Elfriede Jelinek hat in ihrem für Bienert geschriebenen Text das Dornröschen-Märchen in unsere Zeit versetzt und in der ihr eigenen bilderreichen, Assoziationen freisetzenden Sprache bearbeitet. Ihr Text ist ein wienerischer Diskurs über das unbestimmbare Verhältnis von Tod, Scheintod, Schlaf und Leben, und damit auch über Ewigkeit und Vergänglichkeit. Und genauso wie die Österreicher allgemein gerne über den Tod reden, aber nicht nur diesen meinen, so sind auch bei Jelinek noch andere Bedeutungsebenen wahrnehmbar. Jelineks Text zielt auch auf die von Macht geprägten Beziehungen der Geschlechter und auch auf eine politische Bedeutungsebene. Ihr Text hat ein Doppelgesicht, wenn nicht gar ein Mehrfachgesicht. Er meint eigentlich immer zusätzlich noch etwas anderes als das, was er vorgibt. In der Umsetzung dieses Textes als Ballett begaben sich alle beteiligten Künstler, also sowohl Komponistin als auch Choreograf und auch Bühnenbildner auf die Suche nach einer adäquaten, das heißt ähnlich mehrgesichtigen künstlerischen Sprache. Von besonderem Interesse ist dabei, wie Olga Neuwirth mit diesem Text umgegangen ist. Olga Neuwirth hat zu dem Text eine Tonbandkomposition geschrieben, in der sie zumeist Computerklänge verarbeitet. Zugleich aber verwendet sie auch elektronisch verzerrtes Klangmaterial eines Streichquartetts, einer Flöte oder eines Cellos. Durch diese geräuschhafte, eine Art Klangkruste bildende, computergenerierte Musik bricht immer wieder eine zweite Musikschicht durch. Dann kristallisieren sich harmonisch vertraute Zusammenhänge heraus und es entstehen rhythmisch ungemein zwingende Abläufe. Eine weitere Ebene in Neuwirths Komposition besteht zudem in der konkreten Verarbeitung des Jelinek-Textes. Diesen hat sie, zum großen Teil von Hanna Schygulla und Anne Bennent auf Band sprechen lassen und auf vielfältige Weise mit dem Computer bearbeitet. Mit großem Gespür für die Sache Jelineks und für deren dramaturgische Möglichkeiten lässt sie beständig das Verhältnis von Text und Musik zwischen Vordergrund und Hintergrund hin und her wechseln. Ist der Text im Hintergrund, bleibt er zumeist unverständlich, vermittelt vorwiegend die Emotion des Textes. Wird der Text aber in den Vordergrund geholt, wird deutlich, dass Jelineks Sprache vergleichbar zugespitzt wirken kann wie Boitos Sprache bei Verdi. Das ständige Changieren zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen-Können erweist sich als raffiniertes dramaturgisches und musikalisches Gestaltungsmittel. Neuwirth schafft dabei Klangräume zwischen Realität und Irrealität, die der Thematik des Stückes in hohem Maße gerecht werden. Die so kreierten literarischmusikalischen Klangräume wurden von Bernd Roger Bienerts Bewegungssprache zu einer faszinierenden Theaterdimension erweitert. Bienerts Figuren scheinen zunächst von fremder Hand gelenkt zu sein. Wie in Trance bewegen sich seine Tänzerinnen und Tänzer mit fast geistesabwesend anmutender Weichheit, dabei aber mit kaum zu übertreffender Ausdruckskraft. Im Verlauf des Stückes jedoch tritt in Text, Musik und Bewegungen die Ebene der Realität mehr in den Vordergrund. Und dann wird auch Bienerts Körpersprache realistischer, manchmal gar aggressiv. Bienerts Körpertheater wandelt sich zu einem Tanztheater, das tatsächlich aus rhythmisch geprägten Klangvorgaben solche Bewegungen formt, die man mit der klassischen Bezeichnung als Ballett assoziiert. Zusammen mit ihren vorzüglichen Tänzerinnen und Tänzern ist den Saarbrückern ein Ballettabend gelungen, um den sie zu beneiden sind.
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