Gegen diese Kunstdoktrin und ihre kompositorischen Restriktionen
regt sich nicht erst seit heute Widerstand. Auch die Komponistin
Kaija Saariaho wehrt sich gegen solche Verbote, wagt den Tabubruch
unter umgekehrten Vorzeichen, wenn sie für Tonschönheit,
offene Emotionalität und freizügige Sinnlichkeit in der
Musik plädiert. In ihrer 2006 in Paris uraufgeführten
und in diesem Jahr vom Theater Osnabrück als deutsche Erstaufführung
zur Diskussion gestellten Oper „Adriana Mater“ umspannt
dieser ästhetische Paradigmenwechsel nicht allein die Musik,
sondern auch den Gehalt des Librettos von Amin Maalouf. Adriana
wird im Krieg von einem flüchtigen Bekannten aus Friedenszeiten,
dem Soldaten Tsargo, vergewaltigt. Die daraufhin schwangere Adriana
entscheidet sich gegen eine Abtreibung. Als ihr Sohn Yonas später
von dem Verbrechen erfährt, das seiner Zeugung zugrunde liegt,
beschließt er, die Mutter zu rächen und seinen Vater
zu töten. Doch bei der finalen Begegnung zwischen Vater und
Sohn ist Yonas außerstande, den inzwischen erblindeten Ein derartig ostentativ erhobener ethischer Anspruch scheint das Stück von vornherein gegen jedwede Kritik zu immunisieren. Und doch überzeugt Saariahos Erlösungs-oper nicht. Zu offenkundig ist die Unfähigkeit der Komponistin, das musikalische Potenzial ihrer Einfälle richtig einzuschätzen. Sie unterlegt die Handlung mit den enervierend langatmigen Klangteppichen ihres musikalischen Pointillismus, durchbrochen von ein paar heftigen Eruptionen. Dann schlägt die dynamische Amplitude weit aus, doch Gefühlsqualitäten sind nicht zu hören. In ihren theoretischen Verlautbarungen singt Saariaho gerne das Hohelied der Emotionalität in der Kunst, ihre Klangsprache in „Adriana Mater“ bleibt dagegen trotz des gigantischen Aufwands für Chor und Riesenorchester blass-abstrakt und kühl bis ans Herz hinan. Gewiss, man kann sich einbilden, in dem unaufhörlichen Tröpfeln der Sekundintervalle den Nachhall der inneren Verzweiflung der geschändeten Adriana zu vernehmen. Doch kaschiert das keinesfalls die Indifferenz einer Musik, die ohne weiteres auch einem ganz anderen Sujet dienen könnte, so sehr steht hier Saariahos Faible für das kulinarische Aushorchen einer in vielerlei Grau- und Silbertönen schimmernden Orchestrierung im Vordergrund. Das beklemmende Thema der sexualisierten Gewalt im Krieg wird damit in seiner Unerträglichkeit ästhetisierend umgebogen und zum bloßen Vorwand für die Ausbreitung eines sich völlig autistisch gebärdenden Klangmaterials herabgewürdigt. Das alles ändert nichts an der hohen Qualität der musikalischen Umsetzung. Besonders die schönen Kantilenen für Adriana (glutvoll intensiv: Merja Mäkelä) und Yonas (Bernardo Kim mit auch in der Höhe zentriertem und ausladendem Tenor) scheinen direkt aus Debussys „Pelléas und Mélisande“ in Saariahos Partitur herübergeweht worden zu sein. Zwischen vokalem Melos, Flüstern, Ächzen und Stöhnen variiert die oft instrumentale Behandlung des Chores – technisch intrikate Klippen für die Stimmen, die von den Sängerinnen und Sängern (Choreinstudierung: Holger Krause) bravourös bezwungen werden. Saariaho hat eine ausgeprägte Schwäche für das Verschmelzen von Tönen ohne deutliche Konturen. Umso mehr war Generalmusikdirektor Hermann Bäumer als umsichtiger und präziser Synchronisator gefordert. Der bei weitem schwierigste Part dieser Produktion wurde Regisseurin Andrea Schwalbach zugemutet, denn im Szenischen wird das Desinteresse des Teams Saariaho/Maalouf an einer wahrhaftigen künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Stoff besonders greifbar. Schwalbach lässt den kruden Plot, der einer Verhöhnung der Utopie der Gewaltlosigkeit gleichkommt, in einer experimentellen, dem Dokumentarspiel ähnlichen Anordnung aufgehen, in die auch der Chor und das auf der Bühne platzierte Orchester integriert sind. Das ermöglicht aufschlussreiche Verwandlungen, so, wenn aus den Teilnehmern des die Geschehnisse zunächst rückblickend aufarbeitenden Tribunals unvermittelt tatenlose Zuschauer der sich anbahnenden Vergewaltigung werden. Dennoch bleibt der Versuch, eine intellektuelle Kopfgeburt wie „Adriana Mater“ auf die Bühne zu stemmen, zum Scheitern verurteilt. Christian Tepe
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