Margot Ehrlich: Aus Sicht der VdO war es ein Glücksfall. Wir hatten die Chance, unseren Berufsstand in einer eigenständigen Ausbildung stärker in den Vordergrund zu rücken. Das war für uns besonders wichtig, weil der Stand eines Chorsängers an einem Theater als weniger wertvoll angesehen wird, als er es eigentlich ist. Der Opernchor kann maßgeblich am Gelingen oder Nicht-Gelingen einer Oper beteiligt sein. Je besser die Leute ausgebildet sind und je bewusster sie sich für den Beruf entschieden haben, desto tragfähiger ist die Wirksamkeit dessen, was sie einbringen können. O&T: Ist es sinnvoll, junge Sänger dazu zu animieren,
sich gleich zu Beginn ihres Studiums für das Fach Opernchor
zu entscheiden? Qualitativer NachwuchsmangelO&T: Herr Schubert, Sie haben das Opernchorstudio geleitet. Was war aus Ihrer Sicht seine wesentliche Bedeutung? Enrico Schubert: Ausgangspunkt für die Gründung war der gravierend einsetzende Mangel an qualitativem Nachwuchs. Wir haben mit dem Opernchorstudio einen Baustein geschaffen, der neben der Hochschule durch eine praxisorientierte Ausbildung zusätzlich Chorsänger ausbildete. O&T: Viele Absolventen des Opernchorstudios singen jetzt im Chor der Sächsischen Staatsoper. Wie hat sich das auf das Klangbild ausgewirkt? Ehrlich: Es hat uns ungemein geholfen, das Klangbild des Staatsopernchores zu erhalten. Die Studenten wurden schon ab dem zweiten Studienjahr in den Chor integriert. Man kann als Solist noch so gut sein, aber wenn man sich nicht in ein Ensemble einfügen kann, ist man als Chorsänger nicht geeignet. Schubert: In den so genannten „Problemstimmgruppen“ (1.Sopran/2.Alt/1.Tenor/2.Bass) konnten wir außerdem die immensen Lücken, die vorher bestanden hatten, mit unseren Studenten schließen. O&T: Frau Ehrlich, haben Sie von Kollegen Rückmeldungen bekommen, die sich dafür einsetzen wollen, ähnliche Projekte zu initiieren? Ehrlich: Die Kollegen der VdO halten das Opernchorstudio für wichtig und würden sich wünschen, ein solches Projekt auch an anderen Hochschulstandorten starten zu können. Das ist aber eine Frage des Geldes. Und es bedarf jeder Menge Arbeit, so ein Opernchorstudio zu organisieren. Oft war es auch ein Gewinn für die älteren Chorsänger. Man hatte die Möglichkeit, seine Erfahrungen weiterzugeben und war gefordert, sich in der Arbeit zu disziplinieren. Die jungen Leute schauen doch sehr genau hin, ob sich die älteren Kollegen wirklich so einbringen, wie es immer gezeigt wird. Schließung im SommerO&T: Seit dem Sommer gibt es das Opernchorstudio nicht mehr. Wie ist es dazu gekommen? Ist die Haushaltskonsolidierung der Oper die einzige Begründung?
