Beginnen wir mit unserem Berufsbild. Dieses ist in den letzten
Jahrzehnten nicht gealtert, sondern stetig jünger geworden.
Der Opernchorsänger, die Opernchorsängerin hat sich mit
der Entwicklung des Regietheaters, die auch in der Oper stattgefunden
hat, vom – übertrieben gesagt – tönenden
Statisten zum vollwertigen Sängerdarsteller entwickelt. Zugleich
stellt die Literatur, die zur Aufführung gelangt, immer höhere
musikalische Ansprüche. Folglich reichen eine große
Stimme und die Kenntnis des gängigen Repertoires nicht mehr
aus, diesen Beruf auszuüben. Es bedarf vielmehr einer umfassenden
qualifizierten Ausbildung. Hier gibt es sowohl an den Hochschulen
als auch im Übergang von der Hochschule in den Beruf noch
viel zu tun – ein Feld, dem die VdO sich verstärkt widmen
sollte. Dabei kann ich mir die Bemerkung nicht verkneifen, dass
die Schließung des Dresdner Opernchorstudios definitiv ein
falsches Signal ist. Ähnliches gilt für den Tänzerberuf: Die Entwicklung vom rein lassisch-ästhetizistischen Ballett zum modernen Tanztheater hat zum einen die Vielfalt der tänzerischen Ausdruckstechniken geradezu unübersehbar ansteigen lassen und damit zum anderen das individuelle Gepräge der einzelnen Compagnien massiv geschärft. Dies verringert – neben der ständig sinkenden Zahl von Planstellen – die Möglichkeiten des einzelnen Mitglieds, von einer Compagnie zu einer anderen zu wechseln. Arbeitsrechtlicher Schutz – am Theater ohnehin traditionell schwach ausgeprägt – erlangt hier eine erhöhte Bedeutung. In welchem Umfeld findet diese Entwicklung nun statt? Zunächst ist als erfreulich zu vermerken, dass das Theater, und auch das Musiktheater, sich nach wie vor großen Zuspruchs erfreut: Die Besucherzahlen sind seit Jahren stabil und bewegen sich nach wie vor insgesamt um die 30 Millionen pro Jahr. Damit sollte eigentlich klar sein, dass das Theater in unserer Gesellschaft kein Rand-Phänomen ist, dem nur eine aussterbende Generation des vormedialen Zeitalters die Treue hält. Ignoranz und PartikularinteressenDennoch muss man wohl hinsichtlich des Theaters im Besonderen wie auch der hergebrachten Kultur im Allgemeinen zwischen der Akzeptanz durch die tatsächlichen Nutzer und der gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz unterscheiden – und hier sehe ich Anlass zu großer Sorge:
Sicher wird man nur relativ wenige finden, die offen bekennen, dass sie Kunst, Musik und Theater für überflüssig halten. Wenn man aber verfolgt, mit welcher Leichtigkeit der Fiskus einerseits nicht nur Banken, sondern alle möglichen Bereiche der Privatwirtschaft mit dem sich anscheinend nie abnutzenden Argument des (oft genug nur vermeintlichen) Arbeitsplatzerhalts mit schwindelerregenden Summen unterstützt, andererseits aber in dem von ihm selbst verantworteten Kulturbereich seit Jahren mit dem ebenfalls notorischen Argument der Mittelknappheit tausende Arbeitsplätze vernichtet, so muss man sich zum einen fragen, an welcher Stelle im Prioritätengefüge von Politikern aller Parteien das Bekenntnis zum Kulturstaat eigentlich wirklich steht, zum anderen, wieviel volkswirtschaftliche und gesellschaftspolitische Ignoranz hier konzentriert ist oder – was mindestens so schlimm wäre – welchen Partikularinteressen man sich zu Lasten des gesamten Gemeinwesens eigentlich verschrieben hat. Mehr als freiwillige AufgabeSicher: Es gibt Bereiche der Daseinsvorsorge, die direkter und vielleicht auch fundamentaler sein mögen als die kulturelle Versorgung der Bevölkerung. Wenn dies aber den Kämmerer einer deutschen Großstadt zu dem öffentlich geäußerten Vorschlag verleitet, zum Ausgleich seines erwarteten Gesamtbudget-Defizits von nur 5 Prozent den ohnehin in den vergangenen Jahren schon zusammengestrichenen Kultur-Etat um 30 Prozent zu kürzen, was ohne radikale Substanzvernichtung gar nicht zu bewerkstelligen wäre, so ist das nicht nur Ausdruck einer erschreckenden Kahlschlags-Mentalität eines Einzelnen, sondern ein Alarmsignal ersten Ranges: Kultur mag – rein juristisch gesehen – im Kommunalrecht den Rang einer so genannten „freiwilligen Aufgabe“ haben. In Wirklichkeit aber ist sie viel mehr:
