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  Ofenrohr 
              im Mozart-Rausch
 Ein Reporter des Kölner Stadt-Anzeigers namens Markus Schwering 
              ist  wie auch immer  in eine Abendprobe des Kölner 
              Chores geraten und schilderte seine Eindrücke in der Ausgabe 
              vom 4./5.12.99:
 Chorsänger haben in der Musikgeschichte einen schlechten Ruf: 
              Bach etwa litt dem Vernehmen nach Höllenqualen unter dem misstönenden 
              Gegröle seiner Leipziger Thomaner, und in Düsseldorf sollen 
              zumal die Choristen Robert Schumann derart fies gemobbt haben, dass 
              der sensible Künstler entnervt das Handtuch warf. Sind Chorsänger 
              etwa eine gemeingefährliche Spezies? Wer diese Frage mit einem 
              beherzten Ja zu beantworten geneigt ist, sollte zumindest 
              einräumen, dass sich die kollektive Boshaftigkeit mittlerweile 
              verfeinert hat, in ihrer archaischen Form kaum je mehr anzutreffen 
              ist: Trotzdem fallen einem Außenstehenden, der zufällig 
              in eine Chorprobe gerät, auch heute noch Merkwürdigkeiten 
              auf.
  So kann er den Eindruck gewinnen, dass die Sänger nicht nur 
              dem Chorleiter mit verhaltener Feindseligkeit begegnen, sondern 
              auch ihrer Profession, dem gemeinschaftlichen Singen, eher ungern 
              nachgehen. Da bedarf es des energischen Händeklatschens und 
              zusehends gröber artikulierter Aufforderungen, um sie auf ihre 
              Plätze zu bringen. Und auch dann ist des geselligen Kommunizierens 
              kein Ende  bis der Meister verzweifelt ein paar Akkorde auf 
              den Flügel drischt oder, hilft auch das nicht, droht, den 
              Kram hinzuwerfen, wenn das so weitergeht.  Indes ist ja nicht nur die Lage des Dirigenten, sondern eben auch 
              die des Sängers kaum beneidenswert. Tatsächlich vermag 
              sie manche charakterliche Deformation zu erklären. Da sitzen 
              80 von des Tages Mühsal angemüdete Sänger (beiderlei 
              Geschlechts) vor einem ausgeruhten oder doch so wirkenden Maestro 
              und werden rüde, mit fantasievollen Schmähungen, zu Höchstleistungen 
              angehalten: Es jubilieren mal wieder die Gedärme 
              oder Das klingt ja wie ein Ofenrohr im Mozartrausch 
               das sind noch die netteren Einfälle, die in der Regel 
              auch nicht ohne Heiterkeitserfolg bleiben.  Ärger wird es schon, wenn der Chef drei-, viermal hintereinander 
              an derselben Stelle abbricht  weil die Moll-Terzen zu tief 
              genommen wurden, weil man Konsonanten nicht, wie gewünscht, 
              vor der Zeit platzierte oder, statt eine feinziselierte Binnendynamik 
              abzuliefern, beamtenhafte Korrektheit walten ließ. 
              Die meisten, versichert der Meister dem Bass oder dem 
              Sopran, machen es ja richtig, aber wenn nur zwei es nicht 
              tun... Solchermaßen wird der einzelne Sänger leicht 
              zum Sündenbock seiner Stimmgruppe.  Ein jeder hat also zu abendlicher Stunde gleich mit mehreren Herausforderungen 
              zu kämpfen: mit der eigenen Müdigkeit, mit dem hartnäckigen 
              Gestaltungswillen des Chefs  und darüber hinaus mit den 
              spitzen Ohren der Nachbarn, die sich auch nicht immer solidarisch 
              verhalten und einen mit spitzem Zeigefinger traktieren: Die 
              Stelle singst du immer falsch. Das muss, wie zuzugeben ist, 
              auf die Dauer bösartig, die Chorsänger zu jenen exzentrischen 
              Intriganten machen, als welche sie auf den bekannten Hogarthschen 
              Stichen erscheinen.  Auf der anderen Seite wird viel stilles Heldentum freigesetzt: 
              Der Leidgeprüfte wächst über sich selbst hinaus und 
              drängt Fragen wie Warum tu ich mir das eigentlich an? 
              in einem Akt titanischer Selbstverleugnung in den hintersten Winkel 
              seiner Seele.Aber das will ein herzloses Publikum ja nicht wahrhaben: dass Chorsänger 
              geknechtete Kreaturen sind, verbittert und versteinert in oft jahrzehntelanger 
              Selbstkasteiung. Gerechtigkeit also für den Chorsänger! 
