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Drohungen mit Unschuldsmiene
Rundfunkchöre und Orchester im Visier der Medienpolitik · Von
Christian Tepe Wenn eine nicht existierende
Big Band Arnold Schönberg spielt,
dann kann nur Johannes Beermann (CDU) das Dirigat übernommen
haben. Der Chef der Sächsischen Staatskanzlei und Leiter der „Arbeitsgruppe
Beitragsstabilität“ machte sich zum Gespött der Öffentlichkeit,
als er in der „Leipziger Volkszeitung“ gleich zwei
der zehn besten Orchester der Welt in Sachsen lokalisierte. Daraus
glaubte er folgern zu dürfen, dass der Freistaat auf gebührenfinanzierte
Big Bands wohl verzichten könne – Big Bands, die es
beim MDR niemals gegeben hat, schon gar nicht als Jazz-Formationen
für klassische Orchesterliteratur. Indes hat in Deutschland
fehlender Sachverstand noch keinem Kunst- und Kulturabwickler geschadet.
Mit dem befremdlichen Argument: „Wir muten derzeit sogar
Behinderten zu, sich an der Rundfunkabgabe zu beteiligen“,
stellt Beermann die Chöre und Orchester der öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten in Frage.
„Arbeitsgruppe Beitragsstabiliät“
Die nächste und
augenscheinlich entscheidende Bataille im Feldzug gegen den Kulturauftrag
der Landesrundfunkanstalten ist
also eröffnet. Staatsminister Johannes Beermann aus Dresden
agiert als Mentor der Kampag-ne, die unter dem bieder klingenden
Namen „Arbeitsgruppe Beitragsstabilität“ operiert.
Mit Rückendeckung der Ministerpräsidenten fahndet die
Arbeitsgruppe nach Einsparmöglichkeiten beim öffentlich-rechtlichen
Rundfunk. Damit soll nach offizieller Lesart die Akzeptanz der
Bevölkerung für die Neuregelung der Rundfunkbeiträge
auf der Basis einer pauschalen Haushaltsabgabe gesichert werden.
Allerdings obliegt es durchaus nicht den Ländern, sondern
der „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten“ (KEF),
die Gebührenhöhe zu kalkulieren. Eine Einflussnahme der
Länder ist nur auf indirektem Weg über die grundsätzliche
Aufgabenbestimmung der Sendeanstalten erreichbar. Gerade diese
Konstellation ist es aber, die das ganze Unterfangen für die
Politik so besonders reizvoll macht; kann sie sich doch in der
ungewöhnlichen Rolle eines Schutzherrn über die Geldbeutel
der Wähler gerieren, während sie zugleich das Profil
der Rundfunkanstalten nach ihren Präferenzen neu zusammenbastelt.
In einem von Beermann verfassten „Zielpapier“ wird
die Arbeitsgruppe denn auch als „Katalysator für eine
Neujustierung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags“ apostrophiert.
Ein naiver Beobachter könnte nun zunächst den Eindruck
gewinnen, Beermann habe sich durch Neil Postmans medienkritischen
Klassiker „Wir amüsieren uns zu Tode“ inspirieren
lassen, wenn er die Notwendigkeit „der intensiven Sportberichterstattung
oder zahllose Unterhaltungsshows“ im öffentlich-rechtlichen
Fernsehen attackiert. Frei heraus diagnostiziert Beermann im Zielpapier „einen
Prozess der schleichenden Selbstkommerzialisierung des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks“ und führt als Beispiel „die Mobilisierung
hoher Beträge für Spitzenmoderatoren (zum Beispiel Günther
Jauch) und Sportrechte (Fußball, Boxen)“ ins Feld.
Das sind fürwahr überfällige, selten zu hörende
Worte, die aber nach Beermanns Akklamation für den Einkauf
der Übertragungsrechte der Fußball-Champions-League
durch das ZDF sehr schnell unglaubwürdig und wertlos geworden
sind. Man stelle sich dagegen die Reaktion des Staatsministers
vor, wenn das ZDF die Gründung einer sendereigenen Tanzcompagnie
angekündigt hätte, die ja für einen Bruchteil der
jährlichen Fußballmillionen zu haben wäre!