Schubert: Nein. Nach offizieller Mitteilung führten folgende Gründe zur Schließung des Opernchorstudios: Neben Kosteneinsparung, Reduzierung der Chorstellen in den nächsten Jahren, der Auffassung, dass es nicht zu den Aufgaben eines Opernhauses gehört, Chorsänger auszubilden, und durch die Umstellung auf Bachelor- und Masterausbildung an der Musikhochschule sei das Opernchorstudio nicht mehr zeitgemäß. O&T: Was bedeutet das für das Haus und den Chor? Schubert: Wir werden jetzt die Vorsingen und die Bewerbungen abwarten. Wir haben für bestimmte Stimmgruppen Stellen ausgeschrieben und werden dann sehen, ob wir sie besetzen können. Auf jeden Fall wird der Chor in den nächsten Jahren verkleinert. O&T: Wie sehen das die Mitglieder des Opernchores? Ehrlich: Mit gemischten Gefühlen. Denn irgendwann wirkt sich die Altersstruktur selbst eines großen Chores auf die Qualität aus. Erfahrung allein reicht ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr, man muss auch körperlich topfit sein. In einigen Stimmgruppen rücken die Kollegen dem Pensionsalter näher und wenn wir dafür keine jungen Leute engagieren können, wird das früher oder später Auswirkungen auf die Qualität und Belastungsfähigkeit des Chores haben. Schubert: Mit den Studenten des Opernchorstudios konnten zum Beispiel Krankheitsfälle im Staatsopernchor abgefedert werden. Wir haben in vielen Jahren dank des Opernchorstudios deutlich weniger Gäste benötigt. Darauf werden wir jetzt wieder verstärkt zurückgreifen müssen. O&T: Wie waren die Reaktionen in der Stadt Dresden? Gab es überhaupt öffentliche Resonanz? Schubert: In mehreren Zeitungen sind Artikel erschienen, aber direkte Resonanz gab es leider zu wenig. Ehrlich: Das ist unser Kardinalproblem: Der Berufsstand des Opernsängers wird in der Öffentlichkeit nicht bewusst wahrgenommen. Ausbildung zum OpernchorsängerO&T: Wie sieht es mit der Ausbildung zum Opernchorsänger in Deutschland generell aus?
Schubert: Neben den Musikhochschulen gab es mehrere Projekte in Deutschland, zum Beispiel in Köln und Meiningen, aber diese existieren aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr. Im Augenblick gibt es nur eine private Ausbildungseinrichtung in Hamburg, die mit der dort ansässigen Musikhochschule zusammenarbeitet. Ehrlich: Der Beruf des Opernchorsängers verlangt gut geschulte, stilistisch sichere und belastbare Sänger. Die bekommt man aber nur, wenn man sie zielgerichtet in diese Richtung ausbildet. Ein Chorsänger muss alle Stilrichtungen in der nötigen Qualität singen können. Jeder Regisseur will auf der Bühne junge Menschen haben. Junge, schöne, flexible und bewegliche Menschen. Ein Chorsänger muss sich außerdem in ein Ensemble integrieren können. Ein guter Opernchor ist nur gut, wenn er homogen ist. Was nutzt ein hervorragend ausgebildeter Sänger, der sicherlich Engagement zeigt, aber so viel Einsatz, dass es den Chorklang stört! O&T: Was müsste man tun, um das Fach Chorgesang für Studienanfänger attraktiver zu machen? Schubert: Das ist ein heißes Eisen. Meiner Ansicht nach gibt es zu wenig Pädagogen an den Hochschulen, die nicht nur Studenten mit solistischen Begabungen erkennen und fördern, sondern darüberhinaus auch junge Menschen befähigen und motivieren, mit ihrer Begabung in einen guten Chor zu gehen. Helfen würde dabei im Studium die Vergabe von Praktika in Opernchören. Der Spruch, dass eine Hochschule mit zwei bis drei gut ausgebildeten Solisten im Jahr bestehen kann, mit zehn ebenso gut ausgebildeten Chorsängern dagegen nicht, höre ich aus den unterschiedlichsten Gegenden in Deutschland leider immer noch! Dabei gibt es auch junge Leute, die nicht Solisten werden wollen, sondern sich auch in einem guten Chor einbringen möchten. O&T: Wird dieses Thema in der VdO diskutiert? Gibt es Pläne für intensivere Gespräche mit den Hochschulen? Ehrlich: Darüber gesprochen wird schon. Es hat sich aber gezeigt, dass das Thema außerhalb unseres Kreises nicht stattfindet und dass es die Hochschulen nicht erreicht. Wir sprechen gerne von der Ausbildung von „Sängerpersönlichkeiten“, nicht von Solisten. Und diese Sängerpersönlichkeiten müssen allseits gebildet und geformt werden – auch mit Chorpartien und Literatur, die derzeit nicht an den Hochschulen unterrichtet werden. Das Problem ist so komplex, dass es letzten Endes mit der gesamten Bildungspolitik und Schulproblematik in Verbindung gebracht werden kann. Stellungnahme des IntendantenStatement zum Beitrag „Opernchorstudio Dresden“ in der Ausgabe 4/09
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