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Spagat unter kaltem Mondlicht

Ricardo Fernando mit Henze und Molière in Hagen · Von Georg Beck

Zweigeteilt der Abend – zwiespältig die Gefühle. Hier Jean-Baptiste Lully und dessen Musik zu Molières Ballettkomödie „Le Bourgeois gentilhomme“, dort Hans-Werner Henze mit „Le disperazioni del Signor Pulcinella“, einer Tanzschauspielmusik aus dem Jahr 1950, revidiert 1995. „Molière“, den Beitrag des von Sparzwängen bedrohten Theaters Hagen zum „henze-projekt“ im Rahmen von Kulturhauptstadt Ruhr.2010 liefert Ricardo Fernando als Spagat. Mit allen schönen Risiken wie unschönen Nebenwirkungen.

 
„Der eingebildete Kranke“, Ensemble des Theaters Hagen. Foto: Foto Kühle
 

„Der eingebildete Kranke“, Ensemble des Theaters Hagen. Foto: Foto Kühle

 

Funkenflug aus dem Graben. Das macht schon Laune, wie das philharmonische orchesterhagen unter Florian Ludwig die Klang-Schmiede des jungen Henze wiederaufleben lässt. Und es lässt die Schwellentemperatur ansteigen, so dass es der Kompanie doch ziemlich brennt unterm Reiseschuh. – Nur konsequent, dass Ricardo Fernando, der jugendlich wirkende Kopf von balletthagen seiner 15-köpfigen Truppe bedeutet hat, sich auf das Zappeln und Zucken von „Le disperazioni del Signor Pulcinella“ einzustellen. Deshalb dieses eigentümliche Vor und Zurück bei gegenläufigem Pendeln der Arme. Eine Manier aus Slapstick-Kintopp und Hip-Hop, mit der die Regie die Formation auf ihre Diagonalen schickt.

Soviel zur Stärke einer Inszenierung, die damit nach ihrer eigenen Logik zunächst nur eine Negativfolie aufrollt, die Rokoko aufpeppt, um uns die Augen dafür zu öffnen, wer für die „Verzweiflung“ des Herrn Pulcinella in letzter Instanz verantwortlich ist – die schlechte Welt. Konzipiert, choreografiert wird mit starken Schlagschatten: Hier die verlogen-doppelzüngige Gesellschaft von Schwerenötern, tumben Neureichen, abgedrehten Weibern – dort ein am Boden zerstörtes Mannsbild, das das Pech hat, Hauptdarsteller in einer uralten Geschichte zu sein. Ungeniert lässt sich Pulcinellas Angetraute Smeraldine den Hof machen, lacht sich andere an. Das kriegen dann alle mit, auch der Gehörnte. Doch er kann nichts machen. Ungerecht! sagt Fernando dazu und schickt sich an, die Sache geradezurücken. Schnell spürt man die Absicht, fühlt, auf welche Seite sich die Regie zwischen (bösen) Tätern und (unschuldigem) Opfer schlagen wird. Shaw Coleman, in der Rolle des von Fernando gleich dreifach besetzten Protagonisten, muss sich mit viel Artistik drehen und wenden, in sich zusammenkrümmen. Dann aber, finalmente, nach bitterem Ende im Suizid erscheinen die Engel in Kindergestalt. Ist gerettet!

Dass ein mit vergleichsweise grobem Garn gesponnener Erzählfaden andere naturgemäß blass aussehen lässt, liegt auf der Hand. Da ist Smeraldine, jene junge Frau, die ihre Gefühle eben nicht so mir nichts dir nichts unterm Ehe-Hut sortiert bekommt. Hayley Macri macht das sehr schön klar, wenn sie erst zeigt, wie es ihr gefällt, wenn der Galan herumscharwenzelt, um im nächs-ten Moment, wenn ihr Blick auf den des Ehemannes trifft und sie seine Annäherung spürt, in plötzliche Bewegungslosigkeit zu fallen. Da sind sie dann wieder, diese Momente, in denen Fernandos grundsolides Handlungsballett über sich selbst hinausweist, auf berührende Weise den Atem anhält und andeutet, wie (so Henze) „Träume, Lust- und Zwangsvorstellungen“ zusammenhängen könnten. Nach dem Vorbild von Molières Ballettkomödie „George Dandin“ hat Henze 1995 eine Neufassung der Musik des Jack Pudding-Balletts von 1950 erstellt, inklusive Rückübersetzung in die Sphäre der Commedia dell’arte. Das „Phosphores­zierende unter kaltem Mondlicht“ schwebte ihm vor. Eine wetterleuchtende, keine Mitleids-Musik, auch wenn noch so sehr auf offener Bühne ein Herz entzwei­bricht.

Teil Zwei des Hagener Tanzabends beginnt gleich konventionell. Nach dem Motto: Witzig sei die Pointe, schlagend der Gag, hat sich Fernando von seinem Ausstatter Peer Palmowski zunächst die Molière-Werkausgabe übergroß auf die Bühne stellen lassen – zum Aufklappen. Aus dem Buchinnern entschlüpfen dann die Tänzer, um die besten der vorgeblich lustigsten Geschichten des Poeten zum Besten zu geben mit Hilfe von Richard Strauss („Jean-Baptiste“), Darius Milhaud („Der eingebildete Kranke“), Christoph Willibald Gluck („Dom Juan“) sowie mit der Musik Jean-Baptiste Lullys zum Comédie-ballet „Le Bourgeois gentilhomme“. Dabei erweist sich letztere allerdings fürs philharmonische orchesterhagen als eine nun doch recht fern gerückte Welt. Kein Funkenflug mehr. Stattdessen verschliffene Akzent­hierarchien und ein Rasen durch die Partitur als hätte Florian Ludwig immer noch Henze auf dem Pult liegen. Andererseits fragt man sich, wie ausgerechnet im Graben der Kunsternst walten sollte, wenn auf der Bühne jetzt alles und jedes nach Knalleffekten abgescannt wird? Etwa wenn überdrehte Kranken­schwestern einen Dummen August von eingebildetem Kranken betüddeln, worauf dieser erst wie das leibhaftige Kasperle herumalbert, um sich dann, ach ist das schön, mit einem Krachen aufs Bette plumpsen zu lassen. Haben wir zuletzt, mit sprechender Unterzeile, bei Stan&Ollie gesehen. Schöner Schlamassel. – Stürmischer Applaus.

Georg Beck

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