              Das allgemeine Urteil ist unfair, einseitig aus der Sicht der Genies 
              am Pult gefällt. Aber dass die herrschende Geschichtsschreibung 
              die Geschichtsschreibung der Herrschenden ist, dieser Satz hat seine 
              Wahrheit ja nicht nur im vorliegenden Fall bewiesen.
 
  Der 
              alte Mann und der Bär Als Helmut Weiland 1988 in Rente ging, ließ er die auf der 
              Bühne zurückgebliebenen Mitglieder des Opernchores des 
              Nationaltheaters Mannheim wissen: Jetzt fange ich mit Extremtouren 
              an! Und in der Tat: Helmut Weiland durchstreifte den Himalaya, 
              war mehrmals in den Hochgebirgen Südamerikas, bestieg den Popocatepetl 
              in Mexiko. Seine Kamera war immer dabei; seine ehemaligen Chor-Kollegen 
              erfreute er mit fundierten Lichtbildvorträgen.
  Große Bestürzung löste im Opernchor des Nationaltheaters 
              die Nachricht aus, Beamte der Royal Canadian Mounted Police hätten 
              am 7. Oktober 1999 vor einer Blockhütte in den kanadischen 
              Wäldern eine von einem Schwarzbären zerfleischte Leiche 
              gefunden. In der Hütte lagen Helmut Weilands Pass und seine 
              Fotoausrüstung. Im August war der Einundsiebzigjährige 
              zu einer Fotosafari nach Kanada aufgebrochen. Für uns war Helmut, erinnert sich Winfried Knoll, 
              Mannheims Chorvorstand, der ,Knotter. Von sich selbst 
              verlangte er eine 100-prozentige Leistung und wenn jemand falsch 
              intonierte, dann knotterte er. Helmut war Erster Tenor, 
              kleine Tenorpartien in großen Opern übernahm er gerne. 
              1961 war er nach Mannheim gekommen. 
  Singen 
              vom Blatt: keine Kunst Ausgerechnet in der Richard Wagner-Stadt Bayreuth fühlte sich 
              ein Finanzamt bemüßigt, der Frage nachzugehen, was denn 
              nun eigentlich künstlerische Tätigkeit sei.
 Ein Mitglied des Sonder- chores der Bayreuther Richard Wagner-Festspiele 
              hatte beim zuständigen Finanzamt den Werbungskostenpauschbetrag 
              in Höhe von 265 Mark für seine entsprechenden Einnahmen 
              in Höhe von 855 Mark beantragt. Das Finanzamt, das in den vorangegangenen 
              Jahren entsprechenden Anträgen nachgekommen war, beschied den 
              Antrag für 1997 abschlägig und wies den Einspruch mit 
              einer schlechterdings kabarettreifen Begründung zurück.Unrichtigerweise wertete es die Tätigkeit des Sonderchor-Mitglieds 
              als selbstständige Tätigkeit, richtigerweise 
              führte es aus, dass die Frage, ob eine künstlerische Tätigkeit 
              gegeben sei, von der im Veranlagungszeitraum insgesamt ausgeübten 
              Tätigkeit abhänge. Doch statt es damit genug sein zu lassen, 
              stürzte sich das Bayreuther Finanzamt in die Strudel der Problematik, 
              was denn künstlerische Tätigkeit sei - 
              und ging wie eine bleierne Ente darinnen unter.
 Der Sonderchor, meinten die Bayreuther Finanzstrategen, 
              stehe auch nicht in der Musikkritik. Dies bedeutet, dass unter 
              Einbeziehung der sicherlich vorgegebenen Beherrschung der Technik 
              lediglich das vom Komponisten  ohne individuelle Veränderung 
               angegebene Musikstück wiedergegeben wird... Das reine 
              Singen nach vorgegebenen Noten in einem Chor  ist keine künstlerische 
              Tätigkeit. Das einzelne Chormitglied ist außerstande, 
              eigenschöpferisch tätig zu werden.Nun wissen wir es: Maß aller steuer- und arbeitsrechtlichen 
              Dinge ist die Musikkritik. Und die Leistungen des Opernchores (oder 
              auch des Orchesters) sind keine künstlerischen Leistungen, 
              weil allfällige Verstärkungen von der Musikkritik nicht 
              erwähnt werden. Wenn Dummheit weh täte und zu Schmerzensschreien 
              Anlass gäbe, wäre in Bayreuth nichts anderes mehr zu hören.
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