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Gesundheit

Den Teufelskreis durchbrechen

Déirdre Mahkorns „Lampenfieber-Ambulanz“ · Von Ulrike Gondorf

„Meine Bogenhand beginnt zu zittern. Ich vertraue mir nicht. Es wird immer schlimmer, bis ich den Bogen kaum noch halten kann.“

„Es fühlt sich an, wie wenn ein Schalter umgelegt würde. Ich kann nicht mehr klar denken, geschweige denn singen, weil das Atmen so flach ist und der Ton zittert.“

Zwei von zahllosen Betroffenen, für die sich Theater, Konzerthäuser, Kammermusiksäle allabendlich in die Pforten zur Hölle verwandeln: Das Herz klopft rasend, der Mund wird trocken, dafür sind die Hände schweißnass. Und im Kopf breitet sich ein Vakuum aus. Das Fieber steigt, das Lampenfieber. Wenn es einen Preis für anschauliche Begriffe der deutschen Sprache gäbe, müsste es dieses Wort ganz weit nach vorn schaffen. Die Scheinwerfer glühen auf, der Saal wird dunkel und das Podium hell für den Auftritt – und der körperliche Ausnahmezustand erreicht seinen Siedepunkt. Für viele jedenfalls. Andere werden schon in den Proben plötzlich von dieser Nervosität erfasst, wieder andere überfällt sie irgendwann, im Supermarkt, zu Hause am Frühstückstisch. Allen Betroffenen gemeinsam ist die Panik, der Verlust der Kontrolle und der Wunsch, dass die Quälerei aufhört.

Eine spontane Eingebung

Dazu möchte Déirdre Mahkorn einen Beitrag leisten. Die gebürtige Irin ist Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie sowie Oberärztin an der Bonner Universitätsklinik. Sie beschäftigt sich wissenschaftlich mit dem Thema und baut derzeit gemeinsam mit einem Kollegen, dem Diplom-Psychologen Martin Landsberg, eine „Lampenfieber-Ambulanz“ für Musiker auf. „So eine spontane Eingebung“ sei das gewesen, erzählt die zierliche junge Frau. Auf die Idee gebracht haben sie ihre eigene Begeisterung für die Musik und die vielen Kontakte, die sich daraus ergeben haben. „Ich habe in der Schule begonnen, im Chor zu singen, habe das über Jahre getan, tue das heute noch, habe lange Klavierunterricht gehabt, stand kurz vor dem Abitur vor der Entscheidung, ob ich Medizin studiere oder Musik. Ich bin nach Irland in meine Heimat gegangen und habe das Medizinstudium absolviert, habe aber weiter regelmäßig gesungen, auch Gesangsunterricht genommen und auf diese Weise viele wunderbare Künstler kennengelernt. Im Gespräch mit anderen habe ich dann gemerkt, wie wenig Angebote es für Musiker gibt, wenn sie psychologische Hilfe suchen.“

 
Martin Landsberg und Déirdre Mahkorn. Foto: Thüner
 

Martin Landsberg und Déirdre Mahkorn. Foto: Thüner

 

Was Lampenfieber ist, weiß die Ärztin auch aus eigener Erfahrung. Der Musik, sagt sie, verdanke sie zwar nur positive Spannungsgefühle, aber in ihrem Beruf hat sie auch schon unangenehmere Erfahrungen mit der Aufregung gemacht. „Lampenfieber kenne ich persönlich aus Situationen, in denen ich vor Kollegen einen Vortrag halten oder in einem Seminar etwas präsentieren musste. Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn habe ich festgestellt, wie schwierig es ist, rechtzeitig der Angst entgegenzusteuern. Die gute Nachricht: Angst lässt sich mit entsprechender Übung und Erfahrung kontrollieren.“

Kein eindeutiges Krankheitsbild

In vielen Gesprächen und mit einer Fragebogen-Aktion bei Theatern und Orchestern sammelt Déirdre Mahkorn jetzt gerade Daten und Fakten zum Thema. Denn „Lampenfieber“ ist keinesfalls ein eindeutiges und klares Krankheitsbild. „Lampenfieber wird von jedem individuell wahrgenommen, viele Künstler lieben die Aufregung vor dem Konzert und brauchen nervliche Anspannung, um sich vorzubereiten, um einen spannungsreichen Auftritt anbieten zu können. Aber es gibt ebenso Künstler, die Lampenfieber als quälend empfinden. Es ist auch Aufgabe der Ambulanz, herauszufinden, wo das Problem anfängt. Ist es die Angst vor dem Scheitern, ist es die Angst, sich zu blamieren, da kommen wir in den Bereich der ‚sozialen Phobie‘. Ist es die Angst, negativ beurteilt zu werden (konkret die Angst vor dem im Publikum sitzenden Kritiker), die Angst, die Kontrolle zu verlieren und in der Folge die Bühne fluchtartig zu verlassen? Das gilt es herauszufinden, das ist eine spannende Reise mit den Künstlern.“ – „Kognitionen“ nennt die Ärztin Vorstellungen, die die Betroffenen in die Panik treiben. Den Text als Sänger auf der Bühne zu vergessen zum Beispiel, den Blackout am Klavier. „Ein böser Teufel“ sei dieser Gedanke, der einen zwingt, sich im Kopf mit dem Schrecken einer Situation auseinanderzusetzen, die es in der Wirklichkeit meist noch nie gegeben hat. Dass auch gefeierte Stars vom Lampenfieber gepeinigt werden, beweist ja, dass die Versagensängste oft wenig oder gar keinen Grund in der tatsächlichen Leistungsfähigkeit der Betroffenen haben. Aber wenn auch die Ursachen phantomhaft sein mögen, die gesundheitlichen Folgen des Lampenfiebers können höchst real sein. Und wer immer wieder einen Auftritt absagt, der kann damit seine berufliche Existenz gefährden. Im Fachjargon wird von „Vermeidungsverhalten“ gesprochen.

