer zum Festival in Aix-en-Provence beisteuerte, besaß anderes Gewicht. Das zweistöckige Hotel, in dem die Geschichte aus dem Köln der Reformationszeit angesiedelt wurde, illuminierte sich nicht nur mit heftigen Leuchtröhren-Effekten, sondern bildete einen plausiblen Rahmen für eine differenzierte Studie zu Halluzinationen und Wirklichkeit. Treliński, der vom Film zur Oper gekommene Intendant des Warschauer Teatr Wielki, führte die Sängerdarsteller metierkundig in einem Ambiente, das als quasi-filmische Totale beständig präsent war und ihm doch immer wieder die Fokussierung auf Details der Dialoge und Aktionen wie in Nahaufnahmen gestattete.

Erotik des Schlachthofs

Peter Greenaway erhielt 1994 in Amsterdam die Chance, großes Musiktheater aufzuziehen. Die von ihm neu kreierte Pferde-Oper „Rosa“ entzündete sich nicht an einem repertoirebewährten Werk, sondern war „Projekt“. Dessen Ausgangspunkt bildete die bei Greenaway häufig zu findende Idee eines „Gesetzes der Serie“: die Erschießung Anton Weberns in Mittersill 1945 wurde mit der des schwarzen amerikanischen Liedermachers Samuel Bucket, des spanischen Komponisten Tora Arcadios in Paris und des südafrikanischen Musikers Portalia Zick verknüpft.

Insbesondere aber fokussierte der britische Experimentalkünstler, Film- und Ausstellungsmacher im Verbund mit Louis Andriessen dann auf den Filmkomponisten und Pferdeliebhaber Juan Manuel de Rosa, der ebenfalls erschossen wurde. Da dieser Señor Rosa im Schlachthaus von Fray Bentos in Uruguay gelebt, gearbeitet und über die Maßen heftig geliebt habe, hingen bei der Uraufführung Schweine-Hälften von den Haken an den Stangen rings im Bühnengeviert und wurden von Zeit zu Zeit sachkundig weiterverarbeitet. Die hochartistisch eingesetzten Sängerdarsteller mussten sich dazu so splitternackt präsentieren wie zahlreiche Statistinnen und Statisten. Mit „Rosa“ präsentierte Greenaway in hohem Tempo eine laszive, brutale, blutige, lebensnahe Story. Auf und hinter dem über die große Bühnenöffnung des Amsterdamer Muziektheaters gespannten Gaze-Vorhang ging es zu wie beim Vorspann eines dreidimensionalen Films. Das durch Projektionen präsente Schriftelement setzte sich durchgängig fort. Das spartenübergreifende Gesamtkunstwerk bedurfte der filmischen Mittel in mehrfacher Hinsicht.

Exotik der Amazonas-Region

Vor einem Vierteljahrhundert hatte das Fremdgehen von erfolgreichen Filmregisseuren zum Theater in der deutschen Provinz einen gewissen Charme. Im selben Jahr 1994, das „Rosa“ bescherte, lenkte Werner Herzog mit „Il Guarany“ von Antônio Carlos Gomes (1836–1896) das Augenmerk auf die Oper Bonn, die zur „Scala am Rhein“ promoviert werden sollte. Herzog, Regisseur des 1981 mit Klaus Kinski gedrehten Filmes „Fitzcarraldo“, demonstrierte am Böselagerhof neuerlich sein Faible für exotische Stoffe. Urwaldriesen dominierten die von Maurizio Balò bereitgestellten Bühnenbilder – und das Statische die von Herzog darin konventionell arrangierten Tableaus. Plácido Domingo kam als Häuptling Pery des Wegs, als sei er dem Karl-May-Museum in Radebeul entsprungen (Lederstreifenrock, Federschmuck, Kriegsbemalung). Als schließlich – der „König des Urwalds“ und die junge Schöne sind zum siebten Mal gerettet – deren Behausung in die Luft flog, wurde evident, dass sich die Ästhetik von Abenteuer-Filmen im Ernst nicht einfach auf die Opernbühne zurückübertragen lässt.

