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             Hintergrund 
            Eine Basis für die Karriere
            Christiane Iven, Juryvorsitzende beim Deutschen Musikwettbewerb in der  Kategorie Gesang, im Gespräch mit Barbara Haack
            Christiane Iven war von 1986 bis 2015 als  Opern- und Konzertsängerin international tätig. Ihre Karriere als Sängerin  startete sie zunächst als Mezzosopran und wechselte später in das Sopranfach.  Konzerte gab sie mit bedeutenden Orchestern unter anderem unter dem Dirigat von  Marc Albrecht, Teodor Currentzis, Michael Gielen, Nikolaus Harnoncourt, Heinz  Holliger, Julia Jones, Marko Letonja, Shao-Chia Lü, Sir Neville Marriner,  Matthias Pintscher, Christian Zacharias und Lothar Zagrosek. Ihre Liederabende  mit den Pianisten Burkhard Kehring, Igor Levit, András Schiff und Jan Philip  Schulze waren ein wichtiger Bereich ihrer Konzerttätigkeit. 
            Christiane Iven war festes Ensemblemitglied  an verschiedenen Theatern, viele Jahre davon an der Staatsoper Stuttgart. Dort  und an weiteren deutschen und europäischen Opernhäusern arbeitete sie unter  anderem mit dem Regieteam Jossi Wieler und Sergio Morabito, Calixto Bieito,  Claus Guth, Andreas Homoki, Peter Konwitschny, Luc Perceval, Stefan Herheim und Andrea Moses. Seit 2013 hat Christiane Iven eine  Professur für Gesang an der Hochschule für Musik und Theater München inne und  unterrichtet auch an der Theaterakademie August Everding. Darüber hinaus  arbeitet Christiane Iven als Coach und Beraterin in den Bereichen Musik,  Theater und Musikpädagogik und hat 2023 mit einer Neuinszenierung von Verdis  „La Traviata“ am Theater Dessau ihr Debut als Regisseurin gegeben. 
            2023 war sie Jury-Vorsitzende beim Deutschen  Musikwettbewerb in der Kategorie Gesang. Barbara Haack sprach mit ihr über ihre  Erfahrungen.   
            Oper & Tanz: Sie waren in diesem Jahr Vorsitzende der  Jury in der Kategorie Gesang beim Deutschen Musikwettbewerb. Seit wann  engagieren Sie sich dort? 
              
            Christiane Iven. Foto: Adrienne Meister 
            Christiane Iven: Den Vorsitz habe ich zum ersten Mal gemacht.  Ich war zuvor schon einmal Mitglied der Jury in der Kategorie Lied-Duo.  
            O&T: Wie waren die Erfahrungen in diesem Jahr? Gab es  Besonderheiten zum Beispiel in Bezug auf Qualität oder Repertoire? 
            Iven: Bei Wettbewerben ist das immer unterschiedlich. Die  Qualität kann man nicht voraussehen. Manchmal gibt es Wettbewerbe, bei denen  sehr viele Teilnehmende auf einem hohen Niveau sind, so dass man  Schwierigkeiten hat sich zu entscheiden. Manchmal ist das Mittelfeld gut, aber  es gibt wenig herausragende Beiträge. Das schwankt immer wieder. Ich kann da  keine generelle Tendenz ablesen.  
            O&T: Sie waren selbst einmal Preisträgerin beim  Deutschen Musikwettbewerb. 
            Iven: Ja, das war 1990. 
             O&T: Hat sich der Wettbewerb aus Ihrer Sicht  verändert, entwickelt – auch aus den verschiedenen Perspektiven der  Teilnehmerin und der Jurorin betrachtet?  
            Iven: Die Struktur selbst ist in etwa noch dieselbe. Es gibt  drei Runden mit Klavier und eine Finalrunde mit Orchester. Das Besondere am  Deutschen Musikwettbewerb: Die Fachjury beurteilt die erste und zweite Runde  und ab der dritten Runde wertet dann die Gesamtjury.  
             Da sind die  Wahrnehmungen manchmal durchaus unterschiedlich. Wenn zum Beispiel  Streicher*innen oder Pianist*innen den Gesang bewerten, hören und beurteilen  sie anders. Ich finde das sehr spannend – auch umgekehrt. In der dritten Runde  musste die Gesangsjury unter anderem Cellist*innen beurteilen. Musikalisch  nimmt man natürlich wahr, ob es eine außerordentliche Qualität ist. Aber  bestimmte fachlich-technische Dinge sind nicht immer ganz so im Vordergrund.  Die fachfremde Perspektive ist sehr bereichernd.  