Sie ist unabdingbarer Bestandteil einer gesunden gesellschaftlichen
Entwicklung. Sie ist einer der fruchtbarsten Bereiche der Selbst-Reflexion
einer Gesellschaft, die wiederum notwendig ist, um für die
Zukunft richtige Entscheidungen treffen zu können. All dies muss die Kräfte, die zu dieser Erkenntnis gelangt sind – und dazu zähle ich alle hier heute vertretenen Institutionen – zu gemeinsamer und solidarischer Aktion bringen, um die Kultur als Staatsaufgabe festzuschreiben und die Umsetzung dessen auf allen Ebenen zu fördern und – wo nötig – zu erkämpfen. Dazu gehört es auch, die wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen der Kulturschaffenden zu sichern. Und hier ist die Realität ernüchternd – gerade auch aus unserer Sicht als Theater-Gewerkschaft:
An immer mehr Orten sehen wir uns seit Jahren mit dem Ansinnen von Rechtsträgern von Theatern konfrontiert, durch Haustarifverträge die ohnehin alles andere als üppigen tariflichen Vergütungen der Theaterbeschäftigten weiter abzusenken, flankiert durch die Drohung, ansonsten massiven Arbeitsplatzabbau zu betreiben – bis hin zur vollständigen Schließung von Sparten oder sogar ganzen Häusern. Dies ist ein Vorgang, der in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes in dieser Form undenkbar wäre, inzwischen aber droht, zur lieben Gewohnheit von Stadtkämmerern wie Finanzministern zu werden. Aber damit nicht genug: An einigen wenigen Stellen – darunter immerhin der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland – sehen wir uns dem Bestreben ausgesetzt, gänzlich aus der bewährten Bindung an das Tarifrecht des öffentlichen Dienstes auszubrechen und uns auf Dauer auf ein immer weiter hinter der allgemeinen Entwicklung zurückbleibendes Billiglohn-Niveau zu drücken. Der Gerechtigkeit halber muss ich allerdings feststellen, dass sich der Deutsche Bühnenverein wie wir solchen Bestrebungen widersetzt.
Mit Sorge sehen wir die Tendenz, die relativ festen Arbeitsplätze gerade im künstlerischen Bereich, und dort bis hinein in die Kollektive, zugunsten von tariflich nicht geregelten und geschützten Stückdauer- oder gar Aushilfs-Verpflichtungen zurückzudrängen. Dies hat dann die mittelbare Folge, dass die Betroffenen in der Arbeitslosenversicherung trotz voller Beitragszahlung durch das soziale Netz fallen, da sie oft genug die für einen Leistungsbezug notwendigen Anwartschaftszeiten nicht erfüllen. Das zwischenzeitlich gefundene bürokratische Monster einer Kompromisslösung zur Abfederung dieses Effekts ist ein völlig untauglicher Versuch, einen überzeugenden Lösungsweg aufzuzeigen. Dies alles darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass wir dafür plädierten, kulturpolitische Fehlentwicklungen oder Fehldimensionierungen der Vergangenheit fortzuschreiben oder ineffiziente Strukturen zu konservieren. Natürlich ist auch das Theater einem steten Wandel sowohl der an es gestellten Anforderungen als auch der inneren Strukturen, mit denen diese Bedürfnisse optimal zu befriedigen sind, unterworfen. Einen absoluten Bestandsschutz kann und soll es dabei nicht geben. Wohl aber ist bei allen Veränderungen auf Sozialverträglichkeit zu achten, schon um nicht von vornherein das Vertrauen derer, die sich und ihre Existenz dem Theater widmen, so zu erschüttern, dass hierdurch die kreativen Potentiale gelähmt werden.
