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Berichte

Starke Aussagen in Salzburg

Markus Hinterhäuser gestaltet ein überzeugendes Programm

Den Opernproduktionen der Salzburger Festspiele nach zu schließen, ist der Intendant Markus Hinterhäuser ein Überzeugungstäter. Starke Aussagen prägen das diesjährige Programm. Hans Werner Henzes Riesenwerk „The Bassarids“, 1966 als Auftragswerk der Festspiele uraufgeführt, kehrt im Triumph zurück. In Krzysztof Warlikowskis Inszenierung greift alles ineinander, das Libretto nach Euripides’ „Bakchen“ und die hochsuggestive Musik; die vier Räume, die Malgorzata Szczesniak auf die Bühne der Felsenreitschule stellt, und eine Regie, die diese vier Räume nutzt, um die Handlungsstränge parallel laufen zu lassen. Ganz links huldigt das Volk der toten Semele, während ganz rechts der amtierende König Pentheus dagegen Sturm läuft. Er will nicht glauben, dass Semeles Sohn Dionysos wirklich aus einer Liebschaft mit Zeus hervorgegangen, also selbst ein Gott ist. Der Streit darüber wird die Stadt Theben zerreißen.

Virtuos navigiert Warlikowski die glänzend einstudierte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor durch die Massenszenen und bringt den Antagonismus zwischen Pentheus’ apollinischer Vernunft und der Sinnen- und Lebensfreude des Dionysos auf Spannung. Tanja Ariane Baumgartner singt Pentheus’ Mutter Agave so strömend, als wär’s eine Wagner-Partie; Russell Braun als Pentheus und Willard White als Großvater Kadmos liefern sich Wortgefechte, die alles andere als akademisch sind; Sean Panikkars Tenorstimme zeichnet die Entwicklung nach, die Dionysos nimmt, von Verführerschmelz bis zu blechgepanzerter Gnadenlosigkeit. Wo es die Brutalität verlangt, dröhnen die Wiener Philharmoniker, deren Besetzung über den Graben hinauswuchert, schon mal. Kent Nagano am Pult sorgt aber immer wieder für ein bewundernswert transparentes Klangbild.

„The Bassarids“ mit Vera-Lotte Böcker (Autonoe/Proserpine), Nikolai Schukoff (Tiresias/Calliope), Károly Szemerédy (Captain/Adonis), Tanja Ariane Baumgartner (Agave/Venus). Foto: Salzburger Festspiele/Bernd Uhlig

„The Bassarids“ mit Vera-Lotte Böcker (Autonoe/Proserpine), Nikolai Schukoff (Tiresias/Calliope), Károly Szemerédy (Captain/Adonis), Tanja Ariane Baumgartner (Agave/Venus). Foto: Salzburger Festspiele/Bernd Uhlig

Auch Tschaikowksys „Pique Dame“ im Großen Festspielhaus ist ein Ereignis. Der Regisseur Hans Neuenfels und sein Team unterlaufen raffiniert gängige Erwartungen. Mögen die anderen witwenschwarz tragen, die alte Gräfin betritt die Szene in froschgrünem Kleid und roten Satinhandschuhen. Und bevor sie angesichts einer Pistole vor Schreck ihr Leben aushaucht, wird sie mit dem Besitzer der Waffe den Tanz der Verführung tanzen. Darin liegt keine Provokation um ihrer selbst willen, vielmehr gewinnt die verworrene Geschichte an Klarheit. Zwei Dynamiken prägen die Oper: zum einen die Liebe des mittellosen Offiziers Hermann zur Verlobten eines russischen Fürsten und zum anderen Hermanns Wahn, das Geheimnis der drei Karten erfahren zu müssen, mit dem die Gräfin einst reich wurde. Wen er mehr liebt, Lisa oder das Kartenspiel, das ist eine Frage mit tödlichem Ausgang. Neuenfels zeichnet jede Seelenbewegung nach. Es wird viel diskutiert in „Pique Dame“ und wenig gehandelt, und trotzdem langweilt man sich keinen Moment.