Der Kultur geht‘s an den Kragen
Über Chöre, Ballette und Orchester schweigt der gewiefte Taktiker
aus Dresden in seinem „Zielpapier“. Sobald man aber
die Interview-Verlautbarungen Beermanns aus den letzten Monaten
zusammenlegt und gegenüberstellt, ergibt sich ein klares und eindeutiges Ergebnis: Sie
nehmen beharrlich die Rudimente kultureller und künstlerischer
Vielfalt im öffentlichen Funk und Fernsehen ins Visier. Wenn
Beermann im Interview mit dem Autorenblog „Carta“ fragt: „Gehört
die Unterhaltung von Balletten und (Blas-)Orchestern zum Auftrag
einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt?“, kann
dies nur bedeuten, dass das MDR-Fernsehballett als einzig verbliebene
Einrichtung dieser Art in Deutschland für ihn zur Disposition
steht. Voller Übereifer bekämpft Beermann ja sogar Ensembles,
die nur in seiner Phantasie existieren, wie jene rein imaginäre
Big Band des MDR. Dass solche blamablen fachlichen Entgleisungen
folgenlos bleiben, ist ein Beleg für die strukturelle kulturpolitische
Ignoranz und Inkompetenz im ganzen Land, wodurch Politiker vom
Schlage Beermanns erst richtig gefährlich werden. Im überparteilichen
Konsens mit dem SPD-Medienpolitiker und rheinland-pfälzischen
Staatskanzleichef Martin Stadelmaier wirbt Beermann im Magazin „promedia“ für
eine Dezimierung jener Sender, „die sich fast oder ausschließlich
mit Kultur beschäftigen“. Gewiss leisteten die öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten viel für die Fortentwicklung und Weitergabe
zeitgenössischer Kunst und Musik, konzediert Beermann im „promedia“-Gespräch,
um dann im gleichen Atemzug zu sticheln, „ob es weiterhin
die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein kann,
durch die Rundfunkabgabe Orchester und Chöre zu finanzieren.“ So
widersinnig kann nur jemand reden, der die Menschen für dumm
verkaufen möchte oder selber einsichtslos ist. Sollte sich
die „AG Beitragsstabilität“ derartige Ratschläge
zu eigen machen und damit bei den Ministerpräsidenten Gehör
finden, wird dies den Rundfunkchören den Todesstoß versetzen – mit
unheilvollen Folgen für die Neue Musik, die ästhetische
Bildung und das gesamte Chorwesen in Deutschland.
Kein Diskussionsbedarf
Da verwundert es schon, wenn bisher nur
eine sehr verhaltene Debatte über
die Drohungen aus Dresden eingesetzt hat. Vielleicht gehört
auch dies zum Kalkül des Staatsministers, der im rbb-Interview
mit Unschuldsmiene beschwichtigt: „Ich denke (...) ohne
Diskussionsverbote und ohne Angst sollten wir das in einer offenen
Gesellschaft offen
diskutieren.“ Tatsächlich sieht Beermann überhaupt
keinen gesellschaftlichen Diskussionsbedarf, wie aus dem von
ihm unterzeichneten „Zielpapier“ unmissverständlich
hervorgeht: „Das Volk gibt seine Entscheidungen über
Abstimmungen und Wahlen bekannt. Repräsentiert wird das
Volk von den Landtagen, gehandelt wird durch die Regierungen.
Damit
sind es die Regierungen, die den öffentlich-rechtlichen
Sendeanstalten ihre Aufgaben zuweisen.“ Gibt es einen Konnex
zwischen diesem Defizit an transparenter demokratischer Streitkultur
und der Unsensibilität
gegenüber der singulären Bedeutung von Kunst, Kultur
und Musik für eine freie Gesellschaft? Impliziert die bis
zur Absonderung baren Unfugs übersteigerte Ranküne
gegen eine pluralistische Präsenz der Künste im öffentlich-rechtlichen
Rundfunk nicht auch per se ein Gran Feindseligkeit gegenüber
der „offenen Gesellschaft“? Durch das Procedere der „AG
Beitragsstabilität“ nach Art eines Politikverständnisses,
wie es spätestens seit „Stuttgart 21“ in der
Bevölkerung über
keinerlei Kredit mehr verfügt, sind den Spekulationen, Mutmaßungen
und Irreführungen Tür und Tor geöffnet – was
wiederum die Diskreditierung jedweder Kritik als „unbegründet“ leicht
macht.
Keineswegs nur eine Spekulation ist es hingegen, dass sich
Beermann für die Einziehung einer neuen Medienabgabe stark macht. Um
die „wunderbare (...) Kabellandschaft, die wir in Sachsen
haben“, zu erhalten, „werden wir uns (...) auf Bundesebene
um einen Kabelgroschen für kleine Kabelbetreiber bemühen“,
stellte Beermann unlängst in einem Gespräch mit dem Onlinemedium „medienMITTWEIDA“ in
Aussicht. Das ist eine wahrhaft kompromittierende Ankündigung,
die Beermann in seinem Engagement für die Beitragsstabilität
wie einen Falschspieler bloßstellt.
Christian Tepe |