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Du weißt, mit 40 ist es aus

Ein Tänzer beendet seine Karriere · Reportage von Veronika Wagner

Es ist ruhig in den lang gestreckten Fluren des Künstlertraktes. Zwei Stunden sind es noch bis zur Vorstellung des Bayerischen Staatsballetts. Ein paar Tänzer huschen über die Gänge, verschwinden in der Garderobe oder setzen sich zu Kollegen und plaudern. Olivier Vercoutère ist auf dem Weg in die Maske. Der große, schlanke Franzose mit den dunklen Locken gehört seit 14 Jahren zum Münchner Ensemble. Hier hat er es vom Gruppentänzer zum Halbsolisten geschafft, begehrte Rollen bekommen und viel Applaus erhalten. Doch das wird sich bald ändern. Die Vorstellung an diesem Abend wird eine seiner letzten sein. Wenn die Compagnie des Bayerischen Staatsballetts in die Sommerpause geht, wird für Olivier das letzte Mal der Vorhang fallen. Mit der Spielzeit geht auch seine Karriere zu Ende. „Ich glaube, wenn man selbst entschieden hat, aufzuhören, dann ist es leichter. Ich weiß, dass ich nur noch soundso viele Vorstellungen habe und dass danach Schluss ist. Wenn man aufhören muss, weil man sich verletzt hat oder weil man gekündigt wird, dann ist das sehr frustrierend.“ Olivier Vercoutère lächelt nachdenklich und blickt zu den Tänzern, die im Flur zusammenstehen. „Es ist schon eine komische Vorstellung. Immerhin habe ich 20 Jahre lang getanzt. Ich versuche jetzt, jede meiner Vorstellungen zu genießen.“

Olivier Vercoutère. Foto: Sascha Kletzsch

Olivier Vercoutère. Foto: Sascha Kletzsch

Schon seit einiger Zeit wird er nicht mehr für die schwierigen und großen Parts besetzt. Olivier gehört zwar zu den Spitzentänzern, doch das Ballett fordert dem Körper alles ab, und er ist mittlerweile 40 Jahre alt. Egal ob Dehnung, Spannkraft oder Belastbarkeit – für ihn wird es immer schwerer, bis an die Grenzen der körperlichen Leistungsfähigkeit zu gehen. „Ich hatte viele Verletzungen in den letzten Jahren. Aber ich habe es immer wieder geschafft, auf die Bühne zu gehen. Wir haben ein sehr hohes Schmerzlevel und sind es gewohnt, mit Schmerzen umzugehen. Ich habe einmal eine Vorstellung mit gebrochenem Fuß bis zu Ende getanzt. Man spürt das nicht. Erst einen Tag später bin ich zum Arzt gegangen und… der Fuß war gebrochen“, erzählt Olivier.

Zum Ballett ist er über Umwege gekommen. Als Kind turnte er, sang im Chor und träumte vom Musical. Aber dann schickte ihn eine Lehrerin zum Ballett. Olivier war damals bereits 13 Jahre alt. Doch er lernte schnell und entwickelte sich gut. „Mit 14 habe ich drei Mal in der Woche Ballettunterricht gehabt. Die Lehrerin meinte dann irgendwann: ‚Du musst weitermachen. Es wäre schade, wenn Du nicht noch mehr tanzt.‘ Also habe ich jeden Abend getanzt. Meine Eltern haben mich jeden Tag nach der Schule zum Ballettunterricht gebracht. Die Schule ging bis 16 Uhr 45, dann um 19 Uhr Ballettunterricht bis 20 Uhr 30. Und danach musste ich noch Hausaufgaben machen. Das war ziemlich anstrengend.“ Olivier zog sein Pensum durch, Tag für Tag. Bis sich plötzlich eine neue Möglichkeit für ihn auftat und er das Angebot bekam, auf eine Pariser Privatschule zu wechseln, deren Stundenplan sich ganz an der Talentförderung orientierte: morgens mehrere Stunden Training, nachmittags Unterricht. Es war der Zeitpunkt, an dem Olivier sich entscheiden musste, was ihm Ballett wirklich bedeutete, ob er mit 14 sein Zuhause verlassen und in die Millionenmetropole Paris ziehen wollte. Ob er bereit war, sein Leben dem Tanz zu widmen.

