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Editorial

Skandalöse Geheimdiplomatie

Eigentlich wollen wir die Kürzel „TTIP“ und „CETA“ gar nicht mehr hören oder lesen. Eigentlich ist ja auch ein Freihandelsabkommen – mit der Abschaffung von Zöllen und sonstigen Handelshemmnissen und der Harmonisierung von Standards – eine feine Sache; wofür also die ganze Aufregung?

Foto: Charlotte Oswald

Foto: Charlotte Oswald

Natürlich kennen wir die Schlagworte: Chlorhühnchen, Genmais und – essentiell für unsere Bereiche – die „exception culturelle“ und bangen um sachgerechte Lösungen. Immerhin haben wir kürzlich vernehmen können, dass der „Schwarzwälder Schinken“ geschützt bleiben soll. Zusätzlich geistern da aber auch noch die Gespenster „Investitionsschutz“ und „Schiedsgerichte“ herum – und hier lauern tatsächlich grundlegende Gefahren für die politische und rechtliche Kultur des „Abendlandes“.

Was aber genau ist daran so schrecklich? Dafür muss man sich die geplanten Mechanismen vor Augen führen: Investitionsschutz heißt im Kern, dass ein Unternehmen aus einem Land, das in einem anderen Land vor dem Hintergrund bestimmter – auch rechtlicher – Rahmenbedingungen investiert, von diesem Staat Schadensersatz verlangen kann, wenn sich diese Rahmenbedingungen ändern. Hier liegt schon die erste Stufe des Unheils: „Schaden“ ist in diesem Zusammenhang nicht nur die Investition selbst, sondern auch die daran geknüpfte Gewinnerwartung – und die kann sich schnell auf hohe Milliardenbeträge summieren.

Und gleich greift schon die zweite Stufe: Über diese Ansprüche entscheiden, ohne dass es diesbezüglich, wie bisher üblich, einer Abrede im Einzelfall bedürfte, so genannte Schiedsgerichte, die – außer den Bestimmungen des TTIP selbst – keiner Rechtsordnung und keiner übergeordneten Kontrolle unterworfen sind. Diese Schiedsgerichte sind nicht etwa mit Berufsrichtern, denen mit etwas Optimismus eine berufsimmanente Unabhängigkeit zuzutrauen wäre, sondern mit Wirtschaftsanwälten oder gar Managern besetzt, die entgegen allen rechtsstaatlichen Prinzipien in geheimen Verhandlungen abschließend entscheiden.

Drohen nun einem Staat und damit seiner gesamten Volkswirtschaft in einem solchen Verfahren mehrstellige Milliardenforderungen, ist er in seinem politischen Handeln nicht mehr frei – das Interesse des Anspruchstellers steht faktisch über den Interessen des Gemeinwohls, insbesondere in Fragen etwa des sozialen Schutzes, des Umweltschutzes oder der Sicherheit der Bevölkerung. Damit aber wird eine Grunderrungenschaft der Neuzeit – die Souveränität des demokratisch legitimierten Staates im Auftrag und zum Wohle derer, die in ihm leben – zugunsten der Interessen einzelner mächtiger ausschließlich ihrem Profit verpflichteter internationaler Wirtschaftsunternehmen weiter ausgehöhlt. Schon die Finanzkrise von 2008 hat gezeigt, dass „systemrelevante“ Banken vor den Folgen ihrer unverantwortlichen Profitgier auf Kosten der Allgemeinheit gerettet werden mussten – und sie machen weiter wie zuvor. Nun drohen uns als nächster Schritt die „systemdominanten“ Konzerne, die – durch verbindliche internationale Abkommen geschützt – mit der bloßen Drohung von Schadensersatzforderungen in erpresserischer Weise staatliches Handeln gegen die Interessen des Gemeinwesens lenken können. Nach ethischen Maßstäben ist dies nichts anderes als der Rücksturz ins Mittelalter. Verfassung, Gewaltenteilung, Rechtsstaat und Demokratie werden zur Makulatur.

Eigentlich unverständlich ist, dass unsere ja immerhin noch formal demokratisch gewählten Regierungen in diesem Punkt so gar keine Sensibilität entwickeln und sich kritiklos von der skandalösen Geheimdiplomatie des Euro-Bürokratenapparates vereinnahmen lassen. Wie viel Realitätsverlust und dumpfe Sachzwang-Mentalität treten da zutage?

Michel Houellebecq hat ja gerade einen Roman über die fiktive Islamisierung Frankreichs herausgebracht – vielleicht ist nun einmal eine hochallegorische Oper über die „Verappleung“ Europas angesagt. Der Funktion des Theaters als moralische Anstalt stünde das gut zu Gesicht.

Tobias Könemann

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