Das kleine purpurne Varieté auf der großen Bühne der Oper ist umfunktioniert zum Verteidigungsgraben; die Unterhaltungsgesellschaft samt Herrenchor und Grisetten wird geschlechtergetrennt für den Stellungskrieg rekrutiert. Die Kombination von Operette und Kriegs-Realität mündet schließlich in Szenen, in denen (zumal in Dresden!) schonungslos Erinnerung auflebt: wenn ein Butler mit Hitler-Frisur beispielsweise die Bühne durchmisst und nach Granatengeheul das Theater einstürzt; wenn Dialoge mit und über Komtesse Stasi, die Nichte eines k.u.k. Fürsten, DDR-Zeiten assoziieren. Der kopflose Tänzer, auf den sich die Boulevardpresse schon im Vorab konzentrierte, aber auch diverse psychisch vom Kriege Versehrte, die sich im Walzerrausch drehen, verspotten dabei mitnichten historisch erlebte Realität. Groteske und Überzeichnung vielmehr werden zur theaterästhetischen Form für das Phänomen Krieg, die schlimmste Form zivilisierter Gewalt. Den musikalischen Nummern obliegt für das Verständnis von Inszenierung und Werk eine zentrale Funktion. Wird gesungen, so gerät die (originalgetreu) überwiegend gesprochene Szene an sich in eine Ausnahmesituation. Besingen die zwei zentralen Paare des Stücks zwischen den Trümmern gar die ewige Treue, dann rebellieren sie handlungsintern gegen liebesfeindliche Dünkel und versteinte Moral; über die Figuren hinaus eröffnen sich schließlich Wünsche nach einer anderen, gewaltarmen Welt. Zu solcherlei Traum-Potentialen der Operette bekennt sich Peter Konwitschny, seit er im Januar 1981 in Greifswald Kálmáns Mariza und fünf Jahre darauf in Berlin Einakter Offenbachs inszenierte. Auch hier in Dresden wird Utopisches relevant. Walzerhimmel und Liebesversprechen enthalten vitalisierende Kräfte, Gefühlskitsch offeriert manch Überlebensmoment. Die wirklich provokanten Szenen in der Inszenierung jedoch sind die leisen: wenn falsche Verkleidungen fallen, wenn die sozial ganz Unteren sprechen, wenn Kálmáns Hit von Theater-Zigeunern gespielt zur beklemmenden Kammermusik avanciert. Spielplanpolitisch betrachtet, ergibt sich die Frage, ob eine Theaterarbeit von solcherlei Dimension nun auch das geeignete Angebot für ein unterhaltungsfixiertes Silvester-Publikum ist. Beiderlei immerhin Operntouristen als auch Konwitschny- Premieren sind in Dresden seit Jahren nicht unbekannt. Dass sie in diesem Fall kaum zusammengehören würden, war im Vorab wohl nicht zu Ende gedacht. Die Geschehnisse hinter den Kulissen die Streichung mehrerer kurzer, drastischer Szenen-Segmente seitens des Hauses und der seinerseits drastische Einspruch des Gastregisseurs scheinen Belege dafür. Eine andere Öffentlichkeit als die des Theaterparketts tendiert derzeit dazu, den Dissens zugunsten Peter Konwitschnys zu entscheiden und Intendant Christoph Albrecht den Eingriff in die von ihm zunächst sanktionierte Inszenierung zu untersagen. Letzterer beharrt auf seiner Kürzung, die von Beschwerden aus dem Zuschauerraum herrühren mag ersterer scheint gewillt, die punktuell entschärfte Version prinzipiell verbieten zu lassen. Unabhängig von der fraglichen Angemessenheit eines juristischen Wegs würden hier am Ende Gerichte entscheiden. Ob dies schließlich der Aufführung dient, steht auf einem anderen Blatt. Auch, ob Konwitschnys, übrigens weit im Voraus ausverkaufte Csárdásfürstin überhaupt zu einer weiteren Vorstellung kommt. Aber allein, dass der von beiden Seiten zu betrachtende Streit überhaupt justitiabel zu werden verspricht, produziert im Vorfeld beachtliche Schlagzeilen, denen etwas Wichtiges fehlt. Theaterrivalitäten nämlich kommen hier zur Debatte und allenfalls noch die Spitzen, keinesfalls aber die entscheidenden Botschaften aus Konwitschnys Theatervision. Kontroverse Positionen lesen sich stattdessen immer mehr zugespitzt, Verständigungsmöglichkeiten scheinen nicht zu bestehen. Wiewohl der beiden Seiten bestens bekannte Theaterbetrieb doch auf einer Vielzahl praktischer Kompromisse, oder besser gesagt, auf funktionierendem Kommunizieren basiert. Dass keine sachliche Einigung möglich sein soll, schmäht übrigens in erster Instanz das Ensemble der Mitwirkenden. Denn die Damen und Herren des Chores, die Solisten (unter anderem Sabine Brohm, Pascale Schulz, Chris Merrit und Klaus Florian Vogt) und das von Stefan Soltesz erfrischend und respektabel geführte Orchester waren es schließlich, die am Premierenabend unverschämte Rufe, Trillerpfeifen und schlagende Türen erfolgreich abzuwehren verstanden.
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