Er nahm an, zog in ein Zimmer in einem katholischen Jugendwohnheim und biss sich durch im rigorosen Wettbewerb der Talente. „Paris war sehr hart für mich, ich musste schon ein paar Mal fast weinen, als mein Vater mich am Montagmorgen zum Bahnhof gebracht hat und es von Lille wieder nach Paris ging. Mit 14 ist man doch noch ein Kind.“ Olivier blieb eisern, trainierte, hielt dem immerwährenden Leistungsdruck stand. „Es gibt ständig Prüfungen, die man bestehen muss. Und es gibt auch den Druck, ob der Körper das alles mitmacht. Das war auch der Grund, warum meine Eltern wollten, dass ich das Abitur mache. Die wollten, dass ich noch was in der Hand habe.“ Doch dazu kam es nicht. Olivier erhielt ein Stipendium für die John-Cranko-Schule in Stuttgart. Von da an ging es für den Franzosen schnell nach oben und in das renommierte Stuttgarter Ensemble.

Für das Abitur blieb keine Zeit mehr.

Jetzt ist Olivier Vercoutère 40 Jahre alt und hat über 20 Jahre lang getanzt. Der große Mann mit der drahtigen Figur ist eigentlich im besten Alter. Einem Alter jedenfalls, in dem andere in ihren Berufen erst richtig durchstarten, Karriereetappen erklimmen, ihren Aufstieg in die Führungsetagen beginnen. Für Olivier Vercoutère ist es ein Zeitpunkt, zu dem er schon alles erreicht hat. Jedenfalls im Tanz. Er muss sich jetzt noch einmal komplett neu orientieren. Oliviers Frau Isabelle Sévers ist ebenfalls Tänzerin am Bay-erischen Staatsballett. Sie kann erahnen, was in ihrem Mann vorgeht. Schließlich wird sie in zwei Jahren an dem gleichen Punkt stehen. „Man weiß, es kommt. Aber man will es nicht wahrhaben, weil es so ein besonderer Beruf ist, und so ein intensiver Beruf. Man will nicht loslassen. Aber dann kommt die Entscheidung und dann muss es ziemlich schnell gehen, weil man auch nicht glücklich wird, wenn es sich in die Länge zieht.“ Dass die Karriere eines Tänzers kurz ist, war Olivier von Anfang an bewusst. Wie jedem Tänzer. Trotzdem hat er sich erst vor einiger Zeit wirklich mit dem Thema auseinandergesetzt. „Bei mir war das vor einem Jahr. Ich hatte meine letzte Vorstellung vom ‚Mann im Schatten‘. Und bei der Verbeugung wusste ich: Das war‘s. Dann bin ich zu Ivan Liska gegangen und hab es ihm gesagt. Ich habe nicht einmal mit meiner Frau darüber gesprochen. Ich denke, dass das eine ganz persönliche Sache ist. Man muss selbst diese Entscheidung treffen. Und dann kam ich nach Hause und habe ihr erzählt, dass mein Vertrag nicht verlängert worden ist.“

Für Olivier Vercoutère steht jetzt ein Schritt in eine neue, fast fremde Welt bevor. Denn die Ballettwelt lässt kaum Raum für ein Leben außerhalb. Sie gibt den Takt und die Struktur vor. Training, Proben, Auftritte, und das immer und immer wieder. Jeden Tag. Es ist ein eigener Kosmos und gleichzeitig ein gut geschützter Kokon. „Viele, die früher getanzt haben, sagen, dass sie erst nach dem Karriereende realisiert haben, dass die Welt draußen anders ist. Diese Erfahrung werde ich jetzt machen“, sagt Olivier und lächelt.

Vor vier Jahren hat er eine Pädagogikausbildung begonnen, eine Art Rückversicherung für die Zeit nach dem Tanz. Dabei entdeckte er, wie viel Freude ihm die Arbeit mit Jugendlichen macht und wie sehr es ihn begeistert, sein Wissen weiterzugeben. Mittlerweile durfte er schon mehrmals die Juniorcompagnie des Bayerischen Staatsballetts unterrichten. Und auch an der Ballettakademie der Hochschule für Musik und Theater wurde ihm angeboten, regelmäßig Unterricht zu geben. Es ist das erste Herantasten an einen neuen Alltag.

