Von der VdO der BRD hatten wir schon gehört. Durch zwei Benefizkonzerte der Deutschen Staatsoper in der Deutschen Oper Berlin anlässlich der Maueröffnung und auf zwei Chortreffen waren erste Kontakte entstanden. Helmut Lang, Opernchorsänger der Deutschen Oper Berlin, Mitglied des Bundesvorstandes der VdO und Personalratsvorsitzender der DOB, nahm als Gast an unsrer Versammlung teil. Von ihm erfuhren wir nun, was sich alles hinter DAG, DGB, DOV, Öffentlicher Dienst, GDBA, Mitbestimmungsrecht, Deutscher Bühnenverein und vielen anderen Begriffen verbarg. Es war spannend. Aber auch Zweifel kamen auf. Wie kann sich eine so kleine Gewerkschaft behaupten, wie organisiert sie sich, wie wird sie anerkannt? Da wir es gewohnt waren, unter dem großen Dach des FDGB beschirmt und umsorgt worden zu sein, waren diese angemeldeten Zweifel verständlich. Ein neues Denken musste beginnen. Und jetzt wurden Probleme erörtert, die so oder so alle bewegten. Man spürte die Freude und Entschlossenheit, sich endlich einmal im Gespräch frei und offen angestauter Probleme entledigen zu können. Die Leipziger und Dresdner Kollegen trugen mit ihren Gedanken besonders zu einer konstruktiven und lebhaften Diskussion bei. Fazit: Wir müssen uns zusammenschließen und ein Gremium schaffen, das von jetzt an als Ansprechpartner für alle Belange der Chorsänger in der DDR zuständig ist. Immerhin waren wir noch Mitglieder des FDGB, von dem wir nicht mehr vertreten sein wollten. Darum beschlossen wir die Gründung der VEREINIGUNG DER THEATER- UND RUNDFUNKCHÖRE IN DER DDR, Anlaufadresse: Deutsche Staatsoper Berlin Chorvertretung. Der FDGB, das Ministerium für Kultur und die Presse über ADN wurden informiert. Dem FDGB-Kongress, der am 30./31. Januar 1990 in Berlin stattfand, übermittelten wir ein Protestschreiben, in dem wir unter anderem Rechenschaft über schwerwiegende Verstöße durch die Führung des FDGB forderten und eine schonungslose Aufklärung verlangten. Nach diesem Kongress hörten wir neue Töne. Zum Beispiel wurde ein GESETZ ÜBER DIE RECHTE DER GEWERSCHAFTEN IN DER DDR erlassen. Man konnte staunend lesen: Gesellschaft muss sozial gerecht sein. Plötzlich gab es auch ein Bekenntnis des FDGB zur Vereinigung beider deutscher Staaten... Wenn unsere Versammlung dann zu der Gründung der VdO/DDR führte, dann ist das in hohem Maße dem mutigen Auftreten all der Kolleginnen und Kollegen zu verdanken, die in ihren Theatern von unseren Überlegungen und Beschlüssen berichteten und für sie warben. Unser Erfolg war ein gemeinsamer. Dank gebührt auch Walter Kane, Bruno Lehmann, Stefan Meuschel und Günter Meyer (ich hoffe, dass ich keinen vergessen habe), die uns während des Formungsprozesses helfend zur Seite standen. Nach zehn Jahren Rückblick auf die stattgefundenen Ereignisse
und die gesellschaftlich-politischen Veränderungen ist leider
heute festzustellen, dass wir wieder mit Entwicklungen konfrontiert
werden, denen man sich energisch entgegenstellen muss (Theaterschließungen,
Stellenabbau, Aushebelung des Tarifrechts, beabsichtigte Veränderungen
der Opern- und Orchesterlandschaft in Berlin). Und wieder sind es
die Gewerkschaften, die ihre Kräfte bündeln müssen.
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