Die Sänger lassen sich auf den seelischen Parforceritt hörbar ein. Der Tenor Brandon Jovanovich als Hermann erreicht zu Beginn die Höhe nicht mit letzter Leichtigkeit. Aber wie er bei der tödlichen Begegnung mit der Gräfin Verzweiflung, unterdrückte Wut und Begehren in die Stimme legt, ist tief bewegend. Hanna Schwarz als Gräfin hat das Publikum schon erobert, bevor sie überhaupt den Mund aufmacht. Der Star des Abends aber schuftet im Graben. Schon nach der Pause branden Mariss Jansons am Pult der Wiener Philharmoniker Bravos entgegen. Das Orchester fächert den ganzen Facettenreichtum der Musik auf.

Überhaupt die Wiener. Sie erweisen sich wieder einmal als Klangkörper von umwerfender Flexibilität. Mühelos schalten sie um von Neuer Musik auf einen schlanken, ungemein körperlichen Mozart-Ton. Unter Constantinos Carydis lüften sie die „Zauberflöte“ kräftig durch. Schon in der Ouvertüre überfallen einen die Kontraste, die Agogik stellt sich in den Dienst der dramatischen Wirkung. Auch hier sind die Gesangspartien bis in die Nebenrollen exquisit besetzt. Einen so natürlich gestaltenden Tamino wie Mauro Peter hört man selten, Christiane Karg ist eine tiefverletzte, lyrisch anrührende Pamina. Nur Adam Plachetkas Papageno fehlt es manchmal an empfindsameren Nuancen, und Matthias Goerne als Sarastro ist eine Fehlbesetzung. Ihm fehlt die Tiefe.

„Pique Dame“ mit der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Foto: Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

„Pique Dame“ mit der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Foto: Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

Regisseurin Lydia Steiner hat für die wohlbekannte Oper eine wahrhaft neue Idee: Sie ersetzt die Dialoge durch eine Geschichte, die ein Großvater seinen drei Enkeln abends beim Zubettgehen vorliest. Klaus Maria Brandauer hält die Fäden durch diskrete Präsenz zusammen. Der Kniff mit den drei Knaben geht auf, zumal an den Stellen, an denen sich Rahmenerzählung und Handlung verschränken. Klarere Stimmen und höhere Ensembletugenden, als die drei Wiener Sängerknaben vorführen, kann man sich nicht wünschen. Immer tiefer versinken die Kinder in der Welt der Gaukler, Magier und Fahrensleute. Es ist eine Traumwelt, aber eine durchaus gewalttätige. Pamina ist so derangiert wie ihr Clownskostüm. Solange Steiner solche Feinheiten im Blick hat, kann sie ihre Ideen stapeln, wie sie will.

Wie beliebig wirkt dagegen Jan Lauwers’ Lesart von Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ im Haus für Mozart. Der Regisseur lässt die Tänzer der Compagnie Bodhi Project & SEAD sich unablässig drehen und winden, was beeindruckend akrobatisch aussieht, aber die Sache eher verunklart, als dass es eine zusätzliche Deutungsebene eröffnen würde. Dabei gäbe es eine knallharte Geschichte zu erzählen. Das Menschenbild der Oper grenzt an Zynismus. Der römische Despot Nero lässt sich von Poppea umgarnen und vernachlässigt dafür die Staatsgeschäfte, und auch alle anderen haben beständig den eigenen Vorteil im Auge.

Die Sänger machen ihre Sache hervorragend, angefangen bei Sonya Yoncheva in der Titelrolle. Farben, Vibrato, Agogik stuft sie hauchfein ab und räkelt sich lasziv in jedem Vorhalt. Kate Lindsey legt als Nerone eine Portion Metall in ihren Mezzosopran, sie schmeichelt und faucht und lächelt irre. Die zeittypischen Tiraden und Triller beherrschen die Sänger wie selbstverständlich, und William Christie und Les Arts Florissants breiten ihnen einen reichverzierten Continuo-Teppich zu Füßen. Da Christie sich der musikalischen Leitung meist enthält, sind nicht alle Einsätze ganz zusammen. Dafür entfaltet diese herrschaftsfrei musizierte „Incoronazione“ einen derartigen Sog, dass das Publikum den menschlichen Verwicklungen auch ohne nennenswerte Regie mühelos folgen kann.
Und die Metaebene? Ach, lass uns doch noch eine Pirouette drehen.

Verena Fischer-Zernin

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