„Wenn man es nicht rechtzeitig schafft, die Kontrolle über die Ängste zu bekommen, dann kann es passieren, dass man durch die Belastung beginnt, Alkohol oder sedierende Tabletten zu konsumieren. Es gibt immer wieder Künstler, die eine Abhängigkeitserkrankung entwickeln, besonders Künstler, die häufig solistisch auftreten, aber auch Orchestermusiker. Es wäre wichtig, entsprechende Warnsignale zu benennen.“

Das aber ist gar nicht so leicht, denn viele verdrängen und vertuschen das Lampenfieber. Déirdre Mahkorn hat sehr zwiespältige Erfahrungen gemacht. Schon bevor sie mit ihrem Plan der „Lampenfieber-Ambulanz“ auf Theater und Orchester zugegangen ist, hat sie viele Briefe und E-Mails erhalten, sogar aus dem Ausland. Die Idee hatte sich schnell herumgesprochen. Betroffene bekundeten ihr Interesse, aber zugleich ihre große Besorgnis, dass Kollegen oder Arbeitgeber von ihrem Problem erfahren könnten. „Absolute Diskretion und Verschwiegenheit“, so die Ärztin, wird also die Arbeit der Ambulanz begleiten; die Fragebögen, die sie zurzeit auswertet, sind anonymisiert. „Das Projekt wird langsam anlaufen. Wir wollen zunächst an zwei Nachmittagen pro Woche drei bis vier Stunden anbieten und wir hoffen, dass wir im Verlauf bis zu zehn Klienten in der Woche beraten können und bei Bedarf mittel- und langfristig zur Verfügung stehen. Manche würden sicher nur von einem Termin Gebrauch machen, andere könnten regelmäßige Klienten sein.“

Bewältigungsstrategien

 
Die „Lampenfieber-Ambulanz“ an der Bonner Universitätsklinik. Foto: Mahkorn
 

Die „Lampenfieber-Ambulanz“ an der Bonner Universitätsklinik. Foto: Mahkorn

 

Eines allerdings sollte niemand erwarten: dass er seinen „bösen Teufel“ ein für alle Mal zurücklassen kann in Déirdre Mahkorns freundlichem Sprechzimmer in der Bonner Uni-Klinik, ebenerdig an einem Garten in einem kleinen Innenhof gelegen. Geduld ist auf alle Fälle nötig. „Wir müssen uns erstmal kennenlernen, durch das Erheben einer ausführlichen biographischen Anamnese herausfinden, wo die Probleme liegen. Wo sind die Stressoren, die negativen Kognitionen, die einen im Alltag auf der Bühne ausbremsen? Dann müssen wir ein Profil erstellen und schauen, dass man gezielt in ausführlichen Gesprächen die zur Angst führenden negativen Erwartungen klar identifiziert und ihnen eine positive Konnotation entgegensetzt. Dann können wir mit Entspannungsübungen beginnen und den Künstler regelmäßig betreuen. Wir arbeiten überwiegend verhaltenstherapeutisch, benennen mit dem Künstler ein Ziel und richten den Blick nach vorne.“ Gegebenenfalls könnte auch der Einsatz von Medikamenten sinnvoll sein. „Unsere Aufgabe ist es, Bewältigungsstrategien anzubieten, die sehr vielfältig sein können.“ Was man sich mit fachkundiger Hilfe erarbeiten könnte, meint Déirdre Mahkorn, ist ein anderer, besserer Umgang mit der Angst. Einer, der sie beherrschbar, im besten Falle produktiv macht, und ihre negativen und gefährlichen Auswirkungen eindämmt. Ein entscheidender Schritt auf dem Weg ist dabei in vielen Fällen, sich mehr Toleranz und eine großzügigere Haltung zu sich selbst zu erkämpfen. Perfektionismus – nicht zu verwechseln mit Professionalität und ernsthaftem künstlerischem Anspruch – ist der mächtigste Helfer des „bösen Teufels“. Oft liegt das Problem „in der Persönlichkeit des Musikers, der perfektionistisch ist, starke Glaubenssätze hat, ein Schwarz-Weiß-Denken: Wenn ich das nicht schaffe, ist das eine Katastrophe. Da gibt es nur das Grandiose und das Katastrophale und die Schattierungen dazwischen gibt es nicht“.

Spannende persönliche Wege

Das ganze Spektrum der Angsterkrankungen (von der sozialen Phobie bis hin zur manifesten Panikstörung) findet sich hier lückenlos wieder. Mit ihrer Bonner „Lampenfieber-Ambulanz“ möchte Déirdre Mahkorn Hilfestellung geben für alle, die diesen Teufelskreis durchbrechen wollen. Damit Betroffene aus der Panik herausfinden und das erreichen, was weniger belastete Kollegen in ihren Antworten auf den Lampenfieber-Fragebögen sogar als angenehmen Zustand beschrieben haben: „Es gibt Tage, an denen es nur eine leichte (durchaus prickelnde) Anspannung ist.“ Was es noch alles sein könnte, darüber will die Ärztin, die hier ein Forschungsthema gefunden hat, mehr herausfinden. „Das sind spannende persönliche Wege, die wir begleiten dürfen, und wir freuen uns darauf.“

Kontakt: Dr. Déirdre Mahkorn, Tel: 0228-28719316, E-Mail: Deirdre.Mahkorn@ukb.uni-bonn.de

Ulrike Gondorf

 

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