  
            Stipendiatin des Deutschen Musikwettbewerbs: Julia Hing. Foto: Heike Fischer 
            Diesen Ablauf, drei  Runden und ein Finale mit Orchester, gab es vor 30 Jahren auch schon. Es gibt  aber seit einigen Jahren eine entscheidende Neuerung in diesem Wettbewerb, die  ich hochinteressant finde. Die dritte Runde nennt sich jetzt „Carte blanche“. Man hat  in dieser Runde keine Vorgaben mehr im Repertoire und kann sie vollkommen frei  gestalten. Alles ist erlaubt. Es muss nicht unbedingt die traditionelle  Konzertform sein. Man kann mit Elektronik arbeiten, mit szenischen Aspekten.  Man kann ein dramaturgisches Konzept präsentieren, zum Beispiel mit Film. Man  hat richtig viele Möglichkeiten. In diesem Jahr war ich verwundert, wie wenig  das ausgeschöpft wurde. In unserem Konzertleben entwickelt sich ja gerade sehr  viel. Neue Konzertformate, Konzertvermittlung und Konzertdesign spielen  mittlerweile eine große Rolle. Gerade weil das so ist, wünsche ich mir von den  jungen Künstler*innen, dass sie sich mehr Kreativität erlauben. Ich denke, dass  viele einfach nicht gewohnt sind, ihr kreatives Potenzial, das über das reine  Musizieren hinaus geht, auszuleben und zu zeigen.  
             O&T: Sie sind schon  bei vielen Wettbewerben Jurorin gewesen, schicken auch Ihre eigenen  Studierenden zu Wettbewerben. Welche Bedeutung hat die Teilnahme am Deutschen  Musikwettbewerb und generell die Teilnahme an Wettbewerben für junge  Sängerinnen und Sänger? Welche Rolle spielt das für die Karriere? 
                          Iven: Einen Wettbewerb  zu gewinnen ist der Karriere sicher zuträglich, weil man Aufmerksamkeit  bekommt. Als junge Sängerin, junger Sänger muss man bekannt werden. Dafür hilft  es auf alle Fälle. Man kann aber auch sehr gut eine tolle Karriere machen ohne Wettbewerbe.  Nicht jeder hat ja Lust darauf. Diese kompetitive Situation macht einigen Spaß,  andere finden sie schrecklich. Wenn man sich dazu zwingen muss, rate ich immer  davon ab. Es gibt auch andere Möglichkeiten, in diesen Beruf hineinzukommen.  
             Der Deutsche  Musikwettbewerb ist auch deshalb so kostbar und wichtig, weil es ein  Folgeprogramm für die Gewinner*innen gibt. Sie werden an Orchester empfohlen.  Der Deutsche Musikwettbewerb unterstützt ein Konzertengagement, indem er einen  Teil der Gage übernimmt. Man bekommt auch eine professionelle Tonaufnahme. Das  unterscheidet den Deutschen Musikwettbewerb stark von anderen Wettbewerben, wo  es den Preis gibt und einen Blumenstrauß – und das war es dann. Es lohnt sich  also, sehr genau hinzugucken bei der Auswahl der Wettbewerbe. 
             O&T: Sie kennen sich gut aus in dieser  Wettbewerbslandschaft. Wie verorten Sie den Deutschen Musikwettbewerb in dieser  Landschaft? Zwischen ARD-Wettbewerb, Bundeswettbewerb Gesang und anderen, auch  internationalen? Gibt es eine Art Reihenfolge? 
              
            Christiane Iven im Gespräch mit Jury-Kollegen. Foto: Heike Fischer 
            Iven: Sicher nicht in der Wertigkeit oder in der Frage von  Qualitätsanspruch und Schwierigkeitsgrad. Der Deutsche Musikwettbewerb und der  Bundeswettbewerb Gesang richten sich an Menschen, die in Deutschland studieren  oder als junge Berufsanfänger*innen in Deutschland tätig sind. Der  ARD-Wettbewerb ist ein rein internationaler Wettbewerb. Das ist natürlich ein  Unterschied. Es gibt auch in Bezug auf das Repertoire Unterschiede. Es gibt  Wettbewerbe, die den Schwerpunkt auf Virtuosität legen. Da geht es dann um „schneller  – höher – weiter“. Zum Beispiel reine Opernwettbewerbe. Da geht es um  Hochleistung in diesem einen Bereich. Im Unterschied dazu ist der Deutsche  Musikwettbewerb sehr umfangreich in seinem Repertoire. Da gehören auch Lied,  Oratorium, zeitgenössische Musik ins Pflichtprogramm. Das schreckt manche auch  ab. Jemand, der den Deutschen Musikwettbewerb gewinnt, hat ganz sicher einen  großen Repertoire-Horizont und ist sehr vielseitig, ich will aber die  Bedeutung von reinen Opernwettbewerben keinesfalls schmälern. Für diejenigen,  die zum Beispiel den Wettbewerb „Neue Stimmen“ gewinnen, ist das eine sehr  große Karrierechance. Es braucht beides. Es gibt Studierende, die schicke ich  zu dem einen, andere zum anderen Wettbewerb, weil ich weiß, wofür sie sich  jeweils eignen und interessieren. 