Optisches Feuerwerk

Schon knapp zehn Jahre zuvor hatte Herzog als Opernregisseur in Bologna mit Ferruccio Busonis „Doktor Faust“ debütiert. Zeitgleich 1985 der sensible und schönheitssüchtige Werner Schroe-ter in Bremen mit Alfredo Cavallis „La Wally“ – mit durchaus „filmischem Blick“ auf die selbstbewusste Außenseiterin im Bergdorfmilieu. Michael Haneke war vergleichsweise ein Spätberufener, als er Anfang 2006 in Paris „Don Giovanni“ realisierte. Er versetzte die Fabel vom „sehr leichtfertigen jungen Edelmann“ und seinem Steinernen Gast in eine Firmenzentrale (Einheitsbühnenbild aus Chrom und Glas). Kaum wiederzuerkennen war die Handschrift des brillant peinlich-genauen Regisseurs der „Klavierspielerin“ oder des Films „Das weiße Band“, als er 2013 im Teatro Real Madrid „Così fan tutte” in Szene setzte.

„Liebe“ zur Musik oder die Tatsache, dass einer im Schulorchester Flöte gespielt hat, ist keine hinreichende Qualifikation.

Weit mehr Fortune bewies der kanadische Film- und Theatermacher Robert Lepage, als er 2001 an der Opéra Bastille „La Damnation de Faust“ von Hector Berlioz mit einer Vielzahl von Projektoren in hoch artistische Bewegung versetzte und mit Special Effects aufwartete. Auf der in 24 Bildsegmente gegliederten Bühne triumphierten Vervielfältigung und Wiederholung. In Sekundenschnelle entrollte sich die Innenansicht einer modernen Universitätsbibliothek. Vorm virtuellen Bücherbestand kletterte der alternde Gelehrte Johann Wolfgang Faust vom Bühnenhimmel herunter, um aus einem Buch zu singen, während sich als Filmeinblendung die Horn-Stimmen der „Damnation“ öffneten, deren Seiten von einem Engelchor umgepustet wurden. Von besonderer Raffinesse und Evidenz schließlich der Höllenritt: Faust und Mephisto, beide wundersam vermehrt, turnten im Rhythmus des Reitens an Karabinerhaken hängend, jeder in einem der zwei Dutzend Bildsegmente – die Pferde wurden ihnen von den Projektoren untergeblendet: ein optisches Feuerwerk.

Matt dagegen blieb der Eindruck, den David Cronenberg 2008 in Paris hinterließ, als er eine nach seinem Film „The Fly” (1986) von Howard Shore komponierte Oper präsentierte. Gänzlich verunglückte 2010 der Ausflug Woody Allens ins Opernhaus von Los Angeles. Mit dem subtilen Erbschleicher-Humor von „Gianni Schicchi“ und der Musik Puccinis wusste er wenig anzufangen.

Promigeilheit und Handwerk

Dass einige Intendanten Träger klangvoller Namen, die in ihrem Metier höchst professionell und gegebenenfalls kunstsinnig agieren, ohne Nachschulung auf ihre Mitarbeiter und aufs Opernpublikum loslassen, spekuliert einerseits auf die kaum zu leugnende Fixierung auf Prominenz gerade auch bei den Kunden des „Klassik-Sektors“, in erster Linie aber auf Werbeeffekte. Man will halt die Nase vorn haben in der zugegebenermaßen harten Konkurrenz. Zwar haben sich in ein Terrain wie die Opern-Regie immer wieder „Quereinsteiger“ eingemischt, darunter Leute, von denen wir uns nicht sicher sind, ob sie eine Partitur lesen können. Einige dieser Dilettanten (im ursprünglichen Sinn des Wortes) aber haben sich, learning by doing, passabel oder sogar ausgesprochen gut eingearbeitet. Sie lieferten nicht nur pflegeleichte Bebilderungen des musikalischen Narrativs, sondern entwickelten gerade auch Sensorium und Kulturtechniken für die Realisation der musikalischen Dimensionen des Gesamtkunstwerks. „Liebe“ zur Musik oder die Tatsache, dass einer im Schulorchester Flöte gespielt hat, ist keine hinreichende Qualifikation. Das Engagement der Filmregisseure in den Opernhäusern der nördlichen Hemisphäre gehört bislang überwiegend nicht zu den Glückssträhnen des Musiktheaterbetriebs.

Frieder Reininghaus

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