Auch Stefan Moser stand lange als Tänzer auf der Bühne, mittlerweile sitzt er im Kuratorium der Stiftung TANZ, die vor drei Jahren gegründet wurde. Mitarbeiter und Coaches der Stiftung helfen den Künstlern beim Übergang von der Bühne in ein neues Leben, beraten und denken gemeinsam über Alternativen nach. Rund 160 Tänzer beenden jedes Jahr in Deutschland ihre Karriere. Während Spitzensportlern Laufbahnberater zur Seite gestellt werden, waren Tänzer bisher meist auf sich allein gestellt. Selbst im Arbeitsamt wusste man wenig mit ihnen anzufangen, erzählt Stefan Moser: „Als ich damals bei der Agentur für Arbeit war, wurde mir angeboten, mich zum Steuerfachgehilfen umschulen zu lassen. Dafür gebe es einen Markt. Dass das vielleicht nicht das Richtige für einen Tänzer ist, damit waren sie ein bisschen überfordert.“

Die meisten Tänzer wollen in einem künstlerischen Beruf bleiben. Früher konnten sie häufig in der Theaterwelt unterkommen, heute gibt es in den Häusern dafür kaum mehr Stellen. Stefan Moser appelliert daher an die Künstler, sich so früh wie möglich mit dem Karriereende auseinanderzusetzen. Am besten schon in der Ausbildung. Dann fallen sie später weniger hart und weniger tief. „Das Interesse der Stiftung ist es, in Richtung einer dualen Ausbildung zu gehen, so wie es zum Beispiel Hochleistungssportler an den Olympiastützpunkten erfahren. Vom Bund wird dafür eine Menge Geld ausgegeben – und das ist auch wichtig, damit diese Sportler ein zweites Standbein haben und eine vernünftige Ausbildung zu einem vernünftigen Zeitpunkt absolvieren können. Bei den Tänzern ist das leider nicht der Fall“, beklagt Stefan Moser. Die müssen ihre Weiterbildungen nach dem Bühnenaus in der Regel selbst bezahlen. Mittlerweile hilft die Stiftung mit Stipendien. Denn oft ist nach der Karriere der finanzielle Druck groß. „Man kann sicherlich nicht von dem wenigen Ersparten leben, das man auf die Seite legen konnte, oder gar eine Fortbildung davon finanzieren“, sagt er. „Das geht einfach nicht.“

Gedanken übers Geld macht sich auch Olivier Vercoutère. Zusammen mit seiner Frau hat der 40-Jährige gegrübelt, gerechnet, Pläne geschmiedet. Er hofft auf eine Stelle als Ballettmeister an einem Theater für die Spielzeit 2014/15. Vor kurzem hat sich eine Möglichkeit in der Schweiz angedeutet. Noch ist nichts in trockenen Tüchern, doch Olivier hat Hoffnung geschöpft. Als Ballettmeister den Nachwuchs zu trainieren und Talente zu fördern, das wäre sein Traum.

Die letzte Vorstellung

An einem Sonntagnachmittag im Juli ist es dann soweit. Im Prinzregententheater wird das Stück „La fille mal gardée“ gegeben. Es ist Oliviers letzte Vorstellung. Der Franzose steht in Frack und Zylinder hinter der Bühne, eine falsche Nickelbrille auf der Nase. Er lächelt, doch er wirkt angespannt. „Ich habe mich zwar schon seit Monaten vorbereitet, aber zu wissen, dass das die letzte Vorstellung ist, ist ganz merkwürdig.“ So lange war er Teil dieser Theatergemeinschaft, hat sich auf der Bühne in die unterschiedlichsten Charaktere verwandelt, das Scheinwerferlicht genossen, die Begeisterung des Publikums gespürt. Nun ist der Abschied auf einmal eine Realität, der sich Olivier nicht mehr entziehen kann. Ein Moment, der immer präsent war und doch so weit weg schien. Nach der Vorstellung scharen sich die Kollegen um ihn, klatschen, klopfen ihm auf die Schulter, umarmen ihn.

Trotz aller Traurigkeit feiern sie an diesem Abend gemeinsam mit Olivier, stoßen auf den Neubeginn an. „Ich fühle mich irgendwie erleichtert. Ich schaue mit ganz anderen Augen in die Zukunft und bin ganz aufgeregt. Jetzt fängt ein neuer Lebensabschnitt an.“

Zukunftsperspektiven

Mittlerweile sind mehrere Monate seit seinem Bühnenabschied vergangen. Noch immer steht nicht fest, ob Olivier die Stelle als Ballettmeister an dem Schweizer Theater bekommen wird oder nicht. Doch es haben sich neue Perspektiven aufgetan. Olivier Vercoutère hat Gastverträge als Ballettmeister an verschiedenen Theaterhäusern erhalten, und an der Ballettakademie der Hochschule für Musik und Theater unterrichtet er die Nachwuchstalente. Aufgaben, die ihm Spaß machen und bei denen er weiterhin mit der Ballettwelt verbunden bleibt. Auch wenn er nicht mehr in der ersten Reihe steht. „Es wäre jetzt mein größter Wunsch, dass meine Schüler glücklich sind. Dass sie Karriere machen und mindestens zehn Jahre professionell tanzen können.“

Veronika Wagner

 

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