Auf dem Programm des neuen Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg standen Schläpfers hinreißender Strauß-Reigen „Marsch, Walzer, Polka“, Hans van Manens wunderbare „Frank Bridge Variations“ zu Benjamin Britten und die Uraufführung von Schläpfers „3. Sinfonie“. Dass der Schlussapplaus „nur“ begeistert, aber ohne Jubel und Ovationen ausfiel, lag an der ehrgeizigen Idee des 49-jährigen Schweizers, in Düsseldorf mit einer Neuschöpfung zu starten. Sieben Wochen reichten aber nicht für ein neuerliches Meisterwerk. Mit „Marsch, Walzer, Polka“ (uraufgeführt 2006), Schläpfers ironischer Umsetzung wienerischer Lebensmelodien, riss er die Düsseldorfer sogleich mit. Von leichter Hand choreografiert, setzt der neue Ballettchef dem Dreivierteltakt seinen eigenen Rhythmus entgegen und bleibt doch ganz im Einklang mit der Musik. Mit Humor und Eleganz bremst er den Walzer aus, lässt auf Spitze hüpfen oder im Spagat schaukeln. Zur lebendigen Wilhelm-Busch-Karikatur wird Jörg Weinöhl, der den Radetzky-Marsch in Unterwäsche persifliert. In seinen „Frank Bridge Variations“ (2005 geschaffen für das niederländische Nationalballett) zeigt sich Hans van Manen als Psychologe unter den Choreografen. Mit Blicken, Gesten, kraftvollen und geschmeidigen Bewegungen charakterisiert er Paarbeziehungen. Van Manens Geschöpfe ruhen ganz in sich, während die Atmosphäre vor Spannung vibriert. Ein weises, reifes Werk. Der Niederländer, am Rhein ein verehrter alter Bekannter, feierte einen Triumph. Dann kippte die Stimmung. Martin Schläpfers Mut ist zu bewundern, mit einer so schwierigen Musik wie Witold Lutoslawskis „3. Sinfonie“ in eine neue Ära zu gehen und sich dem Publikum auch von einer schwermütigen Seite zu zeigen. Denn anders als das beschwingte, von ironischem Witz und Bewegungsintelligenz blitzende Strauß-Stück „Marsch, Walzer, Polka“, kommt die „3. Sinfonie“ kopflastig und kompliziert daher. Einige Zuschauer verließen den Saal, Buhrufe waren zu hören. Zerklüftete, nervöse Tonmassen, die nach atonalem Neo-Expressionismus klingen, aber auch Naturgeräusche, reihen sich aneinander, klettern in extreme Höhen, verdichten sich zu romantischem Sehen oder dramatischem Wetterleuchten. Den Choreografen inspirierten sie zur Utopie einer Gesellschaft zwischen Urmenschen und Zombies. Gekleidet in Trikots mit Wollleibchen, die Augen schwarz umrandet, suggerieren sie eine Archaik, die an Strawinskys „Sacre du Printemps“ denken lässt. Über der – überfrachteten – Bühne hängen drei Käfige mit Gefangenen und ein Stahlträger, im Hintergrund leuchten Mohnblumen. Schläpfer hat sich tief in die Musik hineingehört, um ihre Stimmungen aufzunehmen und sich dann von ihr zu emanzipieren. Die Komposition wird ihm zu einem Tanzboden, auf dem sich das seltsame Völkchen mal mit gekrümmtem Rücken, mal im Stechschritt bewegt. Die Kreaturen begegnen sich zwischen Tanz und Kampf. Paare umkreisen sich misstrauisch. Ein wiederkehrendes Motiv ist das Auf-den-Boden-Stampfen mit nackten Füßen oder mit Spitzenschuhen, die die Ballerinen beinahe wütend, wie Speere, in den Boden stoßen. Handwerklich ist auch diese Arbeit makellos, doch inhaltlich wirkt sie unfertig, vage, verstörend. Der junge Dirigent Christoph Altstaedt, der seinen ersten Ballettabend leitet, leistet Großes. Zumal Lutoslawski in seiner 3. Sinfonie mit „begrenzter Aleatorik“ arbeitet. In einigen Abschnitten spielen zwar alle Instrumente dieselben Noten, doch ist das Tempo freigegeben. Das „gewürfelte Metrum“ ist eine Herausforderung für Dirigent wie Tänzer und ergibt jeden Abend ein anderes Klangbild. Kein Stolperstein für dieses exzellente Ensemble, das aus dem ehemaligen ballettmainz, Tänzern der Rheinoper und jungen Neuzugängen besteht. Darunter Körpervirtuosen wie Marlùcia do Amaral, und auch reifere Persönlichkeiten wie Jörg Weinöhl. Das Ballett der Rheinoper ist wieder da. Bettina Trouwborst |
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