             O&T: Gibt es über die Wertung hinaus ein Feedback für  die Teilnehmenden? 
            Iven: Ja! Das wird auch sehr gerne angenommen. Diejenigen, die  nach der zweiten oder dritten Runde nicht weiterkommen, wollen gerne ein  Feedback haben. In diesem Jahr haben wir uns dafür viel Zeit genommen. 
            O&T: Vermutlich haben die jungen Sänger*innen, die am  Wettbewerb teilnehmen, nicht unbedingt das Ziel im Chor zu singen. Ist es auch  für eine Opernchorkarriere sinnvoll, an einem solchen Wettbewerb teilzunehmen?  
            Iven: Natürlich. Um eine Stelle in einem guten Opernchor oder  in einem guten Rundfunkchor zu bekommen, muss man heute ausgezeichnet singen  können. Viele, die an Wettbewerben teilnehmen und da auch ziemlich hoch landen,  haben den Wunsch, ein solistisches Leben zu führen. Aber es ist auch den  meisten bewusst, dass nur wenige Menschen, die ein solches Studium absolviert  haben, dieses Ziel erreichen. 
             O&T: Da stellt sich die Frage der Ausbildung. Es gibt  ja fast keine Möglichkeit, sich an der Hochschule als Chorsänger*in ausbilden  zu lassen. Fehlt eine solche Möglichkeit an den Hochschulen? Oder passt das  System, dass man sich erst später für den einen oder anderen Weg entscheidet? 
            Iven: Die Zeiten haben sich verändert; Die Nachfrage nach  Stellen ist groß, und das Stellenangebot wird insgesamt geringer. Ich glaube,  die realistische Einschätzung kommt durchaus an bei den jungen Menschen. Corona  hat die Dinge noch einmal deutlicher gemacht. Auch wenn jemand davon träumt,  Solistin oder Solist zu werden, ist es notwendig, auf dem Boden zu bleiben und  andere Optionen im Blick zu haben.  
             Ich bin nicht sicher ob  es eine spezielle Opernchorausbildung braucht.  
            Man singt für eine  Opernchor- oder Rundfunkchorstelle solistisch vor. Die Chorfähigkeit spielt  beim Bewerbungsverfahren interessanterweise so gut wie gar keine Rolle. Die  Ausbildung und die Vorbereitung auf eine Bewerbung für eine Chorstelle sind  also ähnlich, wie wenn man als Solist*in an Opernhäusern oder  Konzertveranstaltern vorsingt.  
             Interessant sind  sicherlich Praktika oder Akademisten-Stellen für Menschen, die den Beruf eines  Chorsängers, einer Chorsängerin ausprobieren möchten. Grundsätzlich ist  innerhalb der Gesangsausbildung an der Hochschule das Ensemble-Singen sehr  wichtig. Das sollte im Studienplan verpflichtend sein, für alle, auch für die,  die Solist*innen werden wollen, denn auch Solist*innen singen ja in vielen  Oratorien oder Opern im Ensemble. Diese Fähigkeit zu hören, sich zu integrieren  in einen Stimmenklang, ist sehr wichtig.  
             Das geht uns Lehrende  an: die Qualität der vielfältigen Berufe wertzuschätzen und weiterzugeben, wie  beglückend es auch sein kann, im Chor zu singen, und dass es sich keinesfalls  um eine Karriere „zweiter Klasse“ handelt. Nicht jeder ist für die Solistenkarriere  gemacht. Man muss viel mehr reisen. Es ist ein ganz anderer Druck dahinter zu  wissen, dass man ständig gekündigt werden kann. Das ist nicht für jede  Persönlichkeit das Richtige. 
             O&T: Welche Rolle hat Ihr Preis beim Deutschen  Musikwettbewerb für Sie persönlich gespielt? 
            Iven: Für mich persönlich war der Preis absolut wesentlich.  Ich habe durch den Deutschen Musikwettbewerb viele Orchesterkonzerte vermittelt  bekommen, und das hat mich als Profi enorm weitergebracht. Dieser Preis war die  Basis für meine persönliche Karriere.    |