Zu einer soliden und gerechten Finanzierung der kulturellen Aufgaben gehört eine angemessene Verteilung der damit verbundenen Kosten. Hier ist Innovationsbedarf angesagt. Stichwort: Kulturraumförderung! Die Grundsätze der kommunalen Selbstverwaltung versagen da, wo bei kostenintensiven Einrichtungen wie Theatern der Nutzen nicht allein der theatertragenden Gemeinde, sondern einem mehr oder weniger großen Umland zugute kommt. Hier ist der Staat – und das sind in diesem Falle die Länder – gefragt, verbindliche Rahmenbedingungen für eine angemessene Verteilung der Kosten unter den tatsächlichen Nutznießern zu treffen. Dies ist, wie die Praxis des als Vorreiter bemerkenswerten sächsischen Kulturraumgesetzes gezeigt hat, gar nicht so einfach, wenn man zugleich die kommunale finanzielle Selbstbestimmung auch im Kulturbereich im Kern erhalten will. Aber ich bin zuversichtlich, dass bei ernsthaftem Willen mit Phantasie und Sachverstand Lösungen erarbeitet werden können, die wesentlich zur Stabilisierung der großartigen Kulturlandschaft Deutschland beitragen können. Im Zentrum: Der TarifvertragDoch zurück zu unserer Stellung als Künstlergewerkschaft: Das wichtigste Instrument einer Gewerkschaft ist nach wie vor der Tarifvertrag. Uns ist es – zusammen mit der GDBA und dem Deutschen Bühnenverein – im letzten Jahrzehnt gelungen, aus den vier verschiedenen Tarifverträgen der künstlerischen Bühnenschaffenden einen einzigen zu machen, sicher weder stilistisch noch strukturell ein Glanzstück – schließlich entstehen Tarifverträge nicht am „grünen Tisch“, sondern in oft genug erbittertem Ringen um Kompromisse – , aber ein großer Schritt in die richtige Richtung. Diesen gilt es fortzuentwickeln und zu optimieren, sowohl im Sinne derer, deren Arbeitsbedingungen er regelt, als auch der künstlerischen Prozesse, die es zu erarbeiten gilt. Dabei sollten alle, die den Tarifvertrag anwenden, eines nie vergessen: er legt Mindestbedingungen nicht nur im Sinne des Arbeitnehmerschutzes, sondern auch hinsichtlich des die tägliche Arbeit bestimmenden Grundkonsenses fest. Einfacher gesagt: Wer als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber glaubt, sich ständig hinter dem Vertragstext verschanzen zu müssen, tut sich selbst am allerwenigsten einen Gefallen. Gerade am Theater muss ein Tarifvertrag täglich gelebt werden – im Sinne eines verantwortungsvoll flexiblen Umgangs und eines ständigen Gebens und Nehmens im Interesse des gemeinsamen künstlerischen Ziels und auf der Basis wechselseitigen Vertrauens.
Ein wichtiger Regelungsgegenstand von Tarifverträgen ist bekanntlich die Vergütung. Hier gilt es, die seit vielen Jahren bewährte verbindliche Anbindung an die Tarifentwicklung des übrigen öffentlichen Dienstes zu bewahren – angesichts der bereits erwähnten von Arbeitgeberseite dagegen gerittenen Attacken alles andere als eine leichte Aufgabe. Im Bereich Tanz stehen wir vor der Aufgabe, den „Transition“-Gedanken voranzutreiben, das heißt: die etwa bei Leistungssportlern völlig selbstverständliche, im Tanz aber erst im Aufbau begriffene Vorsorge für den Übergang in ein zweites Berufsleben, wenn – in der Regel mit etwa 40 – die körperlichen Anforderungen des Erstberufs nicht mehr voll erfüllt werden können. Auch hier gilt es, in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit flankierende tarifliche Regelungen zu entwickeln, etwa zur Ermöglichung frühzeitiger Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahmen. Gefahren für die soziale SicherheitErheblichen Handlungsbedarf sehe ich im Bereich der Sozialversicherung: Zunehmend wird sowohl der Versicherungsgedanke als auch das hervorragend bewährte Prinzip der solidarischen Finanzierung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber unterlaufen. Ein erschreckendes Beispiel hierfür sind die aktuellen Pläne der zukünftigen Regierungskoalition zur – sei es faktischen, sei es sogar rechtsverbindlichen – Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung. Sollen aber zukünftige Kostensteigerungen nur noch von den Arbeitnehmern getragen werden, fehlt der Arbeitgeberseite der Anreiz, ihren gewichtigen Einfluss zur Kostenbegrenzung in die Waagschale zu werfen – mit, wie ich befürchte, verheerenden Auswirkungen auf die Kostenspirale. Auch die seit zirka zwei Jahrzehnten stattfindende ständige Absenkung des Leistungsniveaus in der gesetzlichen Rentenversicherung gehört hierher: Im Interesse stabiler Beiträge hat diese ein Maß erreicht, in dem in vielen Fällen die Sicherung eines angemessenen Lebensunterhalts durch die gesetzliche Rente nicht mehr möglich ist – die Differenz muss, von einigen staatlichen Zuschüssen abgesehen, in der Regel vom Arbeitnehmer allein finanziert werden. In diesem Punkt bilden wir allerdings eine positive Ausnahme: Die paritätisch finanzierte Zusatzversorgung durch die VddB nach dem Kapitaldeckungsprinzip ist eine solide und werthaltige Absicherung der Bühnenkünstler. Nur kurz erwähnt seien schließlich die massiven Angriffe, sowohl von Verbraucher- als auch Anbieterseite, auf den gerade einmal hundert Jahre alten Schutz des geistigen Eigentums, der gerade im digitalen Zeitalter wichtiger ist denn je. Auch hier ist die materielle Grundlage künstlerischen Schaffens unmittelbar bedroht – auch hier sind die Gewerkschaften und Verbände gefragt. Und damit sind wir bei der Frage der Durchsetzungsfähigkeit: Eine berufsverbandlich organisierte Künstlergewerkschaft kann sich optimal den besonderen Bedürfnissen ihrer Mitglieder widmen und ist naturgemäß von hohem spezifischem Sachverstand geprägt – aber sie ist auch naturgemäß ziemlich klein. Dies begrenzt ihre Möglichkeiten, außerhalb ihres unmittelbaren Wirkungskreises Entwicklungen zu beeinflussen. Die Künstlergewerkschaften und -verbände müssen sich daher zu einem Kartell zusammenschließen, in dem sie, anders als in einer einheitlichen und von den Interessen zahlenmächtiger Mehrheiten geprägten Großorganisation, die in diesem Bereich nicht der richtige Weg ist, ihre jeweils berufsverbandliche Individualität und Eigenständigkeit behalten, dennoch aber – etwa in den eben angerissenen sozial- und kulturpolitischen Fragen – mit der notwendigen Mächtigkeit auftreten können, um gemeinsamen Interessen Gehör zu verschaffen. Ansätze dazu hat es immer wieder gegeben, etwa in der AG Kultur der damaligen Deutschen Angestellten-Gewerkschaft. Sie aufzugreifen und fortzuführen halte ich in der gegenwärtigen Situation für eine unserer vordringlichen Aufgaben. Sie sehen, meine Damen und Herren, die VdO hat mit ihren 50 Jahren gar nicht die Gelegenheit zu altern. Zu groß sind die Aufgaben, die vor uns stehen. Wir können sie nur bewältigen, wenn wir sie mit allen, die dieselben Ziele verfolgen wie wir, nämlich den Erhalt und die Weiterentwicklung unserer kulturellen Tradition unter menschenwürdigen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen für diejenigen, die ihr Leben der Kunst widmen, solidarisch angehen. Dies hat unermüdlich und mit großer Leidenschaft Stefan Meuschel getan. Menschen wie er tragen maßgeblich dazu bei, dass wir heute sagen können: „Die Bühne lebt!“ – Wir wollen das Unsrige dazu tun, dass es so weitergeht. Tobias Könemann |
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
|